Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Frauen feiern und fordern.

Das Frauenmuseum Hittisau im Vorarlberg zeigt eine Ausstellung anlässlich des Frauentagsjubiläums. Sie dauert bis zum 101. Frauentag.

Es ist beinahe schon ein Muss: Im Jubiläumsjahr des Internationalen Frauentages zeigt das Frauenmuseum Hittisau die Ausstellung „Kämpfe. Feste. 100 Jahre Frauentag“. Das dabei die Kämpfe an erster Stelle stehen, ist selbstverständlich kein Zufall und nicht nur der Geschichte, sondern auch der aktuellen Situation geschuldet. Doch von Anfang an:

Zu Beginn des Tages der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden, wie der Anlass mittlerweile heisst, stand die Forderung nach dem Frauenstimmrecht. Dieses war schon im 19. Jahrhundert das zentrale Anliegen der ersten nationalen Frauenkampftage in den USA. In Europa wurde erste Frauentag am 19. März 1911 in Dänemark, Deutschland, Österreich-Ungarn und der Schweiz gefeiert. Das heute geläufige Datum wurde erst 10 Jahre später fixiert und soll an die Streiks der Arbeiterinnen, Soldatinnen und Bäuerinnen in St. Petersburg am 8. März 1917 erinnern.

Das Frauenwahlrecht war das beherrschende, aber nicht das einzige Thema der ersten Jahre. Auch der Kampf gegen Militarismus und Krieg war von Anfang an bestimmend, ebenso die Vernetzung der Frauen und die Verbesserung der Lebenssituation der Frauen und Mütter. Manches hat sich geändert, vieles ist bis heute wichtig. Da die gezeigten Exponate in der Hittisauer Ausstellung nicht nur chronologisch, sondern auch thematisch geordnet sind, werden drei Schwerpunkte des Kampf-, Gedenk-, Nachdenk- und Feiertages sichtbar und lassen sich gut mit der heutigen Situation vergleichen. Dass sie in der Mehrzahl spezifisch österreichisch sind, tut der Sache keinen Abbruch. Forderungen nach Gleichberechtigung in Gesellschaft und Familie sowie nach beruflicher Gleichstellung wurden und werden von verschiedenen institutionellen und autonomen Akteurinnen an die Öffentlichkeit getragen. Das Wahlrecht konnte in manchen Ländern früher, in der Schweiz erst 1971 aus dieser Rubrik gestrichen werden, die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Leistung ist dagegen seit einem Jahrhundert aktuell geblieben. Der Ruf nach Frieden war mal lauter, mal weniger dominant zu hören und durchlief manchen Bedeutungswandel. In den Nachkriegszeiten und während des Kalten Krieges war der Frieden die Abwesenheit von Krieg, später meint er umfassender die Abwesenheit von struktureller und individueller Gewalt gegen Menschen. Daneben steht als dritter Schwerpunkt die Integrität des weiblichen Körpers heraus. Dazu gehört auch die Diskussion um die Fristenlösung, die bereits in den 1920er Jahren zur Sprache kommt.

Was im Hittisauer Museum so übersichtlich und gut dokumentiert daherkommt, bedingte so manchen Gang durch die Archive – von der Nationalbibliothek bis zur kleinen privaten Sammlung. Zusammengetragen wurden Fotos, Dokumente und Plakate. Letztere sind dabei das einzige Medium, dass nahezu lückenlos erhalten geblieben ist. Auch das Motiv für die Ausstellung entstammt einem Plakat – 1928 ist es die Sonne des Sozialismus, die das ikonenhafte Gesicht gleich einem Heiligenschein umgibt. Es sind Schutzmasken der Demonstrantinnen zu sehen, lilafarbene Accessoires der Achtziger, das Hausbuch eines Frauenhauses, Ton- und Filmdokumente und zahlreiche Presseartikel, die eindrücklich die Aussenwirkung der Demonstrantinnen zeigen.

Ein kleinerer separater Teil dieser ursprünglich im Wiener Volkskundemuseum gezeigten Ausstellung widmet sich dem Vorarlberg. Noch immer ist es das Bundesland mit den grössten geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede, die sich im Vergleich früherer Jahre sogar noch vergrössert haben. Noch 1983 ist in einer Studie zu den Lebenserfahrungen vorarlberger Frauen zu lesen: „Jo, a Moadle, für was brucht die was lerna, sie hürotet eh.“

Auch wenn dieses Argument knapp dreissig Jahre später kaum mehr zu hören sein dürfte, bleiben dem Frauentag noch viele Themen. Und wer weiss, vielleicht läuft er dem Muttertag dereinst doch noch den Rang wieder ab. In der Mongolei ist der Frauentag einer der drei wichtigsten Feiertage im Jahr.

