Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Ein- und Ausatmen

Das Künstlerpaar René Schmalz und Michaela Stuhlmann zeigt in Katharinen neue Objekte aus Kunststoff und Luft. Zwei Performances begleiten die Ausstellung «Raumhäute».

«Die Luft steht im Raum, vielleicht hängt sie auch» – und nicht nur die Luft. Der Satz aus der Performance von Schmalz/Stuhlmann könnte gut auch für die Objekte der beiden Künstler gelten. Hängen sie oder stehen sie? Schweben sie gar oder bewegen sich? Nur eines ist sicher: Es ist alles eine Frage des Blickwinkels und des Zeitpunktes. Denn die Arbeiten aus Plastikfolie verändern sich.

Die organisch anmutenden Formen füllen sich mit Luft, werden prall und dick, um kurz darauf wieder in sich zusammenzusinken. Sie richten sich auf und sacken wieder zusammen – ihre Haut ist schlaff und faltig im einen Moment, glatt und gespannt im anderen. Sie wirken beinahe lebendig, so, als holten sie Atem oder als werde ihnen dieser eingehaucht. Und ein bisschen ist es auch so, nur dass statt des göttlichen Luftstromes hier elektronisch gesteuerte Haartrockner wirken. Sie blasen eine gewisse Zeit lang Luft in die Foliensäcke und setzen dann aus – die Luft entweicht durch die Nähte der Objekte – sie erschlaffen. Kurze Zeit darauf setzt der Vorgang erneut ein.

René Schmalz und Michaela Stuhlmann haben mit diesen beweglichen Körpern ein subtiles, vielschichtiges Werk entwickelt. Es bewegt sich zwischen Spannung und Entspannung ebenso selbstverständlich, wie es die Pole Leben und Technik miteinander vereint, und definiert Raum auf neue, sehenswerte Weise. Der Raum wird nur dann als solcher wahrgenommen, wenn seine Grenzen definiert sind. Die Plastikfolie ist zwar Begrenzung, aber transparent und nicht auf eine bestimmte Form festgelegt. Immer spielt in den Arbeiten der beiden Künstler auch der Umraum – in diesem Falle der Kreuzgang von Katharinen – eine Rolle. Er ist der äussere Rahmen, dringt visuell in die Skulpturen ein, begrenzt sie oder lässt ihnen Platz und wird Teil der Gesamtinszenierung.

Es ist kein Zufall, dass Schmalz/Stuhlmann bei ihrer aktuellen Ausstellung auf eine Präsentation im eigentlichen Ausstellungsraum von Katharinen verzichten. Stattdessen bespielen sie den Kreuzgang und den Innenhof des ehemaligen Frauenklosters. Der Betrachter ist zu einem richtigen Rundgang eingeladen, einem Kreislauf, der jenem der Werke entspricht: Der immerwährende Wechsel zwischen Atemholen und Luftlassen der einzelnen Objekte, begleitet vom ständigen Klang der Föhngeräte, lässt sich in seiner Gesamtheit und der durchdachten Choreographie erst durch das wiederholte Abschreiten richtig erleben.

Das Handeln ist ein zentrales Element in der Arbeit von René Schmalz und Michaela Stuhlmann. So entstehen nicht nur die Plastikkörper für jede Ausstellung neu, sondern gleichzeitig nehmen Performances und Aktionen einen wichtigen Raum ein. Zur Vernissage der Präsentation in Katharinen vergangenen Freitag führten Schmalz/Stuhlmann «Zuckerspur» vor, während zwei Tage vor Ende der Ausstellung «Klangrausch» zu sehen und zu hören sein wird.

«Zuckerspur» funktionierte als sinnliche Auseinandersetzung mit sehen, hören, fühlen, schmecken. Beide Künstler sassen einander gegenüber, vor sich zwei Kassettenrekorder auf dem Tisch, aus denen Reflexionen zum Thema Flüssigkeiten und Sprichwörter zu Wärme und Feuer erklangen. Langsam liessen die zwei je fünf Kilogramm Zucker über die Geräte rieseln, bis kaum noch etwas zu hören, aber zwei Zuckerberge entstanden waren, die als Abdruckform für das Antlitz dienten. Das Ergebnis waren zwei verdoppelte, weisskörnige Selbstporträts: als Negativform auf dem Tisch und als Positivform in den Gesichtern.

Das macht neugierig auf «Klangrausch» am 10. August, eine Performance, die von den Künstlern als Stimm-, Klang- und Aktionsreise ins Unbekannte angekündigt wird. Wasser, Gläser, Schwirrbögen, Schläuche und eine Rauminstallation werden dann eine schaurig schöne Stimmakrobatik begleiten.

Spiegel mit Erinnerung

Fotokünstler Mark Kessell in der Maschinenfabrik Rapperswil

Drei Männlein stehn im Walde

Die aktuelle Ausstellung «Rub-a-dub-dub» im exex zeigt Werke dreier britischer Künstler: Jacob Cartwright, Nick Jordan und Stephen McNeilly stellen sowohl ein Gemeinschaftswerk sowie eigene Arbeiten vor.

