Burg, Bahnhof, Brauerei
by Kristin Schmidt
Der Verein Kunsthallen Toggenburg hat diesen Herbst in der ehemaligen Brauerei Burth in Lichtensteig Quartier bezogen. Sieben Ostschweizer Künstlerinnen und Künstler zeigen ihre Werke.
Kunsthallen gibt es in vielerlei Prägungen. Eines ist ihnen allein gemein: Sie haben einen festen Ort. Im Toggenburg ist das anders. Die Kunsthallen Toggenburg sind auf Wanderschaft. Seit fünf Jahren zieht die Kunst umher, um jeweils im Herbst für eine Ausstellung Station zu machen.
Die Kunsthalle «nomadisiert» und ist damit ganz auf der Höhe der Zeit, hat doch der Globalisierungsschub der vergangenen Jahrzehnte die Migration immer stärker in den Fokus gerückt.
Die Auswirkungen sind im politischen und wirtschaftlichen Gefüge genauso spürbar wie in kulturellen Sphären. Auch wenn in der öffentlichen Wahrnehmung mitunter die Schattenseiten der Migration dominieren, ist sie zugleich schöpferische Kraft, verbindet sich doch mit jedem Schritt aus der Stabilität heraus eine Chance. Im Toggenburg werden letztere eindrucksvoll genutzt.
Nach Ausstellungen in ungenutzten Hallen, auf der Iburg und in Bahnhöfen ist die Kunsthalle aktuell in der Brauerei Burth in Lichtensteig angekommen. Die Räume könnten vielfältiger nicht sein. Der Betrachter wird durch Turmzimmer und Badezimmer geführt, durch das alte Magazin und die Werkstatt bis hin aufs Dach. Die Künstler bespielen das gesamte Raumprogramm, und es scheint, als habe jeder für sich genau die optimale Situation gefunden.
Susanne Kellers «Musikstücke» tönen aus den Kupferkesseln des Sudhauses heraus, ihre «Bebilderungsbühnen» gehen eine vieldeutige Symbiose mit dem Estrichambiente ein. So fragt sich beispielsweise der Betrachter, ob der Spiegel, der wie zufällig die Rückseite der Bühne ins Blickfeld bringt, tatsächlich ein Fundstück ist. Seine Plazierung wirkt ebenso beiläufig wie ausgewogen.
Die St. Gallerin Katalin Deer mit ihrem besonderen Sinn für architektonische Geschichten und Charaktere hat das Treppenhaus für sich entdeckt, die atemberaubende Geländerkonstruktion, die sie fotografiert, spiegelt und mit vertikal betonten Fotografien akzentuiert.
Monica Germann und Daniel Lorenzi verteilen ihre Zinngüsse und Zeichnungen über sämtliche Etagen, während Matthias Rüegg seinen Platz im Aussenraum gefunden hat.
Dem Flachdach der Industriebaute setzt er eigens für die Ausstellung geschaffene, von Lichtensteig’schen Originalen inspirierte Dachgauben auf, die Dachgaube mit Migrationshintergrund sozusagen.
Augenfälligstes Symbol für das Unterwegssein ist «arthur», dessen Name auf die Kunst und den zweitlängsten Fluss der Ostschweiz gleichermassen anspielt, und der ein kennzeichenloser Wohnwagen ist. Diesmal beherbergt er ein Buchprojekt von Daniel Ambühl. Der Künstler und Mykologe lässt ausserdem aus Büchern Pilze wachsen und setzt den Link zu den Brauprozessen, der Hefe, den Bakterien.
Siebte im Bunde ist Rachel Lumsden, die mit einem Videoloop und drei Gemälden auch den Reigen der Gattungen innerhalb «arthur#5» vollendet. In ihren grossformatigen Bildern lässt sie Alpinisten Industrietürme erklimmen.
Dass gegenüber reale Schraubenschlüssel an einem Werkzeugbrett hängen, rückt nicht nur den technischen Aspekt des Bergsteigens in den Blick, sondern auch den handwerklichen der Malerei – Lumsdens Bilder strotzen nur so vor der Freude am Medium, der Materie.
Immer wieder überzeugen diese plötzlichen Koinzidenzen von Ausstellungsraum und Werk, aber auch zwischen den Werken selbst.
Was bei konventionell gesetzten Gruppenausstellungen mitunter mühsam herbeigeführter oder -geredeter Effekt ist, ergibt sich hier absichtslos, selbstverständlich. Dies verführt dazu, den Rundgang wieder und wieder von vorn zu beginnen und zu variieren, bis alles, vielleicht, entdeckt ist.