Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Zeichen an der Wand

Roland Kodritsch malt sein eigenes Atelier. In der Galerie Paul Hafner im Lagerhaus ist die jüngste Werkserie des österreichischen Künstlers zu sehen.

Roland Kodritsch lädt wieder einmal zum Ortstermin. War es bei seiner letzten Ausstellung in der Galerie Paul Hafner die Südsee, in die er den Betrachter verführte, ist es diesmal das eigene Atelier. Statt Palmen also Heizungsrohre, statt Meer und Sonne weisse Wände und Farbspritzer. Die Urlaubslandschaft ist dem Arbeitsraum gewichen. Das Motiv der Gemälde könnte verschiedener kaum sein, doch der 1970 in Österreich geborene und in Wien lebende Künstler bleibt seinem Thema treu: der Malerei.

Diesmal ist die Sache aber komplizierter. Zwar gibt es wieder eine räumlich lokalisierbare Ausgangssituation, aber die Pinselstriche und Farbspuren ordnen sich ins Sujet ein: Das Tropfen und Rinnen, die Kleckse und Streifen sind folgerichtig an der Wand platziert. Sie erscheinen als Überbleibsel der vor kurzem oder längerem vor dieser Wand gemalten Bilder. Es sind Arbeitsspuren. Nicht nur auf der weissen Wand zeichnen sie sich ab, sondern auch auf Heizungsleitungen und Boden. Die Rohre werden zum Hindernis für die Farbe, bevor sie den Boden benetzt und sich dort in bunten Pfützen sammelt. Also sind die Gemälde einfach ein genaues Abbild einer vorgefundenen Situation? Ein klassisches Trompe l’œuil?Wieder einmal erweist sich Roland Kodritsch als Künstler, der die Erwartungen unterläuft und auf spielerische Art einfache Kategorisierungen unmöglich werden lässt. Denn wer genau hinsieht, entdeckt, dass die Kleckse und Spritzer nicht nur dem logischen Prinzip vor Ort im Atelier folgen, sondern auch den physikalischen Gesetzmässigkeiten auf der Leinwand. So ziehen sich neonorange Spritzer über Wand und Heizungsrohre hinweg und machen die Illusion der Dreidimensionalität zunichte, stossen das Bild in die Fläche zurück. Die hellen, frühere Bildstellen kennzeichnenden Rechtecke sind zum Teil nur vage nachvollziehbar. Und selbst die Spuren auf dem Boden lassen teilweise die perspektivische Verkürzung vermissen.

Dies alles sind vom Künstler bewusst gesetzte Irritationsmomente. Es entsteht ein Oszillieren zwischen Illusion und Abstraktion, zwischen dem Bild einer farbbespritzten Atelierwand und einem Gemälde aus ungegenständlichen Elementen: weisse Fläche, graue Streifen, gestische Farbspuren. Diese Abwesenheit des Motivs wird auch im Ausstellungstitel angedeutet: «mene, mene» verweist auf das biblische «Mene, mene, tekel upharsim». Jene Ankündigung des nahenden Untergangs Babylons erhielt Belsazar während eines Festmahles durch eine Schrift an der Wand. Die auflodernden Buchstaben waren für den König selbst undeutbar und verschwanden wie sie aufgetaucht waren wieder im Nichts. Auch Kodritschs Bildspuren verblassen bereits wieder unter Schichten weisser Farbe. Ob aber damit nun die Spuren an der Atelierwand oder die Leinwand gemeint sind, bleibt offen. Neben den grossformatigen Gemälden zeigt der Künstler in der Galerie Paul Hafner Teile seiner Fotoserie «Tischskulpturen». Kleine Arrangements aus Alltagsdingen entstehen im Spiel mit Freunden und Bekannten und werden in Fotografien verewigt. Auch hier ist Vieldeutigkeit Programm. Je reduzierter die Mittel, umso besser: Denn welcher Bäcker rechnet schon damit, dass das lustige Guetzli mit freundlichem Gesicht durch einen Biss zur schreienden Geisterfratze wird.

Bunte Würfel, weisse Räume

Die Malerei ist für den französischen Künstler Sébastien de Ganay der Ausgangspunkt für dreidimensionale, skulpturale Farbexperimente. Seine Arbeiten sind in der Galerie Roellin/Duerr ausgestellt.

Turm, Tunnel, Schrank, Sarg, Höhle, Schaukel – halbierte Hohlzylinder sind sehr verwandlungsfähig. Sie lassen sich freistehend, an der Wand oder aneinander, liegend mit der Öffnung nach oben oder nach unten positionieren. Sébastien de Ganay setzt bei seinen Aluminiumskulpturen die Summe all dieser Möglichkeiten voraus. In seiner Ausstellung in der Galerie Roellin/Duerr im Lagerhaus sind halb- und ganzfigurige Zylinder frei im Raum angeordnet und keiner muss zwingend bleiben wie und wo er ist. Das freie Spiel mit den Körpern und Volumen, die Mobilität der Objekte ist Teil seiner Werkidee.

