Zwei Sammler, Künstler, Konstrukteure
Der Kunstraum Kreuzlingen zeigt mit «Kosmos» und «Self Storage» zwei Ausstellungen, die für sich stehen, sich aber verzahnen und ergänzen. Die beiden Künstler – Martin Spühler und Martin Anderegg – verbindet das Interesse am Potential des Aussortierten, Alten, für unbrauchbar Erklärten.
Im Pariser Musée d’Art Moderne zeigt der Maler Albert Oehlen seinen Blick auf den 2012 verstorbenen Bildhauer Hans Josephson. Im Kunstmuseum Appenzell präsentiert die Künstlerin Daiga Grantina ihre Sicht auf die 1997 verstorbene Bildhauerin Kim Lim in Wechselwirkung mit ihren eigenen Werken. Im Kunstraum Kreuzlingen hat Martin Anderegg den Metallplastiker Martin Spühler (1943–2023) in Szene gesetzt. Verstorbene Künstlerinnen und Künstler durch eine aktuelle künstlerische Brille zu betrachten, hat sich zu einem Trend entwickelt. Verwunderlich ist das nicht, denn der künstlerische Zugang ist ein anderer und freierer als jener von Ausstellungsmachern oder Kunstwissenschafterinnen. Wenn das Verständnis für den kreativen Prozess durch die eigene künstlerische Arbeit geprägt ist, erlaubt dies eine intensive, persönliche Auseinandersetzung mit dem Werk der Anderen. So hat Martin Anderegg für das Werk Martin Spühlers einen besonderen Filter installiert: Wer den Kunstraum Kreuzlingen betritt, steht einem roten, halbtransparenten Kunststoffvorhang gegenüber. Dieser schirmt den Ausstellungsraum ab und erfordert einen Umweg, bis sich schliesslich ein schmaler Durchgang auftut. Erst dann sind Spühlers Klangkonstruktionen in voller Pracht zu sehen: Die Drehteller mit Haken und Holzklöppeln. Die verfremdeten Flöten in einem Metallbehälter. Die umgebauten Pianos, deren Hämmerchen nicht auf Saiten schlagen, sondern gegen Löffel, Stahlfedern und etwas, das ein Kerzenständer gewesen sein könnte. Die «Streichelkanone», die «Tropfsäule», die «Stichorgel» und ihre Verwandten. Werden sie angeschlagen, gedreht, geschwungen oder mit dem Bogen gestrichen, tönen diese Klangplastiken in vielfältigen Klängen von glockenhell bis donnernd tief. Hier zu musizieren ist freilich nur Profis erlaubt, aber auch visuell geben die ungewöhnlichen Instrumente einiges her. Das geschwärzte Metall, die Beulen, Dellen und ausgefransten Kanten strahlen eine Endzeitästhetik aus.
Abfall wird Instrument
Martin Spühler, der seine künstlerische Arbeit als Puppenspieler begann, baute seine Musikobjekte aus Abfallmaterial. Er fand die Teile als Schrott in Mulden, suchte Gebrauchtes, Altes und Ausgedientes zusammen. Er hämmerte, lötete, schweisste. Darauf nimmt Martin Anderegg Bezug. Denn der rote Vorhang ist aus Werkstattfolien zusammengestückelt, wie sie beim Abschirmen von Schweissarbeiten zum Einsatz kommen. Sie sollen Funkenflug stoppen und das grelle Licht abschirmen. Martin Anderegg bestückt den roten Vorhang mit kleinen Magnetkettchen und verleiht ihm so einen Hauch Glamour. Diese Verfremdungseffekte sind kennzeichnend für seine Werke, die bis auf den roten Vorhang im Untergeschoss zu sehen sind. Diese Platzierung hat der Künstler treffend ausgewählt. Hier, in künstlichem Licht, unter niedriger Decke und zwischen rauen Betonmauern und -pfeilern entfalten Andereggs Werke ihren zuweilen unheimlichen, oft düsteren Charakter.
Gespenstisches im Halbdunkel
Auch Martin Anderegg hat eine Vorliebe für Aussortiertes, Übriggebliebenes, aus der Zeit Gefallenes. Er montiert alte Uhrengehäuse zu Zellen zusammen, die an fantastische Architekturen oder Labyrinthe erinnern. Masken montiert er auf Schuhe oder Handschuhe, gespenstisch blicken sie ins Halbdunkel. Einen rosafarbener Plüschelefant klammert er in achtfacher Ausfertigung ans Unendlichkeitszeichen.
Martin Anderegg kann alles verwenden. Von der Lampe bis zum Fahrzeugkatalysator, von Schlacke bis zu getrockneten Pflanzen. Zusätzlich vervielfältigt er Dinge im 3D-Druck, so setzt er beispielsweise mit Ratten- und kleinen Adlerfiguren zusätzliche Akzente. Andereggs Materialsammlung ist gross und ständig kommt Neues hinzu. Bei Martin Spühler ist das Werk zwar abgeschlossen, dennoch lebt es weiter. Dafür sorgt während der Ausstellungsdauer die Konzertreihe «Les Concerts de Noëlle» von und mit der Musikerin Noëlle-Anne Darbellay. Zeitgenössische Musik wird dann zusammen mit neuen, eigens für die Klangobjekte Martin Spühler konzipierten musikalischen Kreationen aufgeführt.
Samstag, 7. Dezember, Les Concerts de Noëlle Nº1, 18:00 – 20:00 Mit Réka Csiszér, Noëlle-Anne Darbellay, Olivier Darbellay und Stefan Wirth.
Samstag, 14. Dezember, Les Concerts de Noëlle Nº2, 18:00 – 20:00
Mit Max Murray, Matthias Klenota und Noëlle-Anne Darbellay.
Samstag, 21. Dezember, Les Concerts de Noëlle Nº3, 18:00 – 20:00
Mit Ariane Koch, Noëlle-Anne Darbellay, Justin Auer, Matthias Müller, René Camacaro und Juan Braceras.