Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Obacht Kultur, Farbe

Lisa Rotach, Naturfarben: «Wir lassen uns aufs Material ein, es gibt den Umgang und die Zeit vor.»

«Machen Sie mal, das wird schon gut.» – solche Sätze hört Lisa Rotach manchmal von ihren Kundinnen oder Kunden. Dieses Vertrauen ist schön, dennoch möchte die Malerin ihre Arbeit im Austausch entwickeln. Schliesslich werden Farben sehr unterschiedlich wahrgenommen und können die Atmosphäre eines Gebäudes entscheidend beeinflussen. Für Lisa Rotach ist es wichtig zu erfahren, wie die Menschen leben, wie sie die Räume nutzen, welche Lieblingsfarben sie haben. Denn ihre Arbeit geht weit über einen Wandstrich hinaus: «Ich vermittle, wie Farben eingesetzt werden können in Verbindung mit Architektur und Licht.» Diese konzeptuelle Arbeit gehört nicht zu den Grundkenntnissen im Malerhandwerk. Lisa Rotach hat sie sich in mehreren Weiterbildungen angeeignet. Am Anfang stand eine konventionelle Malerlehre und die die Arbeit in einem Grossbetrieb mit künstlichen Farben. Das war für Lisa Rotach weder interessant genug noch der Gesundheit zuträglich, deshalb hat sie sich für einen anderen Weg entschieden, hat eine Ausbildung zur Baubiologin abgeschlossen, mehre Weiterbildungen absolviert und ist zertifizierte «Meisterin der Farbe». Damit arbeitet sie nach den Farbprinzipien von Le Corbusier mit natürlichen Farbpigmenten: «Ich mache keine Abstriche mehr bei der Qualität und der Ökologie. Unsere Farben mischen wir selber im Betrieb nach biologischen Grundsätzen.» Einem aktuellen Trend folgt sie damit nicht, sondern einem Grundbedürfnis der Menschen: «Wir verbringen viel Zeit im Innenraum, da ist es wichtig womit wir uns umgeben – Gift passt da nicht dazu.» Allerdings gibt es einen limitierenden Faktor in der Arbeit mit Naturfarben: die Zeit. Die Prozesse dauern länger, die Farben trocknen langsamer. Aber für Lisa Rotach ist auch das keine Hürde: «Wir lassen uns aufs Material ein, es gibt den Umgang und die Zeit vor.»

Jürg Müller, CEO arcolor, Waldstatt: «Unsere Farbe muss was aushalten!»

Trinkröhrli, Paketklebeband und eine graue Tischplatte haben weder auf den ersten noch auf den zweiten Blick etwas gemeinsam. Und doch: In allen dreien steckt Arbeit von arcolor drin. Hier, in Waldstatt, produziert die Firma Druckfarbe, die weltweit eingesetzt wird – in der Möbelindustrie, für Verpackungsmaterialien und vieles Anderes, das Farbe braucht. Arcolor stellt Konzentrate her, die an die Druckereien geliefert werden, die wiederum die weiterverarbeitenden Betriebe beliefern – bis schliesslich der Tisch, der Trinkhalm oder das zugeklebte Paket im Haushalt oder im Büro landen. Arcolor ist Teil einer langen Kette und muss alle ihre Glieder im Blick behalten, wie Jörg Müller, CEO von arcolor, betont: «Farbe ist viel mehr als ein Farbton. Sie muss temperaturbeständig sein, gut verarbeitbar und zum Schluss auch lichtecht. Unsere Farben müssen auf langer Strecke etwas aushalten.» Denn ein Möbel ist kein Wegwerfartikel, selbst wenn seine Farbe Trends unterworfen ist. Während also die Konsumindustrie auf Trendscouts setzt, ist bei arcolor die grösste Abteilung jene für «Forschung und Entwicklung». Sie tüftelt an Zusammensetzungen, deren Pigmente nicht die Farbdüsen der Drucker verstopfen, die sich auch auf grossen Flächen homogen verteilen lassen, die leuchten, nicht ausbleichen und selbstverständlich schadstofffrei sind. Arcolor-Farben sind Alleskönner – und deshalb überall gefragt. Von Waldstatt aus gehen fast 100% der hier hergestellten Farbkonzentrate in die ganze Welt und sind in vielen Bereichen das weltweit einzige Fabrikat. Wer also farbig bedruckte Kartons, Folien oder Klebebänder erblickt, hat höchstwahrscheinlich ein bisschen Farbe aus Waldstatt vor sich.

