Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Farbe und Fundstücke

Ernst Bonda stellt noch bis kommenden Sonntag in der Galerie Margrit Oertli aus. Ob Objekte, konkrete Poesie oder Malerei – alle Werke des St. Galler Künstlers haben einen Bildcharakter.

Ein Messingteil einer alten Uhr – es ist oxidiert, fast schwarz geworden, ein bisschen verbogen. Doch seiner vieleckigen Kontur und den kleinen Schraubenlöchern konnten Dauer und Einsatz nichts anhaben. Sie stehen für reine Funktion und sind reine Ästhetik.

Das kleine Stück gehört zur grossen Ernte Ernst Bondas. Er entdeckt, bewahrt und ordnet Objet trouvés; vom Märchenheft bis zum Gleisnagel, vom Zweiglein bis zum Schieferziegel. Das allein jedoch macht nicht die Essenz seiner Arbeit aus.

Bonda spürt das Wesen der Dinge, ihre verborgene Poesie, ihre Anmut und Aussagekraft. Und er versteht es, dieses Potenzial zur Entfaltung zu bringen. Das Messingteil etwa wird auf einem weissen Blatt Papier plaziert und in einen Kontext mit gerahmten Tuschezeichnungen gesetzt. Unwillkürlich offenbart es seine geheimen Qualitäten als kalligraphisches Zeichen.

Im Werk darunter: Sechs zarte Linien. Ein paar Werke weiter links: Vierzehn mal sieben Holznägel eines Thurgauer Riegelhauses auf einer rötlichen MDF-Platte. Einige Stücke weiter rechts: Zwölf Klavierhammer auf Weiss. Sonst nichts und doch so viel. Bonda beherrscht die Kunst der Reduktion. Das gilt ebenso für die Gemälde des 1923 geborenen St. Gallers.

Einfache, starke Formen leuchten aus den Leinwänden heraus. «Warum, wenn man älter wird, der Düsternis verfallen?» Helles Blau, Rosa, Gelb, Lindgrün – Ernst Bonda mischt sich die Farben selbst. Er legt Wert auf die Individualität seiner frischen Farbtöne, alle Vorgaben wären einschränkend. Überhaupt sind auch in seinen Gemälden die präzisen, die entschiedenen Gesten wichtig. Die Formen sind genau umrissen, die Pinselstriche exakt geführt. Beides jedoch läuft nicht kongruent. Die feinen Streifen in der Farbmaterie gehen den Formen nicht nach, sondern legen ein eigenes dynamisches Raster über das Motiv, das dadurch wie ein Bildausschnitt wirkt. Solche Feinheiten sind immer wieder zu beobachten. Sie bewahren den Charakter der Künstlerhand und vermeiden Monotonie. Auch der Bezug zur konkreten Kunst wird dadurch vielschichtiger. Ernst Bonda setzt sich bewusst mit den Konkreten auseinander und reagiert in seiner undogmatischen Weise darauf.

Mit der Kunstgeschichte ist es wie mit den Fundstücken, so manches entdeckt Ernst Bonda wieder, verwandelt es und erweckt es zu neuem Leben. So bekommt etwa Malewitschs schwarzes Quadrat ein Gegenstück. Das weisse Quadrat ist leicht verschoben und erinnert daran, dass auch das suprematistische Vorbild nicht perfekt, sondern ein lebendiges Kunstwerk ist, dass stets wieder von neuem eine Betrachtung lohnt. Andere Bilder erinnern an den Purismus Remy Zauggs. Wieder andere an die Objekte der Nouveau Réalistes. Doch trotzdem bleibt Bonda immer ganz er selbst: ein leichtfüssiger Brückenbauer zwischen den Gattungen und Disziplinen. Eine der Schnittstellen sind die Hölzer, die als Malgrund dienen und ihre eigene Struktur einbringen, erst recht, wenn das weiche Frühholz der Jahresringe ausgeschabt ist.

Bonda verbindet alles mit allem. Vom «Gewickelten Grün» bis zum «Fundstück» umfasst die Werkliste der Ausstellung 89 Nummern. Ob sie mit Farbe oder mit Worten, mit Kernseife oder mit Tusche ausgeführt sind: Es sind Bilder von einem, dem das Feinstoffliche ebenso wichtig ist wie die Materie. «Ein Zengedicht/mit sieben/Buchstaben/a c h t s a m.» Ernst Bonda verwirklicht täglich und mit jedem Werk und jedem Satz neu, was ihm wichtig ist: der bewusste Umgang mit Dingen und Gedanken.

Mehrdeutige Puppentheatralik

Berenike Wasserthal-Zuccari zeigt unter dem Titel «Kopfstücke und Figurentheater» aktuelle Arbeiten in der Galerie Werkart. Es ist die erste Ausstellung der Grazerin in der Schweiz.

Comic und Kunst, Kunst und Comic – die Faszination wirkt beiderseits. Spätestens seit Andy Warhol und Roy Liechtenstein haben Comics einen festen Platz in der Malerei. Waren es bei den Pop- Art-Künstlern noch die Merkmale der Massenproduktion und damit die Vereinfachung des Sujets und seine allgemeine Verfügbarkeit, die einen Grossteil des Interesses ausmachten, so ist es bei Berenike Wasserthal-Zuccari das Gegenteil.

Das mag auch daran liegen, dass sich die Produktionsbedingungen der «Neunten Kunst» im Computerzeitalter weiter verändert haben: Die Österreicherin schwärmt beispielsweise für die handgezeichneten Originalstrips, die vor und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden.

