Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Von Konventionen und Regelverstössen

Der Mensch als soziales Wesen braucht Strukturen und Bindungen. Doch genau darin verbergen sich Fallstricke und Unfreiheiten. Die Kunsthalle Winterthur versammelt zu diesem widersprüchlichen Verhältnis acht Positionen. Es ist die erste Ausstellung unter der neuen Leiterin Geraldine Tedder.

Winterthur — Fotografieren heisst kommunizieren. Auch Kleidung beinhaltet Kommunikation. Kunst sowieso. Mit der Kunst, mit der Kamera, mit der Kleidung – und vielem mehr – treten Menschen in Kontakt zueinander. Oder sie versuchen es, denn nicht immer gelingt die Übertragung der Informationen. Mitunter verweigert sich das Gegenüber, erkennt die Codes nicht oder versteht sie falsch. Die Kunsthalle Winterthur widmet dieser Ambivalenz Ausstellung ‹Script – Memory›. Im Titel klingen die Bedingungen des alltäglichen Miteinander an: Der gemeinsame Verhaltenskodex folgt oft einem erlernten oder erinnerten Drehbuch: Gesprächsformeln, die Dauer und Art von Blickkontakten oder Berührungen – Spielregeln bestimmen das Zusammenleben und eröffnen zugleich ein weites Feld für Missverständnisse und Verweigerungen. Ein Schlüsselbild dafür liefert Niklas Taleb mit ‹Reverse Psychology›, 2020. Der Künstler fotografiert seine kleine Tochter beim Frühstück. Ihr Blick sagt der Kamera: Keine Lust! Nicht schon wieder, Papa! Doch nicht dieser Unwille irritiert, sondern die Hand mit dem Fotoapparat im Bild. Diese formale Unstimmigkeit entspricht den Brüchen im zwischenmenschlichen Austausch.
Die Brüche der Erinnerungen zeigen sich in Jordan Lords ‹I Can Hear My Mother´s Voice›, 2018. Lords Mutter sichtet und kommentiert darin alte Videos, die sie selbst aufgenommen hat: Einfache, nüchterne Beschreibungen kontrastieren mit emotionalen Schilderungen einer Situation. Vermutungen werden als Gewissheiten präsentiert. Stimmig ist das trotzdem, weil die Erinnerung von einer grossen Verbundenheit mit den gefilmten Motiven getragen ist.
Die Arbeit mit Familienmitgliedern – oder mit Menschen aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis — liegt mehreren der ausgestellten Werke zugrunde. Die Kunst wird ihn ihnen zum sozialen Ereignis, sie untersucht die menschlichen Beziehungen nicht nur, sondern basiert auf ihnen. Und bei der Kunst ist die Ausstellung noch nicht zu Ende. Sie spannt den Bogen weiter bis zur Publizistik: ‹Heresis› war von 1977 bis 1993 ein Magazin zu feministischen, künstlerischen und politischen Themen. Gezeigt werden ausgewählte Originalausgaben neben einem aktuellen Magazin zu kollaborativen Publikationspraktiken. Dessen Herausgeber ist das Rietlanden Women´s Office von Elisabeth Rafstedt und Johanna Ehde. Auch die beiden Frauen untersuchen, was sie zugleich anwenden: Sie kollaborieren als die neuen Grafikdesignerinnen der Kunsthalle Winterthur.

Kollaborationen in Appenzell

Das Kunstmuseum Appenzell zeigt in der Ausstellung «Allianzen» die gemeinsame Arbeit von Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp und Max Bill. Die Kunsthalle Appenzell lädt mit «Möglichkeit Architektur» zum Mitdenken über den öffentlichen Raum ein. Beide Ausstellungen sind eigenständige Projekte und haben doch mit dem Fokus auf produktive Zusammenarbeit eine Schnittstelle.