«Obacht Kultur», Farbe, N° 46, 2023/2

Christian Hörler

Bildbogen, Obacht «Farbe», 1´800 Zeichen max.

Seite A, 2023, Filzstift auf Papier, 43.5 x 30 cm 2023
Seite B, 2023, Filzstift auf Papier, 43.5 x 30cm 2023

Ein Stein wie ein Fels – eine Zeichnung kann die Dimensionen verschieben: Christian Hörler (*1982) legt einen Stein auf ein Blatt Papier und umfährt die Konturen mit einem Stift, legt ihn auf eine andere Weise auf ein neues Blatt Papier und umfährt wieder die Konturen. Jedes Mal entsteht eine andere Form auf dem Papier. Gemeinsam ist diesen linearen Zeichnungen: Sie lassen sich mühelos ins Monumentale weiterdenken: Der Stein wird zum Fels. Diese Verwandtschaft des Kleinen mit dem Grossen beobachtet und studiert Christian Hörler in seiner künstlerischen Arbeit. Er hat sich ein umfangreiches geologisches Spezialwissen angeeignet. Sowohl in den Appenzeller und St. Galler Bibliotheken ist er häufig unterwegs, zugleich hat er daheim in Wald AR eine ansehnliche Büchersammlung. Dabei verfolgt Hörler keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern seinen künstlerischen Ansatz: «Ich suche einen Weg, meine Studien und die Erkenntnisse künstlerisch zu übersetzen.» Das fängt weder in den Büchern an, noch hört es dort auf: Neben der Lektüre gehören die Suche nach Steinen und nach einem weiter gefassten künstlerischen Ausdruck dazu sowie das Ansehen und Verstehen der Landschaft: «Ich bewege mich im Gelände und lerne, es zu lesen und einen selektiven Blick zu entwickeln für natürliche und künstliche Formationen.» Letzteren gilt Hörlers besonderes Interesse: Gezielt sucht er Abbruchstellen, um dort Steine auszuwählen. Eine andere Form der Annäherung sind die abgebildeten Umrisszeichnungen. Die Farbe wählt er dafür intuitiv: «Es ist ein einfacher Griff in die Schublade.» – violett oder dunkelgrün, braun oder grau – für den Stein passt es immer.