Zwischen uralten Baumriesen tut sich etwas. Drei Gestalten, winzig im Vergleich zu den mächtigen Eichen, huschen umher und tun unerklärliche Dinge. Sie hacken und messen, tasten und schauen, klettern in und auf die Bäume, halten inne und beginnen wieder von vorn. Fast haben die drei etwas geheimnisvolles, märchenhaftes, doch spätestens, wenn Baseballkappe und Dreitagebart ins Bild kommen, relativiert sich dieser Eindruck etwas. Zu dritt sind Jacob Cartwright, Nick Jordan und Stephen McNeilly in den Sherwood Forest gezogen, um dessen Magie zu ergründen oder zumindest zu erfahren. Wem der Name dieses Waldes bekannt vorkommt, der liegt vermutlich richtig – es handelt sich um jenen Landschaftspark in der Nähe von Nottingham, in dem auch Robin Hood gelebt haben soll. Und wenn es ihn je gegeben hat, so standen auch dieselben Eichen bereits dort, die für die drei jungen Künstler den Aktionsrahmen abstecken.

Cartwright, Jordan und McNeilly haben ihr Kunststudium zur gleichen Zeit in Nottingham absolviert, und auch wenn sich ihre Wege danach getrennt haben, gab und gibt es immer wieder Anlässe zum gemeinsamen Arbeiten. Der Anstoss für die jüngste Zusammenkunft erfolgte von St. Gallen aus: Rachel Lumsden, Vorstandsmitglied von Visarte ost, lud die drei Künstler ins exex ein und startet damit eine Serie von «UK Importen», die sich mit Ausstellungen von Ostschweizer Künstlern in Grossbritannien abwechseln werden.

Die aktuelle Ausstellung wurde für die drei Briten eine Reise in die Vergangenheit. Es ist nicht nur der Ort, der für die drei Künstler mit ihrer individuellen Geschichte verknüpft ist, es ist auch die eigene Kindheit, der unbefangene Blick auf die Natur, die in der Filmarbeit hervortreten. Den Gegenpol zu jenen verspielten Szenen bilden die bewusst monumental ins Bild gesetzten, teilweise abgestorbenen und verbrannten Eichen und die Tonspur mit dem Vortrag von William Coopers Gedicht «Yardley Oak». Mühelos lassen die Künstler die unüberwindlich scheinenden Grenzen zwischen ausgelassener und getragener Stimmung verschwinden, vereinen Absurdität und Apokalypse, Erzählung und Meditation. Ein Grund dafür ist das Zusammentreffen sehr unterschiedlicher künstlerischer Ansätze.

Jacob Cartwright zeigt in der Ausstellung Bilder von hoher suggestiver Qualität. Wie in einem Rebus, einem Bilderrätsel, sind Lebewesen oder Dinge auf den Tafeln zueinander gestellt, die erst auf den zweiten Blick miteinander verwandt sind. Cartwright zeichnet seine Gedankengänge mit und kommt so von einem zum anderen – bis sich ein Assoziationsprozess visualisiert. Die Zartheit der Linien und der Detailreichtum der farbigen Bilder sind vergleichbar mit den Zeichnungen Nick Jordans. Der beschränkt sich jedoch auf die lineare Darstellung. Drei Eichen aus der «Sylva Britannica» von Jacob Strutt sind minutiös wiedergegeben.

Den Gegenwartsbezug stellen wiederum die drei bereits bekannten Gestalten aus dem Sherwood Forest her, die hier als der Bäcker, der Metzger und der Kerzenzieher bezeichnet werden und in den den frechen Kurzfilmen Stephen McNeillys wieder auftauchen. Obwohl der Künstler mit Knetmännchen arbeitet, sind die Ergebnisse nicht zu vergleichen mit den allseits bekannten Produkten aus der Aardman-Werkstatt; sie sind vielmehr deren ästhetisches Gegenteil. Spass machts trotzdem.

Aber wie kamen die drei Berufsbezeichnungen ins Spiel? Das Motto der Ausstellung bildet mit «Rub-a-dub-dub» ein englischer Kinderreim, in dem eben jene drei obskuren Gesellen in einer Badewanne sitzen. Mit einem Augenzwinkern fasst er die Präsentation im exex zusammen, ohne ihr etwas vom Ernst zu nehmen, der trotz der heiteren Töne in jedem Werk steckt.

Neue Werke, neue Sammlung

Die St. Galler Kantonalbank baut eine neue Kunstsammlung auf. Der Anfang ist getan mit den Ankäufen zur Ausstattung des neuen Hauptsitzes in St. Gallen.

Im Hauptsitz der St. Galler Kantonalbank an der St. Leonhard-Strasse hat sich viel getan. Seit einiger Zeit ist die neugestaltete Eingangshalle zugänglich. Und auch wer keine Bankgeschäfte zu erledigen hat, sollte einen Blick in das Gebäude werfen, denn dort findet sich ein engagiertes Kunstprogramm. Zwei grosse Installationen wurden im Zuge des Umbaus im Foyer realisiert und haben nun dort dauerhaft Platz gefunden. Als Erstes werden die Blicke durch Alex Hanimanns Leuchtobjekt angezogen.

