Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Sinnliche Bilder

Karin Schwarzbek knüpft mit «Fuchsgarten 2» an ihre erste Einzelausstellung vor zwei Jahren an. Ihre jüngsten Werke in der Galerie Paul Hafner sind lebhaft, gestisch und in sonoren Farbklängen gemalt.

Menschen ruhen in einer kleinen Gruppe auf der Wiese. Gleissendes Licht überstrahlt die Szene. Die Konturen lösen sich auf. Die flirrende Hitze ist sicht- und beinahe spürbar. Ein anderes Bild, eine andere Gegend: Wieder ist eine Person hingelagert zur Rast, doch in einem dichten Wald. Lichtflecken tanzen auf dem Boden, oder sind es kleine, helle Blüten?

Karin Schwarzbek inszeniert in ihren Gemälden starke Hell-dunkel-Kontraste. Dennoch dominieren stets die Farben. Souverän bedient sie sich einer breiten Palette von Tönen, die mal pastellig zart, mal in unzähligen Abstufungen von Braun angelegt sind. Das Spektrum reicht dabei auf der einen Seite bis zu einem fast ein Bildviertel einnehmenden, reinen Weiss, welches der Betrachter aufgrund seiner Seherfahrung als blendendes Sonnenlicht übersetzt. Auf der anderen Seite ist das Waldbild fast ganz in dunklen Tönen gemalt, nur kleine Flecken heller Farbe lösen sich von dem homogenen Grundton.

Karin Schwarzbek setzt die Farbigkeit und die Helligkeits- und Dunkelwerte im Rahmen grosszügiger Bildstrukturen. Es geht nicht darum, ein bestimmtes Rasenstück zu charakterisieren oder eine konkrete Lichtung zu zeigen, sondern zunächst einmal geht es um Malerei. Breite Pinselstriche, grosse, ausufernde Gesten fügen sich zueinander. Der Farbauftrag ist lasierend, untere Farbschichten kaum verdeckend und dann wieder beinahe pastos kräftig. Er fügt sich nicht zu geschlossenen Farbflächen, überall ist es ein Fliessen, Tropfen und Ausfasern der Konturen.

Mitunter geht das Sujet kaum über Andeutungen hinaus. Was sind das zum Beispiel für zarte orangerote Gebilde in einem Werk, das uns mit seinen Grün- und Türkiswerten wie ein Bild einer Wiese erscheint? Sind es Früchte, Blüten? Ist das Ganze überhaupt gegenständlich gemeint? Denn auch die Wiese ist mehr erahn- denn sichtbar. Ein anderes Gemälde meint der Betrachter dann zwar schnell als Rasenstück zu erkennen, auch wenn statt Grün Schwarz dominiert. Aber eindeutig strecken sich da Grashalme nach oben ins Weiss, oder? Denn auf den dritten Blick ist plötzlich eine kleine Figur zu entdecken, winzig inmitten der nun wie Baumstämme wirkenden Blattfasern. Selbst Dinge also, die zunächst vermeintlich deutbar sind, verrätseln sich wieder. Darin liegt ein besonderer Reiz von Schwarzbeks Bildern: Die malerische Geste wird zu einer Form, die Form verwandelt sich aber oft erst im Auge des Betrachters zu einem Ding.

Die in Egnach geborene und in Zürich lebende Künstlerin spielt ganz bewusst mit der Seherfahrung. In ihren Werken greift sie auf ein grosses Bildarchiv zurück, das nicht zuletzt auch aus der Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte entsteht. Wer sich also bei den auf der Wiese Ruhenden an Manets «Frühstück im Freien» erinnert fühlt, liegt nicht ganz falsch. Erinnertes fügt sich zu Gesehenem und verwischt sich in der freien malerischen Übertragung wieder.

Von Karin Schwarzbek ist zu erfahren, dass sie viele ihrer Bilder zunächst am Rechner komponiert, dort ausgewählte Bildmotive zueinander setzt, das Entstandene überarbeitet, mit Farbe und Licht experimentiert. Aber glücklicherweise bleibt es nicht dabei, denn der Künstlerin gelingt es mühelos, die selbst geschaffene Vorlage in freie Malerei und damit in ein höchst sinnliches Medium zu übertragen. Lebhaft und intensiv wirkt, was da in der Galerie Paul Hafner zu sehen ist. Und auch ein Weiteres mag der Rechner freilich nicht zu leisten: Die Bilder sind so frisch – sie riechen sogar noch nach Ölfarbe.

Von Engeln, Röcken und Marilyn

In der Grabenhalle fand am Wochenende die fünfteregionale Plattform für zeitgenössisches Tanzschaffen «Querschritte» statt. Teilnehmerinnen aus Trogen, Herisau, Zürich, Jona und Olten zeigten aktuelle Produktionen.

Zum fünften Mal lud die ig-tanz St. Gallen/Appenzell zur regionalen Plattform für zeitgenössischen Tanz ein. Fünf Stücke aus vier Kantonen standen auf dem diesmal «schwarz-weiss» gehaltenen Programm. Das Motto hat es bereits erahnen lassen: Es geht minimalistisch zu und her; Konzentration, Klarheit, geradlinige Konzepte bestimmen die Auftritte. Platz für Zwischentöne gibt es dennoch und nicht zu knapp. Die Sequenz «Warum zerbrichst Du Dir den Kopf und quälst Deinen Geist? Von der Geburt bis zum Tod gibt es nur diesen einen Körper hier» aus dem Stück der in Trogen lebenden Niederländerin Wilma Vesseur könnte über der gesamten Plattform stehen. Nach Kopfzerbrechen und gequältem Geist sieht es in keinem der Stücke aus. Die zugrunde liegenden Ideen verraten die Lust an der gestalterischen Körperarbeit, der freien Assoziation und ein in allen Performances verborgenes Interesse am Selbst.

