Verletzlichkeit statt Gewissheit
by Kristin Schmidt
Aykan Safoğlu bricht mit dem festgehaltenen Moment. Denkmäler, Monumente, Historienbilder sind für den 1984 in Istanbul geborenen Künstler keine Sinnbilder für die Ewigkeit, sondern Zeitzeugnisse fragiler Zustände. Brüche und Wendepunkte stehen im Zentrum seiner Arbeit.
Stein am Rhein — Aykan Safoğlus Schulweg führte ihn täglich durch den Istanbuler Tophane Park. Dort ging er immer an einem steinernen Denkmal vorüber. Es war jenen Menschen gewidmet, die seit Anfang der 1960er Jahre zu Hundertausenden von der Türkei aus nach Deutschland emigriert waren, um dort zu arbeiten. Die Figur – ein Arbeiter mit freiem Oberkörper, einen Hammer in beiden Händen haltend – hatte der Bildhauer Muzaffer Ertoran 1973 im Geiste des Sozialismus geschaffen. In den 1990er Jahren wurde sie das Ziel zahlreicher rechter Angriffe, bis sie 2016 aus dem Park verschwand. Für ‹Wiedervereinigung›, 2022 hat Safoğlu hat aus einem Foto der demolierten Skulptur ein Puzzle herstellen lassen. Teilweise sind die Puzzlestücke zusammengesetzt, teilweise breiten sie sich auf dem Parkett des Ausstellungsraumes im Kulturhaus Obere Stube aus. Mit dieser Installation leistet er Künstler zweifache Erinnerungsarbeit: Einerseits thematisiert er die Zerstörung und das Verschwinden der Figur und andererseits findet er ein Bild für den Einfluss der Migration auf Gemeinschaften. Sie lösen sich auf, werden verletzlicher, finden teilweise wieder zueinander.
Aykan Safoğlu hat Film und Fotografie in Istanbul, Berlin und New York studiert und geht in seinen Arbeiten oft von Gedächtnisorten und Monumenten aus. Die Berliner Siegessäule hat er über Jahre hinweg aufgenommen und gestaltet aus diesen Ansichten eine multiperspektivische, digitale Collage. Die Vielansichtigkeit verweist auf die Deutungs- und Aneignungsverschiebungen in der Geschichte des Wahrzeichens. Auch in Stein am Rhein hat der Künstler Ausgangspunkte für seine Recherchen zu historischen Ereignissen und ihrer Verewigung in Bildwerken gefunden. Er hat hier mehrere Monate als Artist in Residence Chretzeurm verbracht und die reich bemalten Fassaden der kleinen Stadt studiert. So illustriert ein Wandbild am Haus zur Sonne die Begegnung zwischen Alexander dem Grossen und Diogenes. Safoğlu übersetzt es in eine langgestreckte Fotografie, die er wellenartig auf dem Boden des Raumes ausbreitet. Die steinernen Dohlendeckel, die in Stein am Rhein den Kampf des Heiligen Georg gegen den Drachen abbilden, überträgt er ebenfalls in ein Puzzle. Auch in diesen Werken gerät die festgeschriebene Geschichte wieder in Bewegung. Gezielt sucht Aykan Safoğlu die fragilen Momente in der Geschichtsschreibung und in deren Repräsentation und übersetzt sie in eine treffende Bildsprache.