Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Tanz braucht Raum

Im Mai wird getanzt. Nicht nur auf der Bühne, aber auch und vor allem dort. Wobei Bühne ein weit gefasster Begriff sein kann, wenn es um zeitgenössischen Tanz geht. Grabenhalle, Lokremise und Pfalzkeller kommen jenen, die in St. Gallen die freie Tanzszene verfolgen, wahrscheinlich am ehesten in den Sinn. Dann gab und gibt es die Auftritte in der Innenstadt oder dem Stadtpark unter freiem Himmel, und in der Vergangenheit wurden auch Schaufenster schon in kleine Bühnen verwandelt.

Sind also Räume und Bühnen in ausreichender Zahl vorhanden? Zunächst einmal muss zwischen Auftrittsorten und Probenräumen unterschieden werden. Doch in beiden Kategorien sieht die aktuelle Lage weniger gut aus, als es der Mai mit Tanzfest, Steps und den Auftritten von Danceloft vermuten liesse.

Wer sich in der freien Szene umhört, erfährt rasch, dass die Zahl verfügbarer, geeigneter und bezahlbarer Räume knapp ist. Beispielsweise bei den Bühnenorten: Zeitgenössischer Tanz braucht viel Platz und eine ansteigende Zuschauertribüne, damit die Dreidimensionalität der bewegten Kunstsparte entsprechend wahrgenommen werden kann. Zudem ist nicht jeder Boden tauglich. In der Grabenhalle beispielsweise müssen nicht nur jeweils die schwerpunktmässig für Konzerte genutzten Bühnenelemente auf die andere Seite versetzt, sondern auch ein anderer Boden ausgelegt werden.

Abgesehen von diesen aufwendigen Umbauten ist es für manch Tanzschaffende interessanter einen offenen Raum zu nutzen, der Interaktion zulässt und einen speziellen Charakter einbringt. So begeistert die Lokremise die Choreographen und Tänzer mit der besonderen Atmosphäre und dem experimentellen Charakter eines ehemaligen Depots. Doch ist St. Gallens Kulturremise gut ausgebucht und oft nur kurzfristig frei, und die Raummiete ist für die freie Szene vergleichsweise hoch, auch Probetage werden berechnet.

Gleichzeitig scheint es wenig sinnvoll, neben der für Tanz- und Theaterprojekte etablierten Lokremise einen weiteren Tanzort in St. Gallen zu etablieren. Viel dringender ist eine starke Koordination, sozusagen eine Verbindungsstelle. Zwar gibt es die ig-tanz ost als Ansprechpartnerin für lokale Tanzkompanien und für Tanzschaffende aus dem gesamten Ostschweizer Raum. Aber der vor 12 Jahren gegründete, gemeinnützige Verein gerät mit den Kapazitäten regelmässig an seine Grenzen. Dabei wurde schon viel erreicht. Die kleine Interessensgemeinschaft hat sich zu einem stetig wachsenden Netzwerk entwickelt. Nicht nur innerhalb der Ostschweiz und dem Fürstentum Liechtenstein hat die ig-tanz dafür gesorgt, dass die Tanzszene sich zusammenfindet. Sie leistet einen schweizweiten Austausch und bietet den Tanzschaffenden in der Ostschweiz regelmässige Profitrainings an, zu denen auch Tanzkünstler und Choreographen aus dem Ausland eingeladen werden.

Auch der TanzPlan Ost ist ein Kind der ig-tanz ost. Der Verein hat das Tanzförderprojekt der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein ins Leben gerufen und koordiniert es seit 2009. In diesem Jahr startet die zweite Ausgabe des zunächst auf vier Jahre begrenzten Pilotprojektes. Die Fortsetzung steht bereits fest. TanzPlanOst wie das Tanzfest sensibilisieren in der Öffentlichkeit für den Tanz und sprechen die Tanzinteressenten über alle Altersgrenzen hinweg an. Vermittlung ist das Stichwort.

Und einen weiteren Erfolg hat die ig-tanz ost zu vermelden: Seit April gibt es die ig-tanz zentrale: ein Studio im Hauptpostgebäude gegenüber des Hauptbahnhofes, also an zentraler Lage. Hier finden nicht nur die wöchentlichen Profitrainings und Workshops statt. Das Studio kann für Proben, Workshops, Showings und Auditions gemietet werden. Damit ist das Raumproblem nicht beseitigt, aber immerhin angegangen. Zusätzlich arbeitet auch der Nachbarkanton an einer Lösung: Ausserrhodens hat das Ziel, Probe- und Aufführungsräume für Tanz, Theater und Musik bereitzustellen, ins Kulturkonzept aufgenommen und erste Objekte begutachtet. Wenn es dereinst soweit ist, wird auch die St. Galler Szene profitieren, denn in Ausserrhoden ist man sich ebenfalls bewusst, dass Tanz nicht nur Räume braucht, sondern ein Netzwerk.

