Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Fotografie als Installation

In ihrer ersten Ausstellung in St. Gallen untersucht Katalin Deér in Katharinen die Schnittstelle zwischen dreidimensionalem Raum und Fotografie.

Der Ausstellungssaal in Katharinen ist das Gegenteil eines White Cube. Während bei letzterem architektonische und infrastrukturelle Elemente in den Hintergrund treten und die ausgestellte Kunst ohne Ablenkung wirken soll, weist der Raum in Katharinen mit Gesimsen, Deckenbalken, Fenstern, Fensterbänken und vielem mehr ein grosses Repertoire an baulichen Details auf, die eine Konkurrenz zur Kunstpräsentation und -betrachtung bilden.

Es ist daher immer wieder spannend zu sehen, wie die in Katharinen ausstellenden Künstlerinnen und Künstler mit der Herausforderung durch diesen Raum umgehen, wie sie ihre Werke vor der heterogenen Kulisse zur Geltung bringen oder sie sogar bewusst integrieren. Die aktuelle Schau «Das endlose Haus» von Katalin Deér stellt ein sehr gelungenes Beispiel für diesen Umgang mit dem mittelalterlichen Saal dar. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Deér zwar Fotografien zeigt, die Ausstellung jedoch viel mehr ist, als eine Fotopräsentation.

Die grossformatigen Bilder hängen nicht an der Wand, sondern sind auf einem über vierzig Quadratmeter grossen, kaum kniehohen Podest angeordnet. Der Betrachter schreitet also nicht wie üblich die Raumgrenzen ab, sondern bewegt sich um die Mitte des Raumes herum. Das passt zum Gesamtkonzept Deérs: Die 1965 in den USA geborene Künstlerin untersucht in ihren Werken die Schnittstelle zwischen dem dreidimensionalen Raum und der Fotografie. Ihr Ausgangsmaterial sind selbst aufgenommene Fotografien von baulichen Gegebenheiten im städtischen oder ländlichen Umfeld – hier eine Scheune, dort ein Autobahntunnel, da eine Kirche, ein Wolkenkratzer oder ein Fussballfeld.

Diese Fotografien bilden eine Sammlung, aus der heraus wieder Neues entsteht. Sie werden entweder in einem konzeptuell durchdachten und sorgfältig verfolgten Prozess zerschnitten, zusammengebaut und erneut fotografiert. Oder sie werden zu Paaren und Gruppen geordnet, so dass sogar die jeweils gegenüberliegenden Bilder auf dem Podest miteinander korrespondieren. Selbst noch in der Art der Auslage variiert Deér. So sind manche Fotos auf Kunstharzlaminat aufgezogen, welches die Wölbung des Papiers fixiert, andere behalten ihre Wölbung, wieder andere sind mit Steinen beschwert oder liegen von alleine plan auf dem in einem gebrochenen Grün gestrichenen Grund.

Deér zeigt sich als genaue Beobachterin, die nicht wertet oder diktiert, sondern den Blick öffnet. So findet eine abfotografierte, gebogene Katalogseite ihre Entsprechung in dem dort abgebildeten Brückenbogen, zerschneidet die A-Säule eines Autos wie ein futuristischer Baukörper die Landschaft oder finden ein Fussballtor vor Kirche und ein Tischgestell vor Flussaue zueinander. Nur selten tauchen Menschen auf – und wenn, dann verleihen sie den Bildern etwas Anekdotisches. Doch ob mit Menschen oder ohne, die Fotografien verweisen auf die emotionale Resonanz von Architektur und städtischem Lebensumfeld. Katalin Deér untersucht, wie sich Zeit und Nutzung in die Form von Gebäuden einschreiben, wie ihr gewachsenes Antlitz auf die Wahrnehmung wirkt. Eine bemalte und nun verwitterte Hausfassade ist dabei ebenso reizvoll wie die Struktur einer rohen Betonmauer.

Katalin Deér lebt seit 2004 in St. Gallen und die Ausstellung in Katharinen ist ihre erste hier. Sie ist ein gelungener Auftakt, und selbst nach der dritten, vierten Runde um das Podest gibt es noch wieder Neues zu entdecken. «Das endlose Haus» lädt zu einem endlosen und immer wieder lohnenden Rundgang.

