Einmal Genf und zurück
by Kristin Schmidt
Die aktuelle Ausstellung im Nextex vereint Werke Genfer und St. Galler Kunstschaffender. Zeitversetzt dazu findet eine zweite Präsentation in Genf statt.
St. Gallen und Genf sind durch knapp 4 Stunden Zugfahrt, die A1 und 332 km andere Strassen und Wege miteinander verbunden. Und durch 282.5 km Garn und Faden. Denise Altermatt hat die Luftliniendistanz zwischen Genf und ihrer Heimatstadt St. Gallen zu einem Knäuel gewickelt. Es liegt nun auf dem Kiesplatz schräg gegenüber des Stadthauses der Ortsbürgergemeinde, denn für „3 Stunden 57 Minuten“ ist das NEXTEX nicht nur auf die Reise nach Genf gegangen – in der dortigen Fonderie ist eine Parallelausstellung zu sehen –, sondern hat neue Kunstorte auch in der St. Galler Innenstadt gefunden. Vor dem Lämmlerbrunnen am Bahnhofsplatz parkiert plötzlich ein Auto mit seltsamem Auswuchs auf der Frontscheibe. Hat sich da ein Bussenzettel aufgeplustert? Ist von irgendwoher ein Stück Gletscher niedergefallen? Aber warum ist das Gebilde mit Spanngurten festgezurrt? Vielleicht lohnt es sich zu warten, um mehr zu erfahren: Eine Aufschrift verheisst „reviens dans 5 min“. Das irritierende wie launige Objekt ist eine Arbeit des Genfers Alexandre Joly, der im Rahmen der Ausstellung auch an einem Künstlergespräch beteiligt ist.
Gegenüber dem Haus zum Pelikan bespielen Céline Peruzzo und Felix Stickel zwei Schaukästen mit Zeichnungen. Der gebürtige St. Galler verwandelt die Vitrine in ein Panoramafenster. Auf grossem Format und mit breitem Pinsel schwingt er Tuschelinien aneinander, verdichtet sie, lässt Flächen frei und entwickelt so das Bild einer imaginären Landschaft.
Mittlerweile lebt Stickel in Zürich und ist wie so viele andere Künstler der Ausstellung mehreren Orten verbunden. So auch Alexandra Maurer, die zwar selbst nicht mit einem Werk vertreten ist, aber den künstlerischen Austausch anregte. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet die St. Gallerin in Genf, genauso wie die Tessinerin Valentina Pini und die Japanerin Tami Ichino. Letztere zeigt im Nextex aus vielen Farbschichten aufgebaute Acrylbilder. Winzige Pinselstriche evozieren grosse Raumtiefe und fügen sich zu Wolkengebirgen und Regenvorhängen.
Einen grossen formalen Kontrast zu diesen feinteiligen kleinen Gemälden bilden Pinis vier aneinander gesetzte Glasscheiben mit aufgeklebten schwarzen Linien. Das streng geometrische Objekt mutet wie eine Versuchsanordnung an und wirkt aus transparenten Flächen in den Raum. Spiegelung, Durchsicht, Reflexion von Licht: Die Künstlerin holt die visuelle Wahrnehmung ins Bewusstsein. Ihre zweite Arbeit basiert auf den geometrischen Strukturen von Mineralien und bildet eine überraschende Entsprechung zur Arbeit von Sarah Hugentobler. Die in Bern lebende Frauenfelderin recycelt vorgefundenes Ton- oder Bildmaterial. Im ausgestellten Werk agiert sie zur Stimme einer Klangtherapeutin vor Fotografien ihres Grossvaters auf grossflächig gemusterter Tapete. In dem Video überlagern sich Künstlichkeit und Intimität, Klischee und Authentizität.
Klischees bewusst vermeiden will Ghislaine Ayer. Die St. Gallerin verwandelt die Bar im NEXTEX in eine Blutbank. Zwar liess sich Ayer durch die Fernsehserie „True Blood“ inspirieren, doch Vampirästhetik weicht Laboratmosphäre. Nüchtern inszeniert die Künstlerin blutgefüllte Reagenzgläser in Kunststoffboxen an der Rückwand der Bar. Während diese Arbeit etwas länger erhalten bleiben wird, erklingt das Rauschen im Durchgang zwischen Klosterhof und Stiftsbibliothek nur bis zum Ende der Ausstellung. Der Genfer Rudy Decelière lässt Wellengebraus, Wassertropfen, ferne Stimmen und Musik erklingen und dürfte damit bei so manchen Passanten für einen Moment des Innehaltens und Verwunderns sorgen.