Gewiefelte Bilder

Am liebsten nicht mehr aufhören zu schauen. Mit den Augen im Bild umherwandern –von einer Form zur nächsten, von einem Detail zum anderen. Sich daran ergötzen, wie sie sich verschlingen, wuchern, fliessen, ausfasern, zusammentreffen und wieder auseinanderstreben, wie sie übereinander gleiten, fliegen und sogar kommunizieren. Die Farbspiele geniessen, die stimmungsvollen Kontraste und präzise gewählten Abstufungen. Die Dialoge von zarten Tönen und kraftvollen Setzungen verfolgen und die feinen Konturlinien. Dazwischen im allumgebenden Weiss verweilen. Dieses Weiss ist nicht Leerstelle, sondern Fläche, in der die farbenfrohen Formen und Figuren treiben können, sie bietet ihnen Halt und Freiraum. Sie ist mit der gleichen Sorgfalt behandelt, wie alle anderen Elemente im Bild: Sie ist gestickt; mit sanft glänzendem Faden in unzähligen kleinen dicht nebeneinander gesetzten Stichen.

Ohne Vorlage, ohne Vorzeichnung, ohne Plan arbeitet Ficht Tanner direkt in den Stoff. Er definiert mit der schwarzen Konturlinie irgendwo auf dem gewählten Format die erste Form, füllt sie mit Farbe aus und fügt an anderer Stelle die zweite hinzu. Die Fadenrichtung wechselt dabei ebenso wie die Reihenfolge von Kontur und Form bis schliesslich alles vom lichten Weiss umfangen wird.

Ficht Tanner stickt 1981 sein erstes Bild auf der Ende der 1970er Jahre erworbenen Nach-Stickmaschine. Sie näht regulierfrei vorwärts-, rückwärts, breit, schmal, lang oder kurz und wird in der Industrie eingesetzt, um kleine Fehler in Maschinengesticktem auszubessern.

Noch gibt es Knoten, Falten und Lücken in Tanners erstem Bild, aber der Trogener Künstler hat sein Medium gefunden, sein zweites. Sein anderes ist die Musik, genauer der Kontrabass. Immer wieder verschiebt sich das Gewicht vom einen auf das andere, doch die Stickerei wird er von nun an stets weiterentwickeln.

Die Ausstellung im Museum im Lagerhaus zeigt Ficht Tanners bildnerisches Werk von den Anfängen in den frühen 1970er Jahren bis heute. Bereits vor den ersten Stickbildern zeugen Tanners Arbeiten auf Papier von des gelernten Schriftsetzers Gespür für die spannungsvolle Balance der Gesamtkomposition und seinen linearen, grafisch geprägten Stil. Auch die Schrift kommt nicht zu kurz und ist mal als kalligraphische Studie mal als pointiertes Statement selbstverständlicher Teil der Bildwelt. Sie bleibt auf die Arbeiten auf Papier beschränkt und ist dort aber allgemeingültige Aussage das gesamte Werk betreffend, etwa wenn Tanner in einer tagebuchartigen Aufzeichnung festhält: „Aus rationalen Gründen hat man das Wort ´verschnörkeln´ zum Schimpfwort degradiert“. Der Trogener Künstler befreit den Schnörkel von seinem Makel. Er setzt ihn nicht als überflüssige Zierform ein, sondern als vollwertiges und freies Gestaltungselement in seinen grossen Kompositionen. Ein See aus Voluten kann da zur eigenständigen Fläche gerinnen und die grüne Ranke wird zur amöbenhaften Urform.

Nur dann, wenn Tanner wie in einer ausgestellten Arbeiten, die Fläche vollständig mit vegetabilen Formen in hellblau und gelb füllt, dann mutet das Werk wie ein rein dekoratives an – es wird zu einem gemusterten Stoff. Hier widerspricht Tanner seinem eigenen 1992 formulierten Anspruch „Klare Form/Klare Farbe/Klarer Aufbau“, es ist ein Erproben einer anderen Herangehensweise, die ihre Berechtigung hat, aber im Vergleich der anderen Arbeiten weniger Kraft und Präsenz entfaltet. In seinen übrigen Werken vertraut Tanner seinem sicheren Gefühl für Farbe, Form und Gleichgewicht und entwickelt in unendlichem Einfallsreichtum immer neue Figuren, ohne je ins Gegenständliche zu verfallen.

Wer mit Kindern die Ausstellung besucht, wird seine Freude haben an den Entdeckungen der Kleinen, die plötzlich einen rennenden Daumen, ein tauchendes Pferd oder ein Kasperli mit der ganzen Welt auf seinem Kopf identifizieren, doch Interpretationen der Formenwelt sind reine Spekulation. Ficht Tanner rät auf eigens gestaltetem, undatiertem Format „Geben Sie sich keine Mühe, das ist keine Welt von Symbolen“. Es ist eine Welt ohne Grenzen, eine Welt, in der sich Intuition und Erfindungsgabe aufs Schönste treffen.

Turnhalle als Teleskop

Die Doppelturnhalle Buchwald wurde saniert. Für das Kunst am Bau-Projekt entwickelte Rolf Graf eine minimale Intervention.