Überhaupt haben es ihr die früheren Zeiten deutlich angetan. Referenzen gibt es in ihren Gemälden viele, die augenscheinlichste: Sie sind bevölkert von Disney’schen Enten, der berühmten Maus oder dem tolpatschigen Goofy. Sie alle wuseln um weibliche Schönheiten herum, die ebenfalls frühere Verwandte haben. In ihrer Perfektion erinnern sie an die Pin-up-Mädchen der 50er- und 60er-Jahre, die kleine erotische Geschichten erzählten und doch selten vordergründig anzüglich wirkten.

Auch Berenike Wasserthal-Zuccari setzt mehrdeutige Andeutungen in Bilder um. Sie zeigt Episoden aus dem Leben eines lüsternen Gartenzwerges oder «Pinocchios amouröse Abenteuer». Aber dies alles ist nur ein Aspekt ihrer vielschichtigen Arbeit. Die gewichtigeren Punkte sind malerische wie inhaltliche Untersuchungen. Ihre Malweise, geschult an altmeisterlichen Techniken und übertragen in Acryl, ist äusserst sorgsam und überlegend.

Ein Thema beispielsweise sind die Oberflächen: der Glanz der roten Schuhe im Gegensatz zu einer tönernen Zipfelmütze, die Weichheit oder Elastizität textilen Materials, die bestossenen Kanten alten Holzspielzeuges. Allein durch den Farbton gelingen Wasserthal-Zuccari die Charakterisierungen. Die Farbe als solche ist lasierend in hauchzarten Farbschichten aufgetragen, so dass die Leinwandstruktur sichtbar bleibt und Lichterreflexe unzählige Glanzpunkte setzen.

In grossformatigen Porträts widmet sich die Künstlerin fein unterschiedenen mimischen Ausdrücken. So ist die Dargestellte im Triptychon «Puppentheater» im Moment des Innehaltens zu sehen, sie beobachtet, lauscht, versucht zu verstehen. Der Betrachter ebenfalls: Historische Puppen mit zerlöchertem Haupt oder abgebrochenem Arm, einzelne Puppengliedmassen und ein Kopf mit leeren Augen fallen aus dem Nichts ins Bild herein und wieder hinaus. Sind es Putten? Sind es die bethlehemitischen Kinder? Sind es Embryos? Wie Wesen aus einer anderen Zeit, ja einer anderen Welt wirken sie in der Gegenüberstellung mit den Erwachsenen.

Dreimal dasselbe Format, dreimal dasselbe Grundmotiv in Variationen – ein weisser, breiter Streifen am linken Bildrand unterstreicht den Charakter der Momentaufnahme und verweist auf filmische oder Comic-Strip-Sequenzen. Zugleich bildet er einen starken Kontrast zum dunklen Bildhintergrund.

Berenike Wasserthal-Zuccari schöpft hier aus ihren Erfahrungen als professionelle Bühnenbildnerin. Dieses Schwarz bringt alle anderen Farben zum Leuchten. Gleichzeitig schafft es einen schier unendlichen Tiefenraum, eine universale Weltbühne für die Dargestellten. Überhaupt prägt ihr Faible fürs Theater die Werke der Grazerin, sichtbar in der Inszenierung, dem ge- oder gar übersteigerten Ausdruck, der Fernwirkung von Farbe und Sujet, den Licht- und Schattenspielen oder den sorgfältig ausgesuchten Requisiten. Der Bildraum wird zur Bühne für phantastisch-manieristische Bildwelten.

Signers Heimspiel

Kann eine Preisfeier gleichzeitig wortlastig und dennoch kurzweilig sein? Sie kann, wie die Verleihung der zehnten Prix Meret Oppenheim am Mittwochabend im St. Galler Palace zeigte.

„Wir wollen lebenslänglich Stühle flechten“ – also nicht, sich ausruhen, sondern weitermachen, arbeiten an etwas, das bleibt, das trägt. Meret Oppenheims Ausspruch ist der einer Künstlerin, die ein Leben lang ihre Horizonte erweiterte und neue Wege ging. Ihr ist denn auch der Prix Meret Oppenheim gewidmet, mit dem das Bundesamt für Kultur, auf Empfehlung der Eidgenössischen Kunstkommission, jene Künstler, Architektinnen und Vermittlerinnen würdigt, die sich längerfristig mit einem relevanten, aktuellen Werk situiert haben. Verliehen wurde der zehnte Prix Meret Oppenheim im Palace und fügte sich damit in das Preisfeuerwerk dieses Novembers ein.

Nach Bern, Zürich, Genf, Basel und Locarno nun also St. Gallen. Andreas Münch, Leiter Dienst Kunst vom Bundesamt für Kultur gestand bei seiner Eröffnungsansprache zwar ein, dass der Radar der Berner manchmal nur bis Zürich reiche, liess dann aber eine richtige Hymne auf das Kulturzentrum der Ostschweiz folgen, die Thomas Scheitlin treffend als „Laudatio auf St. Gallen“ charakterisierte. Der Stadtpräsident befand schliesslich, St. Gallen habe auch einen Preis verdient. Zuvor würdigte er jenen, dessentwegen der zehnte Prix Meret Oppenheim nun in die Ostschweiz reiste: Roman Signer. Waren seine früheren Arbeiten noch ein „ziemlicher Skandal“, so sei man doch jetzt sehr stolz, vor allem auf die zahlreichen Werke im öffentlichen Raum.