Einmal Genf und zurück

Die aktuelle Ausstellung im Nextex vereint Werke Genfer und St. Galler Kunstschaffender. Zeitversetzt dazu findet eine zweite Präsentation in Genf statt.

St. Gallen und Genf sind durch knapp 4 Stunden Zugfahrt, die A1 und 332 km andere Strassen und Wege miteinander verbunden. Und durch 282.5 km Garn und Faden. Denise Altermatt hat die Luftliniendistanz zwischen Genf und ihrer Heimatstadt St. Gallen zu einem Knäuel gewickelt. Es liegt nun auf dem Kiesplatz schräg gegenüber des Stadthauses der Ortsbürgergemeinde, denn für „3 Stunden 57 Minuten“ ist das NEXTEX nicht nur auf die Reise nach Genf gegangen – in der dortigen Fonderie ist eine Parallelausstellung zu sehen –, sondern hat neue Kunstorte auch in der St. Galler Innenstadt gefunden. Vor dem Lämmlerbrunnen am Bahnhofsplatz parkiert plötzlich ein Auto mit seltsamem Auswuchs auf der Frontscheibe. Hat sich da ein Bussenzettel aufgeplustert? Ist von irgendwoher ein Stück Gletscher niedergefallen? Aber warum ist das Gebilde mit Spanngurten festgezurrt? Vielleicht lohnt es sich zu warten, um mehr zu erfahren: Eine Aufschrift verheisst „reviens dans 5 min“. Das irritierende wie launige Objekt ist eine Arbeit des Genfers Alexandre Joly, der im Rahmen der Ausstellung auch an einem Künstlergespräch beteiligt ist.

Gegenüber dem Haus zum Pelikan bespielen Céline Peruzzo und Felix Stickel zwei Schaukästen mit Zeichnungen. Der gebürtige St. Galler verwandelt die Vitrine in ein Panoramafenster. Auf grossem Format und mit breitem Pinsel schwingt er Tuschelinien aneinander, verdichtet sie, lässt Flächen frei und entwickelt so das Bild einer imaginären Landschaft.

Mittlerweile lebt Stickel in Zürich und ist wie so viele andere Künstler der Ausstellung mehreren Orten verbunden. So auch Alexandra Maurer, die zwar selbst nicht mit einem Werk vertreten ist, aber den künstlerischen Austausch anregte. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet die St. Gallerin in Genf, genauso wie die Tessinerin Valentina Pini und die Japanerin Tami Ichino. Letztere zeigt im Nextex aus vielen Farbschichten aufgebaute Acrylbilder. Winzige Pinselstriche evozieren grosse Raumtiefe und fügen sich zu Wolkengebirgen und Regenvorhängen.

Einen grossen formalen Kontrast zu diesen feinteiligen kleinen Gemälden bilden Pinis vier aneinander gesetzte Glasscheiben mit aufgeklebten schwarzen Linien. Das streng geometrische Objekt mutet wie eine Versuchsanordnung an und wirkt aus transparenten Flächen in den Raum. Spiegelung, Durchsicht, Reflexion von Licht: Die Künstlerin holt die visuelle Wahrnehmung ins Bewusstsein. Ihre zweite Arbeit basiert auf den geometrischen Strukturen von Mineralien und bildet eine überraschende Entsprechung zur Arbeit von Sarah Hugentobler. Die in Bern lebende Frauenfelderin recycelt vorgefundenes Ton- oder Bildmaterial. Im ausgestellten Werk agiert sie zur Stimme einer Klangtherapeutin vor Fotografien ihres Grossvaters auf grossflächig gemusterter Tapete. In dem Video überlagern sich Künstlichkeit und Intimität, Klischee und Authentizität.

Klischees bewusst vermeiden will Ghislaine Ayer. Die St. Gallerin verwandelt die Bar im NEXTEX in eine Blutbank. Zwar liess sich Ayer durch die Fernsehserie „True Blood“ inspirieren, doch Vampirästhetik weicht Laboratmosphäre. Nüchtern inszeniert die Künstlerin blutgefüllte Reagenzgläser in Kunststoffboxen an der Rückwand der Bar. Während diese Arbeit etwas länger erhalten bleiben wird, erklingt das Rauschen im Durchgang zwischen Klosterhof und Stiftsbibliothek nur bis zum Ende der Ausstellung. Der Genfer Rudy Decelière lässt Wellengebraus, Wassertropfen, ferne Stimmen und Musik erklingen und dürfte damit bei so manchen Passanten für einen Moment des Innehaltens und Verwunderns sorgen.