«Lieber Bill. Mein Relief kann liegend und hängend und von allen Seiten betrachtet werden. wenn ich es an die Wand häng, hänge ich es so, dass die Stäbe unten sind. Die Photo ist natürlich so zu reproduzieren, dass der Schatten unten ist und die Stäbe oben.» Sophie Taeuber-Arp instruiert Max Bill per Postkarte im Frühjahr 1939, wie eines ihrer Reliefs zu installieren sei. Die variable Hängung ist dabei kein Zeichen von Unentschiedenheit, im Gegenteil. Sie zeugt von Taeuber-Arps konsequentem Anspruch als ungegenständliche Künstlerin. Ihr ging es nicht um eine Transformation der gegenständlichen Welt in eine neue Bildsprache, sondern um einen unabhängigen, universellen künstlerischen Ausdruck. Dieses Bestreben eint sie mit Max Bill und Hans Arp. Von letzterem stammt der vielzitierte Satz, nicht die Natur nachahmen zu wollen. Es ging den Dreien nicht ums Abbilden, sondern ums Bilden, ums Hervorbringen wie in der Natur.
Die Ausstellung «Allianzen» im Kunstmuseum Appenzell zeigt die engen künstlerischen Kooperationen zwischen Tauber-Arp, Arp und Bill. Und mehr noch: Das künstlerische Werk ist kaum zu trennen vom gestalterischen und publizistischen. In der Ausstellung werden Plakate präsentiert, Zeitschriften, Briefe, Skizzen, gemeinsame Mappenwerke. Zum allerersten Mal ausgestellt sind die Entwürfe für die sechste Ausgabe von «Plastique», der von Sophie Taeuber-Arp herausgegebenen Zeitschrift für ungegenständliche Kunst. Diese Nummer wurde wegen des plötzlichen, viel zu frühen Todes der Künstlerin 1943 nicht mehr publiziert.
Die gezeigten Werke stammen vor allem aus der Fondazione Marguerite Arp und der Sammlung von Chantal und Jakob Bill. Letztere entwickelte die Ausstellungsidee, für die das Kunstmuseum Appenzell die perfekte Bühne bildet. In den Kabinetten kommen die formal reduzierten Gemälde und Reliefs sehr gut zur Geltung. Dicht gehängte Grafiken wechseln sich ab mit markant in Szene gesetzten Einzelwerken. Eine gelb akzentuierte Wandfläche hebt zwei Kompisitonen von Sophie Taeuber-Arp besonders hervor: Die Künstlerin bringt darin geometrische Elemente in eine rhythmische Ordnung. Dazu tragen auch die sparsam eingesetzten Farben bei.
Aufgrund ihrer früheren Arbeit als Textilentwerferin und ihrer Studien in den Sammlungen des damaligen Industrie- und Gewerbemuseums St.Gallen fand Sophie Taeuber-Arp mitunter zu formal klareren und radikaleren Entwürfen als ihre Künstlerkollegen. Aber es blieb ein Miteinander, wie die Ausstellung zeigt. Selbst dann noch, als Hans Arp und Sophie Taeuber-Arp aufgrund von Meinungsverschiedenheiten die 1931 gegründete Gruppe Abstraction-Création im Jahr 1934 verliessen – Max Bill blieb noch drei Jahre länger. Die intensive Zusammenarbeit hielt an, ebenso der Gedankenaustausch in intensiven Schriftwechseln. Die Ausstellung ist das Porträt eines produktiven Netzwerkes. Damit kann «Allianzen» gute Impulse liefern für «Möglichkeit Architektur» in der Kunsthalle Appenzell. Dieses parallele Projekt ist weniger eine Ausstellung als eine Plattform, weniger Präsentation als Partizipation und doch ab dem ersten Tag an sehenswert. Im Erdgeschossraum sind Dokumente, historische Fotografien, Geschichten und Anekdoten versammelt. Dachziegel und andere Relikte verweisen auf die ursprüngliche Funktion der früheren Ziegelhütte. Baugerüste mitten im Raum verweisen auf die Gegenwart: Hier soll neues gedacht, hier soll mitgebaut werden an der Zukunft der heutigen Kunsthalle Ziegelhütte. Sie soll als gemeinsamer Kulturort funktionieren. Die populären Schlagwörter lauten: kreativ, inklusiv, interaktiv und dynamisch. Der Denk- und Arbeitsprozess hat längst begonnen, ist aber mit «Möglichkeit Architektur» öffentlich geworden. Das Projekt ist die Einladung mitzugestalten, die Räume zu erkunden und sie sich forschend oder kreativ anzueignen. Das Ergebnis ist offen, die Kunsthalle Appenzell ist es ebenso.

Eine Kunsthalle für alle

Ziegelei, Abenteuerspielplatz, Quartiertreffpunkt – die Kunsthalle Ziegelhütte war schon vieles. Vor zwei Jahren wurde aus ihr die Kunsthalle Appenzell. Jetzt soll sich noch viel mehr ändern: «Möglichkeit Architektur» öffnet das gesamte Gebäude fürs Publikum und lädt alle Interessierten an, die Zukunft der ehemaligen Ziegelei mitzugestalten.

Gartenzwerge und Kuchenformen wurden in der Ziegelhütte gebrannt, auch mit Ofenkacheln wurde experimentiert. Aber 1957 war Schluss mit der Produktion: Die Ziegelhütte rentierte nicht mehr. Danach gab es im Brennofen eine Zeitlang eine Bar, die Feuerwehr nutzte den Industriebau für Übungen, Kinder bauten eine Geisterbahn ein. Das Areal wurde zum Abstellplatz und Möbellager, auf den ausgedienten Sofas knutsche und kiffte die Jugend. Pläne für einen Parkplatz, eine Strassenkreuzung oder ein Mehrfamilienhaus wurden nicht realisiert. Stattdessen kaufte der Architekt Roman Kölbener die Ziegelhütte 1982 im letzten Moment vor dem Abriss, um aus dem Industriedenkmal ein Ziegeleimuseum zu machen. Sein Unfalltod wenige Jahre später vereitelte dies. Aber in seinem Gedenken wurde ein gemeinschaftlich verwaltetes Kulturzentrum daraus.
Diese und viele weitere Geschichten über die Ziegelhütte werden derzeit in der Kunsthalle Appenzell präsentiert. Zusammengetragen wurden sie von Monica Dörig. Die Kulturjournalistin gehört zum Team rund um «Möglichkeit Architektur». Das Motto bezeichnet weniger eine Ausstellung als eine Baustelle, auf der die Zukunft der ehemaligen Ziegelhütte gedacht, entwickelt und geprobt wird.