Vesseurs Choreografie «Dieser Körper; Geheimnisse einzelner Körperteile» thematisierte zum Auftakt offensichtliche Bestandteile des Ich wie Oberschenkel, Nase, Unterschenkel, aber auch Körperteile, bei denen anatomisch Ungeschulte nur vermuten können, wo sie sich befinden, wie Galle oder Milz. Die drei Tanzenden rufen sich Begriffe zu, reagieren darauf, beschränken sich jedoch nicht auf das kör-perliche Nacherzählen. Vielmehr wird im Fluss der sorgfältig durchgearbeiteten Bewegungsabläufe die Betonung wieder und wieder leicht verschoben und der Assoziation des Publikums freier Raum gegeben. Die Herisauerin Christine von Mentlen setzt in weiten Teilen auf die eigene Stimme. Das Gedicht «In der Höhe oder lieber Engel» des St. Gallers Ivo Ledergerber ist Anlass und roter Faden des Stückes. In einem Mantel, wie ihn Engel seit «Der Himmel über Berlin» gern tragen, tanzt Mentlen das Unten, erkundet das Oben, tanzt Steigen und Schweben – und schafft eine über das Rezitative hinaus gehende leichtfüssige Interpretation des Textes.

Jeannette Engler aus Zürich nutzt einen weissen Rock als Ausgangs- und Angelpunkt der tänzerischen Reflexionen: Zwei Figuren im Raum – die eine konzentriert auf das Stoffliche, den Dingen verhaftet, die andere ihre Bewegungssprache frei entwickelnd, den Raum und den Körper erkundend, sich dem Gegenstand nähernd und dann die Freiheit zurückgewinnend. Der Einsatz der über den Tanz hinaus gehenden Mittel bleibt minimalistisch. Engler stellt den Körper und die Bewegung ganz ins Zentrum ihres Stückes.Auch Andrea Fäh Eugster zeigt darin ihre besondere Stärke. In «Zwischen Momenten» nimmt sie sich des «schwarz-weiss»-Themas an. Durch eine Lichtdiagonale wird der Raum geteilt in eine mit weissen Flocken und Blumen garnierte weisse und eine nur von Staub bedeckte schwarze Hälfte. Die Tänzerin aus Jona bewegt sich zwischen den zwei Welten. Während in der einen die effektvolle Inszenierung dominiert, begeistert sie in der anderen durch den tänzerischen Ausdruck. Zerrissen, erschöpft, fieberhaft – die Tänzerin übersetzt Befindlichkeiten in expressive Körpersprache.

«viermaleins oder Marilyn M. construct» widmet sich der zur Ikone gewordenen Schauspielerin. Die Choreografie der Oltenerin Ursula Berger versucht sich in kritischen Untertönen zum Starkult. Vier Tänzerinnen lassen das Mädchen Marilyn auferstehen und bilden mit ihrer tänzerischen Präzision, der Leichtigkeit und Harmonie der Bewegungsabläufe einen schönen Abschluss dieses Exkurses durch schweizerisches Tanztheater.

Im Schwarz ein grüner Strich

«Restbilder» von Tobias Pils zeigt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Paul Hafner: Der österreichische Künstler geht mit seinen jüngstenArbeiten neue, malerische Wege.

Tobias Pils ist einen grossen Schritt weitergegangen. Noch vor einigen Monaten waren in einer Gruppenausstellung in der Galerie Paul Hafner seine grossformatigen Zeichnungen auf Papier zu sehen. Nun ist nicht nur der Bildträger ein anderer, auch sonst hat sich einiges getan.

Zunächst ist da also die Wahl eines neuen Untergrundes. Der 1971 geborene Österreicher hat die Leinwand für sich entdeckt, und sofort gewinnt sein Werk malerische Qualitäten, auch wenn sich noch viel von dem findet, was seine Zeichnungen so einzigartig macht: Über das gesamte grosse Format verspannen sich kühn gezogene Bleistiftlinien. Mal sind sie akkurat gezogen, dann wieder weichen sie stachelartig vom durch das Hilfsmittel vorgegebenen schnurgeraden Weg ab. Mal breiten sich kleine Schraffuren fächerförmig aus, mal verleihen kleine Unregelmässigkeiten in der Strichdicke der Linie Leben.

Demgegenüber stehen die Flächen. Ein riesiges Schwarz kann bis zur Hälfte eines Blattes oder nun einer Leinwand bedecken. Aber es ist nie in sich homogen, sondern belebt von Farbverläufen, durchscheinenden Liniennetzen, Lasuren und wolkenartig ausfransenden Rändern. Wo jedoch in früheren Arbeiten die stets transparent bleibende Tusche vorherrschte, treten nun auch deckendes Weiss und Grauwerte auf. Die Schichtungen sind damit weniger durchlässig, es entstehen auf manchen der Werke beinahe architektonische Gefüge. Dennoch ist nichts stabil. Pils komponiert aus Strichen, Flächen, breiten Linien und wie zufällig gesetzten Farbspuren Bilder, die kurz vor einem ausbalancierten Gleichgewicht zu stehen scheinen, aber im gleichen Moment kippen.Diese grosse Spannung wird unterstützt durch die neu in sein Werk aufgenommenen Farbwerte. Da sitzt ein zarter grüner Buntstiftstrich im Schwarz. Ein horizontales Pink legt sich auf den oberen Rand des schwarzen Feldes. Neonorange Ziegel scheinen hinter Grauwerten vor. Pils haben es besonders die Leuchtfarben angetan. Wie Signaltöne rufen sie aus den Bildern heraus und unterstreichen die Fragilität der Bildgestaltung. Es geht hier weniger um formale Setzungen, als um einen Klang, eine Stimmung, die provoziert wird, und die freilich keine beruhigende ist.