Der St. Galler Künstler ging als Sieger eines Wettbewerbes für die Ausgestaltung des neuen Innenhofes hervor und entwickelte für diesen Ort eine Skulptur aus Neonschlaufen. Hoch oben zwischen den spiegelnden Fassaden schwebt sie mehr, als dass sie hängt. Die weiss leuchtenden Bänder verschlingen und verwirren sich, schwingen und ballen sich. Das Auge findet keinen Anfang und kein Ende. Es ist nur eine einzige, endlose Linie, die sich da zu einer grossen Kugel aus Licht formt. Harmonie und Chaos treffen auf eindrückliche Weise zusammen. Dies setzt sich fort in den unzähligen Reflexionen des Werkes in den Fensterscheiben. Die Kugel vervielfältigt sich, wird verzerrt und von sich selbst überlagert. Je nach Tageslicht schimmert das Licht diffus oder deutlich akzentuiert vor dem Nachthimmel.

Alex Hanimanns Werk wirkt immer wieder anders und ist durch seinen metaphorischen Gehalt zugleich weit mehr als nur attraktiver Blickfang. Weniger auffällig und dennoch prägnant ist die zweite für den Innenhof gestaltete Arbeit: Silvie Defraoui bespielt mit «Next» die beiden Lifttürme des Bankgebäudes. Die vier Buchstaben des titelgebenden Wortes stehen auf den einander gegenüberliegenden Seiten der Aufzugskonstruktion. Während das «e» und das «t» im Erdgeschoss mühelos zu entziffern sind, müssen die sich von der 1. bis zur 5. Etage erstreckenden «N» und «X» entdeckt werden. Daneben ist immer auf der Hälfte der Stockwerke an den Glaswänden die Ziffer «5» zu lesen. Defraoui spielt mit den Regeln und Funktionen. Ihre Beschriftungen sind präzise, aber nur bedingt bezogen auf die vorhandene Struktur. Sie schafft ein neues, die Funktionalität konterkarierendes System, eine Ordnung abseits der Ordnung, und dies ausgerechnet in einer Bank.

Die zwei Werke im Lichthof sind nur der allen zugängliche kleine Teil der neuen Sammlung der St. Galler Kantonalbank. Die Umgestaltung des Hauptsitzes war der Anlass, über eine richtige Kunstsammlung nachzudenken und ein Konzept zu entwickeln. Denn bisher bestand der Fundus aus mehr oder weniger zufällig und dezentral zusammengetragenen Objekten ganz unterschiedlicher Provenienz und Qualität. Neu hat eine eigens gegründete vierköpfige Kunstkommission den Auftrag, wichtige künstlerische Positionen mit St. Galler Bezug anzukaufen, das heisst Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die in St. Gallen geboren sind, hier leben oder gelebt haben.

Der Grundstock wurde neben den Installationen von Silvie Defraoui und Alex Hanimann jetzt gelegt mit Werken von Nicole Böniger, Mark Staff Brandl, Ingo Giezendanner, Rolf Graf, Peter Z. Herzog, Regi Müller, Marianne Rinderknecht, Stefan Rohner, Loredana Sperini, Hans Thomann und Christian Vetter. Die Künstlerinnen und Künstler wurden eingeladen, Vorschläge für eines der Besprechungszimmer der Bank zu unterbreiten. Die Arbeiten könnten unterschiedlicher nicht sein und haben doch eines gemeinsam: Ob Gemälde, Fotografien, Zeichnungen, Collagen oder Objekte, es sind sorgfältig ausgewählte Werke, mit denen der neue Qualitätsanspruch der Sammlung gut ersichtlich wird.

Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?

Jos van Merendonk konfrontiert den Betrachter mit der Farbe Grün und den unendlichen Möglichkeiten der Malerei. Auf quadratischen Formaten spielt der Künstler in der Galerie Christian Röllin ein breites Ausdrucksspektrum durch.

Am Anfang steht immer eine Zeichnung, und zwar immer die gleiche: Jos van Merendonk setzt mit dem Bleistift ein grosses Oval auf die quadratische Leinwand, fährt im Zickzack von rechts oben nach links unten und schliesst mit einem umgekippten Z. Dieses lineare Schema bildet bei allen Gemälden des Amsterdamers das Grundgerüst, selbst, wenn es durch die späteren Übermalungen verschwindet und nicht mehr als Ausgangspunkt des Bildes in Erscheinung tritt. Eine weitere Konstante im Werk van Merendonks ist jedoch sofort und immer sichtbar. Der holländische Künstler verwendet ausschliesslich die Farbe Grün. Und zwar nicht Grün in allen seinen möglichen Variationen, sondern immer dasselbe Chromoxydgrün.