Alle sollen mitgestalten

Die Erforschung der Geschichte bildet dafür ebenso ein solides Fundament wie die Aneignung der bestehenden Architektur. Diese ist inzwischen knapp zwanzig Jahre alt. 2001 hatte der Unternehmer Heinrich Gebert die Ziegelhütte erworben. Zwei Jahre später wurde nach einem Umbau durch Robert Bamert der heutige multifunktionalen Kulturort eröffnet. Allerdings war es dadurch mit der unkomplizierten Aneignung vorbei. Manche Menschen, die sich früher hier trafen, haben das Gebäude seither nie mehr betreten. Höchste Zeit also, den Ursachen dafür auf den Grund zu gehen und die Ziegelhütte wieder ins Bewusstsein aller zu rücken, oder wie es Stefanie Gschwend formuliert: «Das aktuelle Projekt zielt auf eine inklusive, von Vielen mitgestaltete Auseinandersetzung mit dem Kulturraum.»
Die Direktorin von Kunsthalle und Kunstmuseum Appenzell will ergründen, wie die Institution wieder besser im Quartier verankert werden kann. Unterstützt wird sie dabei unter anderem von Anna Beck-Wörner. Die Kunstvermittlerin ist seit acht Jahren am Kunstmuseum tätig: «Meine Arbeit beginnt meist dann, wenn die Ausstellung fertig aufgebaut ist.» Diesmal hat sie von Beginn an mitgewirkt, denn es geht nicht darum, fertige Inhalte zu vermitteln, sondern: «Möglichst Viele zum Mitdenken einzuladen.» Anders als in Kunstausstellungen dürfen beispielsweise die Kinder mit Klemmbrett und Papier alle Räume selbst erkunden: «Wir freuen uns auf Zeichnungen ihrer Wunschziegelhütte.» Diese Bilder werden dann im grossen Ausstellungsraum hängen.

Neu, aber ohne grosse Umbauten

Bereits jetzt sind dort Gedankenschnipsel, Fundstücke aus der alten Ziegelei und historisches Bildmaterial zu sehen. Diese Sammlung soll weiter wachsen, unter anderem können Formen und Strukturen zusammengetragen werden, so der Baukulturforscher Ueli Vogt: «Architekt Bamert hat nicht einfach irgendwie gebaut, sein Formwille ist erkennbar. Jetzt geht es darum, die Qualitäten genau anzuschauen und zu verstehen versuchen.» Dabei ist immer klar: Grosse Umbauten wird es nicht geben, wenn im Herbst die Sanierung ansteht. Heizung, Automation, Licht, Wärme, Kälte – alles muss ersetzt werden. Die bauliche Struktur bleibt, aber: «Auch mit einfachen Mitteln lassen sich Dinge verändern.» Der Prozess zur Veränderung hat begonnen und ist ergebnisoffen. Wenn sich Viele beteiligen, kann aus der Kunsthalle Appenzell auch ohne Umbau ein neuer Ort werden.

Das Toggenburg klingt

Der Klangweg ist eröffnet. Seit zwanzig Jahren lockt der Klangweg Jung und Alt, Gross und Klein ins Toggenburg. Jetzt wurde er erneuert, überarbeitet und mit zwölf neuen Klangkunstwerken bestückt. Mit den neuen Klangweg finden Natur und Klang auf nachhaltige und sinnlich erfahrbare Weise zusammen.