Zeit der Zeichen

Die Macelleria d’arte zeigt bis Ende Jahr aktuelle Arbeiten von François Bonjour. Der Tessiner Künstler arbeitet an einer komplexen Zeichensprache.

Die Menge der weltweit verfügbaren Informationen nimmt zu, vieles muss von vielen und überall verstanden werden. Das bedingt leicht lesbare und universell einsetzbare Zeichensysteme. Sie erst ermöglichen die globale Kommunikation. Dennoch gibt es immer auch jene andere Zeichensprache, die geheimnisvoll und rätselhaft ist, die sich kaum oder gar nicht lesen lässt. Und gerade darin liegt ihr Reiz. Sie entzieht sich der schnellen Deutung und weckt besonders deswegen das Interesse.

Die Werke François Bonjours spielen mit dieser Ambivalenz. Die Arbeiten des Tessiner Künstlers sind derzeit in der Macelleria d’arte ausgestellt. Dicht an dicht hängen die Tafeln und verbergen mehr, als sie preisgeben – und das, obwohl sie mal dicht, mal weniger dicht mit Schriftzeichen bedeckt sind. Hie und da lässt sich ein Wort in italienischer Sprache entziffern, doch nur um den Betrachter dann wieder tief in den Dschungel der Lineaturen zu führen. Dort mischen sich Anklänge an Keilschrift, Hieroglyphen, an fernöstliche Schriften, an arabische, hebräische und schliesslich auch an die vertrauten lateinischen Lettern. Die Fülle an Formen und Elementen mündet aber nicht in eine Fülle von Informationen, sondern lässt im Gegenteil alles offen, alles ungesagt.

«Messaggi e scritture dall’infinito» nennt der Künstler seine Ausstellung und benennt damit Botschaften, die ebenso gut aus einer weit entfernten Zeit stammen könnten, wie sie auch das Ewige, also unaufhörliches Weiterschreiben und Sammeln des Wissens in der Gegenwart meinen. Es ist ein unendlicher Prozess, der hier in Bilder übertragen wird, ein Prozess, der einerseits in ein Sinnbild für die Unübersichtlichkeit der heute verfügbaren Informationsmenge mündet und andererseits dennoch strukturiert erscheint. Denn trotz der Menge an Zeichen, die Bonjour über- und nebeneinander festhält, bilden sich Strukturen.

Die Werke sind deutlich sichtbar komponiert. Die Schrift bildet Raster und sichtbar voneinander getrennte Ebenen, sie fliesst und überlagert sich. Letzteres erreicht Bonjour nicht allein durch das mehrfache Überschreiben seiner Zeichen, sondern auch den komplexen materiellen Aufbau seiner Werke. Holz, Karton, Glas werden mit verschieden deckenden Farbschichten bemalt. Mal wird in Form von Fensterrahmen der Blick auf die Zeichen freigegeben, mal sind sie Buchseiten nachempfunden und stellen so offensichtlich den Bezug zu einem Medium der Wissensüberlieferung her.

Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Galerist Francesco Bonanno im Zusammenhang zu gerade dieser Ausstellung die erste Monographie realisiert hat. Entstanden ist ein sorgfältig gemachter Band mit zahlreichen Abbildungen und zwei Texten. Das Buchprojekt war schon länger geplant. Schliesslich ist François Bonjour nicht nur einer jener Künstler, die beim ersten von der Macelleria organisierten Austausch «Interscambio» zwischen Lugano und St. Gallen mit dabei waren. Er wird auch mit Werken vertreten sein, wenn der Kulturaustausch nun in seine fünfte Runde geht. Zehn Kunstschaffende der St. Galler Galerie werden diesen Monat in Vittoria auf Sizilien ausstellen.

Leere und Fülle

Ein grösserer Kontrast lässt sich innerhalb der Räume der Neuen Kunst Halle kaum denken: hier die grosse Leere, ein Ausstellungsort ohne Ausstellungsgegenstände, kahle Wände – dort dicht gefülltes Raumvolumen, ein Labyrinth aus Stützen, dicht und unzählbar.

