Verhüllen und Zeigen
by Kristin Schmidt
Maria Magdalena ist Sünderin und Heilige, sie ist Begleiterin Jesu und Zeugin seiner Auferstehung. In altmeisterlichen Gemälden sie ist diejenige mit den langen wallenden Haaren. Damit erinnert ihre Darstellung einerseits an ein Festmahl im Lukas-Evangelium: Maria Magdalenas Tränen benetzten Jesu Füsse, die sie dann mit ihren Haaren trocknete. Andererseits verschmilzt ihre Person mit jener legendären ägyptischen Maria, die nur mit ihren Haaren bekleidet, dreissig Jahre lang ihre Sünden in einer Höhle abbüsste. Beide Darstellungen erfolgten nicht nur in frommer Absicht, sie zeigen auch die Verführungskraft der Sünderin. Ihre Verhüllung verdeckt nicht nur, sondern entblösst auch. Solchen Doppeldeutigkeiten ist Marlies Pekarek auf der Spur. Die Künstlerin erforscht religiöse und volkskünstlerische Erzählungen, die daraus resultierenden Bildwelten und Übersetzungen ins Dreidimensionale. Immer wieder bereist sie unterschiedliche Kulturkreise. Sie knüpft dort Kontakte zu lokalen Handwerksbetrieben, besucht Märkte und Souvenirgeschäfte. Zugleich ist sie eine aufmerksame Beobachterin des alltäglichen Lebens. Dabei widmet sie sich insbesondere dem Habitus der Frauen, dem Blick auf sie und der Wandlungsfähigkeit der weiblichen Motivik.
In der aktuellen Arbeit von Marlies Pekarek fliessen ihre Recherchen in Kairo und in Rom zusammen. In beiden Grossstädten war die Künstlerin sowohl mit der Kamera als auch mit Skizzenbüchern unterwegs. Sie fotografierte beiläufige Szenen wie eine Ladenauslage, ein abgestelltes Fahrzeug, wartende oder arbeitende Menschen. Zeichnerisch hielt sie ihre Eindrücke hielt sie mit Wasserfarben auf dünnem Seidenpapier fest. Sie verwendet dafür altertümliche Adressbücher. Vier Stück hat sie bereits mit ihren bildnerischen Notizen gefüllt. Die Zeichnungen weisen malerische Qualitäten auf und eine grosse Unmittelbarkeit. Motivisch dominieren geschlossene, körperhafte Formen: ein Sarkophag, eine Statuette, eine verhüllte Frau oder Madonnen in einer Mandorla. Die Monumentalität der Formen kontrastiert mit der Fragilität des Papiers und dem lasierenden Farbauftrag. Durch die Feuchtigkeit hat sich das Papier verzogen, es wölbt sich oder bildet sogar Falten. Die Pigmente der wässrigen Farbe rinnen zusammen, die Flächen sind inhomogen in ihren reichen Schattierungen. Mitunter scheinen die Bilder der vorherigen oder nächsten Seite durch. Die Motive folgen gleich einer filmischen Sequenz aufeinander. In ihrer Publikation ist diese Abfolge aufgelöst und Fotografien aus Rom und Kairo sind zwischen die Zeichnungen gesetzt. In dieser Gegenüber- und Zusammenstellung sind überraschende Parallelen zwischen den Eindrücken aus dem katholischen Rom, dem altägyptischen Kulturgut und dem muslimischen Kairo zu entdecken. In Rom beispielsweise hat die Künstlerin die Perücken festgehalten, mit denen die Madonnenstatuen für die Prozessionen ausgestattet werden. Sie hat selbst eine solche Perücke anfertigen lassen. Die Form der Perücke verschmilzt in den Zeichnungen mit der antropomorphen Form eines altägyptischen Sarges. Die Locken werden zu einer wabenartigen Allover-Struktur. Der tief im Alltag verankerte christliche Glaube in Rom und die Zeugnisse einer machtvollen, aber untergegangenen Kultur in Kairo spiegeln sich einerseits in jahrhunderte- oder jahrtausendealten Artefakten. Andererseits sind käufliche Miniversionen der Heiligen und Gottheiten allgegenwärtig: Bataillone von Madonnenfiguren für den Heimaltar, Bastet oder Anubis in handlicher Grösse, um die Sehnsucht nach Exotik zu stillen. Marlies Pekarek wertet diese kommerzielle Massenproduktion nicht. Sie stellt formale Vergleiche an und deckt Verwandtschaften auf. Sie zeigt die enge Verflechtung von Ritual und Alltag, das Nebeneinander von Einzigartigkeit und Wiederholung sowie von Religion und Pragmatismus. In ihren künstlerischen Gegenüberstellungen von Verhüllungen und Ornamenten, Symbolen und ihrer Transformation gelingt ihr die Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart.
(ungekürzte Fassung)
Publikation: Marlies Pekarek, Rom – Kairo, Kairo – Rom, St. Gallen 2024