Interaktive Klangwerke, Geräuschverstärker, traditionelle Objekte und aktuelle Technik – der neue Klangweg verbindet Kunst und Natur, Klang und Handwerk, sinnliche Erfahrung und Wissensvermittlung. Auf den sechs Kilometern zwischen Sellamatt und Oberdorf sind 28 Klangobjekte und -kunstwerke installiert. Einige prägen den Klangweg bereits seit zwanzig Jahren, andere wurden neu konzipiert und sind das Ergebnis eines Kunstwettbewerbes.
Der «Zugspecht» von Hamper von Niederhäusern gehört seit 2005 zum Klangweg. Mit einem Seilzug lassen sich Töne erzeugen, die dem Klopfen eines Spechtes gleichen. Jetzt hat der Zugspecht Nachbarn bekommen: Nur wenige Schritte entfernt hängen seit dem Mai 2024 vier Kunstspechte. Werden sie aktiviert, trommeln sie auf Klangstäbe. Die mechanischen Tiere reagieren auf die elektromagnetischen Signale von elektronischen Geräten. Sind viele Menschen mit ihren Mobiltelefonen in der Nähe, ertönt ein intensives Klopfen – so wie am Eröffnungswochenende des Klangweges: Bei gutem Bergwetter begaben sich viele Gäste auf die Klangreise. Auch die Kunstspechte profitieren vom Sonnenschein, ihre Motoren werden durch Solarenergie gespeist. Genauso wie die «Archive Cabine»: Die Telefonkabine mit Solarzelle auf dem Dach steht unterhalb der Bergstation Iltios. Wer sie öffnet, hört das Telefon schellen. Aus dem Hörer erklingen beispielsweise Geräusche von Schritten auf Schnee, von einer grasenden Kuh oder das Plätschern eines Baches. Eigene Sounderlebnisse lassen sich hinzufügen und werden Teil eines ständig wachsenden Soundarchivs. Entwickelt wurde «Archive Cabine» von der französisch-schweizerischen Künstlerin Mélia Roger. Ihre Arbeit erinnert auch daran, dass die gesprochene Sprache zu den Klangerlebnissen und ins grosse Archiv der natürlichen Töne gehört. Der Schweizer Michael Roth hingegen thematisiert den Klang technischer Infrastrukturen. Er verstärkt die Geräusche einer Seilbahn, das Pfeifen des Windes in den Seilen, das Rattern und Surren. Der Seilbahnmast selbst wird zum Klangkörper.

Natur- und Klangraum

Auch die «Klangbahn» wird mit Solarenergie betrieben. Die nachhaltige Energieversorgung ist eines der Kennzeichen des neuen Klangweges. Ökologische Aspekte spielten aber auch auf andere Weise eine Rolle bei der Neukonzeption: Das Augenmerk liegt insbesondere bei den neuen Klangkunstwerken weniger auf der Sounderzeugung als auf der bewussten Erfahrung der Klänge der Natur und des Toggenburgs im Besonderen. So kommt Florian Dombois´ «Aeolion» vollständig ohne Strom aus und schärft zugleich die Sinne für die Klangkraft strömender Luft. Die Windharfe kann unterschiedlich ausgerichtet und auf verschiedene Tonhöhen eingestellt werden – sie ist ein Instrument mitten in der Landschaft. Der Franzose Vincent Martial richtet die Aufmerksamkeit auf die leisen Töne, auf das Rascheln, das Wispern, das Tröpfeln. Sein Werk «air frequencies» funktioniert als natürlicher Verstärker, ähnlich wie eine ans Ohr gehaltene Muschel. Es bringt Töne zu Gehör, die im Tosen der Alltagsgeräusche untergehen. Noch minimalistischer ist die Installation des Österreichers Peter Ablinger: Zwölf stabile Holzstühle auf einer Plattform laden ein, anzuhören, was es vor Ort zu hören gibt. Das ist im Toggenburg sehr viel. Der Naturraum klingt, auch der landwirtschaftliche Raum tönt und die Verkehrsader im Tal. Der Klangweg zeigt die Vielfalt der Klänge und ihre Verbundenheit: Die Natur ist durch die landwirtschaftliche Nutzung geprägt, das Erlebnis Natur wiederum ist von der Erreichbarkeit des Landschaftsraumes abhängig. Das Toggenburg lebt von dieser gewachsenen Verbindung. Ein Zeichen dafür sind die drei «Bet(t)ruftrichter». Sie sind an unterschiedlichen Stellen des Klangweges platziert und erinnern in ihrer Form an die Betruftrichter der Region. Senninnen und Sennen erbitten mit diesen hölzernen Trichtern die Heiligen um Schutz, der Ruf hallt weit durchs Tal. Am Klangweg bieten sich die um ein Vielfaches vergrösserten Holztrichter nicht nur als Klangverstärker an, sie sind kleine Rückzugsräume. In ihrem Schutz lassen sich die Klänge des Toggenburgs individuell erfahren. Der Klangweg ermöglicht eine Fülle neuer Hör- und Tonerlebnisse. In der reichen Natur- und Kulturlandschaft des Toggenburgs lädt er zu einer einzigartigen akustische Reise ein.

Medienmitteilung Klangweg Toggenburg

Erst wird besetzt, geräumt wird zuletzt

Das Zeughaus Teufen zeigt die Infrastrukturen des Aufbegehrens. Die Ausstellung «Protest/Architektur» wurde durch das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt am Main und das Museum für Angewandte Kunst Wien erarbeitet und vom Team des Zeughaus Teufen für die Schweiz angepasst und ergänzt. Sie ist Schau- und Lehrstück zugleich.