Von Dezember bis Januar zeigt die Neue Kunst Halle St. Gallen zwei Ausstellungen zeitlich und räumlich parallel, die jede für sich eigenständige Präsentationen sind. Und wie um dies zu untermauern, bilden sie ein eindrucksvolles Gegensatzpaar. Dies gilt nicht für den Raumeindruck, sondern auch für die kuratorische Ausgangssituation: Einerseits ist die Baslerin Sonja Feldmeier in einer Einzelausstellung zu sehen, andererseits lädt der eingeladene Londoner Gastkurator Mathieu Copland selbst Künstler ein.

Das Besondere ist bei letzterer Situation, dass diese Künstler nicht gleichzeitig ausstellen, wie sonst bei Gruppenausstellungen üblich. Eigentlich stellen sie sogar überhaupt nicht aus, zumindest nicht, wenn man von herkömmlichen Kunstkategorien ausgeht und Objekte oder Bilder erwartet. Statt dessen sind Bewegungsperformances zu sehen: Für die gesamte Dauer der Ausstellung werden drei Mitglieder der Tanzkompanie des Theaters St. Gallen jeweils von Mittwoch bis Sonntag für vier Stunden in der Neuen Kunst Halle agieren. Sie führen Sequenzen aus, die von den Künstlern der Ausstellung erarbeitet wurden. Über sechs Wochen hin fügt sich Stück an Stück bis am Ende eine Gesamtkomposition entstanden ist. Wohl kaum einer wird dann jedes einzelne Werk gesehen haben, und doch ist auch jede einzelne Position für sich sehenswert. Da ist zum Beispiel Roman Ondaks Beitrag «Insiders», der sprichwörtlich das Innere nach Aussen kehrt und die Darsteller ihre Kleider verkehrt herum tragen lässt, während sie die Betrachter völlig zu ignorieren scheinen. Karl Holmquist hingegen lässt in der «Polyphonie von Stimmen» die Mitwirkenden Liedtexte lesen und dazu Putzgebärden vollführen, während Michael Parsons mit seinem bereits 1968 entwickelten Stück «Walking Piece» optische Musik erzeugen wird.

Indem Copland diesen Performanceklassiker integriert, zeigt er, dass die Idee, im Kontext der Kunst auf dauerhafte, materiell existente Werke, ja sogar auf jegliche Requisiten und sogar Musik zu verzichten, durchaus nicht neu ist. Tino Seghal erregt seit wenigen Jahren viel Aufsehen mit seinen Stücken, nicht zuletzt aufgrund seiner Verweigerung jeglicher Dokumentation in Wort und Bild. Der Kunstbetrachter kann Seghals Stücke nur live vor Ort oder gar nicht erleben, und es bleiben keinerlei Artefakte übrig, weil von vornherein nichts ausser der Präsenz der Ausführenden zum Einsatz kommt. Doch auch dieser radikale Ansatz hat Vorläufer. Genauso auch die Idee, die Grenzen zwischen Bildender und Darstellender Kunst zu sprengen. Merce Cunningham etwa arbeitete sehr eng mit Künstlern zusammen.

In der Neuen Kunst Halle sind ebenfalls Tänzer und Choreografen mit von der Partie, so etwa Philipp Egli, der Leiter der Tanzkompanie des St. Galler Theaters oder der New Yorker Choreograf Jonah Broker, der Computer und Tanz zusammenbringt. Coplands «choreografierte Ausstellung» zeigt Grenzüberschreitungen also auch innerhalb der einzelnen Gattungen.

