Der Raster der Grossstadt

by Kristin Schmidt

Stephen Westfall zeigt neue Werke mit Zeichencharakter in der St. Galler Galerie Wilma Lock.

Luftpostbriefe sind selten geworden. Doch wenn wieder einmal einer ins Haus flattert, fällt er auf. Grund dafür ist nicht zuletzt der Briefumschlag selbst mit dem Rand aus abgeschrägten Balken, rot-weiss blau-weiss alternierend. Er verschafft der eiligen Sendung die nötige Aufmerksamkeit.

Solch markante Gestaltungen in unserem Alltag haben es Stephen Westfall angetan. Der New Yorker Künstler verarbeitet in seinen jüngsten Gemälden Designs seiner grossstädtischen Lebensumwelt – Dinge, die uns sagen wollen: Dort ist etwas eilig. Hier ist etwas gefährlich. Da ist etwas verboten. Oder auch nur: Hier schmeckt es besonders gut. Das fängt an beim Briefumschlag, reicht über Absperrschranken bis hin zu den farbenfrohen Streifen auf des Eiswagens Sonnenschirm.

Westfalls Bilder sind dennoch anders als die gängigen Warn- und Hinweiszeichen, denn er schöpft gleichzeitig aus den Arsenalen der Kunstgeschichte. Mondrians Neoplastizismus, die Abstraktionen von Matisse oder auch die ornamentreichen Gemälde eines Gustav Klimt klingen an oder werden ganz bewusst zitiert. Auch die grossen Amerikaner wie Ellsworth Kelly oder Louis Morris sind wichtige Bezugspunkte.

Westfall führt minimalistische Form, strenge Geometrie und subtile Farbgebung zusammen. Was im urbanen Kontext noch in Neon- oder Primärfarben daherkam, wird zu einem sonoren Farbklang verwandelt, der Anleihen eher bei der klassischen Malerei macht als bei der Werbung.

Hinzu kommt eine äusserst präzise Arbeitsweise, die dennoch nie die Machart leugnet. Der Farbauftrag mit dem Pinsel bleibt sichtbar. Zudem leben die Werke von kleinen, aber wirksamen Verschiebungen. Besonders offensichtlich wird dies in den Gemälden mit einem rechteckigen All-Over-Raster. Durch sparsame Abweichungen scheinen die Rechtecke nach vorn und hinten zu schwingen, erhält das Bild räumliche Tiefe und Dynamik.

Und immer auch ist die Stadt selbst und ihr Raster präsent, ihre Architektur, die Vertikalen, die Häuserschluchten. Das Motto der Ausstellung bringt es treffend zusammen: «New Y(W)ork». Überhaupt verleiht Westfall mit seinen Titeln den Werken oft eine zusätzliche Wahrnehmungsebene. Ob «Candyman», «Vanishing Point» oder «Byzantium» – sofort gehen die Gedanken auf die Reise.