Pils findet in der Malerei eine grössere Freiheit als in der Arbeit auf Papier. Zum einen lassen sich Räume von grösserer Tiefe konstruieren, eine Möglichkeit, die den Künstler nicht zuletzt durch seine Erfahrung mit Kunst-am-Bau-Projekten mehr und mehr reizt. Farben und Farbauftrag suggerieren Nähe und Ferne, Durchblicke und Verschränkungen viel stärker als dies in den Zeichnungen je zu verwirklichen war. Zum anderen ist die Malerei gerade durch die viel grössere Zahl der zur Verfügung stehenden Gestaltungsmittel eine ständig neue Herausforderung für den Österreicher. Immer wieder neu wird um die bildnerische Lösung gerungen, konkurrieren grosse Geste und konzentrierter Strich, Nichtfarben und leuchtende Akzente. Keines der Elemente dominiert – und so ist das Resultat nicht Ruhe, sondern ein ständig vibrierendes Kräfteverhältnis. Von der derzeit vielbeschworenen neuen Romantik in der Malerei sind Tobias Pils‘ Bilder so entfernt wie nur irgend möglich. Hier lullt den Betrachter keine Niedlichkeit in Rosa oder Hellblau ein, statt dessen sieht er sich eigenständigen starken Werken gegenüber, ein jedes für sich Wegmarke auf der Gestaltsuche.

Kind, Kriegerin, Königin

Kuska Caceres nimmt sich in der jüngsten Produktion der Netzwerkbühne eines alten Themas an. «Penthesilea Now!» lässt Leben und Sterben der Amazonenkönigin auferstehen.

Eine Frau, die alles bekommen kann, was sie will, göttinnengleich und doch menschlich, das ist Kuska Caceres‘ Penthesilea. In der jüngsten Produktion der Netzwerkbühne lässt Caceres die Amazonenkönigin so ganz anders auferstehen, als sie es in Kleists Drama tut. Wird ursprünglich berichtet, dass Penthesilea im Kampf gegen die von den Griechen bedrängten Trojanern von Achill erschlagen wird, der sich in die Sterbende verliebt und seine Tat daraufhin bedauert, so wird Penthesilea bei Kleist zwar von Achill besiegt, aber die derart Gedemütigte stürzt sich erneut in den Kampf auf den nun unbewaffneten und tötet ihn. Als sie erkennt, dass sie und ihre Hundemeute den als Partner für das Liebesfest vorbestimmten Achill zerfleischt haben, stirbt sie durch «ein vernichtendes Gefühl» selbst.

Kleists Amazonendrama thematisiert die Umkehrung des Begehrens, die Raserei der Liebe, aber auch des Todes in einer Intensität, die das Theater vorher so nicht kannte, und die das Bild von Penthesilea bis heute prägt. Wer sich des Stoffes erneut annimmt, kann also kaum vorbei an Kleist. Aber Kuska Caceres gelingt es mit «Penthesilea Now!» dem Thema neue Seiten abzugewinnen, indem sich die 1974 in Bern geborene Schweizerin mit peruanischen Wurzeln ganz auf die weibliche Hauptfigur konzentriert. Das Einpersonenstück widmet sich dem Leben Penthesileas von Kindheit an und ist als Geschichte in Kapiteln angelegt. Ein jedes wird mit einem kurzen Text aus der Hand Erich Furrers eingeleitet und dann durch Tanz, eigens ausgesuchte elektronische Klänge und Pantomime erzählt.

Penthesilea als «Stern am Mädchenhimmel», als Kräuterhexe, als Kriegerin, als Königin – Kuska Caceres rezitiert, tanzt, kämpft, liebt, spielt; mal wie besessen, mal verhalten, mal in sich gekehrt, ausgelassen, sinnlich oder entfesselt in rauschhafter Leidenschaft. Requisiten werden da keine benötigt. Caceres lässt Bilder und Szenen mühelos durch ihre Körpersprache auferstehen. Ob das wilde Kind oder die sich rüstende Soldatin darstellend, immer legt die Tänzerin ihre ganze Persönlichkeit und gebündelte Energie in die Figur. Ihre besondere Stärke zeigt sich da, wo allein der Tanz spricht; so in der Szene, als Penthesilea durch das Orakel der Schicksalsspruch verkündet wird. Caceres legt eine ungezügelte Energie in jede ihrer Bewegungen, konzentriert und gleichzeitig kraftvoll nutzt sie die gesamte Bühne im St. Galler «Keller der Rose». Ein anderer Höhepunkt des Stückes ist der Auszug der Frauen nach Rom. Mit Ausrufen wie «Wir holen uns die Kardinäle» führt Penthesilea ein Heer in das Zentrum der katholischen Glaubenswelt. Unter der Rächerin der jahrtausendelang Unterdrückten – und da sind durchaus nicht nur Frauen gemeint – wird zum Sturm auf Kirchen, aber auch auf Tempel und Moscheen geblasen. Wenn Caceres dann «Wiener Blut» anstimmt, drängt sich weniger eine Walzernacht als ein Gemetzel ins Bild.«Penthesilea Now!» schlägt die Brücke von griechischer Mythologie ins Jetzt. Aber die gegenwärtige Relevanz zeigt sich weniger dort, wo die Namen von aktuellen Politikergattinnen beschwört werden, als vielmehr im Ausblenden der Geschlechterthematik. In dem der Anklage einer verletzten Frau folgenden, etwas pathetisch geratenen Schlussplädoyer für Liebe und Pazifismus ist von Frauen, Männern, aber vor allem von Menschen die Rede. Damit ist das Stück nicht nur aktuell, es ist zeitlos.

