Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Absichten und Zufälle

Nicole Böniger zeigt in der Galerie Paul Hafner aktuelle Werke. Ob leuchtend farbige Gemälde oder schwarz-weisse Serien: Die Malerei der in St. Gallen geborenen Künstlerin ist vielfältig auf hohem Niveau

Delikate Oberflächen, ungewöhnliche Farben, präzise Setzungen – Nicole Bönigers Malerei ist vielfältig auf hohem Niveau. Eines der besonderen Merkmale ihrer Bilder ist das Zusammenspiel von Zufall und Berechnung oder wie es die in St. Gallen geborene Zürcher Künstlerin formuliert: «Ist etwas, das man immer wieder macht, noch Zufall?»

Ein konkretes Beispiel für diese Überlegung sind die Oberflächenverletzungen, entstanden durch aufgeklebte und wieder abgezogene Klebebänder. Diese sind nicht nur Hilfen für eine exakte Kontur, sondern indem beim Abziehen stückchenweise Farbe mit abgetragen wird, bringen sie ein eigenes nicht in allen Einzelheiten kalkulierbares Gestaltungselement mit ins Bild. Oder die gesprayten und getropften Bildelemente: Die nicht genau begrenzten, zufallsbedingten Flächen stehen in deutlichem Kontrast zu akkuraten Streifen oder einem markanten, schwarzen Punkt. Zusätzlich bringen sie einen Zeitaspekt ins Bild, wirken sie doch gerade aufgrund des Gegensatzes zu den statischen Streifen wie im Fluge eingefroren.

Noch deutlicher wird das Temporale in den Serien und den Schichtungen. Letztere verbergen sich mehr oder weniger offensichtlich in jedem Bild. Böniger setzt zahlreiche Farbebenen übereinander. Dadurch, dass sie mit vollständig deckenden Lacken arbeitet, bricht nicht die Farbigkeit früherer Schichten durch, sondern das Farbmaterial selbst bleibt anhand feiner, erhabener Linien sichtbar. Hier zeigt sie sich wieder, die in der englischen Sprache so gut zu unterscheidende Dualität von Colour und Paint, von Farbton und Materie.

Wieder und wieder werden die Bilder übermalt, werden neue Schichten aufgetragen, die teils über, teils neben den älteren stehen. Auf diese Weise ergibt sich eine hohe Dichte und Tiefe, selbst dann, wenn das eigentliche Bildzentrum eine gleichmässig farbige Fläche ohne weitere Kompositionselemente bleibt. Oft sorgt Böniger mit einer farblichen Rahmung des monochromen Feldes für einen Fenstereffekt und öffnet so einen Raum.

Zwar fallen naturgemäss Bönigers leuchtend farbige Gemälde oder jene mit silbrig glänzenden Elementen schneller ins Auge, doch auch die schwarz-weissen Serien verdienen Beachtung. Ihr Aufbau ist denkbar einfach: Innerhalb eines homogenen Feldes ist eine immer gleiche Anzahl kleiner Quadrate unterschiedlich angeordnet.

Böniger vermeidet in diesem Zusammenhang bewusst den Begriff «Komposition», denn auch hier ist der Zufall tonangebend, oder vielmehr die Intuition. Die Künstlerin spielt mit den Quadraten, als seien es die Balken und der Ball aus Pong, dem Videospielklassiker, der ebenfalls mit einer sehr überschaubaren Anzahl von weissen Elementen vor schwarzen Grund auskam.

Auch in den in der Galerie Paul Hafner ausgestellten Serien kommt dem zeitlichen Aspekt eine Rolle zu, scheinen die Punkte-Positionen doch einem Ablauf zu folgen. Nicole Bönigers Gemälde scheinen das Vokabular der Malerei durchzuexerzieren: Rahmen, Struktur, Ornament, Zufall, Oberfläche, Reflexionen, Raum, Schichtungen und mehr. Doch nie geht ihnen dabei die sinnliche Qualität verloren. Jedes Bild verführt auf seine Weise den Betrachter. Es lohnt sich, immer wieder und nochmals genauer hinzuschauen.

Eine Laterne für St. Otmar

Katalin Deér gestaltet im Rahmen eines Kunst-am-Bau-Wettbewerbes den Eingangsbereich der Otmar-Kirche neu. Ab Ostern wird er sprichwörtlich neu erstrahlen.

Kirche und Gegenwartskunst – diese Verbindung erscheint kaum mehr selbstverständlich. Dabei war die Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Herren und zeitgenössischen Künsten jahrhundertelang etabliert. Künstler wurden beim Bau und der Ausgestaltung der Kirchengebäude ganz selbstverständlich hinzugezogen oder waren sogar in wesentlichen Teilen verantwortlich für beides.