Von keinem war an diesem Abend so oft die Rede wie von Roman Signer. Auch Hans Rudolf Reust, Präsident der Eidgenössischen Kunstkommission, nutzte den Verweis auf Signers Arbeiten um das „Sprengpotential der Preise“ herauszustellen, die eine lange künstlerische Arbeit aufdecken helfen, eine Aufgabe, die auch der Publikation zukommt: Sie erscheint als Beilage zum Kunst-Bulletin und wird gemeinsam mit den Preisträgerinnen und Preisträgern erarbeitet. In Interviews geben sie dort einen Einblick in ihr kunsttheoretisches Denken. Doch auch den Laudatoren gelang es ausnahmslos kurzweilige und lohnenswerte Einblicke zu vermitteln. Der Ingenieur Jürg Conzett würdigte den Vriner Architekten Gion A. Caminada – ein Generalist, der zum Anwalt für den sorgfältigen Umgang mit bestehender Kulturlandschaft geworden ist und zu den führenden seines Faches in der Schweiz zählt.

Christophe Kihm sprach über den Genfer Performancekünstler Yan Duyvendak, der sich seit fast zwei Jahrzehnten interdisziplinär sozialen und kulturellen Phänomenen widmet mit besonderem Fokus auf Massenmedien wie Film, Fernsehen und Videospiele. Im Anschluss gab Duyvendak selbst noch eine Kostprobe seiner performativen Qualitäten mit einem getanzten, gereimten Kunst-Rap, der es auf die Formel brachte: „Kunst? Sie macht Dich selten reich, und wenn dann erst als Leich.“ Da kommt der Preis hoffentlich gerade recht. Die Zeile „Wir haben nie studiert, und schau es funktioniert“ könnte hingegen auch für Claudia und Julia Müller stehen. Die beiden Schwestern sind Autodidaktinnen und agieren seit 1992 als Künstlerduo. Madeleine Schuppli stellte in ihrer Laudatio die sympathische Arbeitsweise der beiden Künstlerkünstlerinnen und ihrer legendären Aufbaukommunities heraus. Eine Macherin auch Annette Schindler, Ausstellungskuratorin des Festivals der elektronischen Künste SHIFT und Leiterin von [plug in] in Basel. Patrizia Crevelli hob besonders Schindlers grossen Einsatz hervor für den Aufbau der in der Schweiz einmaligen und innovativen Institution für Neue Medien.

„Dauerbrenner“ Roman Signer schliesslich wurde von Max Wechsler gewürdigt, der mit dem schönen Bild schloss, dass Signers Pulver auch uns wärme.

So viele Redner und noch einer mehr: Renato Kaiser war für die kleinen Lockerungen zwischendurch geladen und erwies sich einmal mehr als witzig, wortgewandt und stilsicher. Der 24-jährige Goldacher, Gewinner von über 60 Poetry Slams, ging eigens für die Preisverleihung auf eine imaginäre Kunstreise an deren Ende er befand: „Kunst ist?“ oder lag die Betonung auf „Kunst ist….“? Ganz sicher „Kunst ist.“

Von Pittsburgh nach St. Gallen

Seit zwei Jahrzehnten steht die Schule für Gestaltung St. Gallen in regem Austausch mit der Carnegie Mellon University Pittsburgh. Aktuell absolvieren Allison Lenz und Nicholas Abele ein Semester in der Grafikfachklasse.

In der ersten Etage des GBS St. Gallen ist es still. Hier hat die Schule für Gestaltung ihre Räume. Über den Klassenzimmern liegt die konzentrierte Ruhe der angehenden Grafiker. Es wird gezeichnet, mit dem Cursor, dem Stift oder Kohle, es wird geklebt, geschnitten, konstruiert, gebaut und fotografiert. Für letzteres ist Allison Lenz eigens auf einen Stuhl geklettert. In halsbrecherischer Weise beugt sie sich über den Tisch, vor ihr liegen auf einem weissen Blatt die Zielobjekte. Am Tisch neben ihr beugt sich Nicholas Abele mit einem Stift in der Hand über die Arbeitsplatte.

Beide, Allison Lenz und Nicholas Abele, sind genau wie die anderen zehn Studierenden in ihrer Arbeit versunken. Auch sonst unterscheiden sie sich in Alter und Habitus nicht sehr von ihren Kommilitonen; sie alle sind junge kreative Leute, angehende Grafiker. Doch während die meisten ihre gesamte Ausbildung an der Schule für Gestaltung St. Gallen absolvieren, sind Allison Lenz und Nicholas Abele nur für ein Semester hier.

Beide studieren eigentlich an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, Pennsylvania – einer Privatuniversität von beträchtlichem Renommée. Zu verdanken ist dies neben vielen dort lehrenden Nobelpreisträgern wohl auch ihrem berühmtesten Absolventen: Andy Warhol, der vor über 60 Jahren dort seinen Bachelor in Pictorial Design erhielt. Der Austausch zwischen St. Gallen und Pittsburgh ist zwar noch nicht ganz so alt, doch heuer sind es immerhin bereits 20 Jahre, in denen beide Institutionen ihren Studierenden die Möglichkeit zum Perspektivenwechsel bieten. Mittlerweile reisen pro Jahr je zwei Studierende für ein ganzes Semester an die Partnerschule.

Alles hatte klein und aufgrund persönlicher Kontakte angefangen. Als erster Austauschstudent reiste Andreas Tschachtli mit Herzklopfen und fast ohne Englischkenntnisse 1990 in die Vereinigten Staaten. Wie ein «Aff, den die Russen ins Weltall schicken», habe er sich gefühlt: «Kommt er lebendig zurück oder nicht?» Er kam zurück, ja mehr noch: Mittlerweile leitet er selbst die Grafikfachklasse. Ein Zufall und doch ein sehr willkommener, denn seither widmet er sich dem Austausch mit grosser Energie. Schliesslich weiss Tschachtli aus eigener Erfahrung, wie sehr solch ein Auslandaufenthalt einem die Augen öffnen kann – in fachlicher, in kommunikativer und noch so manch anderer Hinsicht.