Von Tieren und Menschen

Die insgesamt zweite Ausstellung im „tartar“ macht dem Namen des Kunstraumes Ehre. „Fleisch teilen“ zeigt viele Facetten des Themas.

Fleisch bedeutet für den einen Gaumenfreude, für den anderen ökologischer Wahnsinn, den dritten erinnert es an den gesellschaftskritischen Filmklassiker oder die Erzeugnisse der Pornoindustrie. Das Spektrum dessen, was unter dem Begriff verstanden wird, ist breit und voller Nebensinn. Kein Wunder also, dass es auch Künstler immer wieder reizt, sich mit dem Thema zu beschäftigen wie Martin Jedlitschka in seinem Kunstraum „tartar“ zeigt.

Ein Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf der Malerei. Fleisch bietet gegenständlich malenden Künstlern über die inhaltliche Ebene hinaus grosse Herausforderungen in der Darstellung der Fasern, der glatten oder zerfaserten Oberflächen, des Blutes, der Wärme, des Zerfalls. Pat Noser beispielsweise setzt überdimensionale Stubenfliegen in verwesendes Fleisch. Ihre eigentliche Stärke entfaltet die Bielerin aber dort, wo sie auf bewusst provozierten Ekel verzichtet, sondern sich dem Ding an sich widmet: Mit grosser Akribie und beschränkt auf wenige Farbtöne zeigt sie Tintenfischarme in Nahaufnahme. Wenn der Tintenfisch aber auf einem Frauenkörper liegt, zielt das bereits wieder auf den vordergründigen Effekt. Gleiches lässt sich über den Solothurner Rolf Blaser sagen. „Rinder V“ zeigt mit hoher physischer Eindringlichkeit zwei Tierkörper im Schlachthaus. Bei den Doppelbildnissen hingegen wirkt die motivische und malerische Raffinesse wie ein Amalgam aus magischem und sozialistischem Realismus, die Inszenierung gerät zum Selbstzweck.

Ganz anders die Werke von Karl Guldenschuh. Der Zürcher Künstler arbeitete nah am Modell und blieb der figurativen Moderne verhaftet. So entstanden ausserhalb ihrer Zeit stehende Gemälde und Radierungen, die ein jedes eine Hommage an den Menschen sind und sich nur bedingt in die Rubrik „Fleisch“ einordnen lassen. Schon eher gilt dies für den Pornokitsch von Conrad Godly oder die Übermalungen sexistischer Fotografien durch Kristian von Hornsleth. Das Provokationspotential dieser Brandings ist allerdings zu kalkuliert, als das es noch funktionieren würde.

Neben den zahlreichen Bildern sind in der Ausstellung Skulpturen und Objekte zu sehen. Die Liechtensteinerin Doris Bühler widmet ihre Aufmerksamkeit einem ganz unscheinbaren körperlichen Detail: Sie zeigt Bauchnabelporträts in rosa oder hellblau, die ebenso wie August Dimitrovs  Fleischwolfdackel und Kanisterkühe dem Fleischlichen auf witzige Art begegnen, während Hans-Peter Profunsers Werke ganz vom heftigen Ringen um die Form getragen sind. Dieser Kontraste gibt es einige in der Ausstellung. Sie führen allerdings kaum zu einer echten Gegenüberstellung oder Auseinandersetzung. Es bleibt der Eindruck eines stilistischen und inhaltlichen Sammelsuriums.

Kunst und Kosmos

Katalin Deer hat für die Säntishalle Arbon das Kunst am Bau-Projekt entwickelt. Aufwendig hergestellte Stuckmarmorplatten korrespondieren mit Sichtbeton.

Stuckmarmor ist etwas aus der Mode gekommen. Allenfalls bei der Restaurierung barocker Bauwerke wird er noch regelmässig eingesetzt. Vor nicht allzu langer Zeit aber hat Katalin Deer das grosse Potential dieser alten Technik für ihre Arbeit entdeckt.

Bereits im vergangenen Jahr präsentierte die St. Galler Künstlerin eine riesige Stuckmarmorplatte im Atelier Amden – in dem alten Heuschober, den Roman Kurzmeyer für seine Ausstellungsreihe bespielt. Die Platte dort war nur einen Sommer lang zu sehen. Wer keine Gelegenheit hatte an den Walensee zu reisen oder gern nochmals und nochmals über die spiegelglatte Stuckmarmoroberfläche streichen möchte, wer sich nicht satt sehen konnte an den feinteiligen Strukturen, der opulenten Farbigkeit, der kann sich nun auf den Weg nach Arbon machen. Katalin Deer hat eigens für die neu erbaute Säntishalle eine vielschichtige Arbeit entwickelt.