In St. Gallen weiss man um diese Tradition und ihre fruchtbaren Ergebnisse. So lag es für die Katholische Kirchgemeinde St. Gallen nahe, im Rahmen der derzeit erfolgenden Renovation von St. Otmar nahe der Kreuzbleiche einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Portals auszuschreiben. Die Fassade, das Dach, der Turm und das unmittelbar die Kirche umgebende Gelände werden seit 2007 einer umfassenden Sanierung unterzogen.

Mitte des vergangenen Jahres entschied man sich dann, auch dem dreiseitigen westlichen Eingangsraum ein neues Gesicht zu geben. Fünf Künstlerinnen wurden zum Wettbewerb eingeladen. Den überzeugendsten Entwurf lieferte die 1965 in den Vereinigten Staaten geborene St. Galler Künstlerin Katalin Deér. Längst ist sie auch hierzulande keine Unbekannte mehr. Sie arbeitete als erste Künstlerin längere Zeit im Gastatelier der Kunstgiesserei, stellte in Katharinen und im exex aus und fotografierte für die vielbeachtete Monographie über Hans Josephson.

Katalin Deérs künstlerisches Interesse gilt sowohl in ihren Fotografien als auch in ihren raumbezogenen Arbeiten den vorhandenen Strukturen in der dreidimensionalen Wirklichkeit. Sie zeigt ein besonderes Gespür für die Gestaltung des öffentlichen Raumes, für Architektur und dafür, wie sich Zeit und Nutzung ins Aussehen von Gebäuden einschreiben. Dies lässt sich sehr gut an Katalin Deérs Entwurf für die im vergangenen Jahr 100jährige Kirche St. Otmar ablesen. Ursprünglich wünschte man sich seitens des Auftraggebers, dass die bestehende Verglasung beseitigt und etwas Neues geschaffen würde. Diese Verglasung aus den 1960er-Jahren gehört für die Künstlerin jedoch zur Geschichte der Kirche und besitzt, wie sich nun zeigt, durchaus eine Qualität, die zu bewahren lohnt: Deér lässt die ehemaligen Querstreben der Aluminiumrahmen entfernen, so dass statt der früheren Gitterstruktur die Vertikalität dominiert und eine gelungene Verbindung zur schlanken, aufstrebenden Silhouette der Kirche entsteht. Daneben darf sich die Künstlerin mit dem Erhalt der alten Verglasung sogar Nachhaltigkeit in ökologischem Sinne anrechnen lassen, ist doch die Herstellung von Aluminium ein äusserst energieaufwendiger Prozess.

Nur die früheren Alu-Türgriffe werden ersetzt durch solche aus Glas. Doch auch hier wird Bestehendes bewahrt: Die Künstlerin entdeckte bei ihrem Besuch in einer Glaserei alte Gussglasstücke. In zwölf aufeinander abgestimmten Farben zieren sie die drei Doppeltüren innen und aussen und sorgen bei geeignetem Lichteinfall für bunte Reflexionen im Inneren des Vorraums. Dieser Innenraum wird ebenfalls ein neues Gesicht erhalten, denn Deér lässt zum einen die Schmutzteppiche im wörtlichen Sinne wegweisend verlegen und zum anderen eine grosse weisse Lichtkugel erstrahlen. Synchron zur Strassenbeleuchtung wird sie in den Abendstunden eingeschaltet und die Nacht über den Wind- in einen Blickfang verwandeln. Kirchenbesucher und Quartierbewohner dürfen sich zukünftig also an einer grossen, sanft leuchtenden Laterne am Fusse des Kirchturmes erwärmen. Gemäss Katalin Deérs Credo «Kunst ist nicht der Gegenstand, sondern der Umgang mit den Dingen», hat sie auf subtile Weise einen neuen Identifikationsort geschaffen.

Vaduz : Matti Braun

Kola, Urfa, Fukuoka, Bali, Ahmedabad – hinter jeder Arbeit Matti Brauns steht ein spezifischer Ort und seine Verbindungen zu anderen Orten und Ländern der Welt. Was bisher nur in Einzelausschnitten zu sehen war, zeigt das Kunstmuseum Liechtenstein nun erstmals in einer gross angelegten Zusammenschau.

