Kunst aus Marmor im Schober

by Kristin Schmidt

In einer Scheune in Amden sind Sommer für Sommer ortsspezifische Installationen von international bekannten Künstlern zu sehen. Die aktuelle Ausstellung zeigt Werke der St. Gallerin Katalin Deér.

Jede Kunstpräsentation ist eine Gratwanderung. Eine Versuch, dem Werk in inhaltlicher und ästhetischer Hinsicht gerecht zu werden. Ein Idealfall sind Werke, die eigens für eine Ausstellung geschaffen wurden. Wie das funktioniert, ist in einer Scheune in Amden zu erleben. Seit über zehn Jahren lädt Kurator Roman Kurzmeyer internationale Künstlerinnen und Künstler ein, in und für diesen Raum zu arbeiten.

Die Idee: sich mit der kultur- und kunstgeschichtlich bedeutsamen Landschaft auseinanderzusetzen und daraus eigenes zu entwickeln.

Mit diesen Hintergedanken im Kopf mag die Stuckmarmorplatte in der Scheune wie ein riesiger Fremdkörper wirken. Katalin Deér hat die massive Platte auf dem Bretterboden plaziert. Dort liegt sie und gibt Rätsel auf. Wie kam sie hierher? Welchen Bezug hat sie zum Gebäude, zur Landschaft? Doch bevor der Betrachter dies ergründet, will er vor allem eines: die Platte berühren, über ihre samtene Oberfläche fahren, den Unebenheiten, den Silhouetten der Farbfelder nachspüren; ein überaus sinnliches Vergnügen.

Hier in der Stille der alten Scheune lässt es sich endlos zelebrieren. Und langsam drängt mehr ins Bewusstsein: die Streiflichter der Bretterzwischenräume, das Türkis des tiefer gelegenen Walensees, das Alter der Scheune und die Vergänglichkeit der Intervention, ihre Verletzbarkeit.

Die Platte entstand vor Ort in einem aufwendigen handwerklichen Verfahren. Sie wurde gespachtelt, geschliffen, geölt und gewachst. Sie ist Malerei ebenso wie Plastik, sie ist Bild und Materie. Sie ist ein ebenso visuelles wie haptisches Erlebnis. Katalin Deér zeigt sich hier in ihrem Element als Bildhauerin. Ihr Gespür für den Raum und den Charakter des Gebäudes kommt ebenso zum Tragen wie ihre Achtung vor Material und Technik und ihre Lust am künstlerischen Prozess.

In den letzten Jahren widmete sich Katalin Deér vermehrt der Fotografie und ihrem plastischen Potenzial. Im Untergeschoss der Scheune ist eine grossformatige, glänzende Fotografie auf dem Holzboden ausgebreitet. Passgenau liegt sie auf dem strohbedeckten Podest und wird Objekt.

Die Aufnahme zeigt zwei Holzstühle in einem Schaufenster. Die Anordnung trifft sich mit dem Umraum und der Platte darüber. Die Oberfläche reflektiert genau wie die Stuckmarmorplatte und wie der See das Licht. Die funktionale Form der Stühle weckt den Sinn für die Ästhetik der zweckgerichteten Architektur.

Katalin Deér hat sich dem Ort behutsam genähert. Sie inszeniert einen Kontrast zwischen Raum und Werk, der sich bei intensivem Schauen, wie es nur in dieser ländlichen Ruhe möglich ist, mehr und mehr auflöst.