Dies gilt – bei allen formalen Gegensätzen – auch für die Werke der Baslerin Sonja Feldmeier. Hat der Ausstellungsbesucher den grossen Raum der Neuen Kunst Halle und damit die von den Tanzenden gefüllte Leere passiert, erwartet ihn in den beiden folgenden Räumen eine dichte Mischung von Ton, Bild, Installation und Objekt. Doch zunächst sind da die alles beherrschenden Baustützen. Verrostet und verschmutzt, mal enger und mal weiter zusammenstehend ragen sie vom Boden bis zur Decke auf. Schon in diesem Bild verbirgt sich eine gewisse Ambivalenz, denn solche Stützen werden sowohl eingesetzt um neue Architektur zu bauen, als auch um marode, alte Konstruktionen zu stützen. Auf- oder Abbruch ist hier die Frage. Aber genauso lautet sie: Innen oder Aussen? Geborgenheit oder Enge? Tristesse oder Romantik? Einatmen oder Ausatmen? Die Künstlerin nennt ihre Ausstellung «Inhale Exhale» und zeigt bereits darin, dass das eine das andere nicht ausschliesst, sondern bedingt. Sie knüpft ein vieldeutiges Netz aus Zeichen, Bildern und Anspielungen. Die Stützen werden spätestens dann zum Wald, wenn sich eine Lichtung auftut oder echte Baumstümpfe ins Blickfeld kommen. Doch auch diese sind nicht nur das, was sie zu sein scheinen, denn aus ihnen ertönen Radiogeräusche. Zwischen dem Sendersuchlauf tönt immer wieder das von Laien intonierte «I did it my way» heraus.

Feldmeier untersucht Kommunikationswege und -prinzipien und richtet das Augenmerk gleichzeitig auf die Personen hinter der Stimme, der Musik oder dem Schleier. Ob sie Personen nur hören lässt, Hände beim SMS tippen zeigt oder eine verschleierte Frau mit einem Schlagzeug spielen lässt, immer bietet Feldmeier durch Auslassungen den Akteuren genügend Raum und somit auch den Betrachtern ausreichende Projektionsflächen. Sie sollen und dürfen ihre Wahrnehmungsmuster und Rollenklischees überprüfen oder noch besser ablegen und wieder neu hinsehen.

Die ersten drei

Christian Röllin blickt mit seiner aktuellen Galerieausstellung auf die ersten Jahre seiner Arbeit zurück. Er hat sich mit seinem Schaffen international positioniert.

Drei Jahre sind vergangen, drei Jahre mit sechzehn Ausstellungen und zahlreichen künstlerischen Begegnungen. Christian Röllin zieht mit der jüngsten Ausstellung «Collection – Selection» eine Zwischenbilanz seiner Galerie. 2004 gegründet, gehört sie noch immer zu den jüngsten in der schweizerischen Kunstlandschaft. Doch wenn auf der Einladungskarte steht, die Galerie habe sich als wichtiges Element im kulturellen Leben der Region etabliert, so klingt daraus Stolz, der durchaus berechtigt ist. Die Galerie ist im Lagerhaus zu einer festen Grösse geworden, und die Ausstellungen haben ein ums andere Mal den Qualitätsanspruch Röllins bewiesen. Dies gilt auch für die aktuelle Präsentation. Sie ist Rückblick und Bestandsaufnahme zugleich.

Röllin zeigt Werke von Künstlern, die für die Galerie zu festen Grössen geworden sind: Ingmar Alge, Thomas Florschuetz, Ilkka Halso, Herbert Hamak, Ulla Jokisalo, Jos van Merendonk, Marco Poloni, Hildegard Spielhofer und Elisabeth Vary. Es ist das erste Mal, dass diese neun gemeinsam zu sehen sind – auch für Röllin eine besondere Situation, denn jedes Werk spricht für sich und interagiert doch mit den anderen. Mal ist es nur ein Farbton, der hie wie dort auftaucht, mal ist es aber auch Inhaltliches, wie etwa ein verwandter Blick auf den zeitgenössischen Menschen in seiner Isolation, mal sind es die Reflexionen zum Medium Malerei.

Röllin hat sehr unterschiedliche Positionen in seinem Programm, die dennoch einen gemeinsamen Kern aufweisen. Ob Malerei, Fotografie, Zeichnung, Objekt oder Video – die Künstlerinnen und Künstler arbeiten nicht dokumentarisch, auch das Erzählerische bleibt im Hintergrund, viel wichtiger ist das Vertrauen ins Bild, auf die Kraft der Farbe oder die Komposition. Bei Thomas Florschuetz‘ Orchideen- oder Fensterbildern beispielsweise ist das Sujet nicht um seiner selbst willen abgelichtet, sondern wird auf seine bildnerische Eignung hin untersucht. Auch Hildegard Spielhofers Werke beruhen zwar auf ganz konkreten Vorlagen wie einem Schiffswrack, lösen sich aber davon und funktionieren als unabhängige Bildstudien, das gilt sogar für ihre Videoarbeiten, die der Redewendung von bewegten Bildern in ursprünglichem Sinne gerecht werden.