Über allem herrscht Stille

In der Ausstellung «Am Horizont ein Haus» in Katharinen sind neue Bilder von Claudia Keel zu sehen. Ein gemeinsames Merkmal der Gemälde ist die über Menschen und Landschaften liegende Stille.

Öl auf Leinwand steht hinter jedem Bildtitel auf der Werkliste zur aktuellen Ausstellung in Katharinen und zunächst erstaunt es etwas, dass Claudia Keels Bilder diese Materialbezeichnung tragen. Denn die 1969 geborene St. Galler Künstlerin reduziert den Einsatz der malerischen Mittel so weit, dass die Gemälde auf den ersten Blick eher wie Zeichnungen und auf den zweiten wie lasierend ausgeführte Aquarelle wirken. Die fast völlige Abwesenheit der Farbe betrifft nicht nur ihren materiellen Charakter im Sinne des englischen «paint», sondern auch ihre Präsenz als Farbigkeit im Sinne von «colour».

Die Ausstellung vereint Werke aus zwei unterschiedlichen Werkgruppen: grossformatigen Bildern in zarten Pastelltönen und kleinformatigen Gemälden, die fast völlig in Schwarzweiss gehalten sind. Kaum wahrnehmbar taucht hier ein Blau im Himmel und dort eines in Form eines Kragens auf. Zudem verzichtet die Künstlerin auf Binnenlinien; Figuren und Gegenstände werden aus homogenen dunklen Flächen gebildet, umrahmt von leerem Weiss – eine Umkehrung des optischen Eindruckes überbelichteter Fotografien: Die Gemälde verleugnen ihre Vorlagen aus anderen Medien nicht. Als sekundäre Bilder wahrnehmbar, strahlen sie einmal mehr subtile Immaterialität aus. Die Gemeinsamkeit der gestalterischen Merkmale der Werke korrespondiert mit der Einfachheit und Klarheit der Sujets. Menschen und Landschaften sind die beiden Hauptmotive der Künstlerin. Dabei geht es jedoch nicht um Porträts oder detailgetreue Naturschilderungen. Unnötiges wird weggelassen, alles ordnet sich einem auf das grosse Ganze gerichteten Bildaufbau unter. Die Werke wirken seltsam statisch: Von den als «Blick aus dem Fenster» oder «Am Horizont ein Haus» betitelten Landschaftsbildern geht kein Lebenshauch aus. Über dem Land herrscht völlige Stille und Zeitlosigkeit. Gleiches gilt für die Personendarstellungen. Die Protagonisten befinden sich in alltäglichen Situationen, wobei selbst dies schon zu viel sagt, finden doch keine Aktionen statt. Es ist ein Verharren, ein Innehalten. Darüber hinaus entziehen sie sich der Identifikation, schemenhaft, entrückt tauchen auf, ohne fassbar zu sein. Die dadurch erzielte Distanz wird wiederum durch die Motive überbrückt.

Zum einen scheint Bekanntes aus der Kunstgeschichte auf, mal bewusst gemacht wie in «Sixtinische Anordnung», jener grossformatigen Darstellung zweier Mädchen in sibyllinischer Haltung, mal nur erahnbar wie das an Manets «Frühstück im Freien» erinnernde «Am Feuer», das an Courbet gemahnende «Schläfst Du heute Nacht bei mir», den Anklängen an beispielhaft gewordene Rückenfiguren oder an Balthus. Letzteres trifft insbesondere auf die grossformatigen Bilder in der Ausstellung zu. In zarten pastelligen Farben zeigen sie Mädchen zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Bewegungslosigkeit dominiert, die Blicke sind ins Nirgendwo gerichtet oder die Augen geschlossen. Dennoch erzählen die Bilder unendlich viel über die Schwierigkeiten eines Alters, wie auch über Träume und Sehnsüchte. Die Posen der Halbwüchsigen künden von Erwartungen und Enttäuschungen, von Abneigung und dem Bedürfnis nach Nähe. Keel erspürt nicht nur die Ambivalenz eines von Widersprüchen geprägten Lebensalters sondern findet einen adäquaten, malerischen Ausdruck dafür.

«Schön, wenn sie kommen…»

Die Casino Gesellschaft Herisau präsentiert im Alten Zeughaus innovatives Ostschweizer Kunstschaffen. Die Kunstschaffenden Micha Treuthardt und Cornelia Gann, Frank Keller und Anita Zimmermann zeigen neue Arbeiten, die speziell für den Ort und die Situation entstanden sind.

Erst ist Stille. Die Maschine gibt weder einen Ton von sich, noch tritt sie in Aktion. Plötzlich setzt sich das Flügelrad in Bewegung, schwingt hin und her, begleitet von einem Windgeräusch, dann ist wieder Stille. Was für ein Gerät ist das? Das Künstlerduo Treuthardt.Gann gibt mit seinen Werken Rätsel auf. Wir sind es gewohnt, dass die uns umgebende Technik einen bestimmten Zweck erfüllt. Aber wozu könnte dieses andere Ding dienen mit seinen Ausbuchtungen? Eine Melkmaschine ist es nicht, denn keine Kuh hat so viele Zitzen wie dieser Apparat Gegenstücke dazu. Im Gegenteil, plötzlich wirkt er selbst wie ein Euter, blasen sich doch kleine rosafarbene Kuppen auf. Die Schläuche vibrieren, der Zeiger des Messgerätes zeigt etwas an. Aber was? Ebenso plötzlich wie der Vorgang einsetzt, ist er wieder zu Ende.