Von Anfang an war die Idee des Austausches, dass die gesamte Lebenssituation einbezogen wird. So bekommen amerikanische Studenten hier Familienanschluss und die St. Galler amerikanisches Wohnheimambiente geboten. Ein grosser Vorteil des Ganzen: Der administrative Aufwand bleibt gering und alles läuft recht unbürokratisch. Das gilt auch für die Anerkennung des Auslandsemesters. Schliesslich geht nichts mehr ohne Punkte oder Bescheinigungen über adäquat abgelegte Leistungen. Darin liegt auch ein Rezept für den Erfolg der Zusammenarbeit. Zwar hat die Schule für Gestaltung St. Gallen weder Nobelpreisträger noch Pop Art Stars vorzuweisen, doch das fachliche Level stimmt. Und noch zwei Pluspunkte gibt es hier: das Arbeiten in festen Klassenverbänden und die Nähe des Lehrers. So lassen sich schnell feste Bezüge finden und der Reibungsverlust, der bei einem Auslandsemester zwangsläufig auftritt, bleibt gering. So hält sich bei Allison Lenz und Nicholas Abele das Heimweh denn auch in Grenzen. Beide werden ihre Zeit in St. Gallen bis zum Semesterende geniessen und darüber hinaus von ihr profitieren.

Rauchkanal und Rapunzelturm

Am Sonntag wurde im Sitterwerk der Erweiterungsbau Kesselhaus Josephson eröffnet. Mit dem Anlass wurde auch die Arbeit der Architekten Lukas Furrer und Christoph Flury gewürdigt.

«Komm, gehen wir raus und spielen Fangis» – Kein Wunder, dass es drei Buben nach draussen zieht: In der Kunstbibliothek stehen die erwartungsvollen Besucher dicht an dicht. Sie sind gekommen, um den neusten Umbau in Sitterwerk und Kunstgiesserei zu feiern und bei dieser Gelegenheit nochmals das grosse Ganze in Augenschein zu nehmen. Der jüngste Umbau, das ist die Erweiterung des Kesselhauses Josephsohn. Er wurde wie die vorherigen von Lukas Furrer und Christoph Flury geplant. Seit 2000 und 2001 arbeiten beide für die Kunstgiesserei.

Sie haben sowohl die Ausstellungsbauten ausgeführt wie auch die Umbauplanung der Bibliothek, des Atelierhauses und des Kesselhauses. Sie haben den Empfangs-, den Kaffee- und den Essraum gestaltet und nun die neuen Ausstellungs- und Lagerräumlichkeiten im bisher nur teilweise genutzten hinteren Teil des Kesselhauses.

Sonntagnachmittag führten die beiden Architekten die Besucher durch die Bauten. Eine gute Idee – wenn es aufgrund des Andrangs auch bedeutet, dass statt der geplanten 25 Personen mindestens doppelt so viele jedem Rundgang folgen. Die Architekten lassen sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Aus ihrer spezifischen Sicht öffnen sie den Blick für viele Details, wo sie vom Materialwissen der Kunstgiesser profitiert haben oder mit einem äusserst speziellen Bestand arbeiten konnten. So stehen die Besucher beispielsweise dort, wo einstmals Rauchkanal und Feuerungsgang waren. Und nicht nur die Besucher, schliesslich geht es um Hans Josephsohn: Seine Arbeiten finden nun mehr Platz. Sie sind aus den Kellerdepots und somit aus der Überflutungszone der Sitter ans Licht gehoben. Die unprätentiöse Präsentation wird dabei auf selbstverständliche Weise dem Werk des Plastikers gerecht. So ruhen beispielsweise sechs Liegende auf dreigeschossigen Tablaren und sehen aus, als wär ihnen recht wohl dabei.

Dreigeschossig ist auch der Erweiterungsbau selbst. Durch den in der Mitte geöffneten Raum ergeben sich immer wieder neue, spannende Blickachsen. Überhaupt die Blicke: Wer sich trotz des regnerischen Wetters bis aufs Dach des metallenen Wohnquaders auf dem Kesselhaus wagt, wird mit einem wundervollen Rundumblick über das Areal belohnt. Von hier aus relativiert sich alles – das Atelierhaus ist nur noch eine Schuhschachtel, das Sittertal wird zur grünen Arena, das Kesselhaus zur imaginären Anhöhe, der Kamin zum Rapunzelturm.

Einmal mehr hat Felix Lehner das Potenzial des Ortes erkannt und mit Furrer und Flury herausgearbeitet. Alle drei betonen wiederholt die besondere, die besonders gute Arbeitssituation. Dort liegt wohl der Grund für das Gelingen: Wie in einer mittelalterlichen Bauhütte wird eng zwischen Bauherr und Architekt zusammengearbeitet. Diese Nähe macht gelassen, schafft Vertrauen, ermöglicht Experimente. Was entsteht, ist Qualität; zu sehen, zu begehen, vor allem zu benutzen.

Arbeitstitel

Liegt es am Beton, an den Abdeckplanen, den Armierungseisen, den stählernen Stützstreben? Im Kunstmuseum Winterthur wird ab Ende Oktober die Natur gefeiert. Zwei Jahre lang war das Museum geschlossen, zwei Jahre lang war Kunst nur im Erweiterungsbau zu sehen. Im Hauptgebäude dagegenwurde auf allen Etagen gebaut.