Das setzt sich besonders augenfällig in den auf- und nebeneinander gestapelten Kuben fort: Wie bunte Bauklötze sind sie geordnet und aufgereiht, scheinen aber geradezu darauf zu warten, dass diese Ordnung durch eine andere ersetzt wird. Der 1962 in Frankreich geborene, jetzt in Paris und der Nähe von Wien lebende Künstler, kalkuliert diesen Reiz seiner Skulpturen durchaus ein. In einem Interview im Katalog erklärt er dazu: «Meine Arbeit kennt keine Berührungsängste. Manchmal ist es gut, den anderen das Risiko zu überlassen, sich zu amüsieren.»Spontan fühlt man sich beim Modulsystem aus Würfeln und Zylindern an die Skulpturen der Minimal Art erinnert: Auch dort bot ein einfaches geometrisches Grundvokabular den Ausgangspunkt vielfältigster Kombinationsreihen und führte zur überraschenden Vielfalt klarer, durchaus nicht schematisch wirkender Lösungen. Mittels serieller Wiederholungen unterliefen die Künstler die traditionelle kompositorische Hierarchie und versuchten eine objektive, demokratische Kunst zu schaffen. Unterliegen die Werke der Minimal Art jedoch einer strengen Logik, so legt de Ganay den Schwerpunkt auf einen offenen Gestaltungsprozess, in dem auch die Farbigkeit eine grosse Rolle spielt. Die Würfel sind in bunten, teils knalligen Tönen lackiert und machen so noch mehr Lust auf ein spielerisches Umsortieren.

Die Arbeit mit der Farbe ist für de Ganay ein zentraler Aspekt seines Schaffens und nicht zuletzt auch die Brücke zwischen seinen Gemälden und seinen Skulpturen. Denn zunächst begann er um 1984 mit der Malerei und versuchte bald die glatte Oberfläche der Farben aufzubrechen. Die Bilder konstruieren ein interessantes Spannungsfeld zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Freunde, Bekannte oder anonym bleibende Personen agieren grossfigurig vor weissem Hintergrund. Den Darstellungen fehlt also ein konkreter räumlicher Bezug, der einerseits Rückschlüsse auf das Umfeld der Porträtierten zulassen und andererseits eine perspektivische Tiefenwirkung ergeben würde. Die Räumlichkeit erzeugt de Ganay auf andere, ungewöhnliche Weise: Auf die weiss grundierte Leinwand wird gefaltete Plastikfolie gespannt, die wiederum den Maluntergrund bildet und anschliessend nochmals mit Plastik bespannt wird. Die Falten verleihen dem Bild Tiefe und bewahren gleichzeitig seine Transparenz. Ein stilles Leuchten dringt wie unter einem Schleier hervor. Die winkenden, stehenden oder liegenden Personen wirken lebensnah und sind doch der Wirklichkeit oder zumindest dem Alltag enthoben. De Ganays Gemälde sind lebendig und zeitlos zugleich. Malerei erhält hier ganz neue Impulse.

Lyrische Linien

Der deutsche Künstler Jürgen Partenheimer zeigt in der Galerie Wilma Lock aquarellierte Zeichnungen – lyrische Vorstellungsbilder ohne konkrete Motive.

Reforzate – das einfache Wort verschwindet fast auf der Wand. Mit zartem Bleistiftstrich ist es hingeschrieben. Wie eine anonyme Liebeserklärung oder eine beiläufige Notiz. Jedenfalls ist es keine Proklamation, dafür sind die Linien zu fragil, das Wort zu klein auf der weissen Wand der Galerie Wilma Lock. Und dennoch: So unscheinbar das Wort auch wirkt, es ist das Motto einer ganzen Ausstellung.

Benannt hat sie Jürgen Partenheimer nach dem kleinen Dorf in Italien. Dorthin zog er sich zurück, dort entstand eine Serie von Bildern, die nun in St. Gallen zu sehen sind. Es sind Zeichnungen, deren Charakter dem des auf die Wand geschriebenen Wortes gleichen: Sie wirken beiläufig, leicht, beinahe flüchtig und trotzdem wohnt ihnen eine Kraft und Poesie inne. Suchende Bleistiftlinien fügen sich zu Labyrinthen, zu Zellenstrukturen und Gewebe. Sie ballen sich, verlieren sich wieder, überlagern sich und verklumpen ineinander.Eine wiederkehrende amorphe Grundform wird gestreckt, gestaucht, aufgebläht und zusammengezogen. Mal ist es ein Schwimmen und Schweben, dann wieder scheinen sich Steine zu Mauerwerk zu verbinden. Die Bleistiftlinien finden Kontrast in Flächen aus kräftigem Orange, Hellblau, Gelbgrün. Farbflächen und Linien werden in freiem Spiel zueinander assoziiert.

