Planetensystem Therapiebälle

by Kristin Schmidt

Im Palais Bleu ist die sechste Le-Lieu-Ausstellung zu sehen, deren Titel «Successes and Traumas» ist. Die Kuratorin Christiane Rekade hat die Künstlerin Vanessa Safavi eingeladen, Werke für diesen Ort zu erarbeiten

Ein Ball ist ein Ball ist eine Kugel ist eine Seifenblase ist ein Sitz, eine Skulptur. Es kommt ganz darauf an – auf die Grösse, die Farbe, das Material. Vanessa Safavi überlässt nichts dem Zufall. In ihrer minimalistischen Installation im Obergeschoss des Palais Bleu ist jedes Detail bedeutsam. Fünf Bälle liegen auf dem Boden und wirken wie Planeten eines entfernten Sternensystems: zwei silberfarbene, zwei transparente und ein kunterbunter.

Der bunte Ball kommt unserer Vorstellung von einem Spielgerät am nächsten, während die beiden transparenten an Seifenblasen oder Glaskugeln erinnern, die metallisch gefärbten hingegen wie die rollenden Bestandteile eines riesigen Kugellagers anmuten.

Doch eigentlich sind alle fünf etwas ganz anderes, nämlich Therapiegeräte, die hier im ehemaligen Krankenhaus wieder an den Ort ihrer Bestimmung zurückkommen. Warum nun aber silbrig schimmernde Gymnastikbälle hergestellt werden, das ist eine der Fragen, die sich angesichts des Werkes von Safavi spontan einstellen.

Vanessa Safavi, die zum ersten Mal in der Ostschweiz ausstellt, ist eine sehr aufmerksame Beobachterin unseres alltäglichen Umfeldes, unserer kulturellen Determinanten. Was sind unsere Werte, wodurch sind sie bedingt? Wie wirken sie im Kontext ganz anderer, fremder oder früherer Werte? Was haben beispielsweise die Gymnastikbälle mit jenen unscheinbaren Bambusstecken zu tun, die an der Wand lehnen oder auf dem Boden liegen? Was mit den Zeitschriften-Stapeln, die uns vom Leben und Leiden der Cervelatprominenz berichten? Fehlen letztere deshalb in keinem Wartezimmer, weil sie uns damit trösten, dass auch Stars und Sternchen ihre Wehwehchen haben, «Successes and Traumas» also?

Die Lausanner Künstlerin, die zwischen Basel und Berlin lebt und arbeitet, inszeniert Kontraste und Gegensätze, um den Blick für längst nicht mehr wahrgenommene Alltagserscheinungen wieder zu schärfen. Mit ihren präzisen Setzungen holt sie ins Bewusstsein zurück, was unbeabsichtigt verlorenging oder auch absichtlich überspielt und unterdrückt wird. So liesse sich etwa darüber sinnieren, wie Wertigkeit den Konsumenten verführt, obgleich sie einzig auf einem Farbton basiert, oder auf vermeintlichem Glanz und Ruhm.

Christiane Rekade, die aus Speicher stammende Berliner Kuratorin, hat mit Vanessa Safavi für die sechste Le-Lieu-Ausstellung eine Künstlerin eingeladen, in deren Werk sich vielerlei Ebenen verschränken. Die Hanfgewebe beispielsweise, die an den Wänden hängen, sind gattungsspezifischer Gegenpart zu den Readymades auf dem Boden, sind sie doch bearbeitet oder zum Diptychon gefügt. Die Bearbeitung wiederum erfolgt im Kontrast zu dem natürlichen Stoff mit Silikon. Das synthetische Material legt sich glänzend über die rauhe Oberfläche des Hanfes, deckt ihn zu und lässt ihn doch durchscheinen.

Drittens schliesslich verweisen diese Arbeiten einmal mehr auf das ehemalige Bezirksspital – da die Silikonkleckse gespiegelt sind und somit an das psychologische Testverfahren des Schweizers Hermann Rorschach erinnern. Während im Palais Bleu früher die Kranken wohnten und jetzt die Künstler arbeiten, wollte Rorschach erst Künstler werden und wurde dann Mediziner, der zwar nicht in Trogen, aber im ebenfalls ausserrhodischen Herisau arbeitete.

Vanessa Safavi verwendet Materialien, die für sich genommen unscheinbar sind, doch miteinander einen unterhaltsamen und durchaus tiefsinnigen Dialog führen können. Mit Nonchalance und Humor fügt die 30jährige Künstlerin in ihrer ersten Präsentation in der Ostschweiz eines zum anderen und bringt fast beiläufig immer wieder den speziellen Charakter des Ausstellungsortes ins Spiel.