Allen Künstlern gemeinsam ist ihre Internationalität, ihr Werk strahlt über die Grenzen des Herkunftslandes aus, sei es Deutschland, Finnland, Österreich, Holland oder die Schweiz. Dies ist dem Galeristen besonders wichtig. Erst durch die internationale Anbindung und Positionierung erreicht die Galerie auch einen Mehrwert für St. Gallen. Und die Künstler kommen gern hierher, das liegt nicht zuletzt auch an den besonderen örtlichen Gegebenheiten. Immer wieder sind sie angetan von der Klarheit und Grosszügigkeit der Räume im Lagerhaus. Doch Röllin zieht es auch an andere Orte: Er nahm an verschiedenen Messen in Berlin, Basel und sogar auf hoher See teil: Die Europa.art ist eine Messe an Bord des Kreuzfahrtschiffes, die im Gegensatz zum üblichen Messestress und -getümmel die Chance bieten möchte, Kunst gezielter und tiefgehender zu vermitteln. Röllin begreift sich in diesem Sinne als Kulturarbeiter. Ein anderer Beleg dafür ist seine Zusammenarbeit mit der HSG, denn für den Galeristen gehört das Kulturverständnis auch für angehende Ökonomen zum guten Ton, und zwar immer im Hinblick auf ein klares Bekenntnis zur Zeitgenossenschaft. Bleibt zu wünschen, dass dieses Engagement Früchte trägt und dass ausserdem irgendwann ein rundes Galeriejubiläum gefeiert werden kann.

Kiffen oder Kirschen

Das Theater St.Gallen zeigt das Kifferstück „Die Plantage“ auf der grossen Bühne. Eine Wagnis, könnte man meinen. Doch das Werk des jungen Deutschen David Gieselmann zeigt ungeahnte Parallelen zu klassischen Dramen.

Zum Schluss wird gekocht

«Durchzug», dasTanzstück von Nunzio Verdinero und Matthias Flückiger, widmet sich dem Warten und den Wartenden. Die Lokremise ist der geeignete Ort für die Untersuchung dieses besonderen Zustandes.

Wenn von Tanztheater die Rede ist, denken die wenigsten an Sprache, steht doch meist die körperliche Bewegung im Vordergrund. Dass Sprechtheater und Tanz aber kein Widerspruch sind, ja, dass es sogar überaus befruchtend sein kann, der Sprache ausreichend Raum zu geben, zeigt die jüngste Tanzproduktion des Theaters St. Gallen: «Durchzug».

Nunzio Verdinero, seit der Spielzeit 2004/05 festes Ensemblemitglied, begibt sich mit seiner ersten Choreographie für St. Gallen auf die Suche nach dem Wesen des Wartens. Was passiert mit uns, wenn wir warten? Ist es entscheidend, worauf wir warten? Wie wirkt die Umgebung auf die Wartenden? Wie interagieren Wartende untereinander?

Am ausverkauften Premiereabend am Freitag in der Lokremise wird gleich zu Beginn auch von den Zuschauenden Geduld verlangt, in passender Umgebung: Das Eisenbahndepot ist in ein Flughafenterminal verwandelt. Die typischen Sitzreihen sind unter dem gleissendem Licht von Leuchtstoffröhren rings um eine rechteckige Fläche gruppiert, die ebenfalls mit einigen der von Abflug-Gates bekannten Sitzelemente bestückt ist.

Das Publikum muss einige Minuten der Stille aushalten, bevor Magali del Hoyo, Son-Jin Lee, Marie Schmieder und Davide Bellotta langsam zum Leben erwachen. Die Sinne werden entdeckt, noch unsicher wird der Gebrauch der Gliedmassen erforscht, werden sich die Akteure sich selbst bewusst. Sie bewegen sich, sie robben, sie kriechen und erheben sich. Doch folgt nicht etwa das Laufen, sondern das Sitzen – willkommen in der Welt des Wartens.