Die Doppelturnhalle Buchwald ist ein unauffälliger Bau. Statt aufwendig inszenierter Effekte entwickelte der damalige Stadtbaumeister Hermann Guggenbühl Anfang der 1950er Jahre für dieses lichte, ganz in seiner Zeit stehende Gebäude viele gute Detaillösungen. Sie reichen vom Eingangsbereich bis zu den Fenstern, vom Farbkonzept bis zu den Beschriftungen.

Nun kommen all die Qualitäten der Turnhalle wieder angemessen zur Geltung, und sogar ein paar zusätzliche wurden herausgearbeitet. Beispielsweise ist es jetzt „wahrscheinlich  die am besten klingende Turnhalle in ganz St. Gallen“. Ein kleines bisschen Stolz ist da herauszuhören, wenn Peter Hubacher über die neue Beschallungsanlage für das Gebäude spricht, die es für weitere Zwecke nutzbar macht.

Mit der Sanierung ist das Büro Keller.Hubacher.Architekten aus Herisau ebenso unaufdringlich wie aufmerksam vorgegangen: Beispielsweise wurde ein dezenter, ästhetisch auf die Heizungsrohre abgestimmter Aufprallschutz erfunden. Das Treppengeländer konnte aufgrund alter Fotografien rekonstruiert werden. Aus vorgefundenen Buchstaben mit ihren kleinen Ungereimtheiten wurde ein eigener Zeichensatz für weitere Beschriftungen entwickelt. Die heute beinahe obligatorische Kletterwand wurde nur mit anthrazitfarbenen Griffen bestückt, um die Farbharmonie der perfekt auf das Ziegelrot abgestimmten grün-blau Töne nicht zu stören. Die Basketballkörbe hängen nicht vor weissen Brettern, sondern vor transparenten Rückwänden, die das Gesamtbild viel weniger stören. Und mit dem Aussengerätedepot hat die Turnhalle eine kleine, ihr in Grundzügen gleichende Schwester bekommen.

Doch wo ist die Kunst am Bau?

Rasch ist Max Oertlis Betonrelief an der östlichen Aussenwand des Gebäudes entdeckt: “Gepard und Vogel” sitzen markant vor der feinstrukturierten Ziegelwand. Dieses Werk wurde 1963 installiert. Wer hingegen die aktuelle Intervention zur Kunst am Bau sucht, wird nicht so leicht fündig oder wird das Kunstwerk zwar bemerken, aber nicht als solches erkennen.

Genau wie die Architekten bei ihrer Sanierung des Gebäudes hat sich auch Rolf Graf mit seiner Arbeit dem Bau behutsam und scharfsichtig angenähert. Eine unauffällige bauliche Finesse hat es dem aus Heiden stammenden und in Berlin lebenden Künstler angetan: Die Raumdecke im Korridor ist nicht waagrecht, sondern weist zur Turnhalle hin ein leichtes Gefälle auf. So schränkt sie das Sichtfeld ein, anstatt es zur Halle hin zu weiten. Rolf Graf öffnet den Blick wieder, aber nicht durch gross angelegte Eingriffe am Gebäude, sondern durch einen Denkanstoss.

Der Künstler hat in die Backsteinwände im Eingangsbereich der Turnhalle beidseitig insgesamt 18 Markierungen eingelassen. Es sind handelsübliche, für die Vermessungstechnik hergestellte Messingbolzen mit der geprägten Inschrift „Survey Point“. Wie goldene Münzen oder Hosenknöpfe wirken die Punkte und bezeichnen zwei fiktive, leicht von der Vertikale abweichende Linien. Nimmt der Betrachter diese Linien gedanklich als lotrechten Anhaltspunkt und richtet den Raum rechtwinklig daran aus, wird es möglich, den Raum in der Wahrnehmung nach oben zu kippen und hinauszublicken: durch den Korridor hindurch, in die Turnhalle, zu ihren Fenstern hinaus, bis zum gegenüberliegenden Freudenberg, ja, über ihn hinweg, weiter und weiter. Das Gebäude wird zum Teleskop. Die Bolzen markieren exakt jene Linie, ab der dieses Phänomen erstmals im Gesamtzusammenhang bemerkbar wird.

Den physischen Aktivitäten in der Sporthalle setzt Graf ein Gedankenspiel entgegen. Gleichzeitig aktiviert sein Werk den Betrachter körperlich, denn es will berührt werden. „Survey-2012“ fordert das abstrakte Denken, die räumliche Vorstellungskraft heraus und kann doch ganz unmittelbar ertastet und erfahren werden. Es ist ein Werk, das sich mühelos in einen übergeordneten Kontext stellt und doch die Bodenhaftung nicht verliert.

Vor der Zeit danach

Karin Bühler hat das neue Gästebuch der Stadt St. Gallen künstlerisch gestaltet. Seit der Stiftung des neuen Brauches mit der Einweihung des sanierten Rathauses ist es bereits das zweite Buch.