Obacht Kultur, Farbe, Bildbogen, N° 46, 2023/2

Obacht «Farbe»
Auftritt Zora Berweger

Reliefs sind das Bindeglied zwischen der zweidimensionalen und der dreidimensionalen Welt. Sie besitzen die flächige Qualität eines Bildes und die räumliche eines Objektes. Zora Berweger arbeitet schon seit längerem aus diesem Grund mit Reliefs und reizt deren Grenzen beiderseits weiter aus: in Richtung Malerei als auch in Richtung Objekt. Die gebürtige Bernerin ist Bürgerin von Stein AR und hat bereits zweimal den Werkbeitrag der Ausserrhodischen Kulturstiftung erhalten. Sie formt ihre Reliefs unter anderem aus Salzteig, ein Material, das eher als Bastelmaterial bekannt ist denn als künstlerischer Werkstoff – und doch ist es für Zora Berweger genau das richtige: Er ist einfach herzustellen, leicht zu verarbeiten und besitzt eine besondere, raue Oberfläche. Salzteig besteht aus Getreide, Salz und Wasser. Angetan vom archaischen Charakter des Materials verzichtet die Künstlerin sogar darauf, ihre Objekte zu backen, sondern lässt sie einfach trocknen. Dazu passt auch die Bearbeitung mit der blossen Hand: «Ich will nicht gegen das Objekt arbeiten. Das Material fasziniert mich und ich untersuche, welch künstlerisches Potenzial darin steckt, welche Kraft es hat und welche aus den gewellten, den graden Linien und den einfachen Formen kommt.» Die Farbgebung unterstützt diese Kraft. Um nicht gegen das Objekt und seine fein strukturierte Oberfläche zu arbeiten, sprüht die Künstlerin die Farben flach und von den Seiten her auf. Damit betont sie die Dreidimensionalität des Reliefs. Zugleich verschwinden die Grenzen von Lichteinfall und Farbauftrag.
Hier hat die Künstlerin von der einen Seite her pink gesprüht, von der anderen her grün; damit entsteht eine irisierende Wirkung. Der ebenfalls abgebildete Farbkontrollstreifen ist wichtig für jede Reproduktion von Kunstwerken, denn die Kamera reagiert verwirrt auf besondere Farb- oder Lichtsituationen. Druckmaschinen hingegen sind stoisch: Sie verarbeiten die vorliegende Farbinformation, sie interpretieren nicht. Nur die Menschen an der Maschine können das Druckergebnis steuern und perfektionieren. Indem Zora Berweger den Farbkontrollstreifen integriert, verweist sie auf die Übersetzung: Das eigentlich spannende Objekt besteht aus Salzteig, hier ist es nur abgebildet. Aber es ist gestanzt, so lässt es sich herausnehmen. Dann jedoch fehlt auch der fotografierte Schatten – die Reproduktion wird zu einem neuen, eigenständigen Werk.

Obacht Kultur, Farbe, No. 46 | 2023/2

Klang Moor Schopfe

Gais — Dreimal hat das Festival bereits stattgefunden: Dreimal haben die Klang Moor Schopfe das Hochmoor Gais für jeweils zehn Tage in ein Labor für soundkünstlerische Erkundungen verwandelt. Nun gibt es die vierte Ausgabe – das Festival hat sich etabliert. Sein Erfolgsrezept ist nicht zuletzt die einzigartige Kombination: Die Holzscheunen, die Ausserrhodische Moorlandschaft, das Schützenhaus an der Schiessanlage treffen auf internationale Soundexperimente. Oft entstehen diese vor Ort. So hat in diesem Jahr das Schweizer Kollektiv Zaira Oram eine Carte Blanche erhalten und erweitert sein interdisziplinäres ‹Oto Sound Museum› um eine Künstlerresidenz in Gais. Der Spanier Juan José López und der Schweizer Ludwig Berger eröffnen mit ihrer Installation ‹Insect Rhythmic Union› einen Zugang zu den im Moor lebenden Insekten. Das US-amerikanische Kollektiv MSHR entwickelt eine ortsspezifische Installation auf der Basis digitaler Räume, analoger Hardware und Performances. In der Arbeit dieses Duos spielt wie bei vielen der zwei Dutzend Teilnehmenden hochspezialisierte Technik eine wichtige Rolle; geerdet wird deren Klangforschung am Festival durch die Natur, das genaue Hinhören auf die Töne vor Ort und durch den Einbezug vorhandener Materialien – auch die Bretterwände eines Schopfes können zum Klingen gebracht werden.

→ Klang Moor Schopfe, bis 10.9.
↗ klangmoorschopfe.ch

Digitalisierte Natur

Timur Si-Quin thematisiert die Grenzbereiche zwischen zwei Systemen. Das können Ökosysteme sein, aber auch die beiden Pole Technik und Natur. In der Kunsthalle Winterthur zeigt der Künstler drei digitale Transformationen von Naturbeispielen.