Selbst wenn sich immer wieder konkrete Interpretationen aufdrängen, als handle es sich etwa um Stangen und Stengel, um florale Elemente oder mikroskopische Details, so bleibt doch alles nur Vermutung. Jürgen Partenheimer lässt den Bleistift wandern und entwickelt Bilder, die unsere Vorstellungskraft beflügeln, ohne selbst mehr als eine vage Andeutung zu sein.Unwillkürlich erinnern sie an Musik, an Töne und Schwingungen. Eines ergibt das andere, einer Linie folgt parallel eine zweite, sie vereinigen sich, driften wieder auseinander und verwirbeln sich im Raum – und dies findet in immer wieder auf andere Weise spannenden und anregenden Variationen statt.

Den Anstoss zur Serie bildet eine zufällig entstandene Zeichnung: Während Filmarbeiten skizzierte Partenheimer, diesjähriger Preisträger für bildende Kunst der Stadt Dortmund, der Regisseurin seine Überlegungen: die Zeichnung als Gedankenbild. Doch warum nun Reforzate? Es zählt wie Nümbrecht in Deutschland zu den Orten, die für den 1947 in München geborenen Partenheimer den notwendigen Gegenpol zur urbanen Lebenswelt bilden. Hier ist Konzentration möglich und nötig. Hier eröffnen sich neue Räume und andere Perspektiven. Immer wieder verlässt Partenheimer den normalen, sicheren Atelierkontext. Jeder Ortswechsel bedingt eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Umgebung, ihre Atmosphäre und ihren Klang. Diese zwar zu spürenden, aber kaum zu fassenden, unsichtbaren Dinge sind es, die in seinen Bilder Gestalt bekommen.

Eine Frage des Blickwinkels

Die aktuelle Ausstellung «Vermutung/Lose/Dichte» bei Hafner zeigt neue Arbeiten von Michael Kienzer. Der Österreicher untersucht mit ungewöhnlichen Materialien das Verhältnis von Wort und Bild, von Gemälde und Skulptur.

Was ist ein Bild? Welche Kriterien muss es erfüllen? Muss es an der Wand hangen? Kann es unsichtbar sein oder gar kein Motiv haben? Wo hört die Malerei auf und fängt die Skulptur an? Michael Kienzer überschreitet Grenzen, weitet sie aus oder tilgt sie völlig. Er hinterfragt Gattungsgrenzen ebenso wie die herkömmlichen Vorstellungen dessen, was ein Bild ist.

«Vermutung/Lose/Dichte» ist die Ausstellung aktueller Werke in der Galerie Paul Hafner betitelt, und bezieht sich damit auf drei aus mehreren Glasplatten zusammengesetzte Tafeln. Zwischen den Glasschichten tauchen einzelne Buchstaben auf, schweben vor- oder hintereinander im Raum und verdichten sich zu einer abstrakten Zeichnung aus breiten Linien. Ebenso gut lassen sie sich wieder zu drei Worten auseinander dividieren. Steht also «Lose» für die vom Wort gelöste Komposition der Linien? Bezieht sich «Dichte», auf die Überlagerung der hintereinander geblendeten Buchstaben oder Glasplatten? Oder ist dies alles nur «Vermutung»? Kienzers Arbeit lässt die Antwort offen, sie ist zugleich Relief und Fläche, zugleich Schrift und Bild.

Noch radikaler wirkt eine neue Werkserie, bei der die Löcher und Kanten des Glases sowohl die unverzichtbare Aufhängevorrichtung wie auch das eigentliche Motiv sind. Ausserdem spielt sich das Ganze im Glas an der Grenze zum Sichtbaren ab. Bereits vor über zehn Jahren entdeckte Kienzer Glas als künstlerisch verwendbares Material. Verarbeitete der 1962 geborene Österreicher es anfangs noch in vorgefundener, bedruckter Form in Readymade-Manier, so setzt er es später für Experimente im Bereich der Malerei ein. So trägt er etwa zwischen Spiegel und Glas transparenten Lack auf und behält damit den Duktus der Malerei bei, eliminiert aber eines ihrer wesentlichsten Elemente: die Farbe. Und noch ein Widerspruch offenbart sich hier. Mit der informellen Geste geht der Verzicht auf ein konkretes Bildmotiv einher; dieses taucht jedoch in dem unter der Lackschicht verborgenen Spiegel in Form des schemenhaft sichtbaren Betrachters wieder auf.

Auch eine andere Werkgruppe entwickelte Kienzer kontinuierlich weiter. Vor zwei Jahren waren in der Galerie Paul Hafner noch seine den Abstrakten Expressionismus persiflierenden Teppichzeichnungen zu sehen. In der aktuellen Ausstellung liegen nun schräg übereinander zwei identische Teppiche auf dem Boden mit dem einzigen Unterschied, dass der eine in die eine und der andere in die entgegengesetzte Richtung gebürstet ist. Je nach Blickrichtung wirkt einer hell und der andere dunkel und umgekehrt. «Point of View» nennt Kienzer dieses minimalistische Spiel zwischen monochromer Malerei, Bodenskulptur und Objekt und verweist damit bereits sowohl auf Vieldeutigkeit wie auch auf die Vielgestaltigkeit, je nach Blickwinkel. Eines jedoch haben alle seine Werke gemeinsam, ob aus Glas oder Spiegel, ob Teppich-, Ballon- oder Tasseninstallation: Immer wieder überraschen sie ob ihrer ungewöhnlichen und hintergründigen Interpretationen bekannter Materialien.