Treuthardt.Gann konstruieren aus Fotografien verschiedener technischer Fundstücke Maschinen, die auf den ersten Blick scheinbar alltäglich erscheinen, auf den zweiten aber irritieren und faszinieren. Mit absurden und zugleich poetischen Apparaten verwandeln sie das Erdgeschoss des Alten Zeughauses Herisau in einen Maschinenpark, der keiner ist. Die Dinge entwickeln ein seltsames Eigenleben und stellen die Frage nach Sinn und Zweck des Daseins und seinen Kreisläufen.

Dass alltäglich anmutende Materialien und Gegenstände zum Denkanstoss in einem weitaus grösseren Zusammenhang werden, zieht sich wie ein roter Faden durch die von Ursula Badrutt Schoch kuratierte Ausstellung. Sie wählte für die jährlich von der Casino Gesellschaft Herisau veranstaltete und von der Ausserrhoder Kulturstiftung unterstützte Präsentation junge Künstlerinnen und Künstler aus, die Versatzstücke des Alltags in neue Kontexte stellen und für grundlegende Aussagen zugänglich machen. So begegnet dem Betrachter im ersten Stock des Zeughauses eine schier unübersehbare Menge an bunten T-Shirts. Es gibt grosse und kleine, kurz- und langärmlige, bedruckte und beschriebene. Der in St. Gallen lebende Künstler Frank Keller verwendet für seine Installation gebrauchte T-Shirts und hängt sie dicht an dicht. Der Betrachter ist eingeladen, das wogende Feld aus Kleidungsstücken zu durchschreiten bis er am anderen Ende des Raumes vor dem Titel der Arbeit steht: «AR 1969-2005». Er verweist auf die dem Werk zugrunde liegende Statistik: Zwischen 1969-2005 haben sich 518 Menschen im Kanton Appenzell Ausserrhoden das Leben genommen. Obgleich diese Daten öffentlich zugänglich sind, sind sie mit einem Tabu belegt. Frank Keller, der ab 1969 in Herisau lebte, bricht dieses Schweigen, indem er die Zahl auf subtile Weise der abstrahierenden Statistik entreisst. Er will keine Erklärungsmodelle und Antworten liefern, sondern schafft ein Erinnerungsstück, das gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Shirt-Aufdrucke wie «Express Yourself» oder «Life is funny» werden im Kontext der visualisierten Suizidfälle zu befremdenden Einblicken in Sozialstrukturen.

Einen nicht weniger hintergründigen Blick auf gesellschaftliche Stereotypisierungen inszeniert die in St. Gallen lebende Künstlerin Anita Zimmermann mit ihrer Arbeit «Schön, wenn sie kommen …». Wladimir und Vitali Klitschko, die beiden in Berlin lebenden Boxmeister, sind auf riesigen Formaten festgehalten. In einem Raster aus drei mal drei Metern ist ein Labyrinth aus Plas-tikplanen aufgespannt, die gleichzeitig die Bildträger für Zimmermanns Kugelschreiberzeichnungen sind. Der Betrachter wandelt zwischen nahezu transparenten Wandelementen und sieht sich immer wieder mit der Kraft und Vitalität der beiden boxenden Brüder konfrontiert. Spannend sind dabei sowohl die Werkarchitektur selbst, die immer wieder Rück-, Durch- und Seitenblicke erlaubt, als auch die Wirkung des ungewöhnlichen Zeichenmaterials. Plastik ist ein widerspenstiges Material, wenn es mit Kugelschreiber bearbeitet wird. Immer wieder setzt das Blau aus oder es gibt dort, wo viel schraffiert wird, Beulen und Narben. Das durchscheinende Licht fängt sich in den Linien, sodass die Zeichnungen beinahe in die Immaterialität entschwinden. Die offensiv zur Schau gestellte Stärke der Porträtierten steht im Kontrast zur Verletzbarkeit und Durchsichtigkeit des Materials. Die vitale Geste gefriert in der Übertragung der Fotovorlage in eine Zeichnung zur Pose, das Lachen zur Grimasse. Zimmermanns Arbeit enttarnt die Motivvorlage als Klischeebild einer Welt voller Erfolg und Schönheit.Drei Stockwerke, drei Raum-installationen, drei verschiedene Arten auf die uns umgebende Alltagswelt zu reagieren: Vom dunk-len, klangvoll tönenden Maschinenraum über die berührende Kleidersammlung bis hin zur lichtdurchschienenen Präsentation der Götter aus der Welt des Sports spannt sich der im Raumgefüge sinnvoll präsentierte Parcours. Alle Werke entstanden für diese Ausstellung und treten, obwohl sie als Einzelpositionen konzipiert wurden, in einen geistreichen Dialog.

Wenn die Ruhe beklemmend wird

Die aktuelle Ausstellung in der Roellin/ Duerr-Galerie zeigt Arbeiten zweier junger Künstler. Stefan Mauck aus Berlin und Ingmar Alge aus Höchst widmen sich auf unterschiedliche Weise dem gebauten Raum.

Der Mensch muss wohnen. Die Wohnung, ob Villa oder Wellblechhütte, Wohnwagen oder Penthouse, trennt den privaten vom öffentlichen Raum. Sie ist ein zuverlässiges Abbild ihrer Bewohner, ihrer sozialen Stellung und des Bildes, das sie von sich selbst vermitteln wollen. Zugleich bietet sie Schutz vor der Aussenwelt: «My home is my castle.»