Kuppelzelte fallen in St.Gallen vor allem im Sittertobel auf, wenn das OpenAir-Publikum seine Zeltstadt errichtet. Die halbrunden Zelte sind praktisch, günstig, schnell aufgebaut und nutzen den Platz optimal. Das macht sie nicht nur zu einer der beliebtesten Campingbehausungen, sie sind auch die häufigste Bauform in Protestdörfern: Wenn Menschen gemeinsam und sichtbar für ihre Anliegen eintreten, wenn sie den öffentlichen Raum besetzen und bleiben, dann stehen dort sehr oft die kleinen, bunten Stoffkuppeln. Das war so 2011 während Occupy London, 2019 beim Free Land Camp in Brasilia oder 2020 beim Klimacamp auf dem Bundesplatz. Die Kuppelzelte setzen ein Zeichen, sie markieren den Raum, bieten Schutz vorm Wetter und ermöglichen etwas Privatsphäre. Und obwohl sie kaum mehr sind als ein bisschen Gestänge, sind sie Architektur, in diesem Falle Protest-Architektur. Sie sind Manifestationen des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Zustände, gegen staatliche Gewalt, gegen die Vereinnahmung von Räumen aufgrund privater, wirtschaftlicher oder politischer Interessen.

Neuchlen-Anschwilen mittendrin

Die Vielfalt der baulichen Protestzeichen ist derzeit im Zeughaus Teufen zu sehen in «Protest/Architektur». Die sehenswerte Ausstellung zeigt die baulichen und räumlichen Qualitäten der temporären Widerstandsarchitekturen und spannt dabei den Bogen weit auf. Sowohl zeitlich als auch typologisch und geografisch. Sie reicht von der Julirevolution 1930 in Paris bis zu den Protesten in Haifa im März 2023. Sie führt zum Arabischen Frühling 2011 bis 2013 in Kairo und zum Putschversuch in Burundi 2015, zu den Protesten in Hong Kong 2014 und 2019 gegen die Einflussnahme Chinas und zu den Camps gegen die geplanten Rodungen ab 2012 im Hambacher Wald. Und mittendrin die Schweiz: Die Anti-Waffenpatz-Bewegung Neuchlen-Anschwilen erhält verdienten Raum in der Ausstellung. 633 Tage dauerte die Besetzung des Areals, verhindert werden konnte der Bau des Waffenplatzes nicht, aber das Augenmerk auf die ökologischen Implikationen der Schweizer Armee ist seither gestiegen. Mit vier Tagen Dauer war Shantytown Zürich eine viel kürzere Aktion, sie richtete sich gegen die Kommerzialisierung der Stadt. Weitere Schweizer Beispiele sind die Berner Studierendenproteste 2009 oder das Sans-Papiers-Protestcamp 2010 in Bern.

Von der Versammlung bis zur Räumung

Die Ausstellung verzichtet konsequent auf Modelle und Nachbauten, um die Proteste nicht zu verniedlichen. Anschaulich werden die Aktionen und Camps trotzdem: Das gezeigte Bildmaterial ist von grosser Ausdruckskraft. Es ist in Plakatgrösse reproduziert und – dem Thema angemessen – provisorisch an Holzlatten getackert. Die Fakten werden in kurzen, nüchternen Texten beschrieben, dies passt sowohl zur Menge des Materials als auch zur neutralen Ausstellungsposition. 13 internationale Cases und fünf Schweizer Cases werden ausführlicher präsentiert. Ausserdem werden Typologien vorgestellt von den Barrikaden bis zu den Verzögerungsbauten auf hohen Stützen oder in Bäumen, um die Polizeiräumungen zu erschweren. Auch die Ingenieursbauten bilden eine Kategorie, denn seit Gottfried Sempers Barrikadenbau 1849 beim Maiaufstand in Dresden haben sich immer wieder auch Profis für die Protest-Architektur engagiert. Und schlussendlich blendet die Ausstellung nicht aus, wie es meistens endet: Die Staatsgewalt greift durch. In einem 20-minütigen Video zeigt der Filmemacher Oliver Hardt die fünf Phasen des Protestes: versammeln, bauen, leben, standhalten, auflösen. Aber wie auch immer die Sache ausgeht, im «Chaotendorf» 1981 in Zürich hiess es treffend: «Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass Ihr unsere Gedanken räumen könnt.»