Unvergessliche Erinnerung

Unter dem Titel «Memorable Memory» zeigt die Kunsthalle St. Gallen eine Auswahl von Werken, die sich der Erinnerung widmen – der persönlichen und der kollektiven, der präzisen und der vagen.

Gibt es Gesetze des Erinnerns? Lässt sich Erinnerung verorten oder katalogisieren? Wie werden Erinnerungen ausgelöst und wie gespeichert? Erinnerung ist ebenso mannigfaltig wie ungreifbar, ebenso unmittelbar wie tief verwurzelt. Mitunter genügt ein Duft, ein Bild, eine Geste, und in Sekundenschnelle taucht längst vergessen Geglaubtes wieder auf, mal konkret und zeitlich fixiert, mal verschleiert, kaum benennbar. So komplex und vielseitig die Vorgänge des Erinnerns sind, so unterschiedlich sind die Methoden der Künstler bei der Visualisierung dieses Phänomens.

Die aktuelle Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen zeigt unter dem Titel «Memorable Memory» vierzehn künstlerische Positionen, die sich mehr oder weniger gezielt der Erinnerung widmen. Und es gibt eine weitere Gemeinsamkeit: Alle ausgestellten Werke stammen aus der Sammlung des Migros Museum in Zürich.Der Bogen reicht von der jüngeren Künstlergeneration wie den Schweizern Urs Fischer, Claudia und Julia Müller, dem Mexikaner Carlos Amorales, dem Schotten Douglas Gordon bis hin zu Kunstgrössen wie Jannis Kounellis, Alighiero Boetti oder Martin Kippenberger. Das Konzept mag zunächst überraschen, hat sich die Kunsthalle St. Gallen doch als Ort für junge, zumeist in Eigenregie produzierte Projekte etabliert. Nun also eine Sammlungsausstellung.Der Rundgang zeigt zum einen, dass die Kunsthalle sehr gut als Raum für eine derartige, eher museal angelegte Präsentation funktioniert, und zum anderen, dass Gianni Jetzer bei der Auswahl der Arbeiten aus seiner intimen Kenntnis der Migros-Sammlung schöpfte – der Kurator arbeitete von 1998 bis 2001 an der Zürcher Institution. Die thematische Ausstellung in der Kunsthalle ist also auch ein persönliches Erinnerungsprojekt.

Auch in sich funktioniert «Memorable Memory» auf zwei Ebenen. Es werden allgemein gültige Aussagen getroffen und zugleich bieten sich individuelle Projektionsflächen. So etwa in der Videoarbeit von Noritoshi Hirakawa, auf die auch der Titel der Ausstellung zurückgeht. Der Künstler stellte verschiedenen Passanten in New York stets die gleichen sachlichen Fragen zum Tod von Prinzessin Diana. Viele erinnern sich kaum an Todeszeitpunkt und -ort, doch viele an den Moment, in dem sie von dem tödlichen Unfall erfuhren. Es verstricken sich vage Vermutungen mit konkreten Erinnerungen an alltägliche Handlungen und öffentliches Wissen mit privaten Reflexionen.Einen ganz anderen und doch ebenso verschiedene Erinnerungsebenen verknüpfenden Ansatz verfolgt die Schottin Christine Borland. Sie lud sechs Akademieprofessoren ein, auf der Basis zweier Fahndungsfotos und der Aussagen von KZ-Häftlingen eine Büste des ehemaligen Konzentrationslagerarztes Joseph Mengele anzufertigen. Im Ergebnis mischen sich psychologisierende Interpretation und der Versuch kriminalistischer Genauigkeit. Jede Büste ist ein gesellschaftliches, moralisches und mediales Konstrukt.

Konkreter an der Vorlage bleibt der Deutsche Olaf Nicolai. In «Dresden 68» verwandelt er die Fassadenstruktur eines Dresdner Kaufhauses aus den 70er-Jahren in einen Leuchtkörper. Eine ursprünglich dreidimensionale Gestaltung, die auf dem kubischen Bau als flächiges Ornament wirkt, wird in einen Körper verwandelt und erst dadurch sichtbar. Der ehemalige architektonische Entwurf sendet ein sanftes Licht in den Raum aus. Was das mit Erinnerung zu tun hat? Dem Kaufhaus droht der Abriss, vielleicht übernimmt «Dresden 68» dereinst den Charakter eines Denkmals – das wäre dann eine Art zukünftige Erinnerung.

Malerei trifft Landschaft

Die erste Ausstellung von Karin Schwarzbek in der Galerie Paul Hafner im Lagerhaus lockt unter dem Titel «Fuchsgarten» mit kraftvollen Bildern in einer rätselhaften Sprache.