Ihr Ausgangspunkt war der Zweck des Bauwerkes: Die vom Zürcher Architekturbüro Michael Meier und Marius Hug entworfene Säntishalle Arbon ist ein Neubau anstelle der alten Doppelturnhalle gegenüber des Schulhauses Bergli. Vier Schulzimmer, Gruppenräume, eine Mehrzweckhalle und eine halb unterirdische Turnhalle haben darin Platz gefunden. Besonders die Turnhalle war es, von der sich Katalin Deer für ihr Kunst am Bau-Projekt inspirieren liess.

Sport treibende Kinder bedeuten quirliges Gewusel, lautes Toben, vielgestaltiges Miteinander. Bälle fliegen, Sporttaschen werden herumgeworfen, es wird gebalgt, geschupft, unbändige Energie bahnt sich ihren Weg. Das Pendant hat Deer in der Kosmologie entdeckt, genauer im Urknall. Eine Vielzahl blau leuchtender Gymnastikbälle lässt die Theorie vom heissen, dichten Anfangszustand des Universums noch anschaulicher werden. Wie Planeten treiben sie durch den Raum und finden ihre Entsprechung an der hinteren Betonwand der Sporthalle. Neben mehreren grossen Stuckmarmorplatten hat die Künstlerin dort verschiedene Fotografien bereits im Rohbau in die Betonschalung der Hallenwand eingebracht. Alles ergänzt sich prächtig: Die analogen Aufnahmen, gefundene Bilder und die überbordenden Formen und Farben des Stuckmarmors. Gegenständliches und Abstraktes mischen sich. Es gibt da den leuchtend bunten Ball am Strand, der an einen fernen Stern erinnert, eine glühende Sonne, einen Elfmeterpunkt, Wirbel, Explosionen und Bewegung, Konzentration und Drift, Verdichtung und Freiraum. Letztgenannte Funktion kommt auch der Sichtbetonwand zu. Sie ist die formale Klammer der einzelnen Elemente, fügt alles zu einem grossen Ganzen. Die amorph geformten Stuckmarmorfelder scheinen über die Wand zu fliegen oder zu schwimmen. Die Fotografien wiederum haben keine perfekt geraden Konturen, sondern zerfasern an ihren Rändern, da dort während der Montage, im Rohbau Beton eingeflossen ist. Diese kleinen Unregelmässigkeiten lassen die Bilder erst recht als integraler Bestandteil der Wand wirken, der sie ja auch sind.

Auf der gegenüberliegenden Innenwand hat Deer ganz auf Stuckmarmor verzichtet wendet den Blick zurück vom Universum auf die Erde, auf Wolken, Wasser und schneebedeckte Gipfel. Der blaue Planet ist in blauweissen Bildern präsent, die wiederum eine Brücke schlagen zu den Fensterbändern der Halle und den Ausblicken in Richtung Himmel. Eines der Fenster öffnet sich jedoch zur Eingangshalle, dorthin, wo eine Fensterbank dazu einlädt, das Schauspiel des Kindergewimmels zu betrachten und wo ein Stück Stuckmarmor auf Augenhöhe betrachtet und berührt werden darf. Hier ist der Kosmos ganz nah und mit ihm die Kunst.

Ausflug ins Ausland

Zum sechsten Mal jährt sich die Ausstellung der Kunsthallen Toggenburg. Diesmal allerdings mit sehr durchwachsener Qualität.

„arthur“ hat wieder einen Platz gefunden. Gleichzeitig präsentiert er sich in aufreizendem Rot. Der kleine Wohnwagen, das Herzstück der Kunsthallen Toggenburg, parkiert als Gestalt gewordener Chatroom nahe der Molkerei Eschen. Eschen? Liechtenstein – die Veranstalter des nomadisierenden Toggenburger Kunstraumes sind ins Ausland gezogen. Diese Grenzüberschreitung ist zugleich auch die inhaltliche Vorlage für arthurs sechste Station. „Fremd gehen“ ist das Motto, dem Daniela Vetsch Böhi mit ihren Chatroomrecherchen sehr nahe kommt. Einerseits bestätigt sie Vorurteile über diese Kommunikationsform und hinterfragt andererseits Identität und Anonymität der Chatteilnehmer. Zweifellos ist diese Arbeit einer der Höhepunkte der diesmal eher kleinen Präsentation. Auch Andy Storcheneggers Altar für das Paradies zählen in diese Kategorie. Mit Grünpflanzen verwandelt der Zürcher einen kleinen Nebenraum der Molkerei in ein tropisches Separee. Videoausschnitte, gedreht im Königreich Tonga und vor Ort in Liechtenstein, thematisieren die Brüchigkeit der gezeigten Welten und ihre befremdliche Verwandtschaft.