Netz, Geflecht, Rhizom sind häufig verwendete Begriffe, gilt es, das Werk Matti Brauns zu charakterisieren. Und tatsächlich ist es immer wieder verblüffend, welche Verknüpfungen zwischen verschiedenen Kulturen der Künstler ausgräbt und visualisiert. Er taucht an einem Ort tief in die Geschichte, die Gesellschaft und das Wirken ihrer Protagonisten ein und findet von da aus Wege mit unzähligen Verzweigungen, von denen jede einzelne eine Entdeckung ist. «Lota» zum Beispiel: Der Titel der Arbeit verweist auf ein kleines Alltagsgefäss in Südasien, dessen Ästhetik auch Charles und Ray Eames nicht verborgen blieb. In der Folge ihres Indienbesuches wurde dort die erste Designhochschule Asiens gegründet, auf Initiative einer Industriellenfamilie, bei der wiederum Geistesgrössen wie Rabindranath Tagore oder Jawaharlal Nehru zu Gast waren und aus der Vikram Sarabhai, Vater des indischen Raumfahrtprogramms, stammt. Schon steckt der Betrachter zweier wandfüllender, geometrisch bemalter Stoffe und einer Sichtbetonskulptur inmitten eines vielfältigen Bezugssystems.
Matti Braun benötigt keine grossen Worte oder Gesten, um Gedanken und Erzählungen anzuregen, lieber lässt er die wenigen Dinge, die er auswählt, selbst sprechen. Mal sind es kleine Irritationen, die den Prozess anregen, mal ist es die Anordnung der Objekte oder ihre Wiederholung. Dies funktioniert zum einen, weil Brauns Setzungen äusserst präzise und oft geradezu sparsam angelegt sind, und zum anderen, weil sie auf subtile Weise poetisch wirken. Etwa jener stille, kleine Raum mit einem Messingfussboden, der einen mit einem warmen, goldenen Schein umfängt und sanft dem Alltag enthebt. Die Schmetterlingspräparate und Batiken an den Wänden tragen das ihre dazu bei und verweisen zugleich auf kolonialistische Aneignungen. Dass der Titel der Arbeit, «Atol», rückwärts gelesen Lota ergibt, ist bei Matti Braun wohl kaum Zufall, denn die Arbeiten, denen jeweils ein eigener Raum zugedacht ist, greifen oft auch inhaltlich ineinander über. Wem dies alles an Vernetzungen und Verflechtungen noch nicht genügt, der findet bei seinem Rundgang selbst weitere Bezüge, wenn er die gezeigten Werke aus der Sammlung des Kunstmuseum Liechtenstein in seine Betrachtungen einbezieht. Die Präsentation in einem eigenen Saal integriert sich mühelos in die Ausstellung, was umso weniger verwundert, als sie von Matti Braun selbst mitgestaltet wurde.

Der Raster der Grossstadt

Stephen Westfall zeigt neue Werke mit Zeichencharakter in der St. Galler Galerie Wilma Lock.

Luftpostbriefe sind selten geworden. Doch wenn wieder einmal einer ins Haus flattert, fällt er auf. Grund dafür ist nicht zuletzt der Briefumschlag selbst mit dem Rand aus abgeschrägten Balken, rot-weiss blau-weiss alternierend. Er verschafft der eiligen Sendung die nötige Aufmerksamkeit.

Solch markante Gestaltungen in unserem Alltag haben es Stephen Westfall angetan. Der New Yorker Künstler verarbeitet in seinen jüngsten Gemälden Designs seiner grossstädtischen Lebensumwelt – Dinge, die uns sagen wollen: Dort ist etwas eilig. Hier ist etwas gefährlich. Da ist etwas verboten. Oder auch nur: Hier schmeckt es besonders gut. Das fängt an beim Briefumschlag, reicht über Absperrschranken bis hin zu den farbenfrohen Streifen auf des Eiswagens Sonnenschirm.

Westfalls Bilder sind dennoch anders als die gängigen Warn- und Hinweiszeichen, denn er schöpft gleichzeitig aus den Arsenalen der Kunstgeschichte. Mondrians Neoplastizismus, die Abstraktionen von Matisse oder auch die ornamentreichen Gemälde eines Gustav Klimt klingen an oder werden ganz bewusst zitiert. Auch die grossen Amerikaner wie Ellsworth Kelly oder Louis Morris sind wichtige Bezugspunkte.

Westfall führt minimalistische Form, strenge Geometrie und subtile Farbgebung zusammen. Was im urbanen Kontext noch in Neon- oder Primärfarben daherkam, wird zu einem sonoren Farbklang verwandelt, der Anleihen eher bei der klassischen Malerei macht als bei der Werbung.

Hinzu kommt eine äusserst präzise Arbeitsweise, die dennoch nie die Machart leugnet. Der Farbauftrag mit dem Pinsel bleibt sichtbar. Zudem leben die Werke von kleinen, aber wirksamen Verschiebungen. Besonders offensichtlich wird dies in den Gemälden mit einem rechteckigen All-Over-Raster. Durch sparsame Abweichungen scheinen die Rechtecke nach vorn und hinten zu schwingen, erhält das Bild räumliche Tiefe und Dynamik.

Und immer auch ist die Stadt selbst und ihr Raster präsent, ihre Architektur, die Vertikalen, die Häuserschluchten. Das Motto der Ausstellung bringt es treffend zusammen: «New Y(W)ork». Überhaupt verleiht Westfall mit seinen Titeln den Werken oft eine zusätzliche Wahrnehmungsebene. Ob «Candyman», «Vanishing Point» oder «Byzantium» – sofort gehen die Gedanken auf die Reise.

Der Betrachter als Wanderer

Paul Hafner zeigt in seiner Galerie Alpstein-Gemälde von Rik Beemsterboer. Die Ausstellung bildet den Auftakt zur neuen Reihe «Short Cuts», deren Präsentationen jeweils nur einen Monat dauern.