Die nächste Sequenz ist dem Spracherwerb gewidmet. Vom Grüezi bis zur Cumulus-Karte wird ausprobiert, was der Wortschatz hergibt, bis wieder das Warten die Oberhand gewinnt. Die vier Darsteller tun es ungeduldig oder gleichgültig, ergeben oder gespannt, amüsiert oder schläfrig. Sobald aber der fünfte, Marcelo Pereira, auftritt, kommt erneut Bewegung ins Spiel. Jetzt dient Sprache als Richtungweiser und damit gleichzeitig als Instrument der Irreführung, was schliesslich wieder mit Stillstand endet. Sprache macht blind, liesse sich abgewandelt sagen.

Eine schöne Bühnenbild-Idee und passendes Sinnbild für die fehlende Orientierung und die endlosen Kreisläufe sind die zunächst herumliegenden, später aufgerichteten Absperrpfosten. Selbst wenn sie durch Stoffbänder miteinander verbunden sind, sorgen sie für zielloses Stolpern.

Die fliessende tänzerische Bewegung nimmt in «Durchzug» nur wenig Raum ein, doch als gezielt eingesetztes Zwischenspiel bringt sie poetische Stimmung ins sonst zuweilen profane Treiben. Gelungen ist ausserdem, wie Verdinero die Multinationalität der Akteure ins Stück einbezieht, ob über die Sprache, das Temperament oder die erzählte Geschichte. Und schliesslich spielt auch der Ort der Aufführung, die Lokremise, ihre Rolle vorzüglich mit Zug- und Bahnhofgeräuschen sowie der gesamten Atmosphäre des Gebäudes und seiner Umgebung.

Denn spätestens zum Schluss des Stückes bekommt auch die Lagerstrasse ihren grossen Auftritt: Das Geschehen verlagert sich nun in eine Küchensituation, statt von Leuchtstoffröhren von einer Glühlampe erhellt. In die Lokremise lässt sich also auch eine heimelige Atmosphäre zaubern, die das durch die kleinen Fensterscheiben von der Strasse eindringende gelbliche Licht noch verstärkt. Das Tanzstück verlagert sich in den Raum hinter den Zuschauern, ausserhalb deren Blickfeldes, und das ist konsequent, denn: Die Wartenden sind bei sich selbst angekommen.

Wo rosa Kräfte sich entfalten

Marianne Rinderknecht zeigt sich in Katharinen mit einer eigens für den Ausstellungsraum im ehemaligen Frauenkloster entworfenen Installation von einer neuen Seite.

Marianne Rinderknecht ist inzwischen bekannt für ihre Wandarbeiten mit biomorphen Strukturen – Werke, auf denen es rankt und wuchert, wächst und verkrautet; die perfekt durchgearbeitet sind mit scharfkantigen Konturen und in leuchtenden, zuweilen grellen Farben. Wer mit diesen Bildern im Kopf in die aktuelle Ausstellung in Katharinen geht, wird eine Überraschung erleben.

Die St. Galler Künstlerin hat ihre Arbeit weiterentwickelt und um einige Facetten bereichert. Der augenfälligste Schritt ist jener in den Raum hinein. Rinderknecht löst ihre Arbeit von der Wand und plaziert sie freistehend im Ausstellungsraum wie einen Paravent. Oder ist es eine Wolke? Eine Welle? Ein Gebirgsmassiv?

Die sonderbare Silhouette erinnert an vieles und doch an nichts Konkretes. Wer sie von links her betrachtet, könnte sich zunächst an den Sonnenuntergang im winterlichen Hochgebirge erinnert fühlen. Dazu tragen sowohl die Farbigkeit als auch die ausgefeilte Lichtregie bei. Bei Ersterer ist Marianne Rinderknecht ganz beim Bewährten geblieben. Die gesamte Installation ist in monotonem Rosa gehalten. Diese Farbe nimmt seit längerem eine wichtige Position in den Werken der Künstlerin ein, ist Rosa doch von grosser Ambivalenz: Es kann zart wirken und unschuldig, giftig und künstlich, edel oder süsslich mit einem unverkennbaren kitschigen Beigeschmack.

