Die Kopffüssler kommen
by Kristin Schmidt
Der Grafiker und Künstler Hansjörg Rekade aus Speicher zeigt in der Galerie vor der Klostermauer neue Arbeiten. Sie sind zwischen Comic und Kunst angesiedelt und konfrontieren den Betrachter mit allerlei seltsamen Wesen.
Runde, grosse Augen schauen uns an. Oder sie richten sich mit halluzinatorischen Spiralkreiseln in unbekannte Innenwelten, oder sie sind schwarz, tot, hohl, ein Kreuzchen, ein Punkt. Die Augen, immer wieder die Augen, sind das erste, was die Blicke anzieht und bannt. Dann fallen die seltsamen Requisiten auf, hier ein Monitorkopf, dort ein Fes, hier eine Wolkenkratzermütze, dort Tentakel aus einer offenen Schädeldecke und immer wieder Totenköpfe.
All das wirkt nie bedrohlich, nie lebensfeindlich. Im Gegenteil: Es ist ein kunterbuntes, lebensfrohes Panoptikum überaus vitaler Gestalten, das Hansjörg Rekade auf Papier und Leinwand bringt. Die stilisierten Wesen zeigen die Zähne, aber sie beissen nicht. Sie sind in mythischer Vorzeit ebenso wie in der Gegenwart zu Hause. Sie erinnern an ozeanische Ritualmasken wie an Basquiat’sche Selbstporträts. Sie zeigen Spuren eines durcheinandergeratenen Lebens, aber sie ergeben sich ihnen nicht.
Alles in Rekades aktuellen Werken ist doppeldeutig. Das fängt bei den Geschichten an und hört bei der Gattung auf, oder beginnt es bei der Technik und endet beim Inhalt?
Hansjörg Rekade selbst nennt seine Arbeiten Comic-Art und siedelt sie damit bewusst in jenen zwei Welten an, in denen er sich seit langem zu Hause fühlt und die hier eine untrennbare Symbiose eingehen. Da sind etwa die dominanten Linien des Cartoonisten: Sie sind Kontur und Binnenzeichnung, sie fügen sich zu Mustern oder Hintergrundlandschaften. Ausserdem teilen sie manche der grossformatigen Blätter in mehrere Bildzonen ein – wie die Sequenzen einen Comic-Strip, nur dass Rekade dabei nicht einem klaren Erzählstrang folgen muss. Der Künstler lässt offen, welchen Weg die Geschichte gehen soll, der Betrachter darf sie selbst erfinden und fortspinnen, ganz gemäss dem Motto einer kleinformatigen Serie «Ich seh, was du nicht siehst…».
Wer sich nicht in Narrationen ergehen will, kann sich auch nur an den Einzelbildern satt sehen. Bereits die leuchtenden Farben der Ölpastellbilder sind ein Thema für sich. Lokalfarben setzt Rekade kaum ein, und wenn, dann nur, um bereits wieder einen verfremdenden Effekt zu erzielen wie etwa bei einer Leuchtturmpalme. Auf dreidimensionale Effekte verzichtet er fast völlig, und somit auch auf Zwischentöne. Alles kommt kraftvoll und dicht daher. Die Kontraste sind so zahlreich, dass sie gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden, alles wirkt kunterbunt.
Den Gegenpart dazu bilden die Serien in Tusche auf Papier, wo sich Hansjörg Rekade ganz als Grafiker zeigt, der er ebenfalls ist. Virtuos sind kleinteilig strukturierte Flächen und weiss belassene Zonen zueinander gesetzt, mitunter akzentuiert von einem roten Hintergrund. Bildzentrum wird keines definiert, und die Figuren am Bildrand sind mitunter angeschnitten, so wirken die Bilder wie Ausschnitte aus einer viel grösseren Welt. Und wenn Rekade diese dichten Kompositionen zu gesetzt wirken, dann hat er immer noch die Malerei. In den ausgestellten Gemälden überwiegt das Spontane, der Impuls, die Aktion.
Malerei, Grafik, Comic – als wären all diese verschiedenen Bildkosmen nicht schon Sinnesreiz genug, gibt es zudem die Ebene der Bildtitel. Sie öffnen eine eigene poetische Welt, zitieren den schwarzen Mann, den Herrn Bischof oder das blaue Rüsselmonster herbei oder münden in der überraschten Frage: «Was soll die Mus in meinem Bus…»