Warum dieses Grün? Diese Frage steht angesichts der Ausstellung der Gemälde Merendonks in der Galerie Christian Roellin sofort im Raum, genauso wie die Erinnerung an Barnett Newmans Gemälde «Who’s afraid of red, yellow and blue?». Die Primärfarben scheinen so unentbehrlich für ein Bild, ihn ihnen steckt die Möglichkeit sämtlicher anderer Farben, steckt Symbolik und Variantenreichtum. Gerade die holländischen Künstler wie Mondrian, Rietfeld und andere De-Stijl-Kollegen kamen mehr oder weniger mit den drei Grundfarben aus. Aber es geht auch anders. Als sich Jos van Merendonk Ende der 1980er-Jahre entschied, nur noch mit diesem einen Grün zu malen, ging diese Entscheidung primär von der Materialität der Farbe aus. Chromoxydgrün zeigte sich neben einem bestimmten Rot aufgrund seiner Pigmentstruktur am besten geeignet für die Arbeit van Merendonks, aber Rot schied aus aufgrund seiner starken Symbolik.

Van Merendonk sucht die grösstmögliche Neutralität seiner Bilder. So erklärt sich auch die Verwendung des Quadrates. Während ein Querformat immer den Weg in Richtung Panorama einschlägt und das Hochformat stark besetzt ist durch Bilder im christlichen Kontext, bleibt das Quadrat neutral. Das bedeutet aber nicht, dass die ausgestellten Gemälde kein Oben und kein Unten hätten. Jos van Merendonks Bilder sind nicht beliebig. Ein jedes stellt eine eingehende Untersuchung des selbstgewählten malerischen Themas dar. Mal kommt dem Farbauftrag besondere Aufmerksamkeit zu, dann wieder ist es die Komposition des Bildes, dann wieder die Konstruktion des Bildraumes. Van Merendonk befreit sich vom Diktat der Farbe, um sich alle anderen Freiheiten offenzulassen.

Es gibt Bilder, die völlig mit Grün eingestrichen sind, danach ist eine Struktur eingeritzt. Andere bestehen aus einem exakt parallel gesetzten Streifensystem, wieder andere sind gesprayt. Mal werden breite Balken von Bildrand zu Bildrand gezogen, daraus ergeben sich Bildebenen, die eine starke räumliche Tiefe suggerieren, dann wieder sind die Balken kürzer, überlagern sich, und damit tritt die Dynamik des Bildes in den Vordergrund, akzentuiert durch Bleistiftstriche, die wie die Bewegungslinien der Comics wirken.

Und selbst das Grün zeigt noch Varianten. Monochrom ist nicht Monochrom. Während beispielsweise Yves Klein sein Ultramarinblau immer homogen und sehr dicht auftrug, um eine reine und dadurch unendlich tiefe Farbfläche zu erzeugen, wird das Grün bei Van Merendonk auch verdünnt oder extra pastos aufgetragen, wodurch sich unterschiedliche Schattierungen der Farbe ergeben.

Und das alles passiert nun «ohne Mühe», wie es der Ausstellungstitel verheisst? Keineswegs, Jos van Merendonk arbeitet konzentriert im Rahmen der selbstgewählten Parameter die Möglichkeiten durch. In intensiver Auseinandersetzung mit dem Medium erweitert und verändert er sein Repertoire, um doch ständig neue Bilder zu schaffen. Am Ende dessen steht etwas, das einfach aussieht, aber nichtsdestoweniger komplex und durchdacht ist.

Mein Freund, der Bananenbaum

Kuska Cáceres und Martin Kaufmann bringen in der Grabenhalle das Stück «Saku-Chan» auf die Bühne, das gleichzeitig Theater, Musical, Kabarett, Tanz und Konzert ist.

Das Leben ist kein Zuckerschlecken. Der Bruder nervt, die Mutter keift und der Vater ist längst über alle Berge. So kann ein Teenageralltag aussehen. Oder so: Die Wohnung zu klein, der Traumprinz nicht in Sicht und der beste Freund ein Bananenbaum. Manchmal kommt auch alles zusammen. Kuska Cáceres erspart der Hauptfigur ihrer jüngsten Produktion nur wenig. Erzählt wird die Geschichte der 18-jährigen Saku-Chan, ihr tägliches Leben zwischen der Arbeit im Café, der Enge des Familienlebens und den Traumwelten der jungen Frau.

Ausgangspunkt des Stücks war der Roman «Amrita» von Yoshimoto Banana. Die japanische Schriftstellerin erzählt darin von einer Familie, zusammengehalten durch die Trauer um einen geliebten Menschen. Das Wissen um jenes Buch ist jedoch keineswegs Voraussetzung für den Abend in der Grabenhalle, für «Saku-Chan – eine Reise zwischen Traum und Wirklichkeit». Die hauptsächliche Gemeinsamkeit zwischen der Romanfigur und der Geschichte auf der Bühne ist ihr Handlungsort Japan. Doch Handlung und Figuren wurden von Kuska Cáceres erfunden oder unseren Breitengraden angepasst.