Zuallererst fallen die Farben auf. Sie sind kräftig, oft dunkel und selten unvermischt. Nur ab und zu strahlt ein klares Ultramarin von der Leinwand. Ansonsten verwendet Karin Schwarzbek ein überaus breites Spektrum unterschiedlichster Abtönungen. Von zartem Rosa über leuchtendes Türkis, Rostrot oder Moosgrün bis hin zu lichtem Hellblau reicht ihre Palette und erinnert mitunter an die Farben derzeitigen Lifestyle-Designs.

Doch bei all dieser Vielfalt wirken die Bilder nicht einfach nur bunt. Stattdessen stellt sich ein sonorer Klang ein, eine harmonische Gesamtstimmung. Das liegt zum einen an der Auswahl der Farben und ihren Nachbarschaften wie an den wirkungsvoll eingesetzten Kontrasten, und zum anderen daran, dass die Farbflächen nicht in sich geschlossen sind.

Die 1969 in Egnach geborene und in Zürich lebende Künstlerin malt in expressivem Duktus. Breite, sich kreuzende, plötzlich abbrechende oder die Richtung wechselnde Pinselstriche dominieren die Fläche. Sie verwischen einander, wandeln ihre Farbigkeit und geben sie in anderen Linien weiter. Zu diesem lebendigen Farbauftrag ist Karin Schwarzbek erst in ihren jüngsten Bildern gekommen wie die aktuelle Ausstellung in der Galerie Paul Hafner zeigt. Sie umfasst Bilder aus den vergangenen vier Jahren und damit eigentlich nur einen kleinen Teil des Œuvres. Dennoch lässt sich eine interessante Entwicklung erkennen. Während das früheste Gemälde noch von weitgehend homogenen Flächen beherrscht wird, ist der Einsatz der Farbe inzwischen wilder, kraftvoller, ja beinahe schon explosiv. Ausserdem ist eine weitere grundsätzliche Veränderung zu verzeichnen: «Frühlingserwachen I» aus dem Jahre 2001 ist von Figuren bevölkert, dagegen tauchen später – abgesehen von einem leblos wirkenden Körper – keine Personen mehr in den Gemälden auf.

Der Schwerpunkt ist jetzt die Landschaft, und auch diese löst sich mehr und mehr auf bis an die Grenzen der Erkennbarkeit. Werken mit deutlich erkennbarer Vegetation stehen solche gegenüber, deren Sujet nur deswegen noch als Landschaft identifizierbar erscheint, weil sie im Kontext der anderen Werke zu sehen sind.Zugleich stellt sich die Frage, wie viele oder welche Details nötig sind, damit Landschaft als Landschaft identifiziert werden kann. Zwar suggeriert das schwache Blau am oberen Bildrand Himmel und die ineinander ragenden Striche Äste, doch einerseits fehlen teilweise solche Versatzstücke von Natur, und andererseits sind die Werke durchsetzt von Zeichen und Motiven, die durch keinen Code entschlüsselbar scheinen. Farbige Kreise sinken über das Bild, eine mit Kreuzen besetzte Linie durchzieht es wie die Markierung einer Landkarte, Buchstabenformen scheinen über einen Waldboden gestreut. Irritierend stehen drei Verkehrskegel vor einer Bank. Unvermittelt ist eine rosa Linie gesetzt oder fächern sich graue Striche strahlenförmig auf.

Schwarzbek verrätselt ihre Werke, bereits gemachte Andeutungen werden wieder zerstört und Motive gesetzt, die keine sind. Zusätzlich ist das Zentrum der Werke kaum das Zentrum des Geschehens, wenn es überhaupt eines gibt. Der Bildaufbau zwingt den Betrachter, seine Blicke wandern zu lassen. Statt Halt gebender Fixpunkte entfaltet sich ein Sog tief ins Bild, der wiederum unterstützt wird von Farben und Duktus.Karin Schwarzbeks Gemälde sind mehr als mysteriöse Suchbilder. Da die Künstlerin fast gänzlich auf konkrete Motive verzichtet und selbst die wenigen Andeutungen noch beinahe im expressiven Strich ertrinken, verleiht sie ihren Werken grosse Offenheit. Hier bieten sich Projektionsflächen ohne Grenzen.

Zwischen Skulptur und Bild

Der St. Galler Künstler Stefan Rohner zeigt in seiner aktuellen Ausstellung in Katharinen Bilder, die nicht nur laufen, sondern auch den Raum erobern.

Eine Frau schläft, die Decke hat sie bis über das Kinn gezogen, ihr Haar umfliesst ihren seitlich liegenden Kopf. Weiss auf schwarz zeichnet sich ihr Bild ab und scheint sich gleichzeitig in einem hellen, auratischen Schein aufzulösen. Keine Konturlinie ist als scharfe Begrenzung sichtbar, alles erscheint wie eine flüchtige Lichterscheinung im tiefsten Dunkel. Stefan Rohner hat ein altes fotografisches Mittel wieder entdeckt: Die Solarisation. Dabei wird das lichtempfindliche Fotopapier während des Entwicklungsprozesses kurz hellem Licht ausgesetzt. Als Folge davon verkehrt sich das Verhältnis von Positiv zu Negativ.