Regula Gahlers überdimensionale Suppentöpfe bieten die Folie für eine vordergründigere Gegenüberstellung: ein kauerndes, verhungerndes Kind neben einer Magersüchtigen. Dies ist zwar etwas plakativ, aber dennoch wirksam. Umso mehr, als es von Nadja L. Haefelis Gemälden von Törtchen und verrottendem Obst umrahmt ist – auch dies eine Konfrontation der expliziteren Art.

Wie wohltuend sind da die stillen Töne in dieser Ausstellung, etwa Anita Schneebergers Lochkamerabilder aus Zugfenstern, beiläufig präsentiert in einem Postkartenständer. So meistert die Zürcherin zudem die Herausforderungen des Raumes. Für die Kunsthallen Toggenburg ist die Kunstferne des Ortes stets ein Ausstellungskriterium. Ein anderes sollte die Qualität der Arbeiten sein. Doch kuratorisches Gespür kommt diesmal kaum zum Vorschein, oder waren es zu hochgesteckte Erwartungen, die mit der gelungenen Präsentation von arthur5 im vergangenen Jahr geweckt wurden?

Junge Kunst vor schwarzer Wand

Zum sechsten Mal findet die Ausstellung mit Werken junger Kreativer im flon statt. Der Schwerpunkt liegt auf Gemälden, Zeichnungen und Fotografien.

Ausstellungsaufbau im flon: Es wird gehämmert, geschraubt, geschaut und geklebt. Zum Beispiel ein Apfelkerngehäuse. Sandi Gazic und Martin Meier befestigen es mit Kreppband an einem der Pfeiler und sorgen mit dem beiläufig präsentierten Objekt für eine auffällige Ausnahme inmitten der Gemälde, Zeichnungen und Fotografien. Eine zweite liefert Clarissa Schwarz mit ihren Sockstar-Monstern, eine dritte Carmen Dörig mit ihrer Rauminstallation. Einzelne ihrer Fotocollagen hängen wie Herbstlaub an Zweigen. Die Bilder fügen sich zu einem sehr persönlichen Kosmos, verdichtet mit Sprüchen und Gedanken. Die Herisauerin benutzt sowohl die Digital- wie auch die Analogkamera. Andere Beteiligte der Ausstellung konzentrieren sich ganz auf die analoge Fotografie, so etwa Ozanii Bananii. Der HSG-Student zeigt schwarzweiss Aufnahmen stiller nächtlicher Stadtszenen, die von der Faszination am Medium getragen sind: Die Beschränkung von 36 Bildern pro Film zwingt zum genauen Hinsehen und zu überlegten Aufnahmen, die sich erst in der Dunkelkammer offenbaren.

Auch der 17jährige Sandi Gazic fotografiert neben seinen Zeichnungen und Malerei analog. Die kleinformatigen Bilder leben von beeindruckenden Farbmomenten, verschwommener Rätselhaftigkeit der Sujets und kommen frisch und unbefangen daher.

Vincent Grüningers Fotografien sind das Ergebnis aufmerksamer Beobachtungen. Details wie die Rückenfigur auf dem Waldpfad oder die einsame Schaukel im Gegenlicht sind nicht nur durchgestaltet, sondern auch bedeutungsschwer. Auch Eloy Martinez´, wie Grüninger 19 Jahre alt, präsentiert keine Zufallsprodukte. Zudem verleiht der Heerbrugger Kantischüler seinen Aufnahmen ein vollendet ästhetisches Finish, indem er sie auf Aluminiumplatten ausdrucken lässt. Doch soviel Perfektion ist eher die Ausnahme in „jungekunst6“. Statt dessen wirken insbesondere die ausgestellten Zeichnungen locker und witzig, so etwa Nico Kasts Kopfkritzeleien und Fabian Wagners geistreich interpretierte Rorschachtests oder seine poetisch umschriebenen Menschtierwesen. Auch die jüngste Teilnehmerin der Ausstellung, die 14jährige Ladina Bösch zeichnet. Wie viele andere der Runde zeigt sie ihre Arbeiten zum ersten Mal einem grösseren Publikum. Es sind sensible Porträts junger Menschen, die ganz im hier und jetzt stehen.

