Kunst und Kosmos

by Kristin Schmidt

Katalin Deer hat für die Säntishalle Arbon das Kunst am Bau-Projekt entwickelt. Aufwendig hergestellte Stuckmarmorplatten korrespondieren mit Sichtbeton.

Stuckmarmor ist etwas aus der Mode gekommen. Allenfalls bei der Restaurierung barocker Bauwerke wird er noch regelmässig eingesetzt. Vor nicht allzu langer Zeit aber hat Katalin Deer das grosse Potential dieser alten Technik für ihre Arbeit entdeckt.

Bereits im vergangenen Jahr präsentierte die St. Galler Künstlerin eine riesige Stuckmarmorplatte im Atelier Amden – in dem alten Heuschober, den Roman Kurzmeyer für seine Ausstellungsreihe bespielt. Die Platte dort war nur einen Sommer lang zu sehen. Wer keine Gelegenheit hatte an den Walensee zu reisen oder gern nochmals und nochmals über die spiegelglatte Stuckmarmoroberfläche streichen möchte, wer sich nicht satt sehen konnte an den feinteiligen Strukturen, der opulenten Farbigkeit, der kann sich nun auf den Weg nach Arbon machen. Katalin Deer hat eigens für die neu erbaute Säntishalle eine vielschichtige Arbeit entwickelt.

Ihr Ausgangspunkt war der Zweck des Bauwerkes: Die vom Zürcher Architekturbüro Michael Meier und Marius Hug entworfene Säntishalle Arbon ist ein Neubau anstelle der alten Doppelturnhalle gegenüber des Schulhauses Bergli. Vier Schulzimmer, Gruppenräume, eine Mehrzweckhalle und eine halb unterirdische Turnhalle haben darin Platz gefunden. Besonders die Turnhalle war es, von der sich Katalin Deer für ihr Kunst am Bau-Projekt inspirieren liess.

Sport treibende Kinder bedeuten quirliges Gewusel, lautes Toben, vielgestaltiges Miteinander. Bälle fliegen, Sporttaschen werden herumgeworfen, es wird gebalgt, geschupft, unbändige Energie bahnt sich ihren Weg. Das Pendant hat Deer in der Kosmologie entdeckt, genauer im Urknall. Eine Vielzahl blau leuchtender Gymnastikbälle lässt die Theorie vom heissen, dichten Anfangszustand des Universums noch anschaulicher werden. Wie Planeten treiben sie durch den Raum und finden ihre Entsprechung an der hinteren Betonwand der Sporthalle. Neben mehreren grossen Stuckmarmorplatten hat die Künstlerin dort verschiedene Fotografien bereits im Rohbau in die Betonschalung der Hallenwand eingebracht. Alles ergänzt sich prächtig: Die analogen Aufnahmen, gefundene Bilder und die überbordenden Formen und Farben des Stuckmarmors. Gegenständliches und Abstraktes mischen sich. Es gibt da den leuchtend bunten Ball am Strand, der an einen fernen Stern erinnert, eine glühende Sonne, einen Elfmeterpunkt, Wirbel, Explosionen und Bewegung, Konzentration und Drift, Verdichtung und Freiraum. Letztgenannte Funktion kommt auch der Sichtbetonwand zu. Sie ist die formale Klammer der einzelnen Elemente, fügt alles zu einem grossen Ganzen. Die amorph geformten Stuckmarmorfelder scheinen über die Wand zu fliegen oder zu schwimmen. Die Fotografien wiederum haben keine perfekt geraden Konturen, sondern zerfasern an ihren Rändern, da dort während der Montage, im Rohbau Beton eingeflossen ist. Diese kleinen Unregelmässigkeiten lassen die Bilder erst recht als integraler Bestandteil der Wand wirken, der sie ja auch sind.

Auf der gegenüberliegenden Innenwand hat Deer ganz auf Stuckmarmor verzichtet wendet den Blick zurück vom Universum auf die Erde, auf Wolken, Wasser und schneebedeckte Gipfel. Der blaue Planet ist in blauweissen Bildern präsent, die wiederum eine Brücke schlagen zu den Fensterbändern der Halle und den Ausblicken in Richtung Himmel. Eines der Fenster öffnet sich jedoch zur Eingangshalle, dorthin, wo eine Fensterbank dazu einlädt, das Schauspiel des Kindergewimmels zu betrachten und wo ein Stück Stuckmarmor auf Augenhöhe betrachtet und berührt werden darf. Hier ist der Kosmos ganz nah und mit ihm die Kunst.