In der aktuellen Ausstellung mit Werken des St. Galler Künstlers in Katharinen ist nun nicht nur das Ergebnis dieser Technik zu sehen, sondern der Vorgang selbst.

Unterhalb des Bildes steht ein kleiner Holztisch, in dessen Platte ein Monitor versenkt ist. Als stünde er selbst in der Dunkelkammer blickt der Betrachter hinunter und erblickt das in einer roten Schale schwappende Entwicklungsbad und die nötigen Handgriffe, um die Schwarz-weissfotografie auf dem Fotopapier sichtbar werden zu lassen. Langsam entsteht vor den Augen des Betrachters das Bild der schlafenden Frau, bis ein Blitz durch die Dunkelkammer zuckt, das Bild kurz verschwinden und dann auf umgekehrte Art wiederauftauchen lässt. Mit dieser Arbeit, in Katharinen ein wenig versteckt hinter der Eingangstür präsentiert, deutet sich ein Grundthema in Rohners aktuellem Schaffen an. Alle Werke sind in den vergangenen Monaten entstanden, und alle loten sie das Verhältnis zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, zwischen Skulptur und Bild aus. Das Bild kann dabei sowohl ein bewegtes, als auch ein unbewegtes sein. In dem Werk «Walzen» beispielsweise wird ein Kleinbilddia langsam auf und ab bewegt und das Bild einer Frau im roten Badeanzug gleitet dabei über mehrere, horizontal übereinander angeordnete Walzen. Sie springt je nach Blickwinkel pfeilgerade nach unten, wird von einem unsichtbaren Mechanismus wieder hochgezogen oder vollführt schlangenlinienartige Verrenkungen.

Bereits in den Achtzigerjahren experimentierte Rohner mit derartigen Installationsanordnungen, die damals jedoch nicht zuletzt aufgrund der eingeschränkten technischen Realisationsmöglichkeiten meist Skizzen blieben. Mittlerweile sind diese Hürden verschwunden, und der Künstler kann seine Untersuchungen zum Thema des räumlichen Bildes adäquat umsetzen. Der Hinterkopf voller Lockenwickler etwa ragt dank einer grossen Halbkugel, auf die er projiziert ist, plastisch in den Raum hinein. Die Umkehrung dieses Gedankens erfolgt mit einer anderen Arbeit, bei der das Videobild eines auf Wasserwellen auf und ab schaukelnden Angelschwimmers von einer grossen Styroporkugel umgeben ist. Aufgehängt an einer Schnur wirkt Letztere selbst wie ein überdimensionaler Schwimmer und das kleine, verborgene Bild wie der Köder für den neugierigen Betrachter. Einmal also wird das bewegliche Bild selbst zur Skulptur, das andere Mal hingegen wird die Skulptur durch den Einsatz des bewegten Bildes lebendig.Hatte Rohner in den vergangenen Jahren in seinen Fotoperformances eine Kunstfigur etabliert, indem er selbst mit blauem Hemd, unverwechselbarer Brille und Hut in immer wieder ins Absurde kippende Situationen auftrat, so setzt er in letzter Zeit wieder verstärkt Schauspieler ein. Aber ganz verzichten muss der Betrachter auf Rohners Darstellerqualitäten dann doch nicht. Ob er sich mit heiterer Gelassenheit endlos auf ihn zufliegender Leintücher entledigt oder ihm in fotografischen Einzelsequenzen eine Pauke einen Purzelbaum abnötigt, oder ist es gar ein Sturz? Auch Rohners aktuelles Werk durchzieht die leise Ironie dessen, der weiss, dass Widerstand angesichts der kleinen und grösseren, alltäglichen Hindernisse zwecklos ist.

Ungebändigt

Christian Ludwig Attersee ist gleich zweimal präsent in Appenzell: im MuseumLiner und in der KunsthalleZiegelhütte. Unter dem Titel «Der Feuchte Brief» feiert man doppelt das Triebleben.

Zigaretten rauchende Brüste, segelnde Tische und einsame Jollen auf hohen Gipfeln, Ziegenköpfe mit Hammerhörnern oder ein Kopfstand auf einer Flasche – in den Bildern von Christian Ludwig Attersee ist alles möglich.

Im Neben-, Mit- und Übereinander alltäglicher Motive ergeben sich unzählige Varianten, die ganz und gar nicht mehr alltäglich sind. Attersee jongliert mit Symbolen und Dingen, aber Beliebigkeit ist ihm fern. Es sind die grossen Themen: Leben und Tod, Schmerz und Freude und immer wieder die Liebe, doch nicht die gebändigte, die institutionalisierte oder gemässigte Liebe, sondern ungezähmte Triebe und Leidenschaften.