Fridolin Schoch, Martina Ludwig und Michael Strebel haben sich der Malerei verschrieben – mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Schoch, der seit diesem Jahr an der Düsseldorfer Akademie studiert, bewegt sich im ungegenständlichen Bereich, während Strebels Werke ein Substrat aus Strassenkunst, Plakat- und Propagandagestaltung und Kalligraphischen Elementen sind.

Insgesamt gilt: Alles ist möglich, alles steht gleichberechtigt nebeneinander. Jasmin Bertsch und Desiree Widmer, die in diesem Jahr die eingereichten Arbeiten gesichtet und ausgewählt haben, überliessen den Beteiligten die Entscheidung, was sie wie und wo präsentieren wollen. So ist die Ausstellung letztlich das Ergebnis der fruchtbaren Zusammenarbeit aller Beteiligten.

BB meets GG

Beni Bischof und Georg Gatsas bespielen Katharinen mit ihrer Trash Bar: Kunst zum Anfassen, Abhängen, Austrinken.

Die Idee ist nicht neu und trotzdem bestechend: Der Rezipient soll das Kunstwerk aktivieren. Erst durch sein Zutun lebt es; die räumlichen und immateriellen Grenzen werden zugunsten eines Miteinanders verlassen. Experimente dieser Art sind in der bildenden Kunst insbesondere seit den 1960er Jahren verbreitet, doch bis heute kann man sich kaum unkomplizierter, genüsslicher von der Passivität des Betrachters verabschieden als am Tresen. Kein Wunder also, dass es Künstlerbars schon viele gab und wohl auch noch so einige geben wird. Aber selten gehen sie eine so enge räumliche Symbiose ein wie die Trash Bar mit dem Ausstellungsraum in Katharinen.

Georg Gatsas und Beni Bischof haben nicht einfach eine Bar in den Saal gestellt, sie haben auch nicht einfach einen Raum im Raum gebaut. Vielmehr breitet sich die Arbeit in jeden Winkel Katharinens aus. Der mittelalterliche Raum wird zur Gänze genutzt, besetzt und verwandelt. Holzbalken und Militärplachen widersprechen sich nicht. Statt Dunkelmännern gibt es einen Darkroom. Die Aufsichten schenken aus und ein. Bei so manchem Detail des Arrangements ist schon zur Vernissage nicht mehr klar, ob es inszeniert, ein Überbleibsel der Aufbauarbeiten oder der Unachtsamkeit eines Vernissagebesuchers zu verdanken ist. Alles gehört dazu – vom Harass bis zum Bravoposter, von der Luftpolsterfolie bis zur Kippe.

Spontan würde man die unkonventionelle Materialansammlung eher der Arbeitsweise Beni Bischofs zuordnen. Doch die Trash Bar ist eine Gemeinschaftsarbeit beider Künstler und so lassen sich in den Zitaten brüchiger Alltagswelten auch die präzisen Setzungen Georg Gatsas´ erkennen. Gatsas ist zudem bekannt dafür, Menschen zu vernetzen, auf das sie selbst weiterwerken. Denkbar beiläufig und gelassen funktioniert dies hier. Zum Wohl in Katharinen!

Leise Töne

Margrit Oertli zeigt in ihrer Galerie Werke von Marisa Fuchs, Thomas Suter und Ueli Bänziger.