Das Gästebuch: Jeder kennt es; viele haben sich selbst bereits in Gasthäusern, Ausstellungen oder privaten Häusern in solche Bücher eingetragen, andere haben nur geblättert. Gästebücher halten Besuche und Begegnungen fest, können wohlmeinende Worte aber auch Kritik umfassen, und vor allem enthalten sie Unterschriften – zumindest, ab dem Moment, wo sich der erste Gast eingetragen hat. Letzteres ist beim neuen Gästebuch der Stadt St. Gallen anders. Hier lohnt es sich, nicht nur zurückzublättern, sondern auch nach vorn. Zwischen den noch unbeschriebenen Seiten verbergen sich bereits Namenszüge. So ist die Signatur des Königs Ludwig XIV zu lesen, jene von Maria Theresia von Österreich, diejenigen von Giuseppe Verdi, Thomas Mann oder Albert Schweitzer. Zählten sie alle zu den Besuchern der Stadt?

Thomas Mann immerhin schrieb 1947 ins Gästebuch der Universität: „Herzlich froh, das liebe alte St. Gallen wiederzusehen“. Aber Maria Theresia hätte sich nicht ins selbe Buch eintragen können. Gemeinsam ist ihnen, dass ihre Unterschrift in St. Galler Archiven aufbewahrt wird. Dort hat Karin Bühler sie entdeckt und für das neue Gästebuch der Stadt ausgewählt.

Die Trogener Künstlerin erhielt den Auftrag zur künstlerischen Gestaltung des Buches. Das vorherige, mittlerweile bis auf die letzte Seite gefüllte hatte Lucie Schenker mit einem Gespinst aus Golddrähten eingekleidet.

Karin Bühler hat sich nun auf das Innenleben des Buches konzentriert. In gewohnt sorgfältiger Weise hat sie sich dem Gegenstand ihrer Arbeit gewidmet und sich mit der Tradition der Gästebücher ebenso auseinandergesetzt wie mit der Geschichte der Unterschrift und den Verbindungen historischer Persönlichkeiten zu St. Gallen. Bühler recherchierte sowohl in Staatsarchiv und Stiftsarchiv, im bischöflichen und in privaten Archiven. So konnte sie das dichte Beziehungsnetz der Stadt über die Jahrhunderte hinweg herausarbeiten. Dies äussert sich freilich nicht immer in persönlichen Besuchen, aber doch in einem regen Schriftverkehr. So gratuliert der Sonnenkönig dem St. Galler Abt Coelestin Sfondrati zur Kardinal-Ernennung und Maria Theresia teilt dem St. Galler Fürstabt Coelestin II mit, dass sie als Universalerbin der habsburgischen Regierung den Thron übernimmt. Albert Schweitzer aber bedankt sich bei Robert Alther für die Verbandwatte für das Dschungelspital Lambarene und erfüllte so die Hoffnung des Apothekers und eifrigen Autografensammlers auf eine Unterschrift.

Diese und ein Dutzend weitere Unterschriften sind nun per Monotypieverfahren mit dunkelblauer Ölfarbe im Gästebuch versammelt. Sie bergen die Chance ungeahnter, beziehungsreicher Zusammentreffen zwischen St. Galler Gästen aus der Jetztzeit und den historischen Persönlichkeiten oder vielmehr ihrer Namenszüge. Und wenn das Buch dereinst vollständig beschrieben ist, dann ist auch das künstlerische Werk Bühlers im Sinne seines Titels vollendet: „Vor der Zeit danach“. Dann ist es Geschichte geworden und irgendwann werden es auch die Unterschreibenden sein, wie bedeutungsvoll sie freilich werden, das wird die Zeit zeigen.

Baden einmal anders

Die aktuelle Ausstellung im Nextex versammelt Arbeiten von acht Künstlerinnen und Künstlern. Ausserdem wurde die Künstlerbar von Elisabeth Nembrini neugestaltet.

Folgt das Nextex jetzt dem Wellnesstrend? Von Spa und Saunalandschaft ist zwar nicht die Rede, doch die aktuelle Ausstellung lädt zum Bade, genauer zum „Videobad“. In Bildern schwelgen, eintauchen, abtauchen, sich erfrischen – solche Assoziationen liegen auf der Hand und doch wäre es zu kurz gefasst, wollte man die Ausstellung inhaltlich oder ästhetisch auf solche Aspekte hin einengen. Bereits die Präsentationsformen sind unterschiedlich und erlauben mal intensive sinnliche Erlebnisse, mal geben sie kurze, aber prägnante Denkanstösse.

Die Ausstellungsbesucher erwartet zunächst eine Kompilation aus sechs Videos auf einem Flachbildschirm. Monika Rechsteiners Kamerafahrt durch eine alte Schiffswerft zelebriert die Schönheit des Verfalls: Tropfen, Spiegelungen, ein langsam gleitendes Papierboot, die Narben eines alten Gebäudes und immer wieder das einfallende Licht. Fast gerät ob der Lust am Schauen, die Tragik des Untergangs aus dem Blick. Auch Roland von Tessin startet mit einem Untergang, er löst den Abriss eines Spitalgebäudes in kristallinen Strukturen auf. Erhard Sigrists „ich atme“ erzeugt Beklemmung angesichts eines Menschen mit Gasmaske, dessen immer hektischeres Atmen keinen Ausweg findet. Christine Hagin Witz verfremdet und kombiniert Bilder einer Grossstadt und einer alten, vereinsamten und verarmten Frau zu überdeutlicher Sozialkritik. Thomas Stüssis „Fisch“ gibt da mehr Rätsel auf in seinem Aquarium, umgeben von künstlichen Gefährten.