Besonders eindringlich zeigt sich dies in der Serie «Spatzenerotik». Hier steckt ein Penis wie ein Fuss in einem Damenschuh oder hängt als Zunge aus einem Mund. Auf anderen Blättern ist es ein Hinsinken, Biegen, Räkeln und Strecken, ein ekstatisches Verrenken der Leiber. Alles ist erlaubt, die Sinnlichkeit grenzenlos. Und immer wieder tauchen Tiere in seltsamen Symbiosen mit den Menschen auf, so finden sich etwa Spatzen- und Raubtierköpfe anstelle von Geschlechtsorganen. Ungezähmte Urkräfte bahnen sich ihren Weg.Christian Ludwig Attersee versucht, stets die Natur und ihre Wahrheiten im Blick zu behalten. Dieses Leben im Hier und Jetzt, die Unmittelbarkeit tierischen Daseins faszinieren ihn genauso wie die jahreszeitlichen Wechsel, das Werden und Vergehen, die Gestirne und die Elemente. Im Einklang mit diesem Interesse an natürlichen Prozessen und dem Leben in seiner ungezwungensten Form steht die Ausdruckskraft des österreichischen Künstlers. Die aktuelle Doppelausstellung der Werke aus den letzten fünfzehn Jahren in Appenzell zeigt, dass die Arbeiten des über sechzigjährigen Attersee von Vitalität strotzen. Er, der zu den «Neuen Wilden» gehörte, ist auch jetzt noch kein Gemässigter. Sein dynamischer Duktus trifft mit fulminanter Farbigkeit auf die Leinwand und manchmal sogar darüber hinaus. Dann wird der Rahmen selbstverständlicher Teil des Bildes. Attersee sprengt die Grenzen. Zugleich oszilliert er zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Auch aus dem dichtesten Knäuel von Pinselstrichen kristallisieren sich noch Motive heraus.

Andernorts agieren Figuren vor Bildflächen, die keinerlei Raum vorgeben, oder kreuzen gewellte Linien den Horizont. Ebenso spannungsreich sind die ad absurdum geführten Grössenverhältnisse. Ein Ziegenbock trägt statt Hörnern riesige Hämmer mit sich herum und Bäume wachsen auf einem Tablett. Übergross schiessen Pfeile empor, tropfen Tränen herab.Bei all dieser Vielfalt der Ausdrucksmittel und Motive ergibt die Ausstellung dennoch ein vollkommen homogenes Gesamtbild. Liegt das an der überraschend dichten Hängung der grossformatigen Gemälde oder ihren ähnlichen Grössenverhältnissen? Das mögen zwei Gründe sein, vor allem aber zeigt die Ausstellung deutlich, dass Attersee in den vergangenen Jahren ein in sich stimmiges und mit grosser Selbstsicherheit vorgetragenes Werk geschaffen hat.Dass er dabei nicht nur Maler ist, sondern auch Poet, zeigen seine Bildtitel. Ähnlich wie in den Motivcollagen funktioniert das Spiel der Möglichkeiten auch verbal: Da gibt es alles, vom Ziersäufer bis zum Schachfleisch, von der Backenreise bis zur Asterzählung, von der kristallenen Ingrid bis zum Nachtgewicht. Also gilt für die Ausstellungsbesucher: Vor lauter Schauen das Lesen nicht vergessen.

Barbies Halluzinationen

Die heile Welt von Marianne Rinderknecht in ihren grossformatigen Wandmalereien in der Galerie Paul Hafner ist eine Falle. Die von der St. Galler Künstlerin in zarten Farben visualisierten Träume von Prinzessinnen sind vergiftet.

Was mag sich wohl Barbie denken, erwachte sie zum Leben inmitten ihrer rosafarbenen Wohnwelten? Wie würden sich Trickfilmfiguren in ihrer quietschbunten Zweidimensionalität fühlen? Wer sich eine Ahnung dieser nur sehr vage vorstellbaren Seinszustände verschaffen möchte, dem sei ein Besuch der aktuellen Ausstellung in der Galerie Paul Hafner empfohlen.

Marianne Rinderknecht hat den White Cube in einen rosa Dschungel verwandelt. Schon wer gerade aus dem Treppenhaus in den langen Gang eintritt, entdeckt die bonbonfarbigen Wucherungen auf der nur ein paar Zentimeter geöffneten Galerietür. Dahinter offenbart sich dann das wahre Ausmass dieser Mutationen. Plötzlich sieht man sich vollständig umgeben von amorphen Formen in Neongrün, Neongelb, Pink, Magenta und zartem Lila.