Es ist, als ob ein sanftes Knistern durch die Galerie Max Oertli ginge. Zwar weht kein Lüftchen, aber das Innenleben der „Lichtkörper“ von Marisa Fuchs wirkt so zart, dass es einem vorkommt, als bewege es sich beim kleinsten Hauch. Die Aussenhaut der Objekte ist aus Armierungsstahl. Er gibt Halt und Struktur für unzählige Plastiksäckchen, Pergament- oder Seidenpapierblätter. Blattgolden, orangefarben, rot leuchten sie aus der schützenden Hülle oder dem Käfig heraus und bieten nicht nur changierende Farbspiele oder Durchblicke, sondern auch so manche Assoziationsmöglichkeit. Genau wie die Papierarbeiten Thomas Suters, die angesichts der Kreationen von Marisa Fuchs geradezu minimalistisch wirken. Flächen schieben sich gegeneinander, Helle scheint auf, öffnet sich wie ein Fenster im Grau. Suter lässt sich durch Poesie inspirieren, doch er illustriert nicht. Er findet einen Ausdruck, eine Entsprechung und nähert sich so den Gedichten viel unmittelbarer, als es durch gegenständliche Abbildungen möglich wäre. In der Galerie sind vier Werkgruppen ausgestellt, die trotz aller Gemeinsamkeiten wie dem kleinen Format und den dominierenden Grauwerten von einem jeweils ganz eigenen Charakter getragen sind. Letzteres eignet auch den Werken Ueli Bänzigers. Der 2004 verstorbene Maler und Bildhauer entwickelte ein vielschichtiges Werk, dessen leisere Töne bei Oertli ausgestellt sind: Bilder über weiss lasiertem Grund auf Hartfaserplatten mit virtuos ausbalancierten Elementen in Pastelltönen. Einzelne bewegte Linien treffen auf geometrische Formen, Kreuze und Punkte suchen ihr Gleichgewicht. Die zarten Farben und die unbestimmten Formen, die weit über ihre eigene Realität hinausweisen, bilden das harmonische Bindeglied zu den Arbeiten Suters und Fuchs´ in dieser kleinen Gruppenausstellung.

Geschlagene Schönheit

Alexandra Maurer zeigt in ihrer dritten Einzelausstellung in der Galerie Paul Hafner eine Weiterentwicklung ihrer Werke. Körper und Dynamik spielen die Hauptrolle darin.

Wumm! Ein dumpfer Schlag tönt aus der Galerie. Wumm! Noch einer. Immer wieder hallt der Ton durch den Raum. Obgleich rein akustisch, reicht der Schlag bis in die Eingeweide. Er zwingt die Schritte in die eigens errichtete Videokoje in der Galerie Paul Hafner. Wumm! Im Takt der Schläge scheinen Bilder auf und verschwinden wieder: Frauen mit erhobenen Armen, Abwehr, Gesichter, Menschen, Stadtraum, Finsternis, Licht. Dann folgt ein Klirren.

Es ist kein Film, der da projiziert wird und doch eine höchst lebendige Bilderfolge. Einerseits ist da die dramatische Körpersprache der Personen, ihre spannungsgeladene Aktivität. Andererseits spielt Alexandra Maurer virtuos mit den Medien. Grobkörnige schwarzweis Bilder kontrastieren mit farbigen Filmstills, grossformatige Aufnahmen malerischer Details lassen Lichtreflexe aufscheinen, Pinselspuren fügen sich zu Gesten. Ausgangspunkt ist dabei ein in Stills zersplitteter Film. Die Einzelbilder werden ausgedruckt, übermalt oder malerisch auf weisses Papier übertragen. Nach dem Bearbeitungsprozess werden sie wieder zu einer Sequenz zusammengeführt und durch Pausen verbunden, die wie verlängerte Lidschläge anmuten – Pausen in denen Nachbilder vor dem inneren Auge entstehen, die kein Innehalten erlauben.

Zusammen mit dem Ton lässt Maurer eine filmische Sequenz entstehen. Ganz ohne bewegte Bilder entwickelt sich eine Dynamik, die den Betrachter in Bann zieht,  ihm grosse Konzentration abfordert. Seit langem arbeitet die in Genf lebende St. Gallerin an der Verbindung von Film, Fotografie, Malerei und Installation. Der Mix verschiedenster künstlerischer Techniken charakterisiert nicht nur ihre Videos, sondern auch die Arbeiten auf Papier. Auch hier bilden Filmstills die Basis, die übermalt werden und abfotografiert. Das Ergebnis dieses Prozesses wird entweder präsentiert oder neuerlich übermalt. So kommt es zu irritierenden Momenten wie Farbschlieren, die entgegen der Bildausrichtung verlaufen und sich bei näherem Hinsehen als gedrucktes Relikt eines vorhergehenden Werkzustandes entpuppen. Alexandra Mauer spielt bewusst mit den Materialien und ihrer Ästhetik. Die Hochglanzoberfläche  des Plexiglases etwa steht einerseits im Kontrast zur lebendigen Oberfläche der Malerei und findet doch ihre Entsprechung in den Lichtreflexen des aufgetragenen Lacks. Doch nicht nur technisch und ästhetisch überzeugen Maurers Werke. Die spannungsvoll ins Format gesetzten Körperszenen irritieren ob der fliessenden Übergänge zwischen Anmut und Gewalt, sie sind mal voller Sinnlichkeit und erzählen dann wieder von grosser Brutalität.

Mit „Alexacrash“ hat Maurer einmal mehr eine Ausstellung von höchster Kraft und Eindringlichkeit realisiert.