Verhüllen und Zeigen

Maria Magdalena ist Sünderin und Heilige, sie ist Begleiterin Jesu und Zeugin seiner Auferstehung. In altmeisterlichen Gemälden sie ist diejenige mit den langen wallenden Haaren. Damit erinnert ihre Darstellung einerseits an ein Festmahl im Lukas-Evangelium: Maria Magdalenas Tränen benetzten Jesu Füsse, die sie dann mit ihren Haaren trocknete. Andererseits verschmilzt ihre Person mit jener legendären ägyptischen Maria, die nur mit ihren Haaren bekleidet, dreissig Jahre lang ihre Sünden in einer Höhle abbüsste. Beide Darstellungen erfolgten nicht nur in frommer Absicht, sie zeigen auch die Verführungskraft der Sünderin. Ihre Verhüllung verdeckt nicht nur, sondern entblösst auch. Solchen Doppeldeutigkeiten ist Marlies Pekarek auf der Spur. Die Künstlerin erforscht religiöse und volkskünstlerische Erzählungen, die daraus resultierenden Bildwelten und Übersetzungen ins Dreidimensionale. Immer wieder bereist sie unterschiedliche Kulturkreise. Sie knüpft dort Kontakte zu lokalen Handwerksbetrieben, besucht Märkte und Souvenirgeschäfte. Zugleich ist sie eine aufmerksame Beobachterin des alltäglichen Lebens. Dabei widmet sie sich insbesondere dem Habitus der Frauen, dem Blick auf sie und der Wandlungsfähigkeit der weiblichen Motivik.
In der aktuellen Arbeit von Marlies Pekarek fliessen ihre Recherchen in Kairo und in Rom zusammen. In beiden Grossstädten war die Künstlerin sowohl mit der Kamera als auch mit Skizzenbüchern unterwegs. Sie fotografierte beiläufige Szenen wie eine Ladenauslage, ein abgestelltes Fahrzeug, wartende oder arbeitende Menschen. Zeichnerisch hielt sie ihre Eindrücke hielt sie mit Wasserfarben auf dünnem Seidenpapier fest. Sie verwendet dafür altertümliche Adressbücher. Vier Stück hat sie bereits mit ihren bildnerischen Notizen gefüllt. Die Zeichnungen weisen malerische Qualitäten auf und eine grosse Unmittelbarkeit. Motivisch dominieren geschlossene, körperhafte Formen: ein Sarkophag, eine Statuette, eine verhüllte Frau oder Madonnen in einer Mandorla. Die Monumentalität der Formen kontrastiert mit der Fragilität des Papiers und dem lasierenden Farbauftrag. Durch die Feuchtigkeit hat sich das Papier verzogen, es wölbt sich oder bildet sogar Falten. Die Pigmente der wässrigen Farbe rinnen zusammen, die Flächen sind inhomogen in ihren reichen Schattierungen. Mitunter scheinen die Bilder der vorherigen oder nächsten Seite durch. Die Motive folgen gleich einer filmischen Sequenz aufeinander. In ihrer Publikation ist diese Abfolge aufgelöst und Fotografien aus Rom und Kairo sind zwischen die Zeichnungen gesetzt. In dieser Gegenüber- und Zusammenstellung sind überraschende Parallelen zwischen den Eindrücken aus dem katholischen Rom, dem altägyptischen Kulturgut und dem muslimischen Kairo zu entdecken. In Rom beispielsweise hat die Künstlerin die Perücken festgehalten, mit denen die Madonnenstatuen für die Prozessionen ausgestattet werden. Sie hat selbst eine solche Perücke anfertigen lassen. Die Form der Perücke verschmilzt in den Zeichnungen mit der antropomorphen Form eines altägyptischen Sarges. Die Locken werden zu einer wabenartigen Allover-Struktur. Der tief im Alltag verankerte christliche Glaube in Rom und die Zeugnisse einer machtvollen, aber untergegangenen Kultur in Kairo spiegeln sich einerseits in jahrhunderte- oder jahrtausendealten Artefakten. Andererseits sind käufliche Miniversionen der Heiligen und Gottheiten allgegenwärtig: Bataillone von Madonnenfiguren für den Heimaltar, Bastet oder Anubis in handlicher Grösse, um die Sehnsucht nach Exotik zu stillen. Marlies Pekarek wertet diese kommerzielle Massenproduktion nicht. Sie stellt formale Vergleiche an und deckt Verwandtschaften auf. Sie zeigt die enge Verflechtung von Ritual und Alltag, das Nebeneinander von Einzigartigkeit und Wiederholung sowie von Religion und Pragmatismus. In ihren künstlerischen Gegenüberstellungen von Verhüllungen und Ornamenten, Symbolen und ihrer Transformation gelingt ihr die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.

(ungekürzte Fassung)