Winterthur — Walter Benjamins Überlegungen zum Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit werden bald 100 Jahre alt. Und sie sind aktueller denn je in Zeiten der digitalen Bild- und Filmwiedergabe im Hosentaschenformat und der sogenannten Sozialen Medien. Zudem berühren sie Fragen, die nicht nur für das Kunstwerk gelten, sondern neuerdings auch für die Natur: Welchen Einfluss hat die Reproduzierbarkeit auf Naturerlebnisse? Was passiert, wenn digital erzeugte Bildwelten das Original nachahmen? Gibt es Wechselwirkungen? Timur Si-Quin interessiert sich für Übergangsbereiche zwischen dualistischen Konzeptionen. So versteht der 1984 in Berlin geborene Künstler Technik und Zivilisation nicht als Gegenspieler zu Natur, sondern sieht Interaktionen und Durchdringung. Seine Ausstellung in der Kunsthalle Winterthur stellt er unter den Titel «Ecotone Dawn« und bezieht sich damit auf die Zone zwischen zwei Ökosystemen oder Biotopen. Sie sorgt für Austausch und Artenvielfalt, aber auch für Druck auf beiden Seiten, wenn neue Einflüsse wie etwa der Klimawandel dazu kommen. Das Ökoton dient Timur Si-Quin als inhaltliche Klammer für die Ausstellung. Er übersetzt drei Naturbeispiele aus verschiedenen Weltgegenden in Digitalisate: Die Abendstimmung über die saudiarabischen Oase al-´Ula ist als gerendertes Panorama in vier querformatigen Leuchtkästen zu sehen. Ein Baumstrunk an einem Pilgerweg in Thailand wurde eigescannt, als Plastik per 3D-Verfahren ausgedruckt und bemalt. Basierend auf Pflanzen im Bundesstaat New York simulieren Renderings ein Waldstück. Über die statischen Bilder sind bewegte Schattenwürfe projiziert, so dass eine lebendige Stimmung entsteht. Die drei Werke sind technisch perfekte Transformationen. Das gilt auch dort, wo sich der Künstler entscheidet, notwendige Übersetzungshilfen stehen zu lassen. So wurden beim Baumstrunk die Materialstege nicht entfernt, die für die Stabilität beim 3D-Druck notwendig sind. Sie sorgen für Kippmomente in der Natursimulationen. Die perfekte Illusion per Rendering ist möglich, wird aber von Timur Si-Quin gezielt vermieden. Das Original als Referenzobjekt wird nicht abgelöst, sondern ist wie bei der Mona Lisa noch stärker in den Fokus gerückt: Sich eine hochaufgelöste Abbildung aus dem Netz herunterzuladen, gilt nicht als Ersatz für eine Reise oder für den eigenen Augenschein. Im Gegenteil: Nur das selbst aufgenommene Foto vom Original zählt.