Cáceres, freischaffende Schauspielerin, Tänzerin und Tanzpädagogin aus Zürich, und Martin Kaufmann, Musiker und Schauspieler ebenfalls aus Zürich, schlüpfen in sämtliche Rollen – ob Grossmutter, Väter, Nachbarn oder gar Bananenbaum. Requisiten werden nicht viele gebraucht, das Stück lebt von der lebhaften Interaktion der Schauspieler und der Livemusik; letztere ist beider besondere Stärke. Wo an anderen Stellen das Geschehen mitunter zum Klamauk gerät, finden sie hier zu sich, gönnen dem Stück Ruhepausen und öffnen seinen geistigen Raum weit über die Grabenhalle hinaus. Leider wird dieser Perspektivenwechsel schnell unterbrochen, wenn das Publikum zum Mitsingen animiert wird.

Es beginnt mit «Es war einmal» märchenhaft, um sich schnell ganz zeitgenössisch zu geben. Der Einstieg in den Abend wird als Findungsprozess inszeniert. Cáceres und Kaufmann beginnen mit der Suche nach dem richtigen musikalischen Auftakt und landen über verschiedene Stilrichtungen dann beim Rap.

Hier und an einigen anderen Stellen wird deutlich, dass man sich vor allem an ein junges Publikum richtet. Das Stück, das auch an Schulen aufgeführt werden soll, behandelt die klassischen Themen der Jugend. Angefangen von alltäglichen Nöten, vom Schuleschwänzen, Geschwisterzwist und den üblichen Konflikten mit den Erwachsenen über Partnersuche bis hin zur Berufswahl.

Allerdings beschränkt sich Cáceres nicht darauf, diese Dinge zu thematisieren. Sie möchte Handlungsoptionen aufzeigen oder zumindest Denkanstösse geben: Ein schöner Ansatz ist es, die Personen über ihre Träume zu charakterisieren. Doch wie verhält es sich mit deren Realisierbarkeit? «Saku-Chan» nimmt die Illusion von der Freiheit und reflektiert statt dessen über die Navigation des Lebens: Jedem seinen Guide, seinen Fahrplan. Das Publikum bekommt am Schluss des Stücks den Satz mit auf den Weg, das selbiger immer gesucht werden müsse. Und zum Glück bleibt für jeden offen, ob er es mit oder ohne Orientierungshilfe versucht.

Der Traum vom perfekten Raum

Die Architektin Annette Gigon und der Kurator Adam Budak aus Graz sprachen über Architektur für die Kunst. In der Kunsthalle ging das Symposium «Handlungsräume» den Fragen nach, was ein Museum brauche, um zu funktionieren. Wo treffen sich Kunst, Künstler, Betrachter und Ausstellungsmacher?

Was macht gute Museumsarchitektur aus? Die einen werden antworten: Ein Museum muss sich seiner Funktion, der angemessenen Präsentation von Kunst, unterordnen. Es muss weisse, neutrale Räume mit Oberlicht besitzen und wohlproportioniert sein. Anderen genügt dies nicht; sie verstehen Museen als Prestigeobjekte, wünschen sich Museumsneubauten mit «Leuchtturm»-Charakter und hoffen auf den mittlerweile sprichwörtlichen «Bilbao»-Effekt. Die dritten wiederum sehen die Sache pragmatisch, wie etwa Georg Baselitz: Ein Museum brauche einen Boden, Wände, eine Lichtdecke und eine Tür zum Hineingehen.

Das Spektrum dessen, was ein Kunstausstellungshaus können muss und wie es aussehen soll ist also denkbar breit. Vielfältig sind die Anforderungen – und ebenso vielfältig die Lösungsvorschläge der Architekten.

Das Symposium «Handlungsräume» in der Kunsthalle St. Gallen hatte sich am vergangenen Samstag zum Ziel gesetzt, die Ansprüche an einen Kunstausstellungsort aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Eingeladen waren Annette Gigon und Adam Budak, um einmal aus der Perspektive der Architektin und zum anderen aus der des Kurators über ihre Arbeit mit dem Raum für Kunst zu sprechen. Annette Gigon hat sich gemeinsam mit Mike Guyer nicht zuletzt durch ihre Museumsbauten einen guten Namen erworben. Adam Budak wiederum ist durch seine Arbeit im spektakulären Bau des Kunsthauses Graz vor besondere Aufgaben gestellt.

Die Architekten Gigon/Guyer vertreten mit ihren Bauten eine charakteristische, klare Formensprache – sichtbar an Beispielen wie dem Liner-Museum Appenzell, dem Kirchner-Museum Davos, den Erweiterungsbauten für die Stiftung Oskar Reinhart am Römerholz oder das Kunstmuseum in Winterthur. Die Architektin stellte Beispiele des eigenen Schaffens vor und ging auf die spezifischen Anforderungen und Merkmale ein. Das allein wäre bereits interessant genug gewesen; doch ebenso war es Gigons Abriss sowohl aus historischer als auch nutzungsspezifischer Perspektive. Denn Nutzer sind sowohl die Künstler wie auch die Ausstellungsmacher und die Besucher.