Nun wird es wiedereröffnet mit «Die Natur der Kunst: Begegnungen mit der Natur vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart». Zufall? Wohl eher nicht. Es ist, als habe man nach den zwei Jahren in Staub und Baulärm nicht nur unbändige Sehnsucht nach Kunst, sondern auch ihrem Gegenpol, der Natur – nicht von Menschenhand geschaffen, mal fremd, mal bedrohlich, mal idyllisch, mal mystisch. Die Ausstellung beschränkt sich folglich nicht auf einen dieser Aspekte, sondern versucht nichts weniger als eine Zusammenschau aus anderthalb Jahrhunderten Natur und Landschaft in der Kunst.

Die Gemälde der französischen «paysage intime» bilden den chronologischen Anfang, gefolgt von atmosphärischen Momentaufnahmen des Impressionismus. Aus Frankreich geht es in die Schweiz mit Segantini und Hodler. Es folgen der Expressionismus, der Surrealismus, selbst der Action Painter Jackson Pollock findet mit seinem Ausspruch«I am nature» Platz in der Ausstellung. Die Arte Povera ist mit von der Partie und die Land Art. Roman Signer ist vertreten und natürlich Gerhard Richter. Richter, der grosse Landschaftsmaler der Gegenwart, sucht gleichzeitig Kontrast und Entsprechung: Einerseits wirken die Abstraktion, der Zufall als Pendant zur ungebändigten Kraft der Natur. Andererseits zeigt er Landschaft sowohl als malerisches Naturbild als auch als geografischen, vom Menschen geprägten Raumausschnitt.

Richter hat eigens für diese Ausstellung einen Saal mit erst kürzlich entstandenen Lackgemälden konzipiert. Damit nicht genug. Parallel zur Hauptausstellung ist Richter auch noch eine eigene Präsentation gewidmet, die ebenfalls Natur oder vielmehr Landschaft thematisiert. Während seines Studiums an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste schuf Richter eine Gruppe von 31 Arbeiten auf Papier. Die Blätter entstanden als drucktechnische Experimente und hatten mit der in Dresden unterrichten realistischen Malerei wenig zu tun. Einige sind tiefschwarz, anderen zeigen graue Spuren, Flecken oder Streifen auf dem vergilbten Papier, es sind Abdrücke, Verwischungen, Ätzungen. Manchmal taucht plötzlich eine Horizontale auf und wird zum Horizont. Kommt dann noch ein heller Punkt, eine kreisförmige Auslassung im Schwarz dazu, ist der Mond aufgegangen.

Der Mond über der Landschaft. Richter näherte sich mit dieser Serie spielerisch und beinahe beiläufig der romantischen Malerei, die in seinem späteren Werk ganz bewusst Thema wurde.

Die Nacht war den Romantikern, den Künstlern wie den Schriftstellern, eines der wichtigsten Sujets. Und auch Richter findet Zugang zu nächtlicher Intimität und melancholischem Ausdruck, zu Stille und Schwere. Die unscheinbaren und doch bedeutungsvollen Blätter wurden erst viel später zu Porträts einer Landschaft: Nach der Wende sah Richter den Zyklus wieder, ein Dresdener Freund hatte für ihn aufbewahrt, und er war berührt von der Verwandtschaft zwischen frühen und aktuellen Arbeiten. Aus der Erinnerung an die Jugendjahre in Sachsen erhielt der Zyklus den Titel Elbe.

Zwei Ausstellungen mit vielen grossen Namen – doch das Kunstmuseum Winterthur war immer auch ein Ort für jüngere Künstlergenerationen, war es auch während der Bauzeit und so bleibt es nach der Wiedereröffnung.

Während der temporären Schliessung wurden Georg Aerni und Mario Sala beauftragt, Bilder zu entwickeln, die im Monatsrhythmus auf die Homepage des Museums gestellt wurden. Statt einfach über bauliche Veränderungen zu informieren, wurden letztere künstlerisch begleitet und frei interpretiert. Die Ergebnisse sind nun in einer eigenen Ausstellung zu sehen. Georg Aerni, gebürtiger Winterthurer, ist diplomierter Architekt und arbeitet inzwischen als Fotograf. Seine Aufnahmen zeigen viel mehr als bauliche Situationen. Ob Kabelschlaufen oder Stützenwald, ob Kantenschutz oder Schachtelburg: hier erwacht eine Baustelle zu Leben, hier bekommt sie Charakter, hier werden die Veränderungsprozesse in all ihren Konsequenzen spürbar. Ganz anders geht der Winterthurer Mario Sala mit der Vorgabe um. Seine Zeichnungsserie im Stil von Magazintiteln oder populärwissenschaftlichen Illustrationen verrätseln Bildräume und entführen in poetische Umbauphantasien. So ist beispielsweise zu lesen: «Zeitweise zieht sich die gesamte Belegschaft des Museums in den grossen Warenlift zurück, bis die Sanierung in ruhigere Phasen tritt.» Das derlei nicht nötig war, ist der Belegschaft zu wünschen, und selbst wenn dem so gewesen wäre, es wäre ein nützliches Opfer gewesen. Das Kunstmuseum Winterthur hat nach der Sanierung in vielerlei Hinsicht gewonnen, nicht nur hinter den Kulissen, sondern auch davor: Es ist einmal mehr ein guter Ort für Kunst.