Die Gemälde von Ingmar Alge rufen dieses oft zitierte Sprichwort spontan in Erinnerung. Auf den ersten Blick zeigen sie ganz gewöhnliche Einfamilienhäuser, auf den zweiten verstört aber der Festungscharakter dieser Liegenschaften: fensterlose Hausfronten, verschlossene Garagentore, meterhohe, dicht belaubte Hecken, geschlossene Jalousien und kein Lebewesen weit und breit. Die Bilder tragen Titel wie «Höchst Nr. 6» oder «Lauterach Nr. 4» und verweisen damit auf das benachbarte Vorarlberg. Ingmar Alge ist dort 1971 geboren. Seine derzeit in einer Doppelausstellung mit Stefan Mauck in der Roellin/Duerr-Galerie gezeigten Bilder sind aber weit mehr, als nur ein Abbild vorarlbergischer Siedlungsstruktur oder Eigenheimarchitektur. Im Gegenteil, ist doch das Vorarlberg auch bekannt für innovative und gute zeitgenössische Architektur. Die von Alge gemalten Häuser jedoch könnten überall stehen. Und tatsächlich sind sie auch aus Versatzstücken existierender Bauten zusammengefügt.

Es geht weniger darum, ein bestimmtes Haus zu zeigen, als vielmehr einen besonders in den so genannten «Speckgürteln» der Städte anzutreffenden Typus. So ist es nicht wichtig, dass minutiös jeder Dachziegel gemalt sein muss, sondern Alges Thema ist die Stimmung, das Unbehagen, das derartige Häuser verbreiten. Die Versuche, sich möglichst vollständig von der Aussenwelt abzuschirmen, resultieren in einer beklemmenden Stille über den Dächern und Hecken. Ganz anders wirken dagegen die Häuserbilder Stefan Maucks. Der 1973 in Stade in Deutschland geborene Künstler hält in fotografischen Serien unterschiedlichste gebaute Objekte des öffentlichen Raumes fest: Garagen, Geschäftsgebäude, Ställe oder eben auch Wohnhäuser. Auf die Fassade dieser Architekturen blendet er in den Umrissen des Objektes die Geschichte des Baus. Und mehr noch, hier finden sich Informationen über Nutzungskonzepte, behördliche Auflagen oder Angaben zum geografischen Umfeld.

Nicht selten mischen sich darunter auch sehr persönliche Informationen über die Eigner oder Mieter. Obwohl sie auch in diesen Bildern nie selbst zu sehen sind, meint man die Personen sprechen zu hören, wenn etwa davon die Rede ist, dass «in der nächsten Zeit ein neuer Anstrich der Metallteile fällig» wird oder etwas «einen gepflegten Eindruck» macht, weil es sich «in genügender Entfernung zu sozialen Problemzonen» befindet.Besonders interessant ist die Wirkung dieser Texte dann, wenn das Objekt selbst gar nicht abgebildet ist. Allein durch die Beschreibung einer örtlichen Situation und der Gedanken der Besitzer eines Objektes sowie durch die mit Schreibmaschine in Gebäudeform gesetzten Zeilen entsteht im Auge des Betrachters die Ansicht des Gebäudes. Mauck nähert sich dem sozialen Raum auf sehr konzeptionelle Weise. Seine Ortsanalysen machen längst nicht mehr Wahrgenommenes, weil als selbstverständlich Erachtetes wieder bewusst. Der Künstler bringt ausserdem einen Teil dessen, was hinter den Mauern verborgen wird, für jedermann sichtbar auf die Wand. Er schafft damit eine Schnittstelle von öffentlichem und privatem Raum und unterläuft damit genau jenen Versuch, das Private möglichst hermetisch abzuschirmen, dessen düster anmutende Ergebnisse Alge so eindrucksvoll auf die Leinwand bannt.

«Die Welt ist so voller Bilder . . .»

Die Ausstellung  «The Story of W. Tassilo» in der Galerie Paul Hafner zeigt eine umfangreiche Fotoinstallation von Ulrich Langenbach. Der Künstler begibt sich in 576 Einzelbildern auf die Spur eines fiktiven Helden.

Wer ist W. Tassilo? Ein Walter oder eine Walburga? Europäischer oder amerikanischer Herkunft? Lebt er oder sie zurückgezogen oder haben wir es eher mit einem extrovertierten Typ zu tun? Fast alles, was man möglicherweise schon immer über W. Tassilo wissen wollte, erfahrt der Besucher in der Präsentation in der Galerie Paul Hafner. Der Ausstellungstitel verspricht «The Story of W. Tassilo» und erzählt wird sie von Ulrich Langenbach aus Siegen in Deutschland.

In einem Panoptikum aus 576 Einzelbildern lässt er uns teilhaben am Leben eines bestimmten Individuums. Sehr schnell stellt sich die Gewissheit ein, dass es sich um eine Person männlichen Geschlechts handeln muss, denn zahlreich sind die auf erotische Verstrickungen mit üppigen Gespielinnen hindeutenden Bilder. Wir lernen Bärbel Kleinmann kennen oder Vera in ihrer Nürnberger Wohnung oder die Dame namens Schneider, die verblüffende Ähnlichkeit mit Marilyn Monroe aufweist. Oder war es doch Blondie?