Knipsen auf hohem Niveau

Für seine aktuellen fotografischen Arbeiten erhält Hugo Borner einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen. Ein Atelierbesuch bei einem Künstler mit Kamera.

Notkersegg ist ein überschaubares Quartier. Die Parzellen sind klein und die Hecken niedrig. Die meisten jedenfalls. Es gibt auch jene übermannshohen Wände aus Tujagewächsen, die gerade so noch den Blick auf das Dachfenster des dahinterliegenden Hauses freilassen. Es gibt Vorgärten in denen es so wuchert und spriesst, dass das Haus dahinter einzuwachsen scheint. Doch da blitzt plötzlich ein Kupferblech hervor, strahlt für einen Moment lang in der Sonne. Es sind jene überraschenden Details, die Hugo Borner faszinieren und die er drum fotografiert. Unspektakuläre Dinge, Alltägliches, die Umgebung, in der er sich bewegt, die Menschen, die ihm nahe sind.

Der St. Galler Künstler lebt und arbeitet seit drei Jahren im Notkersegg. Mittlerweile ist der Fotoapparat sein ständiger Begleiter, kein hochtechnisiertes Profigerät, sondern eine kleine Taschenkamera. Dies passt sowohl zu seinen Sujets wie auch zu seiner Art zu fotografieren. Der Künstler selbst nennt es ganz unbefangen „knipsen“ – ein mittlerweile verpönter Begriff, bei dem Borner aber zurecht keine Berührungsängste hat. Den entscheidenden Aspekt hat Dürrenmatt so formuliert: „Jeder kann knipsen… Aber nicht jeder kann beobachten. Fotografieren ist nur insofern Kunst, als sich seiner die Kunst des Beobachtens bedient… Auch die Wirklichkeit muss geformt werden, will man sie zum Sprechen bringen.“ Hugo Borner beobachtet. Und er wählt aus.

Das spontan aufgenommene Foto, jener intensive Moment des Auslösens ist nur ein Schritt auf dem Weg zum guten Bild. Wichtig ist es ebenso, die formalen wie auch die inhaltlichen Kriterien nicht aus dem Blick zu verlieren. Wenn beide den Fotografen überzeugen und darüber hinaus auch die Stimmung des Bildes passt, dann schafft es das Foto in jene Auswahl, die Borner für spätere Ausstellungen vorbereitet. Zwar wird jedes Foto als Einzelbild verstanden, doch der Künstler richtet grosses Augenmerk auf das Zusammenspiel einzelner Motive, auf Kontraste und Übereinstimmungen, auf überraschende inhaltliche Parallelen und Farbharmonien. Hierin zeigt sich Borners zweite Passion. Seit einigen Jahren erarbeitet er Farbkonzepte für Innen- und Aussenräume. Schulen, eine Sporthalle, ein Alterszentrum, ein Tiefgaragenzugang oder Mehrfamilienhäuser – gemeinsam mit Architekten und Bauherren entwickelt Hugo Borner Gestaltungsideen, die weit mehr sind als Dekoration. Sie akzentuieren Gebäudeteile, ermöglichen Orientierung, lenken die Schritte und Blicke, und vor allen Dingen  schaffen sie Atmosphäre.

Wer sich umschaut im Atelier, bemerkt von Borners Farbarbeit zunächst nicht viel. Alles ist verstaut in Grafik- und Rollschränken. Zwei riesige Schreibtische und helle Töne dominieren. Borner hält sich den Blick frei, hier lenkt nichts ab vom Denken und Tun. Nur wenige Fotografien sind zu sehen. Doch sobald Borner Bild um Bild hervorholt, entspinnen sich reiche Assoziationsketten. In eine wohldurchdachte Reihe gebracht, beginnen die Fotografien zu erzählen. Die Rutsche neben der Sonnenblume, die Zugpassagiere neben dem Brückenpfeiler – plötzlich lassen sich spannende formale Parallelen entdecken und immer wieder fallen die Farben ins Auge. Ein gelber Tisch, eine Badezimmerszene, eine Frau in einem Zimmer. Auch letzteres ein Schnappschuss, der in seinem perfekten Aufbau an ein wohldurchdachtes Interieurgemälde eines romantischen Malers mit einem Schuss Vermeer erinnert. Immer wieder gelingt es Borner, solche Momente zu sehen und zu erfassen. In ihrer Gesamtheit eröffnen sie einen Bilderkosmos. Sie beschreiben ein Lebensgefühl – individuell geprägt, aber voller Anknüpfungspunkte für den Betrachter.