→ Kunsthalle Winterthur, bis 17. September
↗ www.kunsthallewinterthur.ch

Andrea Ehrat, Dorian Sari

Schaffhausen — Kontraste prägen das Bild: Weiss kontra Schwarz. Wandarbeiten kontra Plastiken auf einem zentralen Sockel im quadratischen Raum. Gegenständliche Abbilder und Objekte kontra abstrahierte oder abstrakte Formen. Die Arbeiten von Dorian Sari (1989) und Andrea Ehrat (1971) haben wenig Gemeinsamkeiten. Sie in einer Ausstellung miteinander zu kombinieren, ergibt dennoch Sinn. Das Ausstellungsformat «DOPPIO» im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen entlehnt seinen Titel dem doppelten Espresso, und so wie dort das zweifache Koffein enthalten ist, wirkt auch die Zusammenschau der Positionen für beide als Verstärker von Form und Aussage. Andrea Ehrats Arbeitsmaterial ist Gips. Ein wiederkehrendes Element sind abstrahierte, meist einzelne, weibliche Brüste. Sie werden ragen hoch auf oder sind zu einer Dolde verwachsen, werden mit Seilen und Stricken aus Naturmaterialien gebündelt, geknebelt, abgebunden. Auf den menschlichen Körper beziehen sich auch die verlängerten, deformierten Gliedmassen. Hier wie bei einem Haus auf Schlittschuhkufen oder auf einem Knie setzt Ehrat deutliche Referenzen an den Surrealismus. Die in Zürich lebende Künstlerin mit Schaffhauser Wurzeln bringt ihre Gedankenwelt in dreidimensionale Form und liefert dennoch allgemeingültige Kommentare zu den Zwängen und der Fragilität der menschlichen Existenz. Hier findet sich eine Schnittstelle zu Dorian Sari. Der in der Türkei geborene, in Basel und Genf lebende Künstler zeigt beispielsweise eine schwarze Lederjacke, der eine Pistole im Rücken sitzt, oder die zehnteilige Fotoserie «Surrender»: Ein Mann trägt eine Mütze mit einem kleinen Propeller. Letzterer ist in verschiedenen Positionen zu sehen, so als könne er sich drehen, aber der Mann hebt nicht ab. Zu stark ist die Erdhaftung, Leichtigkeit und Fliegen bleiben eine Utopie. Der zu einer monumentalen, schwarzen Fläche erweiterte Oberkörper unterstützt diese Schwere, während sich durch die Reihung das im Titel genannte «Aufgeben» immer aufs Neue wiederholt. Auf noch fatalere Weise der Schwerkraft unterworfen ist der an einem Fuss aufgehängte Mann: In einem Schwarzweiss-Video baumelt er kopfüber endlose sieben Minuten fast unmerklich langsam. Das Individuum ist ausgeliefert. Aber hier wie bei Ehrat wird es in einer starken Ästhetisierung gezeigt. Die Reduktion auf weiss in den Arbeiten der Künstlerin und auf schwarz in jenen des Künstlers, die Entrücktheit trotz der auf das Individuum oder den Körper einwirkende Kräfte sind die Schnittstelle zwischen beiden Werken.

→ Museum zu Allerheiligen Schaffhausen, bis 17.9.
↗ www.allerheiligen.ch

Lang/Baumann

Teufen — Lang/Baumann arbeiten ortsspezifisch, in grossen oder sogar monumentalen Formaten und nicht selten mit permanenten Installationen. Eine Überblicksschau des Duos L/B alias Sabina Lang (1972) und Daniel Baumann (1967) ist also kaum möglich. Im Zeughaus Teufen funktioniert die Retrospektive trotzdem: Statt der Kunst selbst sind 96 Modelle in Szene gesetzt, die wiederum von Kunst gerahmt werden. Dabei stiehlt keines dem anderen die Show. Die Modelle leben von ihrer Materialität, dem Spiel zwischen Holz, Gips, Kunststoff, Pappe oder Metall, von den Spuren der Zeit und von ihrem Stellvertretercharakter. Hier muss nichts perfekt sein, da dürfen auf den Rückseiten auch Notizen oder Klebstoffreste gezeigt werden. Die eigens gefertigte, goldfarbene Installation «Comfort #21» wiederum bildet Folie und Bühne für die Modelle: Passgenau liegen zu beiden Längsseiten des Ausstellungssaales drei luftgefüllte Schläuche übereinander. Sie lassen Fensternischen und Heizkörperverkleidungen verschwinden und formen eine egalisierende Kulisse, so dass den Modellen der ungestörte Auftritt zukommt. Letztere entstehen seit 33 Jahren. An ihnen lassen sich Werkgruppen ablesen, hier werden Farb- und Formvorlieben deutlich oder der Fokus auf den öffentlichen Raum – die Modelle sind mehr als nur ein Ersatz für die Originale, sie sind geeignete Anschauungs- und Studienobjekte en miniature.