Publikation: Marlies Pekarek, Rom – Kairo, Kairo – Rom, St. Gallen 2024

Protest/Architektur

Teufen — Wenige Stunden bis mehrere Jahre, ein paar Dutzend Menschen oder Tausende – Proteste im öffentlichen Raum haben unterschiedliche Intensitäten. Und sie manifestieren sich mit unterschiedlich grossen baulichen Interventionen. Letzteren widmet sich die Ausstellung «Protest/Architektur». Sie wurde entwickelt vom DAM – Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt am Main, und dem MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien. Derzeit ist sie in einer für die Schweiz ergänzten und angepassten Variante auch im Zeughaus Teufen zu sehen. Die Ausstellung präsentiert einerseits eine Chronologie der Proteste von 1830 bis heute und setzt andererseits Schwerpunkte bei einzelnen Fällen, darunter die Anti-Waffenplatz-Bewegung Neuchlen-Anschwilen 1990–1991, Shantytown in Zürich 2005 oder Occupy Genf 2011. Die analysierten Architekturen reichen von der Zeltstadt bis zur Jurte, von Barrikaden aus Fernsehgeräten wie bei den Jugendprotesten 1981 in Zürich bis hin zu Protesten im digitalen Raum: Auch Computerspiele werden für Human Rights Projekte genutzt. Für die Ausstellung wurde aus Holzlatten der vorhergehenden Ausstellung ein Gerüst gebaut, an dem die Fotografien und Infoplakate montiert sind. Ein Film und eine Diainstallation zu juristischen Fragen ergänzen diese Präsentation. Sie biedert sich den Protestarchitekturen nicht an und wertet nicht, sondern leistet einen umfassenden, sehenswerten Überblick über ein globales Thema.

→ ‹Protest/Architektur›, Zeughaus Teufen, bis 9.6.
↗ zeughausteufen.ch

Felix Stöckle

Rapperswil — Die Schlange schwebt. An dünnen Schnüren hängt das Kriechtier mittig im «Seitenwagen» des Kunst(Zeug)Haus Rapperswil und blickt mit grossen Augen in die Welt. Diese Schlange ist weder doppelzüngig noch wendig, eher etwas aufgedunsen – und steif wie ein Brett. Das Schlängeln überlässt Felix Stöckle (*1994) den Buchstaben: ‹Basssselisk› nennt der gebürtige St.Galler seine Ausstellung und feiert mit dem vierfachen, schlangenförmigen S den König der Schlangen. Der stinkende, Unheil bringende Basilisk mit seinem tödlichen Blick hat es von antiken Schriften über die mittelalterliche Überlieferung bis ins zeitgenössische Fantasygenre geschafft und ist immer der Böse geblieben. Das wirkt bis ins reale Leben: Die Ophidiophobie ist die häufigste registrierte Angststörung in Mitteleuropa. Diesem schlechten Ruf stellt Stöckle seine Ausstellung entgegen. Er erinnert daran, dass die Schlange das Attribut des Heilgottes Asklepios ist, er konstruiert Querbezüge zu anderen Kriechtieren und zeigt Ambivalenzen auf beispielsweise anhand der Erzählung des Heiligen Georg. Macht und Ohnmacht, Verteidigung und Angriff, Gut und Böse – diese Dualitäten bieten viel Raum für Zwischentöne. Felix Stöckle arbeitet sie mit einer an Kinderzeichnungen angelehnten Formensprache heraus und setzt zugleich auf handwerklich elaborierte Techniken. Keramik, Kupfer, Wachs, gravierte und eloxierte Aluminiumplatten sorgen für reiche Eindrücke in dieser kleinen, aber sehenswerten Schau.

→ ‹Felix Stöckle – Basssselisk›, Kunst(Zeug)Haus, bis 4.8.
↗ kunstzeughaus.ch

Rund um Duchamp und Urinal

‹Artist´s Choice› spielt den Ball den Künstlerinnen und Künstlern zu. Das Kunstmuseum Liechtenstein lädt sie ein, ihren Blick auf die Sammlung zu zeigen und eine Ausstellung zu kuratieren. Bethan Huws kuratiert nach Martina Morger die zweite Ausstellung dieser Reihe und stellt Duchamp ins Zentrum.

Eine Ausstellung im richtigen Moment: In den Feuilletons wurde kürzlich ausgiebig diskutiert, ob nun Marcel Duchamp tatsächlich Schöpfer der ‹Fountain›, 1917, sei oder nicht vielmehr Elsa von Freytag-Loringhoven. Das Geraune mündete zumeist im Zugeständnis, er – und nicht sie – habe eben doch das Pissoir zum Kunstwerk erklärt und ausgestellt. Bethan Huws ist von diesen Diskussionen unbeeindruckt. Sie kennt die Wahrheit schon lange. Schliesslich hat sie sich intensiv mit dem Werk Duchamps beschäftigt und tut dies noch. Sowohl theoretisch als auch in ihrer Kunst – zu trennen ist das Eine ohnehin nicht vom Anderen, wie ihre Ausstellung in der Reihe ‹Artist´s Choice› im Kunstmuseum Liechtenstein zeigt. Eigens für die Präsentation hat die in Berlin lebende Waliserin vier neue Videos produziert. Sie zeigen die Künstlerin in ihrem Atelier, umgeben von Reproduktionen grosser Werke von Antonello da Messina, Caravaggio, Matthias Grünewald oder eben Duchamp. Sie referiert über ihre Auseinandersetzung mit ‹Fountain›, mit dem Ready-made, der Beziehung zwischen Duchamp und dem Kunstkritiker Guillaume Apollinaire und fasst schliesslich ihre Recherchen zu Duchamp zusammen, die bereits 2014 als Forschungsnotizen veröffentlicht wurden. Die vier Videos verstehen sich als eigenständige künstlerische Arbeiten und sind zugleich Dokumentationen einer vertieften kunsttheoretischen Recherche. Bethan Huws erweitert Duchamps Gedankengebäude in viele Richtungen ausgehend von seinen bevorzugten Farben, von Homonymen, von Zahlensystemen oder dem Schachspiel. Prominent platziert ist ‹Winter (or Reason)›, 2018, eine Schneekugel mit einer originalgrossen Replik des Duchampschen Urinals. Es dreht sich in unregelmässigen Abständen um die eigene Achse und wirbelt Styroporschnee auf. Bezug nimmt Huws damit beispielsweise auf die zahlreichen Verweise auf den Winter Duchamps Werk.
Duchamps ‹Boîtes› und ‹Boites-en-valises› aus der Sammlung des Kunstmuseum Liechtenstein sind ebenso Teil der Ausstellung wie Arbeiten von Thomas Struth, Picasso, Josef Albers oder Lucio Fontana, die von der Künstlerin in Analogie zu Duchamp gesetzt werden. Zu ihrer freien und assoziativen Zusammenstellung gehören auch kleine Abbildungen von Sammlungswerken, die hier gar nicht gezeigt werden. Mit diesen Hinweisen öffnet Bethan Huws den Raum für Werke ausserhalb der Sammlung: Alles, was nicht zu sehen ist, gehört trotzdem dazu, wenn es sich mit Duchamp in Verbindung bringen lässt.