Planetensystem Therapiebälle

Im Palais Bleu ist die sechste Le-Lieu-Ausstellung zu sehen, deren Titel «Successes and Traumas» ist. Die Kuratorin Christiane Rekade hat die Künstlerin Vanessa Safavi eingeladen, Werke für diesen Ort zu erarbeiten

Ein Ball ist ein Ball ist eine Kugel ist eine Seifenblase ist ein Sitz, eine Skulptur. Es kommt ganz darauf an – auf die Grösse, die Farbe, das Material. Vanessa Safavi überlässt nichts dem Zufall. In ihrer minimalistischen Installation im Obergeschoss des Palais Bleu ist jedes Detail bedeutsam. Fünf Bälle liegen auf dem Boden und wirken wie Planeten eines entfernten Sternensystems: zwei silberfarbene, zwei transparente und ein kunterbunter.

Der bunte Ball kommt unserer Vorstellung von einem Spielgerät am nächsten, während die beiden transparenten an Seifenblasen oder Glaskugeln erinnern, die metallisch gefärbten hingegen wie die rollenden Bestandteile eines riesigen Kugellagers anmuten.

Doch eigentlich sind alle fünf etwas ganz anderes, nämlich Therapiegeräte, die hier im ehemaligen Krankenhaus wieder an den Ort ihrer Bestimmung zurückkommen. Warum nun aber silbrig schimmernde Gymnastikbälle hergestellt werden, das ist eine der Fragen, die sich angesichts des Werkes von Safavi spontan einstellen.

Vanessa Safavi, die zum ersten Mal in der Ostschweiz ausstellt, ist eine sehr aufmerksame Beobachterin unseres alltäglichen Umfeldes, unserer kulturellen Determinanten. Was sind unsere Werte, wodurch sind sie bedingt? Wie wirken sie im Kontext ganz anderer, fremder oder früherer Werte? Was haben beispielsweise die Gymnastikbälle mit jenen unscheinbaren Bambusstecken zu tun, die an der Wand lehnen oder auf dem Boden liegen? Was mit den Zeitschriften-Stapeln, die uns vom Leben und Leiden der Cervelatprominenz berichten? Fehlen letztere deshalb in keinem Wartezimmer, weil sie uns damit trösten, dass auch Stars und Sternchen ihre Wehwehchen haben, «Successes and Traumas» also?

Die Lausanner Künstlerin, die zwischen Basel und Berlin lebt und arbeitet, inszeniert Kontraste und Gegensätze, um den Blick für längst nicht mehr wahrgenommene Alltagserscheinungen wieder zu schärfen. Mit ihren präzisen Setzungen holt sie ins Bewusstsein zurück, was unbeabsichtigt verlorenging oder auch absichtlich überspielt und unterdrückt wird. So liesse sich etwa darüber sinnieren, wie Wertigkeit den Konsumenten verführt, obgleich sie einzig auf einem Farbton basiert, oder auf vermeintlichem Glanz und Ruhm.

Christiane Rekade, die aus Speicher stammende Berliner Kuratorin, hat mit Vanessa Safavi für die sechste Le-Lieu-Ausstellung eine Künstlerin eingeladen, in deren Werk sich vielerlei Ebenen verschränken. Die Hanfgewebe beispielsweise, die an den Wänden hängen, sind gattungsspezifischer Gegenpart zu den Readymades auf dem Boden, sind sie doch bearbeitet oder zum Diptychon gefügt. Die Bearbeitung wiederum erfolgt im Kontrast zu dem natürlichen Stoff mit Silikon. Das synthetische Material legt sich glänzend über die rauhe Oberfläche des Hanfes, deckt ihn zu und lässt ihn doch durchscheinen.

Drittens schliesslich verweisen diese Arbeiten einmal mehr auf das ehemalige Bezirksspital – da die Silikonkleckse gespiegelt sind und somit an das psychologische Testverfahren des Schweizers Hermann Rorschach erinnern. Während im Palais Bleu früher die Kranken wohnten und jetzt die Künstler arbeiten, wollte Rorschach erst Künstler werden und wurde dann Mediziner, der zwar nicht in Trogen, aber im ebenfalls ausserrhodischen Herisau arbeitete.

Vanessa Safavi verwendet Materialien, die für sich genommen unscheinbar sind, doch miteinander einen unterhaltsamen und durchaus tiefsinnigen Dialog führen können. Mit Nonchalance und Humor fügt die 30jährige Künstlerin in ihrer ersten Präsentation in der Ostschweiz eines zum anderen und bringt fast beiläufig immer wieder den speziellen Charakter des Ausstellungsortes ins Spiel.

Die Kopffüssler kommen

Der Grafiker und Künstler Hansjörg Rekade aus Speicher zeigt in der Galerie vor der Klostermauer neue Arbeiten. Sie sind zwischen Comic und Kunst angesiedelt und konfrontieren den Betrachter mit allerlei seltsamen Wesen.

Runde, grosse Augen schauen uns an. Oder sie richten sich mit halluzinatorischen Spiralkreiseln in unbekannte Innenwelten, oder sie sind schwarz, tot, hohl, ein Kreuzchen, ein Punkt. Die Augen, immer wieder die Augen, sind das erste, was die Blicke anzieht und bannt. Dann fallen die seltsamen Requisiten auf, hier ein Monitorkopf, dort ein Fes, hier eine Wolkenkratzermütze, dort Tentakel aus einer offenen Schädeldecke und immer wieder Totenköpfe.

All das wirkt nie bedrohlich, nie lebensfeindlich. Im Gegenteil: Es ist ein kunterbuntes, lebensfrohes Panoptikum überaus vitaler Gestalten, das Hansjörg Rekade auf Papier und Leinwand bringt. Die stilisierten Wesen zeigen die Zähne, aber sie beissen nicht. Sie sind in mythischer Vorzeit ebenso wie in der Gegenwart zu Hause. Sie erinnern an ozeanische Ritualmasken wie an Basquiat’sche Selbstporträts. Sie zeigen Spuren eines durcheinandergeratenen Lebens, aber sie ergeben sich ihnen nicht.