Doch kann man überhaupt allen gerecht werden? So liegen zwischen den Forderungen Remy Zauggs aus seiner 1987 erschienenen Schrift «Das Kunstmuseum, das ich mir erträume» und der scheinbaren Anspruchslosigkeit von Baselitz Welten. Ähnlich wie zwischen Alfred Lichtwarks Forderung nach grossen opulenten Treppenhäusern und durchfensterten Fassaden im 19. Jahrhundert oder den Bedürfnissen zur Präsentation von Videokunstsammlungen heute.

Ohnehin hat sich die Kunst mittlerweile mehr und mehr von der Institution und dem gebauten Rahmen emanzipiert. Sie findet ebenso selbstverständlich im Stadtraum Platz. Gigon verwies hier auf die gelungene St. Galler Stadtlounge von Pipilotti Rist und auf von Künstlern gestaltete temporäre Architekturen. Oder die Kunst verzichtet ganz auf physische Präsenz, indem sie in virtuellen Räumen stattfindet.

Auch für das KuBi-Projekt war der Verzicht auf einen festen Ort für die Kunst im Gespräch. Doch die Museen mit ihren über lange Zeiträume gewachsenen Beständen benötigen einen Rahmen – besonders auch für die Kunst, die sich nicht in Pavillons, Parks oder auf Filmleinwänden präsentieren lässt. Und so ist es denn auch der Anspruch von Architekten wie Gigon/Guyer, Orte zu schaffen, in denen sich die Wahrnehmungszeit ausdehnen lässt; Orte, die des Betrachters Augen nähren und seinen Kopf herausfordern.

Wie funktioniert nun all dies im Kunsthaus Graz? Das Haus von Cook/Fournier ist ganz im Sinne des Leuchtturmgedankens aufsehenerregend. Wie eine riesige blaue Blase scheint es mitten in der Stadtlandschaft vor sich hin zu blubbern. Sein Kurator Adam Budak verglich es treffend mit Marilyn Monroe: theatralisch, eigenwillig, exzentrisch und nicht zuletzt spektakulär. So ein Bau stellt höchste Anforderungen an Ausstellungsmacher und Künstler. Da im Inneren keine Wände existieren, müssen neue Präsentationsformen her. Doch schnell einmal dominiert die Ausstellungsarchitektur die Kunst, und am Beginn einer jeden kuratorischen Überlegung steht ohnehin diese spezielle Architektur; so bekannte sich Adam Budak denn auch zu einem gewissen Masochismus, der im Umgang mit diesem Haus unerlässlich sei.

Herbst im Pfalzkeller

Beatrice Im Obersteg und Andreas C. Meier haben ihre Musik- und Tanzperformance «Herbstatem» speziell für den Pfalzkeller konzipiert und am vergangen Wochenende aufgeführt.

Der Duft trockenen Herbstlaubes empfing den Besucher des Pfalzkellers. Es raschelte unter den Sohlen. Warmes Licht durchflutete die Halle. Augen, Ohren und Nase hatten schon vor dem Beginn der Musik- und Tanzperformance «Herbstatem» etwas zu sehen, hören, riechen.

Die Sinne wecken, die Wahrnehmung herausfordern – manch Künstler setzt sich das zum Ziel, doch das Einlösen dieses Anspruches ist nicht einfach. Beatrice Im Obersteg aus Luzern und dem Wädenswiler Andreas C. Meier ist dies mit dem Team «räumlich-kollektiv» gelungen. Ausgangspunkt war Calatravas Architektur im Pfalzkeller, die Harmonie und Leichtigkeit, die Lichtregie im weissen Gewölbe wie auch die verwendeten Materialien und das Grau des Bodens. Manche Aspekte der Architektur wurden aufgenommen, zu anderen wurde der Gegensatz gesucht. So tauchte die runde Form bereits beim Ausgangsbild von «Herbstatem» mit einem Kreis aus Herbstlaub wieder auf. Jedoch bildete die warme rostrote Farbe des Laubes, unterstützt durch rot-gelbe Beleuchtung (Licht: Carmelo Suchini), den denkbar grössten Gegensatz zur Kühle des Raumes. Der Perkussionist Markus Lauterburg wiederum stimmte das Stück mit sanften, leisen Tönen ein, die aufs Beste den weichen, fliessenden Formen der Halle entsprachen.

Eine Besonderheit von «Herbstatem» ist, dass Musik und Tanz in ihrer Bedeutung, ihrem Anteil an der Inszenierung gleichwertig behandelt werden. Die Musik dient nicht der Untermalung des Tanzes, stattdessen gestalten Markus Lauterburg und Saxofonist Christian Kobi das Stück gemeinsam mit den Tanzenden. Zunächst liegt das Augenmerk auf Lauterburg und Im Obersteg: Der Herbst erwacht. Die Tänzerin nimmt Formen der Architektur, die Bögen, die grosszügigen Schwünge wieder auf, steigert die Bewegung bis zum Wirbel inmitten der Blätter, sich schliesslich mit skulpturalen Momenten in ihrem rostrot schimmernden Umhang (Kostüm: Eva Waldmann) verpuppt, um sogleich wieder aus ihrem Kokon zu schlüpfen.