Wolkentürme oder lichtes Blau, Gewitterstimmung oder weisse Wölkchen: Der Himmel ist vielseitig in der holländischen Landschaftsmalerei – und er hat Platz. Weit spannt er sich über die Szenerie und die niedrige Horizontlinie. Dazu stehen die Gebirgssujets der südlicher arbeitenden Malerkollegen meist in deutlichstem Kontrast. Der Himmel ist hier an den oberen Bildrand gedrängt. Der eigentliche Akteur ist das mächtige Steinmassiv.

Doch was passiert, wenn ein Holländer die Berge malt? Dies lässt sich in der Ausstellung in der Galerie Paul Hafner aufs beste beobachten. Sie zeigt Alpstein-Gemälde von Rik Beemsterboer. Vor knapp zehn Jahren kam der Holländer nach St. Gallen und hat die hiesige Landschaft für sich entdeckt. Bereits vor wenigen Jahren waren zwei Thurgauer Landschaftsbilder in einer Gruppenausstellung in der Galerie zu sehen; im vergangenen Jahr hat sich der Künstler nun in die Höhe des Alpsteins begeben. Jedoch nicht mit Staffelei und Farbe, sondern mit der Kamera: Beemsterboer fotografiert und setzt die Fotografien in Malerei um. Dabei versucht er jedoch nicht, die Spuren der Fotografie zu tilgen, sondern setzt sich vielmehr bewusst mit der möglichen Verbindung der zwei Medien auseinander.

Am augenfälligsten wird dies in der horizontalen Verwischung der Pinselspuren, die eine Unschärfe ins Bild bringen, als habe die Kamera falsch fokussiert. Dies führt dazu, dass sich das gesamte Sujet je besser wahrnehmen lässt, desto weiter entfernt der Betrachter steht, ähnlich der Fernsicht in den Bergen. Kommt er jedoch näher, ist es wieder die Malerei, die die Oberhand gewinnt, denn erst hier zeigt sich der Duktus, die lebhaft gesetzten Details wie Gräser oder Steinchen. In diesem Kontrast von Nähe und Ferne, von malerischen Details und fotografischer Anmutung, verbirgt sich die grundsätzliche Frage, welchen Stellenwert Landschaftsmalerei heutzutage einnimmt, welche Berechtigung sie in einer Zeit hat, in der jedes Motiv für jedermann per Fotoapparat verfügbar ist.

Eine eindeutige Antwort gibt Beemsterboer nicht, doch er stellt sich bewusst in eine lange kunsthistorische Tradition. Dies zeigt sich nicht zuletzt in seiner sorgfältigen Behandlung des Himmels. Von Caspar David Friedrichs Frau Christiane Caroline ist der Ausspruch überliefert: «Den Tag, wo er Luft malt, da darf man nicht mit ihm reden.» Und vielleicht ist dies bei Beemsterboer ähnlich. Das Ergebnis jedenfalls überzeugt, ganz gleich ob dichte Nebelschwaden das Rheintal bedecken oder über Stauberen sich zarte Kondensstreifen durchs Himmelblau ziehen. Ein andermal sind die Wolken überall und der Betrachter, der sich sofort wie ein Wanderer fühlt, mittendrin.

Caspar David Friedrich versetzte den Betrachter mit Hilfe einer zentral gesetzten Rückenfigur hinein ins Bild. Beemsterboer wählt Perspektive und Standpunkt so, dass ein ähnlicher Effekt eintritt. Der Mensch selber taucht nicht auf in den Bildern, grosse Stille liegt über der Szenerie. Nur dort, wo die Meglisalp sichtbar wird und am Rande eine Viehbarriere, zeigt sich, dass der Alpstein längst erschlossen und erobert ist. Und allzu lange wird es hoffentlich nicht mehr dauern, bis man selbst sich wieder auf den Weg machen kann, zu den Alpen und Hütten, Wegen und Steigen. Beemsterboers Gemälde wecken jedenfalls die Lust darauf.

Ästhetik statt Attacke

Der Mann mit den Schnitten in der Leinwand: Das Museum Liner in Appenzell zeigt «Zeichen und Zeichnung» von Lucio Fontana in einer durch das Museo d’arte Mendrisio kuratierten Ausstellung.

Hieb, Stich, Schnitt – Lucio Fontanas ungewöhnliche wie innovative Art, die Leinwand zu bearbeiten, hat den Künstler berühmt gemacht. Seine «Concetti Spaziali» gelangten seit den 1960er-Jahren in zahlreiche wichtige Museen und Sammlungen weltweit. Doch zu diesem Zeitpunkt ist der 1899 geborene Künstler bereits über 60 Jahre alt. Was also passierte zuvor? Wie hat sich das Werk entwickelt? Auf welchen theoretischen und ästhetischen Grundlagen steht es?