Alles in Rekades aktuellen Werken ist doppeldeutig. Das fängt bei den Geschichten an und hört bei der Gattung auf, oder beginnt es bei der Technik und endet beim Inhalt?

Hansjörg Rekade selbst nennt seine Arbeiten Comic-Art und siedelt sie damit bewusst in jenen zwei Welten an, in denen er sich seit langem zu Hause fühlt und die hier eine untrennbare Symbiose eingehen. Da sind etwa die dominanten Linien des Cartoonisten: Sie sind Kontur und Binnenzeichnung, sie fügen sich zu Mustern oder Hintergrundlandschaften. Ausserdem teilen sie manche der grossformatigen Blätter in mehrere Bildzonen ein – wie die Sequenzen einen Comic-Strip, nur dass Rekade dabei nicht einem klaren Erzählstrang folgen muss. Der Künstler lässt offen, welchen Weg die Geschichte gehen soll, der Betrachter darf sie selbst erfinden und fortspinnen, ganz gemäss dem Motto einer kleinformatigen Serie «Ich seh, was du nicht siehst…».

Wer sich nicht in Narrationen ergehen will, kann sich auch nur an den Einzelbildern satt sehen. Bereits die leuchtenden Farben der Ölpastellbilder sind ein Thema für sich. Lokalfarben setzt Rekade kaum ein, und wenn, dann nur, um bereits wieder einen verfremdenden Effekt zu erzielen wie etwa bei einer Leuchtturmpalme. Auf dreidimensionale Effekte verzichtet er fast völlig, und somit auch auf Zwischentöne. Alles kommt kraftvoll und dicht daher. Die Kontraste sind so zahlreich, dass sie gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden, alles wirkt kunterbunt.

Den Gegenpart dazu bilden die Serien in Tusche auf Papier, wo sich Hansjörg Rekade ganz als Grafiker zeigt, der er ebenfalls ist. Virtuos sind kleinteilig strukturierte Flächen und weiss belassene Zonen zueinander gesetzt, mitunter akzentuiert von einem roten Hintergrund. Bildzentrum wird keines definiert, und die Figuren am Bildrand sind mitunter angeschnitten, so wirken die Bilder wie Ausschnitte aus einer viel grösseren Welt. Und wenn Rekade diese dichten Kompositionen zu gesetzt wirken, dann hat er immer noch die Malerei. In den ausgestellten Gemälden überwiegt das Spontane, der Impuls, die Aktion.

Malerei, Grafik, Comic – als wären all diese verschiedenen Bildkosmen nicht schon Sinnesreiz genug, gibt es zudem die Ebene der Bildtitel. Sie öffnen eine eigene poetische Welt, zitieren den schwarzen Mann, den Herrn Bischof oder das blaue Rüsselmonster herbei oder münden in der überraschten Frage: «Was soll die Mus in meinem Bus…»

Reis statt Kekse fressen

Die MDFA Union kochte in der Kunsthalle. Mit Barbara Signer und Beni Bischof standen am Donnerstag zwei Vertreter der St. Galler Künstlergruppe für «Kunst am Mittag» am Herd.

Farbe muss auf den Tisch. Eine gefühlte Stunde lang wäscht Beni Bischof Salatblatt um Salatblatt, in rot, hellgrün, dunkelgrün oder weiss geädert. Derweil rührt Barbara Signer im grossen Topf. Gelb ist er vom Curry. Ebenfalls gelb: die Ananasstücke. Rot: die Herzkirschen, bunt: die Picknickeier in den Körbchen. Das Thema der Köche ist nicht nur das Bunte, es ist auch das Schweizerische und seine Unterwanderung, das Bünzlige und das andere, das Gewohnte und das Unvorhergesehene – all das eben, was Bischof in seiner aktuellen Ausstellung «Dumm schauen und Kekse fressen» in der Kunsthalle zu einem wilden, wüsten, witzigen Bild fügt.

Riz Kasimir ist der speiseplangerechte Inbegriff all dieser Kontraste, erst recht, wenn es ein Betty-Bossi-Rezept ist, wie es Barbara Signer für das «Kunst am Mittag»-Menu in der Kunsthalle herausgesucht hat. Die Künstlerin unterstützt Beni Bischof nicht ganz zufällig beim Kochen. Denn wenn etwas Besonderes zu tun ist, tritt die MDFA Union an.

Der Gedanke schwelte schon länger in den Künstlerhirnen von Barbara Signer, Beni Bischof, Georg Gatsas und Michael Bodenmann: Wir schliessen uns zusammen, denn zu viert lässt sich vieles besser und mit mehr Spass organisieren. Ein erster Anlass tat sich wie von selbst auf mit der Party zum Kunsthallen-Jubiläum letzten Mai. Schon da zeigte sich der Vorteil einer kleinen Gruppe, die in sich gut funktioniert, sich aber keinen starren Regeln, Manifesten oder Satzungen verpflichtet fühlen muss: Aus der MDFA Union wurde aus Versehen die DMFA Union. So kursieren nun zwei Namensversionen, was aber niemanden stört, schon gar nicht die vier Künstler. Waren sie bei der Sommer- und Abschiedsparty der Kunsthalle Zürich die MDFA Union, steht aktuell wieder das D zuerst.