Einerseits ist es dieses Oszillieren zwischen Bekanntem und Unbekanntem, das den Betrachter stutzen lässt. Andererseits ist es das unwillkürliche Scheitern bei dem Versuch, die A4-formatigen Blätter historisch einzuordnen oder auch nur eine Chronologie innerhalb ihrer Hängung zu finden. Es gibt keinen Anfang und kein Ende und keinen Erzählstrang. Manche Motive scheinen nicht älter als einige Jahre zu sein, andere muten wie Überbleibsel aus den Fünfzigern an. Doch über all die Heterogenität legt sich der gelbliche Ton des Papiers wie ein alles in lang vergangene Jahrzehnte zurückweisender Schleier. Die Reduktion auf Schwarzweisstöne verstärkt diesen Eindruck noch. Und dennoch ist hier nichts das, was es zu sein scheint. Weder handelt es sich um alte fotografische Abzüge noch um das Fotoreservoir eines tatsächlich existierenden Protagonisten.Ulrich Langenbach schöpft seine Bildauswahl aus einem über viele Jahre zusammengetragenen Fundus von knapp 40 000 Motiven aus Zeitungen, dem Internet, privaten Fotoalben und solchen von Freunden oder Bekannten. Daraus ergibt sich ein schier unerschöpfliches Spektrum an Vorlagen für die weitere Bearbeitung.

Jedes Bild wird vom Künstler am Rechner verändert und anschliessend noch von Hand ergänzt. Da finden sich Markierungen wie etwa die rot übermalten Lippen einer Frau oder zahlreiche handschriftliche Anmerkungen, die der Bildserie etwas sehr Persönliches verleihen. So lassen sich in der Installation mehrere Ebenen von Autorschaft erkennen. Zum einen sind da die dem Betrachter unbekannt bleibenden tatsächlichen Fotografen. Zweitens ist da Langenbach, der überarbeitet und auswählt, denn wie heisst es im Titel zu einem anderen ausgestellten Werk: «Die Welt ist so voller Bilder, dass jemand anderes sicher ein anderes Bild ausgewählt hätte.» Drittens wird als Autor der fiktive Tassilo vorgestellt. Und dann ist da noch der in eine Voyeursituation gedrängte Betrachter, der zwangsläufig versucht, eine Geschichte aus der Ansammlung von Motiven herauszulesen oder zu konstruieren. Ulrich Langenbachs vielschichtige Fotoinstallation war erst kürzlich anlässlich des Projektes «Walter Benjamin und die Kunst der Gegenwart: Schrift – Bilder – Denken» in Berlin zu sehen. Im Zentrum standen dort Benjamins Überlegungen zu Legendenbildung und Aura, Erinnerung und Reproduzierbarkeit – Fragen, die auch Langenbach stellt. Er trägt sie mit gewisser Beiläufigkeit vor, scheut sich auch vor alltäglichen oder trivialen Anspielungen nicht, erreicht aber in der Summe seiner motivischen Auseinandersetzung ein hohes Mass an Reflexionsmöglichkeiten.

Keks trifft Kuh

Paul Hafner zieht das Resümee seiner zwölfjährigen Arbeit als Galerist. Die neue Ausstellung in der Galerieim Lagerhaus ist Standortbestimmung und Ausblick zugleich.

Zeitgenössische Kunst braucht Platz, je grösser die weisse Wand ist, umso besser. Drum sind Ausstellungen, bei denen Werk an Werk dicht nebeneinander hängt, die Ausnahme, erst recht, wenn es sich um Arbeiten verschiedener Künstler handelt. Paul Hafner beweist also in seiner Galerie einigen Mut mit der aktuellen Ausstellung «In-Zwischen-Da-Hin».

Denn hier hängt die Kunst nicht nur eng neben-, sondern auch unter- und übereinander. Zeichnungen und Gemälde in Farbe oder Schwarzweiss, Hochrechteckiges und Quadratisches, Gross- und Kleinformate werden in einer auf den ersten Blick ungewohnten Dichte präsentiert. Eine Fülle, die ihren Grund nicht zuletzt im Ausstellungskonzept hat: Paul Hafner gibt einen Überblick über seine Arbeit seit der Gründung der Galerie 1993. Seit dem Beginn an der Hinteren Bahnhofstrasse – in die Räume im Lagerhaus wurde 2000 gezügelt – gab es 56 Ausstellungen; für viele der jungen, internationalen Künstler die erste in der Schweiz. Aus fast allen Präsentationen sind ausgewählte Werke nun wieder zu sehen.

Die Chronologie gibt eine ungefähre Ordnung der Überblicksschau vor und ermöglicht gleichzeitig Beobachtungen auf zwei Ebenen, denn sowohl Galerist und Galerieprogramm als auch die Kunst selbst haben sich entwickelt. Im Kontext der erstgenannten Kategorie fällt zunächst einmal eine anfänglich starke Konzentration auf Zeichnungen auf, die sich mit der Zeit in ein stärkeres Interesse an der Malerei verwandelt, bis gegen Ende immer wieder auch Fotografien auftauchen. Es gibt Künstlernamen, die nur ein einziges Mal vertreten sind, und solche, die den Galeristen fast von Beginn seiner Arbeit an begleiten. Einer davon ist Tobias Pils, auch er ein Zeichner. Die Handschrift auf seinem frühesten ausgestellten, grossformatigen Blatt von 1994 wirkt gestisch, impulsiv, da wird gewischt, geschmiert und mit wütenden Strichen das Papier traktiert. Drei und vier Jahre später dominieren zarte Tuschelinien und Lasuren die kleinen Formate. Noch einmal drei Jahre später kehrt Pils in grosse Dimensionen zurück, behält jedoch die gewonnene Klarheit bei und ergänzt sie um dynamische Linien. Wieder drei Jahre später fangen die Striche selbst an, sich zu ordnen, fügen sich zu gegenständlich deutbaren Lineaturen, zu Blättern und Dornen. Pflanzen als Teil der organischen Welt gehören wie Menschen und Tiere zu einem der Schwerpunkte für die Künstler in Paul Hafners Programm. Bereits ganz am Anfang stehen die Kuhbilder von Antonia Bannwart, die noch stark an den Gestus der Jungen Wilden erinnern. Dann fallen die Menschenbilder von Ursula Bossard, oder das Strumpfhosenobjekt von Julia Bornefeld ins Auge, Letzteres ein vielschichtiges Sinnbild für das geschlechterspezifische Rollenverständnis.