Diesen Fragen lässt sich derzeit im Museum Liner in Appenzell nachgehen. Die Ausstellung «Lucio Fontana 1946–1960. Zeichen und Zeichnung» widmet sich einem fest umrissenen Zeitraum: 1946 erklärt Fontana im «Manifesto Bianco» den völligen Neubeginn der Kunstformen, und 1960 hat er mit den Leinwandschnitten den deutlichsten Ausdruck seiner Absichten gefunden. Dazwischen liegen Untersuchungen in verschiedensten Medien und auf diversen Formstufen, die alle ein Ziel haben: der Kunst den Raum zurückzugeben, und zwar nicht einfach dreidimensional, sondern durchaus kosmologisch gedacht.

Es ist weder Zufall noch zu übersehen, dass Fontana dabei immer auch den Barock und seine grossartigen Raumprogramme im Kopf hat. Besonders augenscheinlich wird dies in einer Installation, die unter Verwendung der Originalelemente von 1949 extra für das Museum Liner realisiert wurde, das «Ambiente spaziale a luce e nera»: In einem vollständig abgedunkelten Raum schweben mit fluoreszierenden Farben bemalte und mit Schwarzlicht angeleuchtete, riesige Pappmaché-Teile über Kopfhöhe. Der Betrachter wird entführt in einen Kosmos, der zugleich fremdartig und verspielt wirkt. Es existierten nur noch eine Zeichnung und eine Fotografie zu diesem Werk. Seine Umsetzung ist eines von vielen Beispielen für das Engagement und die Sorgfalt, mit denen diese Ausstellung erarbeitet wurde.

Immer wieder wurde Fontanas Behandlung der Leinwand als Angriff gelesen, als Demontage und Verletzung, doch die Ausstellung zeigt: Es geht nicht darum zu zerstören, sondern zu öffnen, zu erweitern, nicht um Negation, sondern um positive Energie.

Wenn etwa Leinwände beidseitig perforiert werden, ergeben die herausstehenden Stoffränder neue grafische Effekte. Oder wenn ein tiefblaues, mit Löchern übersätes «Concetto» von hinten angeleuchtet wird, sieht man plötzlich den Sternenhimmel funkeln: Das ist Ästhetik statt Attacke.

Mit diesem späten Werk (1968 stirbt Fontana) schliesst sich der Ausstellungsparcours. Zurück im ersten Raum fasst die dreiteilige «Chronologische Skizze der Werkentwicklung» alles Gesehene zusammen. Fontana liefert darin eine Art Grammatik seines Schaffens, hält die wichtigsten Schritte fest – das Schlüsselwerk der Ausstellung.

Ein Schlüsselwerk gibt es in der gleichzeitigen Ausstellung in der Kunsthalle Ziegelhütte nicht, denn hier stehen die «Sammlungsschätze» im Blickfeld.

Mit der Schenkung von über 1000 Liner-Werken kam 1998 auch ein grosszügiges Legat an Kunstwerken der klassischen Moderne und der Gegenwartskunst ins Haus, darunter Preziosen wie ein frühes Gemälde von Piet Mondrian oder Liebhaberstücke wie ein Stickbild Alighiero Boettis. Ernst Ludwig Kirchners Gemälde eines Schwingfestes gesellt sich zu einer Plastik von Hans Arp. Daneben gibt es Werke jüngerer Generationen, etwa ein Relief Beat Zoderers, ein Triptychon des Thuner Künstlers Dominik Stauch oder Objekte von Susanne Windelen, sowie internationale Klassiker der 1960er- und 1970er-Jahre.

Eine vielseitige Mischung also, die zeigt: Es muss nicht immer die korrekte Chronologie oder das stringente Thema sein, manchmal eröffnen gerade Seitenblicke spannende neue Perspektiven.

Kundenwünsche? Kein Kunststück!

Manuela Schwenkreich zeigt unter dem Titel «Die Kunst des Auftrags – Auftragskunst» in der Galerie Macelleria d’arte ihre Bilder. Es gibt Erprobtes und – zur Finissage – auch Neues zu sehen.

Es ist die letzte Ausstellung der Macelleria d’arte an der Bankgasse und zugleich eine aussergewöhnliche, denn eigentlich stellt Manuela Schwenkreich kaum in Galerien aus. Ihre Klientel – oder ihre Kunden, wie die 1968 geborene Österreicherin selbst sagt – findet sie nämlich woanders: Auf der Immobilienmesse, im Romantikhotel oder im Fashion Pavillon. Und die Kunden sind es schliesslich, für die Schwenkreich arbeitet.