Während Im Obersteg mit dem Schlagzeug agiert, kündigt ein beinahe lautloses Blasen des Saxofons den Tänzer an. Meier und Im Obersteg tanzen Blättersturm und Innigkeit, Vertrautsein und Spiel. Beide arbeiten präzise und dennoch gefühlvoll. Obgleich sehr unterschiedlichen Typs finden sie zum Gleichklang der Bewegungen und der Stimmung. Einen Höhepunkt bildet jedoch gerade die Szene, in der ein Kräftemessen in einer Konfrontation kulminiert. In eindrücklichen Körperbildern und unterstützt von winterlich kaltem Licht werden Gegensatz und Widerstreben formuliert. Statt Winterschlaf im Blätternest also Aufruhr der Gefühle. Zum Wintereinbruch setzen sie dem Herbst ein Denkmal.

Verwandelte Welt

Jan Kaeser spielt auf poetische und hintersinnige Weise mit Alltagsdingen. Die Ausstellung in Katharinen zeigt eine Auswahl seiner jüngeren Werke.

Nichts ist mehr, wie es immer war: Die Nagelschere besteht aus Nägeln, die Bratwurst aus Bronze, der Rettungsring aus Marmor. Jan Kaeser verwandelt die Welt. Alltägliches, Gewohntes, Bekanntes wird zu Befremdlichem, Irritierendem. Der Gebrauchsgegenstand ist nicht länger zum Gebrauch geeignet, ihm haften stattdessen ganz neue, andere Qualitäten an. Was Jan Kaeser einer Mutation unterzieht, erzählt eine Geschichte; wie etwa die Stühle, die in der Arbeit «übrigens» geschwollene Beine bekommen haben.

Die Verwandlungen verraten Kaesers unerschöpfliche Lust an der Beobachtung der Umwelt und die daraus resultierende Aufmerksamkeit für sinnfällige Zusammenhänge. Wenn die Nagelschere aus Fingernägeln besteht, erinnert sie schliesslich daran, dass Horn bereits seit längst vergangenen Zeiten für Gebrauchsgegenstände zum Einsatz kam. Doch zuerst muss da freilich der leichte Schauder überwunden werden, der einen im Angesicht der kleinen Akkumulation menschlicher Überbleibsel überkommt.

So haben die meisten Werke Kaesers mindestens zwei Ebenen. Die erste, die ein Schmunzeln, eine Überraschung oder ein Staunen auslöst, und jene, die nachdenklich werden lässt, indem sie die Dinge kritisch hinterfragt. In der aktuellen Ausstellung in Katharinen ist beispielsweise die Arbeit «Traumgleichgewicht» zu sehen: Am ledernen Henkel hängen statt der Aktentasche verklebte Zuckerstückchen. Schon taucht die Frage auf, was verbirgt sich in so mancher Aktentasche? Der Zucker als Nervennahrung konkurrenziert mit den Papierstapeln, die so manchem den letzten Nerv geraubt haben. Schnell kippt das erste Schmunzeln in bedrücktes Innehalten, so etwa in den Werken «Eingang» und «tatsächlich». Erstgenannte Arbeit aus dem Jahre 1998 gehört zu den älteren Werken der Ausstellung. Drei Koffer haben auf ihrer Aussenseite je ein kleines Schild, welches auf einen «Eingang» hinweist und daneben einen funktionierenden Klingelknopf.

Das sprichwörtliche Leben aus dem Koffer wird damit nicht nur illustriert, sondern hinterfragt. Denn die Parallele zwischen einer Wohnung und dem Koffer liegt auf der Hand. Was dem einen seine mehrere Dutzend Quadratmeter, ist dem anderen der Raum eines schlichten Behältnisses, wo mitunter ein ganzes Leben Platz finden muss.

Das Werk «tatsächlich» ist von ähnlicher Brisanz. Fünf Laibe weissen Brotes sind an die Kette gelegt. Die Eisenketten gehen durch die Brote hindurch und sind mit einem Schloss gesichert. Mitnehmen ist unmöglich. Das Werk mag hier absurd erscheinen, doch sofort ist der Mangel an Nahrung von anderen und anderswo präsent. «Von der Hand in den Mund» ist zum «Laib in den Mund» geworden, jeder bekommt nur, was er sofort essen kann.

Für die Ausstellung hat Jan Kaeser eigens ein neues Werk entwickelt. Es steht im Innenhof des Kreuzgangs von Katharinen. Vier Lichtsignalanlagen stehen zu einem Kreuz angeordnet und blinken sich gegenseitig an mit gelbem Licht. Das gelbe Blinken als Zeichen der Pause, des Innehaltens fügt sich aufs Beste in die Stille des Klosterhofs. «Vielleicht» nennt Kaeser diese Arbeit, und wie stets ist es der Titel, der dem Werk eine zusätzliche Portion Poesie verleiht. Vielleicht sind die Ampeln des Signalisierens müde, vielleicht stehen sie für vier Personen in einem für andere unverständlichen Gespräch – vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Kaeser lässt alles offen, und gerade dadurch sind seine Werke unendlich vielfältig und erzählerisch. Solange noch Gegenstände verfügbar sind, so lange darf man auf neue Werke Kaesers gespannt sein.

