Körperarbeit

by Kristin Schmidt

Im Tanz-Raum Herisau hatte am Wochenende die sechste regionale Plattform für zeitgenössisches Tanzschaffen ihren Auftakt. Die sechs «Querschritte»-Produktionen kommen nun nach St. Gallen.

Zum sechsten Mal lud die IG Tanz St. Gallen/Appenzell zur jährlichen Plattform für regionales Tanzschaffen ein. Sechs kurze Stücke stehen wieder auf dem Programm, Stücke, die den Bogen spannen von Improvisationen bis zur ausgearbeiteten Choreografie, vom Solostück bis zur fünfköpfigen Gruppe. Die «Querschritte» lassen erneut einen grossen Spielraum und weisen doch auf jene Wege hin, die auch mal abseits des Gewohnten und Bekannten verlaufen.

Gewissheiten sind selten geworden. Anja Gysin thematisiert dies in ihrer Solo-Choreografie «Frau-Sein». Wie ist eine Frau? Ist sie zart oder forsch, kess oder kühn? «Die Kunst der Hausfrau ist, alles zu verbinden» – Gysin gibt sich selbst die Stichworte und spürt auf ironische, witzige Weise den Widersprüchen des Weiblichen nach. Sie tanzt die Glucke, die Kokotte oder Löwin in ständigem Kontakt zum Publikum. Dies ist eine Besonderheit des Abends im Tanz-Raum Herisau. Die Tänzerin macht in ihrer direkten Art das Thema zu einem für alle.

Eine ganz andere Beziehung ist der Ausgangspunkt für die Choreografien von Andrea Maria Mäder und Beatrice im Obersteg. In «Zeiträume» und «círculo virtuoso» tanzen beide Tänzerinnen zu Livemusik. Mäder arbeitet seit vergangenem Jahr regelmässig mit dem Violinisten Christian Neff zusammen. In «Zeiträume» werden Geige und Körper Instrumente des Augenblickes. Im reizvollen Zusammenspiel ist nicht auszumachen, wer auf wen reagiert. Beide nehmen die Impulse des anderen auf. Die Musik lässt die Bewegung hörbar und der Tanz die Musik sichtbar werden. Beide agieren im Raum, und dieser wird auf zweierlei Weise erfahrbar.

Das Zusammenspiel bei «círculo virtuoso» ist stärker von der Musik als Impulsgeber geprägt. Im Obersteg nimmt Rhythmus und Takt des Schlagzeugers Markus Lauterburg in ihren Tanz auf. Immer wieder lässt sie sich in einen Sog ziehen, um sich wieder daraus zu befreien. In der Dynamik der kreisenden Bewegung liegt Leidenschaft und Hingabe, der Körper dreht sich zur endlosen Pirouette, selbst als die Bühne schliesslich im Dunkeln liegt und nur das Schlagzeug noch zu hören ist, dreht sich die Tänzerin in Gedanken weiter. Im Obersteg schafft ein Stück von hoher suggestiver Wirkung.

Dagegen kann Irène Blum mit «Clochard» nicht ganz überzeugen. Ihre Darstellung eines Bettlers und Obdachlosen beginnt zu Musik von Kurt Weill mit einer einfühlsamen Darstellung eines Menschen am Boden. Doch als Gesten des Bettelns und trotzigen Aufbegehrens dann ineinander verwoben werden, will sich die Identifikation der Tänzerin mit dem Clochard nicht so recht einstellen – die Kluft bleibt unüberbrückbar, eine fragwürdige Ästhetisierung des Gestrandeten überwiegt.

Monique Kroepfli stellt mit «Körperflüstern» eine Choreografie für fünf Tänzerinnen und eine Sprecherin (Nathalie Baumann) vor. Der gesprochene Text ist dabei verzichtbares Beiwerk. Denn das Stück lebt von der Virtuosität, mit der sich Kroepfli, Franziska Bader, Andrea Jenni, Cornelia Blättler und Laura Glaser bewegen und interagieren. Schwerelos, zeitlupenartig richten sie ihre fliessenden Bewegungen an den auf der Bühne verspannten weissen Gummibändern aus, greifen in stark erhöhtem Tempo mehr und mehr darauf über, bis sich ein Knäuel aus Leibern und Schnüren bildet: starke Bilder in kontrastreichen Farben.

Den Abschluss des Abends bildet «Zeichentanzen». Ingrid Fäh und Corinne Marko haben sich die Aufgabe gestellt, Bild und Tanz zu verbinden: Marko führt mit Stift oder Pinsel die Bewegung der Tänzerin nach. Ob Mitschreiben, Nachschreiben oder Wiedereinnehmen der festgehaltenen Form, beide Künste bleiben autonom, aber das Stück hat Potenzial. Der Körper als Schreibgerät hat in der Kunst seinen festen Platz und fordert auch im Tanz zu interessanten Choreografien heraus.