Dies verhehlt auch der Ausstellungstitel nicht: «Die Kunst des Auftrags – oder Auftragskunst». So ist es etwa möglich bei ihr ein Stück zu bestellen, passend zum Sofa, zur verfügbaren Wandfläche oder zum Wohnzimmerambiente. Und nicht zuletzt zum eigenen Lebensentwurf oder Charakter, denn Schwenkreich möchte mit den zukünftigen Käufern ihrer Bilder in Kontakt treten, den Menschen in seinen Räumlichkeiten kennenlernen, auf seine Individualität eingehen. Geliefert wird dann ein Tafelbild in gewünschtem Format und passender Farbe, teilweise mit gegenständlichen Bezügen, mal mit Wortfragmenten oder Gedichtzeilen. Für den Valentinstag gab es beispielsweise eine «Extraproduktion» Herzen, zwar ohne vorherigen Kundenwunsch, aber kurz vor dem Tag der Liebenden sicherlich dennoch kein Laden- oder besser: Atelierhüter.

Der Grundcharakter der ausgestellten Bilder lässt sich als Mischung aus Action Painting und Informel beschreiben, gewürzt mit Goldfarben oder Naturfragmenten, übersetzt in Harmlosigkeit und ausgetüftelte Farbklänge. Dick ist das Malmaterial aufgetragen, Schicht folgt auf Schicht, bis die Bilder Tiefe suggerieren und beinahe reliefhaft wirken.

Zu guter Letzt folgt eine Lage Kunstharz; das bringt die Bilder zum Glänzen, verleiht ihnen Brillanz und das gewisse Etwas. Zugleich ergibt das Finish einen wirkungsvollen Kontrast zu den eingearbeiteten Gräsern und zur darunterliegenden, lebendigen, sich faltenden, ballenden und wieder glättenden Oberfläche, zu den Rissen in den Schlagmetallflicken, zu den feinen Lineaturen.

Manuela Schwenkreich hat ihre Technik perfektioniert, die Ästhetik ihrer Bilder dem Geschmack der Kunden angepasst und versucht weiterhin, offen zu bleiben für deren Wünsche und Anregungen, die sich in einem gut kalkulierbaren Rahmen bewegen. Wo ist nun aber die Salzburgerin selbst in ihrem Werk zu finden? Wo ist das Experiment, die Lust am Neuen? Sie lässt sich an einer vor etwa einem Jahr neu entwickelten Werkreihe entdecken, den Kunstharzbildern. Schwenkreich färbt Kunstharz ein und setzt es in runden, ovalen oder langgestreckten Formen übereinander. Die Flächen durchdringen und überlappen sich und erzeugen auch hier eine Tiefenwirkung.

Die Bilder sind dekorativ und dennoch nicht langweilig. Sie sind bunt und dynamisch, aber nur kurz zu sehen: Am letzten Tag der Ausstellung, zur Finissage, werden sie eigens aufgehängt. Eine Gelegenheit also, Schwenkreich abseits ihrer erprobten Wege zu entdecken, und gleichzeitig ein letztes Mal die Macelleria an ihrem derzeitigen Ort zu besuchen, bevor Francesco Bonanno wieder einmal in St. Gallen weiterzieht.

Laokoons Schlange

Die aktuelle Ausstellung in Katharinen zeigt neue Arbeiten des St. Galler Künstlers Bernard Tagwerker. Dicht verschlungene Kunststoffobjekte sind das Produkt einer neuen computergesteuerten Verfahrensweise.

Der erste Eindruck täuscht. Gebrochenes, aber makelloses Weiss, leicht kristallinwirkende Oberflächen, sanfter Schimmer. Und doch bearbeitet Bernard Tagwerker keinen Marmor. Der St. Galler Künstler zeigt in Katharinen aktuelle Arbeiten – aus Kunststoff. Neben der Materialästhetik gibt es einen weiteren Grund, warum dem Betrachter spontan der seit der Antike beliebte Bildhauerstein in den Sinn kommt: Es ist die Erinnerung an die Kunstgeschichte selbst, die einem hier Streiche spielt.

Dort, das könnte doch Laokoons Schlange en miniature sein, nachdem sie den Priester und seine Söhne erwürgte. Jene Verschlingung wirkt wie die Weiterführung von Max Bills Endlosschleife – wären da nicht plötzlich Endstücke zu sehen. Dann wiederum fühlt man sich an die Raumschleifen Georges Vantongerloos erinnert. Plötzlich wird es profan, der Betrachter scheint eine Handvoll Spaghetti vor sich zu haben. Doch all diese Wege führen in die Irre, denn Bernard Tagwerker geht mit seinen Objekten völlig neue Wege.

Seit zwanzig Jahren ist der Künstler einem neuen Verfahren der computergesteuerten Kunststoffverarbeitung auf der Spur. Wem Stichworte wie «Bézier-Spine», «Rapid-Prototyping» und «Laser-Sintering» wenig sagen, dem erklärt Tagwerker sehr anschaulich den Herstellungsprozess, angefangen von der Entwicklung eines dreidimensionalen Computerbildes über die rechnerische Umsetzung in ein Modell bis hin zum Laborbetrieb, wo das Objekt mittels Laser aus mikrometerfeinen Kunststoffschichten aufgebaut wird. Seit langem schon zeigt sich der Künstler immer wieder interessiert an innovativen Techniken und neuen Materialien.