Isabel Rohner braucht weder Rätsel noch Verfremdung. Ihr Video zeigt sie selbst, wie sie mit zwei Händen und zwei Pinseln „Wer mit zwei Händen arbeitet, ist schneller“ an eine Betonwand schreibt. Sie führt den Satz im selben Moment ad absurdum, in dem sie ihn demonstriert, und hinterfragt althergebrachte Kategorien für Arbeit, indem sie andere Qualitäten zum Zuge kommen lässt.

Wer mit der ersten Bilderdusche den Kreislauf in Schwung gebracht hat und seine Schritte in den zweiten Teil der Ausstellung lenkt, sieht sich in einen Sternennebel gehüllt. Sterne? Teller sind es, aufgerichtet, gedreht, fallend, klirrend, zu Gruppen zusammengefasst, riesig gross oder nur noch als Lichtpünktchen erkennbar. Ursula Palla erlaubt es dem Betrachter, sich in der ausgeklügelten, raumfüllenden Komposition zu versenken, sich dem Kosmos nahe zu fühlen.

Anita Zimmermann schliesslich hat Standbilder zu filmischen Collagen zusammengefügt. Sie  schwebt als Pusteblume übers Feld. Jogger wuseln Ameisen gleich durch den Wald und Finger stolpern über den Sportplatz. Verspielt und verträumt kommt diese letzte Arbeit daher und wird am besten gleich als Anlass für einen zweiten Rundgang genommen, denn langweilig wird es im Videobad nicht.

Kunst auf Reisen

Der St. Galler Beni Bischof und sein Künstlerkollege Hadrien Dussoix aus Genf sind in einer Doppelausstellung in der Galerie Paul Hafner zu sehen. Beide Künstler haben eigens dafür neue Rauminstallationen entwickelt.

Die Neuen Wilden: Wenn diese Kategorisierung nicht schon in den 1980er Jahren vergeben worden wäre, sie liesse sich gut auch auf Hadrien Dussoix und Beni Bischof anwenden. Beide proben sie in medialen Grenzüberschreitungen einmal mehr den Ausstieg aus dem Bild. Das ist zwar weder neu noch radikal, doch die beiden Künstler gehen erfrischend unbefangen ans Werk. Abstecher in die Populärkultur, gesellschaftliche oder sprachliche Tabubrüche und künstlerische Grenzüberschreitungen werden zu Installationen verknüpft, die komplexer sind, als es zunächst scheinen mag. Beide wurden sie eigens für die aktuelle Ausstellung in der Galerie Paul Hafner entwickelt und zeigen zwei eigenständige und ihrem unkonventionellen Umgang mit etablierten Gattungen doch verwandte Positionen.

Beni Bischof entwirft für sein Gemälde „Portrait of a Star“ eine sehr anschauliche Vergangenheit und Provenienz. Er präsentiert das fotografische und filmische Reisetagebuch inklusive enthusiastischer Kuratorenkommentare. Das Bild selbst, ein rot-pastoser Farbmorast in den ein schelmisches schwarzes Grinsen hineingegraben ist, ist weder Zentrum noch Anlass der Installation, sondern selbstverständlicher Teil einer Demontage des Kunstbetriebs. Bischof platziert sein Bild in prominenten Ausstellungen an der Seite Pollocks oder Motherwells, drückt es Muammar al-Gaddafi in die Hand und dem Dalai Lama in die Arme. Er lässt namhafte Kuratoren Grüsse aus Übersee übermitteln, die im selben Moment ad absurdum geführt werden, da sie mit dem Stift auf die Wand gekritzelt sind.

Die Kunst wird gefeiert, nur dass das Fest längst die Kunst abgehängt hat. Wo andere mit Furor und erhobenem Zeigefinger unterwegs sind, geht Bischof lustvoll daran Künstler- und Kunstmarktträume zu unterwandern. Sein Westschweizer Künstlerkollege Hadrien Dussoix setzt andere Akzente. Seine Installation inszeniert Gegensätze und Entsprechungen. Auf einer grossflächig mit roter Farbe bemalten Wand mit punktförmigen Auslassungen hängt ein schwarzfarbiges Gemälde im selben Punkteraster, aber am unteren Rand scheinbar unvollendet und mit vereinzelten roten farbspuren durchsetzt. Die tapetengleiche Regelmässigkeit wird zudem unterwandert durch Tropfspuren, die wiederum in den Spraybildern ihr Gegenstück finden. Dort sind sie jedoch nicht das schon klassisch gewordene Merkmal der Arbeit mit dem Pinsel, sondern verweisen auf die intensiv aufgetragene Sprühdosenfarbe. In diesen Bildern bleibt Dussoix linear und setzt somit Bezüge zu seinen typografischen Malereien mit Lack auf Acryl. Die Lineaturen formen sich zu Buchstaben, während sie in den Gemälden barocker und Renaissanceinnenräume der Wiedergabe der reichen Verzierung der Böden, Decken und Wände entspringen und sich in der Abstraktion von Grund und Motivation befreien.