Körperarbeit

Im Tanz-Raum Herisau hatte am Wochenende die sechste regionale Plattform für zeitgenössisches Tanzschaffen ihren Auftakt. Die sechs «Querschritte»-Produktionen kommen nun nach St. Gallen.

Zum sechsten Mal lud die IG Tanz St. Gallen/Appenzell zur jährlichen Plattform für regionales Tanzschaffen ein. Sechs kurze Stücke stehen wieder auf dem Programm, Stücke, die den Bogen spannen von Improvisationen bis zur ausgearbeiteten Choreografie, vom Solostück bis zur fünfköpfigen Gruppe. Die «Querschritte» lassen erneut einen grossen Spielraum und weisen doch auf jene Wege hin, die auch mal abseits des Gewohnten und Bekannten verlaufen.

Gewissheiten sind selten geworden. Anja Gysin thematisiert dies in ihrer Solo-Choreografie «Frau-Sein». Wie ist eine Frau? Ist sie zart oder forsch, kess oder kühn? «Die Kunst der Hausfrau ist, alles zu verbinden» – Gysin gibt sich selbst die Stichworte und spürt auf ironische, witzige Weise den Widersprüchen des Weiblichen nach. Sie tanzt die Glucke, die Kokotte oder Löwin in ständigem Kontakt zum Publikum. Dies ist eine Besonderheit des Abends im Tanz-Raum Herisau. Die Tänzerin macht in ihrer direkten Art das Thema zu einem für alle.

Eine ganz andere Beziehung ist der Ausgangspunkt für die Choreografien von Andrea Maria Mäder und Beatrice im Obersteg. In «Zeiträume» und «círculo virtuoso» tanzen beide Tänzerinnen zu Livemusik. Mäder arbeitet seit vergangenem Jahr regelmässig mit dem Violinisten Christian Neff zusammen. In «Zeiträume» werden Geige und Körper Instrumente des Augenblickes. Im reizvollen Zusammenspiel ist nicht auszumachen, wer auf wen reagiert. Beide nehmen die Impulse des anderen auf. Die Musik lässt die Bewegung hörbar und der Tanz die Musik sichtbar werden. Beide agieren im Raum, und dieser wird auf zweierlei Weise erfahrbar.

Das Zusammenspiel bei «círculo virtuoso» ist stärker von der Musik als Impulsgeber geprägt. Im Obersteg nimmt Rhythmus und Takt des Schlagzeugers Markus Lauterburg in ihren Tanz auf. Immer wieder lässt sie sich in einen Sog ziehen, um sich wieder daraus zu befreien. In der Dynamik der kreisenden Bewegung liegt Leidenschaft und Hingabe, der Körper dreht sich zur endlosen Pirouette, selbst als die Bühne schliesslich im Dunkeln liegt und nur das Schlagzeug noch zu hören ist, dreht sich die Tänzerin in Gedanken weiter. Im Obersteg schafft ein Stück von hoher suggestiver Wirkung.

Dagegen kann Irène Blum mit «Clochard» nicht ganz überzeugen. Ihre Darstellung eines Bettlers und Obdachlosen beginnt zu Musik von Kurt Weill mit einer einfühlsamen Darstellung eines Menschen am Boden. Doch als Gesten des Bettelns und trotzigen Aufbegehrens dann ineinander verwoben werden, will sich die Identifikation der Tänzerin mit dem Clochard nicht so recht einstellen – die Kluft bleibt unüberbrückbar, eine fragwürdige Ästhetisierung des Gestrandeten überwiegt.

Monique Kroepfli stellt mit «Körperflüstern» eine Choreografie für fünf Tänzerinnen und eine Sprecherin (Nathalie Baumann) vor. Der gesprochene Text ist dabei verzichtbares Beiwerk. Denn das Stück lebt von der Virtuosität, mit der sich Kroepfli, Franziska Bader, Andrea Jenni, Cornelia Blättler und Laura Glaser bewegen und interagieren. Schwerelos, zeitlupenartig richten sie ihre fliessenden Bewegungen an den auf der Bühne verspannten weissen Gummibändern aus, greifen in stark erhöhtem Tempo mehr und mehr darauf über, bis sich ein Knäuel aus Leibern und Schnüren bildet: starke Bilder in kontrastreichen Farben.

Den Abschluss des Abends bildet «Zeichentanzen». Ingrid Fäh und Corinne Marko haben sich die Aufgabe gestellt, Bild und Tanz zu verbinden: Marko führt mit Stift oder Pinsel die Bewegung der Tänzerin nach. Ob Mitschreiben, Nachschreiben oder Wiedereinnehmen der festgehaltenen Form, beide Künste bleiben autonom, aber das Stück hat Potenzial. Der Körper als Schreibgerät hat in der Kunst seinen festen Platz und fordert auch im Tanz zu interessanten Choreografien heraus.