Anlässe wie jene in St. Gallen und Zürich sind das eigentliche Metier der Union. Sie organisieren die DJs und die Technik, fungieren als Netzwerk und Ansprechpartner. Ein Team für spezielle Aufgaben also, vom Kochtopf bis zum Plattenteller. Sie arbeiten nicht als Künstlerkollektiv, sondern eher als Ideenzelle innerhalb der Kulturszene. Es gibt denn auch keine regelmässigen Treffen mit Präsenzpflicht, sondern die Freiheit einer zwanglosen Gemeinschaft. Wenn man sich trifft, dann meist in Waldstatt, dem Wohnort von Georg Gatsas und Michael Bodenmann. Barbara Signer pendelt zwischen St. Gallen und Zürich, nur Beni Bischof lebt hier in der Stadt, die dennoch das eigentliche Zentrum der MDFA Union ist – und bald wieder Schauplatz einer Aktion werden wird. Oder gibt es zuerst die geplante Publikation, gemeinsam mit einer Ausstellung in Zürich? Viel ist noch nicht zu erfahren, Andeutungen sind gemacht, Spekulationen möglich. Ein bisschen ist es wie mit dem Namen: Er startete als Multi DisFunktionale Attitude, verwandelte sich in Meins Deins Für Alle und kumuliert vielleicht noch in einem Munteren Diabolisch-Fanatischen Aufschrei? Modifizierbar Direkt Fährt Alles.

Burg, Bahnhof, Brauerei

Der Verein Kunsthallen Toggenburg hat diesen Herbst in der ehemaligen Brauerei Burth in Lichtensteig Quartier bezogen. Sieben Ostschweizer Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Werke.

Kunsthallen gibt es in vielerlei Prägungen. Eines ist ihnen allein gemein: Sie haben einen festen Ort. Im Toggenburg ist das anders. Die Kunsthallen Toggenburg sind auf Wanderschaft. Seit fünf Jahren zieht die Kunst umher, um jeweils im Herbst für eine Ausstellung Station zu machen.

Die Kunsthalle «nomadisiert» und ist damit ganz auf der Höhe der Zeit, hat doch der Globalisierungsschub der vergangenen Jahrzehnte die Migration immer stärker in den Fokus gerückt.

Die Auswirkungen sind im politischen und wirtschaftlichen Gefüge genauso spürbar wie in kulturellen Sphären. Auch wenn in der öffentlichen Wahrnehmung mitunter die Schattenseiten der Migration dominieren, ist sie zugleich schöpferische Kraft, verbindet sich doch mit jedem Schritt aus der Stabilität heraus eine Chance. Im Toggenburg werden letztere eindrucksvoll genutzt.

Nach Ausstellungen in ungenutzten Hallen, auf der Iburg und in Bahnhöfen ist die Kunsthalle aktuell in der Brauerei Burth in Lichtensteig angekommen. Die Räume könnten vielfältiger nicht sein. Der Betrachter wird durch Turmzimmer und Badezimmer geführt, durch das alte Magazin und die Werkstatt bis hin aufs Dach. Die Künstler bespielen das gesamte Raumprogramm, und es scheint, als habe jeder für sich genau die optimale Situation gefunden.

Susanne Kellers «Musikstücke» tönen aus den Kupferkesseln des Sudhauses heraus, ihre «Bebilderungsbühnen» gehen eine vieldeutige Symbiose mit dem Estrichambiente ein. So fragt sich beispielsweise der Betrachter, ob der Spiegel, der wie zufällig die Rückseite der Bühne ins Blickfeld bringt, tatsächlich ein Fundstück ist. Seine Plazierung wirkt ebenso beiläufig wie ausgewogen.

Die St. Gallerin Katalin Deer mit ihrem besonderen Sinn für architektonische Geschichten und Charaktere hat das Treppenhaus für sich entdeckt, die atemberaubende Geländerkonstruktion, die sie fotografiert, spiegelt und mit vertikal betonten Fotografien akzentuiert.

Monica Germann und Daniel Lorenzi verteilen ihre Zinngüsse und Zeichnungen über sämtliche Etagen, während Matthias Rüegg seinen Platz im Aussenraum gefunden hat.

Dem Flachdach der Industriebaute setzt er eigens für die Ausstellung geschaffene, von Lichtensteig’schen Originalen inspirierte Dachgauben auf, die Dachgaube mit Migrationshintergrund sozusagen.

Augenfälligstes Symbol für das Unterwegssein ist «arthur», dessen Name auf die Kunst und den zweitlängsten Fluss der Ostschweiz gleichermassen anspielt, und der ein kennzeichenloser Wohnwagen ist. Diesmal beherbergt er ein Buchprojekt von Daniel Ambühl. Der Künstler und Mykologe lässt ausserdem aus Büchern Pilze wachsen und setzt den Link zu den Brauprozessen, der Hefe, den Bakterien.

Siebte im Bunde ist Rachel Lumsden, die mit einem Videoloop und drei Gemälden auch den Reigen der Gattungen innerhalb «arthur#5» vollendet. In ihren grossformatigen Bildern lässt sie Alpinisten Industrietürme erklimmen.

Dass gegenüber reale Schraubenschlüssel an einem Werkzeugbrett hängen, rückt nicht nur den technischen Aspekt des Bergsteigens in den Blick, sondern auch den handwerklichen der Malerei – Lumsdens Bilder strotzen nur so vor der Freude am Medium, der Materie.

Immer wieder überzeugen diese plötzlichen Koinzidenzen von Ausstellungsraum und Werk, aber auch zwischen den Werken selbst.

Was bei konventionell gesetzten Gruppenausstellungen mitunter mühsam herbeigeführter oder -geredeter Effekt ist, ergibt sich hier absichtslos, selbstverständlich. Dies verführt dazu, den Rundgang wieder und wieder von vorn zu beginnen und zu variieren, bis alles, vielleicht, entdeckt ist.