Im Laser-Sintering hat Tagwerker ein Verfahren gefunden, das sowohl seiner Faszination am Zufall wie auch seinen ästhetischen Ansprüchen genügt. Der Künstler legt als Auslöser des Prozesses die Rahmenbedingungen fest, dann ist weiteres Eingreifen nicht mehr nötig, denn den Rest erledigt der Computer. Spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts begeistert die natürliche Ästhetik des Zufalls die Künstler. Auch dem Reiz der Tagwerker’schen Objekte kann man sich nicht entziehen. Mal ist das Gewirr aus Kunststoffbahnen so dicht, dass keine Durchblicke möglich sind. Dann wieder legen sich nur wenige Bänder lose umeinander oder fahren weit in den Raum hinein. So oder so lohnt es sich, die Objekte aus wechselnden Perspektiven, ja sogar aus der Bewegung heraus zu betrachten.

Schattenspiele, Ein- und Ausblicke gibt es schier unendliche. Aus Augenhöhe, vor der gegenüberliegenden Wand gesehen, beginnen die Verschlingungen beinahe zu leuchten. Mal scheinen sie geradezu über dem Untergrund zu schweben, wirken fragil und zart, mal lasten sie schwer und fest auf dem Tisch. Auch dieser lohnt einen aufmerksamen Blick. Tagwerker begegnet der besonderen Herausforderung, die der Saal in Katharinen für jeden dort ausstellenden Künstler bedeutet, mit einer sehr reduzierten und doch gerade deshalb besonders gelungenen Präsentationsform. Ein mehrteiliger, langgestreckter Tisch besetzt den Raum mittig. Er ist helllackiert und wieder angeschliffen. So schafft Tagwerker eine unregelmässig gefärbte und trotzdem glatte, reflektierende Basis. Sie steht im lebendigen Kontrast zu den Schleifen und bringt deren Dynamik wie auch ihre makellose Oberfläche zu besonderer Geltung.

Im Spiel der Quadrate

Die Ausstellung «Konstruktive Malerei» des in Holland geborenen St. Gallers Evert Ouwerkerk ist noch bis Ende Januar in der Galerie der Klubschule im Bahnhof zu sehen. Perfekte Monochromie, von Hand gemalt.

Evert Ouwerkerks Kompositionen sind reine Form. Sie erzählen keine Geschichten, sie verweisen nicht auf Gegenständliches, sie abstrahieren nichts aus der realen Welt – sie sind selbst reine Realität. Sie sind die Verbindung von Linie und Fläche, von Farbe und Bildgrund.

Jedes Werk basiert auf einem streng horizontal und vertikal ausgerichteten Raster. Dieser Raster kann sowohl durch ein graues Liniennetz gebildet sein wie auch durch die weiss belassenen Zwischenräume eng zueinander geordneter Flächen.

Diese Flächen wiederum strahlen in den vielfältigsten, oft sogar leuchtenden Farben. Selten jedoch taucht mehr als eine Primärfarbe in einem Bild auf. Auch Komplementärkontraste sind rar, stattdessen leben viele der Werke von Varianten ein und desselben Farbtons. Und dann ist da noch das Weiss: Wie ein Passepartout umgibt es jede der farbigen quadratischen Grundformen. Da sich die graue Lineatur, die das jeweilige Quadrat in verschiedenste Felder unterteilt auf dem weissen Rand fortsetzt, reicht jedes der Werke in die Unendlichkeit hinein, jede Linie lässt sich über den Rahmen, über das Blatt hinaus weiterdenken.

Ouwerkerk arbeitet in ganz unterschiedlichen Formaten. Sie sind mal nur wenig grösser als ein CD-Cover, mal beinahe mannshoch. Doch ganz gleich ob auf 25 cm Kantenlänge oder auf anderthalb Metern: Immer besticht die grosse Präzision, mit der die Bilder gearbeitet sind. Die Farbflächen strahlen die perfekte Monochromie aus, und doch sind sie von Hand, mit dem Pinsel gemalt. Ebenso die schnurgeraden Linien. Hier kommt Ouwerkerk seine eigentliche Profession zugute: Der 1937 in Holland geborene St. Galler ist Gestalter, Grafiker.

Diese Disziplin, die Konzentration auf die Form mag hier ihren Ursprung haben, und Evert Ouwerkerk selbst lehnt es in Verbindung mit seinen freien Arbeiten ab, als Künstler bezeichnet zu werden. Dem Betrachter jedoch ist der künstlerische Gehalt der Arbeiten stets präsent. Und sei es, weil sie sich so mühelos in den kunsthistorischen Kanon einordnen lassen. So erinnern sie etwa an den Leitgedanken der Konstruktivisten, die Kunst auf ein geometrisches Formenvokabular und gleichmässig gesetzte Farbflächen zurückzuführen. Oder den Anspruch der konkreten Kunst, reiner Ausdruck von harmonischem Mass und Gesetz zu sein, Systeme zu ordnen und diese Ordnungen auf künstlerische Weise zum Leben zu erwecken.