Obwohl die Räume zentralperspektivisch dargestellt sind, löst sich die gebaute Struktur in einem All-Over-Effekt auf. Gleichzeitig lenken die zum reinen, nicht mehr architektonisch gebundenen Ornament verwandelten Schnörkel den Blick auf das Objekt „The End of the World“ in der Mitte des Ausstellungsraumes. Styroporverpackungen und Bauschaum wurden in Aluminiumguss umgesetzt. Der stumpfe Grauton harmonisiert die Ausgangsmaterialien und -formen. Nun muss man nicht so weit gehen, die Bauschaumverschlingungen als Verweise auf Laokoons Schlangen zu deuten, aber die Bezüge, die Dussoix zur Kunstgeschichte herstellt sind vielseitig und nicht zu übersehen. In dieser Eigenschaft treffen sich seine Werke einmal mehr mit jenen Beni Bischofs.

Abfall in Pop Art Manier

Der Goldacher Jonny Müller zeigt aktuelle Arbeiten im Rahmen von „kultur im Bahnhof“. Seine Werke thematisieren den sorglosen Umgang mit Abfall ebenso wie unbewältigte Lebenslagen – dies alles in Pop Art Manier.

Die Pop Art Künstler, allen voran Andy Warhol haben es vorgemacht: Sie haben Konsumartikel oder zumindest Abbilder davon, haben Schlagzeilen, Comics und vorgefundene Bilder allseits bekannter Persönlichkeiten in die Kunst überführt. Andy Warhol beispielsweise hat sich in unzähligen Varianten den Campbell‘s Suppendosen gewidmet. Doch selbst wenn sie mit zerfetztem Etikett daherkommen, thematisieren sie die Verfügbarkeit der Bilder und ihre Reproduzierbarkeit, nicht aber Konsumkritik des Künstlers. Dies ist bei Jonny Müller anders. Der Goldacher zeigt derzeit aktuelle Arbeiten in der Ausstellungsreihe „kultur im bahnhof“.

So manches in seinen Werken erinnert an die Pop Art der 1960er Jahre: die wiedererkennbaren Marken, die Präsenz der Motive, die bekannten Gesichter. Doch anderes ist durchaus eigenständig. Bereits bei der Suche der Sujets wird dies deutlich. Viele der gezeigten Bilder basieren auf Fotografien, die Müller selbst im vergangen Jahr im Sittertobel aufnahm. Am Montag nach dem St. Galler Open Air-Wochenende im vergangenen Jahr zog er mit der Kamera zwischen zurückgelassenen Zelten, zerlegten Campingstühlen und unzähligem Kleinabfall auf dem Gelände umher. Ein andermal ist er mit dem Fotoapparat im eigenen Quartier unterwegs, lichtet die bereit gestellten Güselsäcke ab und das umgekippte Verkehrsschild. Aus diesen Fotografien wählt Müller anschliessend einige geeignete Beispiele aus, bearbeitet sie am Computer und verwendet sie dann als Vorlagen für seine Gemälde. Geeignet heisst dabei, dass sowohl farbliche als auch kompositorische Prinzipien wichtig sind.

Während die genuinen Pop Art-Künstler oft leuchtende Farben verwendeten, setzt Müller auf stärker gebrochene Töne und ihre Dissonanzen. Miteinander kontrastierende Farbflächen stossen aneinander, überlagern sich, bilden Inseln. Ähnliche Farbtöne harmonieren nicht, sondern sorgen für Störungszonen. Immer behält Müller die ästhetischen Qualitäten seiner Motive im Blick. Grosse Aufmerksamkeit widmet er dem Gewirr von Zeltstangen, den Faltenwürfen der Zeltbahnen oder den zerknitterten A’s auf dem Abfallsack. Auch eine Getränkekarton offenbart plötzlich ganz neue Ansichten. Der in Alkoholwerbung verwandelte rote Bulle kehrt auf die Wiese zurück, doch das abgedruckte Etikett gleicht in der extremen Verkürzung eher einem Totenschädel als dass es Tringgenuss verheisst. Daneben steht auf einem Sockel die unversehrte Box. Müller präsentiert sich nicht nur als Maler, sondern zeigt in der Ausstellung auch Objekte.

Leere Dosen treffen sich: „Energy meets Calorie“. Sie verschränken sich, verkeilen sich, werden auf den Sockel gehoben, bemalt und bekommen mit einer Baumnuss eine extra Portion Energie. Müller hebt den Abfall auf, macht ihn zum Protagonisten eigenwilliger Paarungen. Dies alles vor dem Hintergrund seiner ganz eigenen Kritik an der sogenannten Wegwerfmentalität. Der Ausstellungstitel lässt es anklingen: Mit „From Exit to Exit“ benennt Müller die Suche nach Auswegen. Er erkennt einen Trend darin, dass ein jeder aus unliebsamen Lebenssituationen so schnell wie möglich heraus möchte, ohne sich der Situation stellen, ihr begegnen und antworten zu müssen. Statt dessen werden sie entsorgt wie leere, unbrauchbar gewordene Getränkedosen. Von der abfallverseuchten Umwelt zur unbewältigten Lebenslagen und wieder zurück: Unaufdringlich und doch sichtbar kritisch setzt sich Müller in seinen Werken mit aktuellen Fragen auseinander. Schön wäre es, wenn dies dazu führen würde, dass es nach dem nächsten Oben Air etwas weniger zu fotografieren gäbe. Jonny Müller wird sicherlich wieder vor Ort sein.

