Arbeitstitel
by Kristin Schmidt
Was gehört zu einem gelungenen Ausflug dazu? Schönes Wetter, natürlich. Und ausserdem? Natur, möglichst intakt, Idylle, feines Essen, gern etwas Besonders, Kultur oder sogar Kunst, vielleicht noch eine Dampferfahrt? Zu viele Wünsche auf einmal und für einen Tag? Mitnichten. Das gute Wetter muss man freilich abpassen, aber die Nordseite des Walensees hat ein Klima fast wie am Mittelmeer, und sie hat auch alles andere. Aber der Reihe nach: Mit dem Bus geht’s bis zur Station Lehni und von dort in gemütlichen zwanzig Minuten zu Fuss durch Wald und Feld bis zu einer unscheinbaren Scheune. Sie steht Tag und Nacht offen, es gibt weder Eintrittskarten noch Aufsichten – nur ein Emailleschild mit der Aufschrift «Museum» von Christine Streuli. Hier ist ein Kunstort, ein unerwarteter aus Stein und Holz, mit festgetretenem Lehmboden und Heugeruch. Seit 1999 lädt Kurator Roman Kurzmeyer internationale Künstlerinnen und Künstler ein, hier zu arbeiten. Aktuell hat die St. Galler Bildhauerin Katalin Deer ein Werk eigens für diesen Schober geschaffen: Im Obergeschoss liegt eine massive, dicke Stuckmarmorplatte. Ein grösserer Kontrast ist kaum denkbar. Der strohbedeckte Bretterboden und die hochglanzpolierte Platte. Und wie kam sie durch die viel kleinere Tür? Geheimnisvoll liegt sie im spärlichen Licht. Es fällt durch die Bretterzwischenräume auf die Platte, wird reflektiert und lässt die Farben schillern, erweckt die amorphen Flächen zum Leben. Im Erdgeschoss ein anderer Kontrast: Ein grossformatiges Hochglanzfoto liegt auf den Holzbohlen: eine Aufnahme zweier Stühle, die durch ein reflektierendes Schaufenster hindurch gesehen sind. Sie sind fremd hier und doch auf rätselhafte Weise selbstverständlich. Katalin Deer zeigt einmal mehr ihr besonderes Gespür für Orte, für Architektur und deren Geschichte, für Details und Stimmungen.
Und wer noch Zeit hat für einen Abstecher, der geht zum Haus Schwanden hinauf. Die Schottin Anya Gallaccio hat hier 1999 in Nachbarschaft zum zeitweiligen Wohnhaus des deutschen Malers Baumeister eine Linie aus Apfelbäumen gepflanzt. Wer aber die Äpfel lieber im Kuchen hat, der wendet sich in Richtung Walensee hinunter und kehrt, bevor er in Betlis aufs Schiff steigt, noch im Paradiesli ein. Viel wurde schon geschrieben über die treffliche Übereinstimmung von Namen und Sein, hier kommt nun das Leibliche auf seine Kosten, nachdem das Geistige zuvor verwöhnt wurde.