→ Zeughaus Teufen, bis 1.10.
↗ zeughausteufen.ch

Klang Moor Schopfe

Gais — Dreimal hat das Festival bereits stattgefunden. Dreimal hat sich das Hochmoor Gais für jeweils zehn Tage in ein Labor für soundkünstlerische Erkundungen verwandelt. Nun gibt es die vierte Ausgabe – das Festival kann als etabliert gelten. Sein Erfolgsrezept ist nicht zuletzt die einzigartige Kombination: Die Holzscheunen, die Ausserrhodische Moorlandschaft, das Schützenhaus an der Schiessanlage treffen auf internationale Soundexperimente. Oft entstehen diese vor Ort. So hat in diesem Jahr das Schweizer Kollektiv Zaira Oram eine Carte Blanche erhalten und erweitert sein interdisziplinäres ‹Oto Sound Museum› um eine Künstlerresidenz in Gais. Der Spanier Juan José López und der Schweizer Ludwig Berger eröffnen mit ihrer Installation ‹Insect Rhythmic Union› einen Zugang zu den im Moor lebenden Insekten. Das US-amerikanische Kollektiv MSHR entwickelt eine ortsspezifische Installation auf der Basis digitaler Räume, analoger Hardware und Performances. In der Arbeit dieses Duos spielt wie bei vielen der zwei Dutzend Teilnehmenden hochspezialisierte Technik eine wichtige Rolle in der Klangforschung; geerdet wird sie in den Klang Moor Schopfen durch die Natur, das genaue Hinhören auf die Töne vor Ort und durch den Einbezug vorhandener Materialien – auch die Bretterwände eines Schopfes können zum Klingen gebracht werden.

→ Klang Moor Schopfe, bis 10.9.
↗ klangmoorschopfe.ch

Melike Kara

St.Gallen — Grosseltern zu haben, kann etwas Wunderbares sein. Wenn sie aus ihrer Kindheit und Jugend berichten, erklingt eine lange vergangene Zeit; sie beherrschen Kulturtechniken, die heute verloren gegangen sind; oft erzählen aus einer Heimat, die eine andere ist als die der Enkelgeneration. Auch für Melike Kara (*1985) ist ihre inzwischen verstorbene Grossmutter eine besondere Persönlichkeit – ihr hat sie die Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen gewidmet: ‹Emine’s Garden› wurzelt in Karas kurdischer Familiengeschichte und reicht weit darüber hinaus. Die in Köln lebende Künstlerin sammelt Fotografien aus ihrem familiären und erweiterten Netzwerk. Sie trägt damit einerseits zu einem Archiv der bisher nicht systematisch erfassten kurdischen Traditionen bei und generiert andererseits einen Bildfundus für ihre eigene Arbeit. Ausgewählte Fotografien hat sie für die Ausstellung grossformatig ausgedruckt und auf dem Boden ausgelegt. Weisse Farbe überzieht wie ein milchiger Schleier die Bilder und gleicht sie einander an. So richtet sich die Aufmerksamkeit stärker auf die darüber ausgelegten Gipsornamente und die ebenfalls in der Horizontale präsentierten, ungegenständlichen Gemälde. Aus der gesamten Installation spricht die Freude am eigenen kulturelle Erbe – mit spielerischer und doch grosser Geste verwandelt es die Künstlerin in eine zeitgemässe Form.

→ Kunst Halle Sankt Gallen, bis 24.9.
↗ www.k9000.ch

Macht und Aberglaube in verführerischen Farben

Der britisch-kenianische Künstler Michael Armitage zeigt im Kunsthaus Bregenz seine Ausstellung «Pathos and the Twilight of the Idle». Zu sehen sind grossformatige Gemälde zu tagespolitischen Themen und zu afrikanischen Mythen.