Vaduz: Bojan Šarčević

Künstler äussern Gesellschaftskritik gern mit provokanter Geste. Auch die Kunstgeschichte wird oft auf sehr herausfordernde Weise seziert. Beides zielt direkt auf den Rezipienten und dessen Aufmerksamkeitspotential. Doch auch subtile, zurückhaltende Töne gehen nicht zwangsläufig unter, wenn sie präzise ausgearbeitet sind und darüber hinaus Raum zum Denken lassen. Sie brauchen vielleicht etwas länger, um sich zu Bewusstsein zu bringen, bleiben dann aber nachhaltig dort verhaftet, wie die minimalen, aber eindrücklichen Setzungen Bojan Šarčevićs zeigen. Der 1974 geborene Künstler widmet sich in seinem Werk grundlegenden künstlerischen, sozialen und gesellschaftlichen Fragen, die durchaus als solche bestehen bleiben dürfen. Was hat es etwa mit jenem Spalier aus sechs übermannshohen Regalsystemen auf sich? Tablare aus poliertem Kupfer liegen in sechs Metallkonstruktionen und spiegeln das Raster ihrer Halterung. Sie bremsen die Schritte und leiten sie. Sie scheinen bereit, Gegenstände aufzunehmen und stehen in ihrem Purismus gleichzeitig für sich. Diese Spannung zwischen Ästhetik und Funktionsgedanken spielt Šarčević auch in seinen Plexiglaspavillons aus. Freistehend, skulptural sind sie architektonische Referenz, dienen als Raumteiler und als Halterung für die 16mm-Filmprojektoren, die erst nach dem Eintreten des Betrachters durch einen Bewegungssensor eingeschaltet werden. In drei kurzen Filmen werden farbige geknüllte Papiere, biomorph geformte Tonobjekte und eine Holzkonstruktion durch die Kamerafahrt und Musik zum Reigen erweckt – und lassen sich als ebenso sinnliche wie ephemere Anspielungen auf die klassische Moderne und ihre Nachfolger  lesen.

In der anschliessenden, vom Künstler kuratierten Präsentation aus der Sammlung des Kunstmuseum Liechtenstein, ist seine Arbeit „At present“ integriert. Ihr Auslöser war eine Aufschrift auf der Heckscheibe eines Autos in Berlin: „Palestine“ – ein Wort, dass seit Jahrzehnten unzählige Assoziationen, Emotionen und Reflektionen auslöst. Für Šarčević ist es Anlass, das Wesen unserer Gesellschaft zu untersuchen. Auch dies denkbar unaufgeregt und wirksam: Die Besucher der Ausstellung sind eingeladen, sich an der Museumskasse ein zum Werk gehörendes DIN A4-Blatt mitzunehmen. Zehn Fragen stehen darauf, von der ersten: „Leben wir in der konformistischsten Epoche der modernen Geschichte?“ bis zur letzten mehr als ein Innehalten wert.

Dölf Mettler malt keine modernen Maschinen

Wenn die Traktoren fehlen, wenn keine Hochspannungsmasten in den Himmel ragen, wenn Felder nicht von Strassen, sondern von Wegen begrenzt werden und das Kinderspielzeug nicht aus Kunststoff ist, wenn es weit und breit keinen Maschendrahtzaun gibt, dann sind wir entweder in einer anderen Zeit gelandet oder in einer anderen Welt. Jedenfalls nicht im gegenwärtigen Appenzell, oder doch?

Dölf Mettler lebt im hier und heute. Die Website des Appenzeller Künstlers ist auf dem aktuellsten Stand. Zugleich können online sowohl Postkarten seiner Bilder als auch Tonträger bestellt werden. Denn Mettler ist einerseits erfolgreicher Jodelliedkomponist, Sänger und Chordirigent und andererseits ist er Bauernmaler mit eigener Galerie in Appenzell. Seit Jahrzehnten lebt und arbeitet der gebürtige Toggenburger nun bereits in der innerrhodischen Kantonshauptstadt: Schon 1976 bezog er seine erstes Atelier in Appenzell und ab 1983 widmete er sich ganz der Musik und der Malerei. Aber warum Bauernmalerei, wo Mettler doch gar kein Bauer ist? Nach dem Abschluss der Schule arbeitete Mettler als Knecht in Waldstatt. In jener Zeit, als er zum ersten Mal aktiv beim Öberefahre und Chlause mit dabei war; erwachte seine grosse Leidenschaft für das Leben der Sennen, für ihre Arbeit und ihre Bräuche. Doch zunächst einmal ging Mettler einen anderen Weg, der aber bereits viel über seine Lust an der präzisen Arbeit, an Gestaltung und Bildkomposition aussagt. Er lernte in St. Gallen den Beruf des Textilzeichners. Bis heute sind seine Bilder geprägt von der sorgfältig gesetzten Linien und Konturen. Wer aber durch die Einzelausstellung des bald 78jährigen im ersten Stock des Museum Appenzell streift, dem fallen durchaus Entwicklungen in seinem Werk auf.