Insgesamt lässt sich in den Werken der Ausstellung ablesen, was sich bei Tobias Pils exemplarisch vollzieht: der Weg zur grösseren Klarheit. Die Impulsivität weicht geordneten Strukturen, der ungebändigte Strich der nachvollziehbaren Linie. Sogar in den Farben lässt sich eine Entwicklung weg vom Erdigen, Dunklen hin zu lichten, reinen Tönen verfolgen, wie sie etwa Karin Schwarzbeck oder Marianne Rinderknecht in ihren Bildern verwenden. Ein Zeichen in diesem Sinne ist auch die transparente, weil aus mehreren hintereinander geklebten Glasscheiben bestehende Arbeit «Fragile» des Österreichers Michael Kienzer. Den vorläufigen Schlusspunkt bildet der erst vor kurzem in der Einzelausstellung von Roland Kodritsch gezeigte «Keksgeist» – und doch knüpft dessen Witz nahtlos an Bannwarts Kühe an. Hier schliesst sich der Kreis des «In-Zwischen» und macht doch neugierig auf das weitere «Da-Hin».

Das Glitzern der Tautropfen

Das Spiel von Licht und Schatten, die Suche nach Harmonie und Ausgewogenheit prägen die Fotografien des bekannten St. Galler Künstlers Ferruccio Soldati, die jetzt in Katharinen ausgestellt sind.

Das Gesicht ist eine Landschaft, die Haut ein von Tälern und kleinen Furchen durchzogenes, von winzigen Kratern übersätes Feld. Riesengross sitzt der Kopf im Format, so gross, dass er nur halb zu sehen ist. Ferruccio Soldati zeigt diese Nahaufnahme eines Menschen in seiner aktuellen Ausstellung in Katharinen.

Im Jahre 1964 entstanden, ist sie die früheste der ausgestellten Fotografien, und doch manifestiert sich bereits hier, was den Künstler bis in die heutige Zeit beschäftigt. Sein Interesse gilt den Strukturen unterschiedlichster Oberflächen, der Modulation des Bildraumes durch Licht und Schatten. So ist denn auch sein Bild eines Menschen keine Porträtaufnahme im eigentlichen Sinne. Es geht nicht darum, einen bestimmten Menschen in seinem Wesen und seinen Besonderheiten festzuhalten, sondern das Augenmerk auf all diese entdeckenswerten Eigenheiten eines Antlitzes zu richten. Und auch der Titel der Fotografie könnte als Programm für die gesamte Ausstellung gelten: «Black is beautiful», denn die Hautfarbe des Dargestellten ist ein Aspekt, der andere ist das Spiel von Hell und Dunkel: Alle gezeigten Werke sind Schwarz-Weiss-Aufnahmen und thematisieren so noch viel eindringlicher die Kraft des Lichtes im gestalterischen Prozess.

Der St. Galler Ferruccio Soldati trat lange Zeit vor allem als Maler und Plastiker in Erscheinung; erst in den vergangenen Jahren präsentiert er verstärkt auch sein fotografisches Werk. In diesem jedoch zeigt sich immer wieder auch der Maler, der dreidimensional denkende und arbeitende Künstler. Zum einen ist da sein Gespür für die Komposition und den Raum. Zum anderen die Fähigkeit, denselben auch in der Fläche visualisieren zu können. Wenn er sich etwa mit einem Faltenwurf beschäftigt, bekommt die Auseinandersetzung mit einem seit Jahrhunderten für Maler und Zeichner interessanten, weil in seiner räumlichen Anordnung unerschöpflichen Sujet, neue Impulse.Soldati folgte in der Auswahl der Fotografien der Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen: runde Formen, Botanik, Grafik und menschliche Darstellungen. Dabei gibt es immer wieder augenfällige Überschneidungen innerhalb dieser Kategorien. So zeigt zum Beispiel die «Runde Blütengruppe im Wasser», kreisförmig wachsende Pflanzen, die darüber hinaus mit ihren nach aussen hin kleiner werdenden rombusförmigen Blättern, die hell auf dunklem Wasser treiben, ausgesprochen grafische Qualität. Unwillkürlich kommt einem die Pop Art in den Sinn, die solche Ordnungsstrukturen zelebrierte, doch hier ist es die Natur, die sie geschaffen hat, und durch kleine, natürliche Unregelmässigkeiten werden sie nur noch reizvoller.

Ein Sujet, das gleich mehrfach auftaucht in Katharinen sind Wassertropfen. Mal glitzert in jedem ein eingefangenes Quentchen Licht, mal steht die Transparenz des Tropfens im Vordergrund. Mal erscheinen sie als tausend Lichtpunkte auf dunklem Grund, mal als perlende Tautropfen zwischen den feinen Härchen von Erdbeerblättern.Der St. Galler widmet sich dem Kosmos der Formen, der sich selbst in einfachen Dingen auf vielfältigste Weise zeigt. Oder sogar besonders in den einfachen Dingen: in jenen Gegenständen, Pflanzen und Details, die nur allzu leicht übersehen oder als banal abgetan werden. Ferruccio Soldati lenkt die Aufmerksamkeit auf das Unscheinbare und provoziert dadurch auch den Betrachter, genauer hinzuschauen.