Lubugo wird als Leichentuch verwendet, als Unterlage für die Waren am Markt, als Verpackungsstoff. Hergestellt aus der Rinde des ugandischen Feigenbaumes dient das Material vielfältigen Zwecken. Michael Armitage nutzt es für seine Gemälde. Der Künstler mit kenianischen Wurzeln wählt damit einen Bildträger, der lokal und praktisch eingesetzt wird. Damit verweist er nicht nur auf seinen Bezug zum afrikanischen Kontinent, sondern verleiht auch seinen künstlerischen Arbeiten einen aussergewöhnlichen Charakter: Lubugo hat Löcher, ist unregelmässig und muss für grosse Formate aus mehreren Stücken zusammengesetzt werden. Deshalb haben die Gemälde von Armitage Nähte, Lücken und eine strukturierte Oberfläche. Gezielt baut Armitage diese Details in seine Kompositionen ein. «Dandora» beispielsweise zeigt Musikerinnen und Musiker in einem Halbkreis, einer zieht eine Geiss aus dem Bild, Schweine entspringen einem Hirn, eine Kuh dreht ihr Hinterteil der Runde zu. Eine Naht läuft wie eine Kotspur aus dem After senkrecht nach unten. Mit dem Bildtitel verweist der Künstler auf eine riesige Mülldeponie in Nairobi. Die Menschen dort suchen in dem tonnenweise angeliefertem Abfall nach Verwertbarem.

Mechanismen der Macht

Armitage zeigt den Schmutz, die Armut, aber auch den Zusammenhalt und die kulturellen Spuren. Das Bild hängt im ersten Obergeschoss des Kunsthauses Bregenz. Versammelt sind dort Gemälde des Künstlers, die sich politischen Themen widmen. Es geht um Macht und die Mechanismen dahinter, um Demokratie und Manipulation. In einem Gemälde mit Rednerpult und Kristallkugeln untersucht er zum Beispiel unterschiedliche Rollen und Erwartungen: Wenn ein Politiker auftritt, wollen die Menschen ihn hören? Oder ist es anders herum? Wer folgt wem? Wer formt wen? Mit welchen Konsequenzen?
Seine Fragen und Botschaften verpackt Michael Armitage in opulente Bilder. Die Inhalte stehen nicht im Vordergrund, sondern die Lust an der Malerei. Der Künstler greift dabei immer wieder auf die reiche europäische Kunstgeschichte zurück. Elemente des Symbolismus mischen sich mit solchen des Jugendstils; es gibt Referenzen auf Motive von Hans Holbein, den Bildaufbau bei Tizian oder die Figurendarstellungen von Edgar Degas. Die menschliche Figur steht in Armitages Gemälden oft im Zentrum. Eingebettet ist sie in Naturschilderungen und ornamentalen Formen.

Tänze und Teufelsaustreibungen

Kennzeichnend sind fliessende Linien und weiche Konturen. Gestalten bleiben schemenhaft, Farbkontraste sind wirkungsvoll inszeniert. Dies zeigt sich vor allem in den Werken im zweiten und dritten Obergeschoss – das Erdgeschoss ist diesmal für eine andere Künstlerin reserviert: Dort zeigt Anna Jermolaewa, eine russische Dissidentin, die Österreich 2024 an der Biennale Venedig vertritt, aktuelle Arbeiten.
Michael Armitage präsentiert im zweiten Obergeschoss des Kunsthauses Arbeiten zum Thema Mythos und Aberglaube. Sowohl die Dämonisierung psychisch Kranker findet hier ihren Ausdruck als auch Teufelsaustreibungen oder rituelle Tänze. Hier fällt besonders die ausgetüftelte Hängung in den Blick: Zwischen den sechs gezeigten Gemälden ergeben sich Blickachsen aus den Bildern heraus zum nächsten. Im dritten Obergeschoss ist das weniger gelungen, die zusätzlich aufgebaute Wand ist ein Fremdkörper in der klaren Architektur des Ausstellungssaals. Zumal auch hier wieder sechs Gemälde zu sehen sind – eine zusätzliche Wand verstellt nur unnötig den Blick auf Armitages virtuos ausgeführte Malerei, seinen meisterhaften Umgang mit Farbe und Komposition.