Besonders stark sind Evert Ouwerkerks Werke denn auch dort, wo sie in Reihen und Folgen gedacht sind, auch wenn er selbst den Begriff der Serie meidet und die Werke grundsätzlich als Einzelstücke sieht. Doch wenn auf sechs Blättern in einem gleichmässigen Linienraster nur die Anordnung der gelben und orangen Farbfelder variiert oder in einer Folge von acht Collagen die Position und die Farbigkeit der Felder verändert ist, dann hat dieses Durchexerzieren verschiedener Möglichkeiten zugleich etwas Spielerisches und etwas mathematisch Experimentelles.

Ergänzt wird die Ausstellung in der von Richard Butz kuratierten Reihe «Kultur im Bahnhof» durch zwei Leuchtenentwürfe Ouwerkerks. Hier stellt sich nicht nur der Designer vor, sondern zeigt schliesslich noch die praktische Anwendbarkeit seines Quadratrasters.

Vom Klang der Dichtung

Thomas Suter zeigt in der Galerie vor der Klostermauer eine Auswahl aktueller Werke. Sie widmen sich unter dem Titel «Wortspuren» der zeitgenössischen Poesie und Prosa.

Worte hinterlassen Spuren – ganz gleich, ob es sich um gesprochene Rede oder um Geschriebenes handelt. Gedichte gehören dabei nicht unbedingt zu jenen Texten, die von der grossen Menge wahrgenommen werden, aber dafür sind die Spuren, die sie beim einzelnen hinterlassen können, besonders tief. Oft ist es die Sprache der Dichter und Dichterinnen, die lange und intensiv nachwirkt, und die etwas zum Klingen bringt, was sich sonst so nicht ausdrücken lässt.

Diesem Unfassbaren der Worte, ihrem besonderen Klang, spürt Thomas Suter in seinen Werken nach. Gedichte von Ingeborg Bachmann, Rose Ausländer oder Selma Meerbaum-Eisinger, aber auch Prosa, etwa von Gerhard Meier oder Klaus Merz, sind die Quellen seiner künstlerischen Werke. Suter, 1938 in Münchenbuchsee bei Bern geboren und seit 1962 im Appenzellerland wohnhaft, zeigt in der Galerie vor der Klostermauer mit «Wortspuren» eine Auswahl aktueller Papierarbeiten. Dieses Trägermaterial ist ihm ausgesprochen wichtig, ist es doch ein weiteres Bindeglied zwischen seinen Schöpfungen und jenen der Literaten.

Papier ist neutral, es ist offen für vielerlei Gestaltungen – ob es sich dabei um sorgfältig gesetzte Worte oder um Linien und Flächen handelt. Letztere werden bei Suter mit Gouache, Öl- oder Acrylfarbe angelegt. Nahezu vollständig werden die Blätter bemalt, meist mit Schwarz oder mit Grau. Über diesen Grundton, der von Schattierungen und Farbabstufungen lebt, trägt Suter weisse Spuren von Ölkreide auf. Er zeichnet, schreibt, verwischt, überschreibt erneut, rahmt ein, tupft, deutet an. Mitunter ist kaum mehr als eine feine Linie zu erkennen oder vage als Buchstaben identifizierbare Zeichen, dann wieder lässt sich eine Zeile entziffern, wie etwa jene vom «Wolkenpelztier mit den alten Sternenaugen» aus Ingeborg Bachmanns «Anrufung des grossen Bären». Klangvolle Worte, die ausdrucksstarke Bilder in sich tragen.

Doch letztlich kommt es gar nicht darauf an, ob Suter tatsächlich aus ausgewählten Gedichten zitiert, es bei Farbfeldern belässt oder minimale, geometrische Linien zieht. Immer vermitteln seine Bilder eine besondere Atmosphäre. In ihnen steckt der Ernst der Poesie ebenso wie ihre Leichtigkeit, das Gedankenschwere ebenso wie das Analytische. Selbst auf die Serie zu Christine Lavants «So eine wildfremde Sonne» trifft dies zu, die – anders als alle anderen ausgestellten Blätter – in Pink daherkommt. Wolkige Formen verdichten sich in den kleinen Formaten. Immer wieder scheint das Papier durch, sorgt für Transparenz, für Licht, das aus den Farbschichten strahlt.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass einige der Kompositionen an Landschaften erinnern, ist doch die Landschaft im weitesten Sinne auch eine der wichtigsten Anregungen für die Dichter. Nicht von ungefähr sind Begriffe wie innere Landschaft oder Seelenlandschaft geläufig. Nicht zuletzt diese Blicke nach innen, das Hinterfragen des eigenen Daseins und in der Folge das Ringen um das richtige Wort dafür faszinieren Suter. Respektvoll nähern sich seine Werke den Dichtungen an, ohne sie zu interpretieren oder ihre Geheimnisse vorschnell zu lüften.