In den 70er Jahren dominierten noch schwarze Umrisse. Alle Figuren, ob Senn ob Rind, sind dunkel umrandet wie etwa im Gemälde „Petersalper Stobede“ von 1976. Erst einige Jahre später kommt Mettler zur weissen Kontur, wie sie beispielweise auch Johann Baptist Zeller (1877-1959) in seinen Bildern eingesetzt hat. Die Gemälde erhalten dadurch mehr Licht und Leichtigkeit.

Auch wenn es Parallelen zwischen dem Bauernmaler heute und so manchem in der Dauerausstellung präsentierten Klassiker der Bauernmalerei gibt, lehnt sich Mettler nicht an ein konkretes Vorbild an. Immer wieder geht er eigene Wege. Dies heisst nun freilich nicht, dass Mettler neue landwirtschaftliche Errungenschaften in seine Bilder einfliessen lässt. Im Text zur Ausstellung wird dies ganz unmissverständlich formuliert:

„Mettler malt die für ihn einmalig schöne und lebenswerte Welt. Er ist unter keinen Umständen bereit, irgendwelche Konzessionen an den ‚sennischen Ausdruck‘ zu machen. Die ‚Segnungen der Moderne‘ haben nichts in seinen Bildern zu suchen.“ Da ist ein Silo neben einem Bauernhaus schon eine Überraschung. Mettlers Bildneuerfindungen sind eher atmosphärischer Natur wie die Nachtbilder zeigen, etwa das „Silvesterchlausen bei Vollmond“ aus dem Jahre 2005 mit dem eindrücklichen Widerschein des Lichtes auf Scheunendach und Schneefeld. Besonders Augenmerk widmet Mettler nicht nur der Lichtführung, sondern auch der Farbigkeit. In den Winterbildern nutzt er die makellose weisse Fläche, um selbst zarte Farben zum Strahlen zu bringen. Eine hellgelbe Stallwand neben einem zart türkisfarbenem Haus sind gekonnt gesetzt inmitten einer verschneiten Landschaft. Diese wiederum orientiert sich an der Topographie Appenzells. Mittel- und Vordergrund hingegen sind oft frei erfundene Basis für die klassischen Sujets aus der Tradition der Appenzeller Senntumsmalerei. Doch neben Alpauf- und -abfahrten fällt immer wieder Mettlers Freude an den kleinen unscheinbaren Szenen des bäuerlichen Lebens in den verschiedenen Jahreszeiten ins Auge, die Gasthausbesuche, das Vieh an der Tränke oder vor dem Stall und schliesslich in der Stube. Dort darf dann sogar einmal ein Kleinkind auf dem Topf sitzen und für motivische Auflockerung sorgen.

Dölf Mettlers Werke verschränken thematisch sich eng und schlüssig mit der Dauerausstellung im Museum Appenzell. Ein bisschen mehr Vermischung und der eine oder andere Blick auf Zeitgenössisches wäre aber ebenfalls nicht fehl am Platze gewesen.

Ein Fenster im Fenster

Ein Fenster ist für den Ausblick da, ein Schaufenster für den Einblick oder Anblick. Umgekehrt ginge es meist auch, wären da nicht Gardinen, Stellwände, Vorhänge, Verspiegelungen. Doch gerade diese Sichtblockaden machen neugierig, lassen sie Phantasie spriessen oder werfen den Betrachter auf sich selbst zurück. Loredana Sperini spielt mit diesen Richtungs- und Blickwechseln – auch mit ihrer Arbeit „dietro la finestra“ für den Schaukasten Herisau: Wer in das Fenster sieht, schaut auf ein Fenster. Dunkel wirkt es, jedoch nicht undurchdringlich, schön und geheimnisvoll. Mehrfarbiges Licht strahlt das Fenster an und leuchtet durch es hindurch, lässt die Farben und Formen aufscheinen. Das Schaufenster eröffnet eine unbestimmte Ferne, zeigt eine Landschaft ohne Bilder, unendliche Tiefe auf kleinstem Raum. Subtil weitet Loredana Sperini die physische Präsenz des Kastens aus. Spiegel und Finsternis entführen in die Unendlichkeit, das Licht überwindet die gläsernen Begrenzungen, lässt innen und aussen verschmelzen.

Einmal mehr überzeugt die Künstlerin mit einem Werk, für das sie sich auf neue Pfade begibt. Seit einigen Jahren sammelt die Künstlerin alte Fenster. Für Herisau hat sie zwei davon in farbiges Wachs gegossen – in eigener Arbeit. Sie giesst, probiert, giesst nochmals, und als das Wachs in der Wärme des Kastens schmolz, fertigte sie den nächsten Versuch in wasserbasierten Acrylharz; eine Technik die sie zum ersten Mal verwendete und gleich in Perfektion.