Der Betrachter wird zum Zwerg, angesichts bis an die Decke wachsender Pflanzen, zusammengesetzt aus schmalen Herzen. Daneben und dahinter breiten sich rundliche Gewächse mit unzähligen Tochterzellen aus und scheinen frische, aber meterlange Blattspitzen aus der Bodenleiste hervorzubrechen. Alles wogt und wabert wie im Inneren einer Lavalampe. Punkte lösen sich und steigen wie Blasen auf, Formen pulsieren und wanken in einem unsichtbaren Strom. Über all dem strahlt eine seltsam bekannte Sonne: Ist das nicht? Ja es ist: Die Blume, die noch nicht allzu lange das neue Logo eines grossen Mineralölkonzerns ziert. Scharf gezackt in gelb und grün bildet sie einen giftigen Gegensatz zu all den Rosatönen. Und spätestens jetzt drängt sich die andere Seite des auf den ersten Blick so harmlos und zuckersüss anmutenden Paradieses ins Bild. Hinter einem spitzen Berg taucht ein Fliegenpilz mit Mickey Mouse-Silhouette auf, dessen weisse Punkte vor der weissen Wand wie Löcher wirken. Bei den rundlichen Gewächsen wiederum lässt sich nicht entscheiden, ob sie gut- oder bösartig sind und ihre Auswüchse niedliche Öhrchen oder aggressive Geschwüre. Die heile Welt ist eine Falle. Verpackt in liebliches Rosarot lauert überall das Böse.

Der Grat, auf dem Marianne Rinderknecht ihre Arbeit ansiedelt, ist schmal, ein Kippen der Stimmung jederzeit möglich. Die 1967 geborene St. Gallerin inszeniert Bilder, die einerseits universell lesbar und durch die mediale Verbreitung allgemein bekannt sind, andererseits unterwandert sie diese vielfach kommerziell genutzten Strategien mit hochtoxischen Einsprengseln, die ein jeder kraft seiner Erinnerungswelten anders deutet. Hier mischen sich Prinzessinnenträume mit halluzinogenen Substanzen aus der Küche eines Wahnsinnigen, scheint das Delirium eines psychopathischen Angestellten des Disney-Imperiums visualisiert.Die heile Welt ist zum Greifen nah und doch so weit entfernt wie immer. Ein Widerspruch, der sich im von Marianne Rinderknecht verwendeten Medium fortsetzt, denn ein Wandgemälde entzieht sich bis zu einem gewissen Grade stets seiner Besitzbarkeit. Ganz anders die ausgestellten Tafelbilder, die beinahe Taschenbuchformat haben. So findet denn auch nicht das ganze giftigsüsse Universum der Künstlerin darauf Platz, sondern nur eine Marienkäferfamilie, doch was den Betrachter da so lieblich anlächelt, sind nur auf den ersten Blick die altbekannten Glücksbringer. Auf den zweiten sind es Fliegenpilze auf Beinen, Schnecken im Käferkleid oder etwas ähnlich Absurdes. Während Lebewesen im Wandgemälde nur Andeutung bleiben, sind sie hier das Bildthema, doch ob gepunktetes Tierchen oder rosa Landschaft, beides hat es in sich.

Malen, alltägliche Verrichtung

Priska Oeler zeigt Werke der vergangenen drei Jahre in einer Ausstellung in Schloss Wartensee. Gegenständliche und monochrome Bilderstehen dabei in wirkungsvollem Kontrast.

Da sind monochrome Energiefelder: Breite Pinselstriche greifen ineinander. Die Ansätze des Malutensils künden vom Entstehungsprozess des Bildes. Zugleich sind diese Pinselstriche in einer aktuellen Werkreihe von Priska Oeler das wesentliche strukturierende Binnenelement, denn die St. Galler Künstlerin konzentriert sich in dieser Serie auf eine Farbe pro Bild.

Doch nicht allein die von den Pinselborsten erzeugten Furchen und Profile gliedern die Bildfläche. In den Unebenheiten fängt und bricht sich das Licht, Schattenfugen entstehen und verschwinden aus anderen Blickwinkeln. Dies lenkt die Aufmerksamkeit noch stärker auf den sichtbaren Duktus. Vehement setzt Priska Oeler die Strichlagen und verleiht ihnen durch die pastose Beschaffenheit physische Schwere. Hier entstehen Formen nicht als Formen sondern als Malerei. Zum Teil lässt sich ein kreisendes Schwingen der malenden Hand nachvollziehen, zum Teil beherrschen expressive, sich scheinbar widersprechende Gesten das Geschehen. Priska Oeler macht den Prozess des Malens zum Bildinhalt. Dies gilt auch dann, wenn sie ihre Aufmerksamkeit gegenständlichen Sujets zuwendet, wie etwa in dem Gemälde «Pfirsiche» mit reifen Früchten auf einem karierten Untergrund. Die Künstlerin verbindet radikal Ungegenständliches mit der naturnahen Darstellung alltäglicher Dinge. Einmal mehr wird also deutlich, dass ihr Malerei nicht im Sinne des Trompe l’oeil dazu dient, Illusionen zu erzeugen, sondern eine Fläche durch Auftrag und Struktur des Farbmaterials zu gliedern. Priska Oeler vergleicht den Charakter des Malaktes mit demjenigen anderer ordnender Gesten: «Die malende Handlung als alltägliche Verrichtung ist vergleichbar den zweckgebundenen Abläufen der Lebenswelt wie dem Schneiden und Aufreihen von Melonenschnitzen oder dem Aufhängen von Wäsche an einem gespannten Seil.» Malen ist unverzichtbare, tägliche Handlung.