→ ‹Artist’s Choice: Bethan Huws›, Kunstmuseum Liechtenstein, bis 1.9.
↗ kunstmuseum.li

Verletzlichkeit statt Gewissheit

Aykan Safoğlu bricht mit dem festgehaltenen Moment. Denkmäler, Monumente, Historienbilder sind für den 1984 in Istanbul geborenen Künstler keine Sinnbilder für die Ewigkeit, sondern Zeitzeugnisse fragiler Zustände. Brüche und Wendepunkte stehen im Zentrum seiner Arbeit.

Stein am Rhein — Aykan Safoğlus Schulweg führte ihn täglich durch den Istanbuler Tophane Park. Dort ging er immer an einem steinernen Denkmal vorüber. Es war jenen Menschen gewidmet, die seit Anfang der 1960er Jahre zu Hundertausenden von der Türkei aus nach Deutschland emigriert waren, um dort zu arbeiten. Die Figur – ein Arbeiter mit freiem Oberkörper, einen Hammer in beiden Händen haltend – hatte der Bildhauer Muzaffer Ertoran 1973 im Geiste des Sozialismus geschaffen. In den 1990er Jahren wurde sie das Ziel zahlreicher rechter Angriffe, bis sie 2016 aus dem Park verschwand. Für ‹Wiedervereinigung›, 2022 hat Safoğlu hat aus einem Foto der demolierten Skulptur ein Puzzle herstellen lassen. Teilweise sind die Puzzlestücke zusammengesetzt, teilweise breiten sie sich auf dem Parkett des Ausstellungsraumes im Kulturhaus Obere Stube aus. Mit dieser Installation leistet er Künstler zweifache Erinnerungsarbeit: Einerseits thematisiert er die Zerstörung und das Verschwinden der Figur und andererseits findet er ein Bild für den Einfluss der Migration auf Gemeinschaften. Sie lösen sich auf, werden verletzlicher, finden teilweise wieder zueinander.
Aykan Safoğlu hat Film und Fotografie in Istanbul, Berlin und New York studiert und geht in seinen Arbeiten oft von Gedächtnisorten und Monumenten aus. Die Berliner Siegessäule hat er über Jahre hinweg aufgenommen und gestaltet aus diesen Ansichten eine multiperspektivische, digitale Collage. Die Vielansichtigkeit verweist auf die Deutungs- und Aneignungsverschiebungen in der Geschichte des Wahrzeichens. Auch in Stein am Rhein hat der Künstler Ausgangspunkte für seine Recherchen zu historischen Ereignissen und ihrer Verewigung in Bildwerken gefunden. Er hat hier mehrere Monate als Artist in Residence Chretzeurm verbracht und die reich bemalten Fassaden der kleinen Stadt studiert. So illustriert ein Wandbild am Haus zur Sonne die Begegnung zwischen Alexander dem Grossen und Diogenes. Safoğlu übersetzt es in eine langgestreckte Fotografie, die er wellenartig auf dem Boden des Raumes ausbreitet. Die steinernen Dohlendeckel, die in Stein am Rhein den Kampf des Heiligen Georg gegen den Drachen abbilden, überträgt er ebenfalls in ein Puzzle. Auch in diesen Werken gerät die festgeschriebene Geschichte wieder in Bewegung. Gezielt sucht Aykan Safoğlu die fragilen Momente in der Geschichtsschreibung und in deren Repräsentation und übersetzt sie in eine treffende Bildsprache.