Wo rosa Kräfte sich entfalten
by Kristin Schmidt
Marianne Rinderknecht zeigt sich in Katharinen mit einer eigens für den Ausstellungsraum im ehemaligen Frauenkloster entworfenen Installation von einer neuen Seite.
Marianne Rinderknecht ist inzwischen bekannt für ihre Wandarbeiten mit biomorphen Strukturen – Werke, auf denen es rankt und wuchert, wächst und verkrautet; die perfekt durchgearbeitet sind mit scharfkantigen Konturen und in leuchtenden, zuweilen grellen Farben. Wer mit diesen Bildern im Kopf in die aktuelle Ausstellung in Katharinen geht, wird eine Überraschung erleben.
Die St. Galler Künstlerin hat ihre Arbeit weiterentwickelt und um einige Facetten bereichert. Der augenfälligste Schritt ist jener in den Raum hinein. Rinderknecht löst ihre Arbeit von der Wand und plaziert sie freistehend im Ausstellungsraum wie einen Paravent. Oder ist es eine Wolke? Eine Welle? Ein Gebirgsmassiv?
Die sonderbare Silhouette erinnert an vieles und doch an nichts Konkretes. Wer sie von links her betrachtet, könnte sich zunächst an den Sonnenuntergang im winterlichen Hochgebirge erinnert fühlen. Dazu tragen sowohl die Farbigkeit als auch die ausgefeilte Lichtregie bei. Bei Ersterer ist Marianne Rinderknecht ganz beim Bewährten geblieben. Die gesamte Installation ist in monotonem Rosa gehalten. Diese Farbe nimmt seit längerem eine wichtige Position in den Werken der Künstlerin ein, ist Rosa doch von grosser Ambivalenz: Es kann zart wirken und unschuldig, giftig und künstlich, edel oder süsslich mit einem unverkennbaren kitschigen Beigeschmack.
Immer jedoch tauchte Rosa bisher in Kombination mit anderen Farben auf. Nun aber ist es die alleinige Farbe geworden und vereint dennoch wieder all diese vielfältigen Eigenschaften in sich. Hat nicht auch ein winterlicher Sonnenuntergang gleichzeitig etwas unheimlich Anziehendes und ist doch fast zu schön, um nicht gleichzeitig den Kitschverdacht zu wecken, spätestens, wenn er auf Fotopapier gebannt ist.
Der linke Teil der leicht geschwungenen Wand in Katharinen ist von der Rückseite her beleuchtet, so dass er sich scharf und dunkel gegen den hellen Hintergrund abzeichnet. Je weiter der Betrachter seinen Blick in Leserichtung schweifen lässt, desto mehr nimmt die Wirkung dieses Lichtes ab und desto stärker wirken die vorderseitigen Strahler, die das Rosa leuchten lassen, während sich der Hintergrund verschattet. Zugleich beginnen sich die Formen wild aufzutürmen, wabern wie giftige Dämpfe himmelwärts. Das Ganze wird zunehmend unheimlicher. Dann ist da plötzlich auch noch diese Stimme. Ein kaum hörbares «He, pssst».
Mit ihrer neuen Arbeit reizt Marianne Rinderknecht in besonderem Masse die Betrachtersinne, zieht sie in ihren Bann, um sie so schnell nicht wieder loszulassen. Und das, obwohl sie auf die gewohnte perfekte Oberflächendurchgestaltung verzichtet. Die Installation ist aus Wellpappestücken zusammengeklammert und -geklebt. Die Ränder des Materials fransen aus, Knicke und Risse sind zwar vom Rosa einheitlich überdeckt, aber noch immer zu sehen. Das verleiht der Arbeit Leben und Dynamik, und einen wohltuenden Schuss Chaos.
Damit steht die rosafarbene Wand in bewusstem Kontrast zu dem Tafelbild an der Stirnwand des Ausstellungssaales. Hier zeigt Marianne Rinderknecht, was ihre andere Stärke ist: Eine am Computer entworfene und malerisch auf die Leinwand übertragene vegetabile Alloverstruktur verschlingt und verzweigt sich. Voluten, Arabesken und Farbfelder verschränken sich in der Fläche und erzeugen so einen tiefen Sog ins Bild.
Es gibt kein Anfang und kein Ende, kein Bildzentrum. Besonders augenfällig ist die Konkurrenz zwischen dem exakten Rechteck des Tafelbildes und den ausgreifenden Schwüngen der Bildelemente, die sich unsichtbar über den Bildrand fortzusetzen scheinen und die Dynamik der freistehenden rosa Wand wieder aufnehmen. Oder ist es doch eine Wolke?