Immer jedoch tauchte Rosa bisher in Kombination mit anderen Farben auf. Nun aber ist es die alleinige Farbe geworden und vereint dennoch wieder all diese vielfältigen Eigenschaften in sich. Hat nicht auch ein winterlicher Sonnenuntergang gleichzeitig etwas unheimlich Anziehendes und ist doch fast zu schön, um nicht gleichzeitig den Kitschverdacht zu wecken, spätestens, wenn er auf Fotopapier gebannt ist.

Der linke Teil der leicht geschwungenen Wand in Katharinen ist von der Rückseite her beleuchtet, so dass er sich scharf und dunkel gegen den hellen Hintergrund abzeichnet. Je weiter der Betrachter seinen Blick in Leserichtung schweifen lässt, desto mehr nimmt die Wirkung dieses Lichtes ab und desto stärker wirken die vorderseitigen Strahler, die das Rosa leuchten lassen, während sich der Hintergrund verschattet. Zugleich beginnen sich die Formen wild aufzutürmen, wabern wie giftige Dämpfe himmelwärts. Das Ganze wird zunehmend unheimlicher. Dann ist da plötzlich auch noch diese Stimme. Ein kaum hörbares «He, pssst».

Mit ihrer neuen Arbeit reizt Marianne Rinderknecht in besonderem Masse die Betrachtersinne, zieht sie in ihren Bann, um sie so schnell nicht wieder loszulassen. Und das, obwohl sie auf die gewohnte perfekte Oberflächendurchgestaltung verzichtet. Die Installation ist aus Wellpappestücken zusammengeklammert und -geklebt. Die Ränder des Materials fransen aus, Knicke und Risse sind zwar vom Rosa einheitlich überdeckt, aber noch immer zu sehen. Das verleiht der Arbeit Leben und Dynamik, und einen wohltuenden Schuss Chaos.

Damit steht die rosafarbene Wand in bewusstem Kontrast zu dem Tafelbild an der Stirnwand des Ausstellungssaales. Hier zeigt Marianne Rinderknecht, was ihre andere Stärke ist: Eine am Computer entworfene und malerisch auf die Leinwand übertragene vegetabile Alloverstruktur verschlingt und verzweigt sich. Voluten, Arabesken und Farbfelder verschränken sich in der Fläche und erzeugen so einen tiefen Sog ins Bild.

Es gibt kein Anfang und kein Ende, kein Bildzentrum. Besonders augenfällig ist die Konkurrenz zwischen dem exakten Rechteck des Tafelbildes und den ausgreifenden Schwüngen der Bildelemente, die sich unsichtbar über den Bildrand fortzusetzen scheinen und die Dynamik der freistehenden rosa Wand wieder aufnehmen. Oder ist es doch eine Wolke?

Springen und Kriechen

Die St. Galler Künstlerin Alexandra Maurer zeigt in der Galerie Paul Hafner in ihrer ersten Einzelausstellung «escape to jump» aktuelle Werke. Sie verknüpfen Film und Malerei.

Springen heisst fliegen, schweben und fallen. Es gibt den wunderbaren Moment des Abhebens, dann den höchsten Punkt, manchmal mit Aussicht, bis es schliesslich wieder abwärtsgeht. Springen ist eine intensive, den ganzen Körper erfassende Bewegung. Oft haftet ihr etwas Zufälliges, etwas Unvorhersehbares an. Wenn Kinder springen, besonders auf einem Trampolin, wirken ihre Bewegungen zur Sorge der Mütter nicht selten wild und unkontrolliert. Diese Impulsivität, diese intensiven Momente reizen Alexandra Maurer.

Für ihr Video «Jump» schickt die St. Galler Künstlerin aber nicht Kinder, sondern eine junge Frau aufs Trampolin. Auch die Erwachsene gibt sich völlig der Bewegung hin. Sie springt hoch hinaus, mal verschwindet sie ganz aus dem Auge der Kamera, mal ist nur der wehende Rock zu sehen, dann wieder das Gesicht in Nahaufnahme.

Diese Dynamik wird unterstützt durch wechselnde Bildmedien, denn auf dem Flachbildschirm läuft nicht einfach ein Videofilm: Alexandra Maurer filmt ihre Akteure zwar zunächst, dann aber durchläuft die Aufnahme mehrere Bearbeitungsstufen. Der Film wird in einzelne Stills aufgesplittet, diese wiederum werden ausgedruckt, mehr oder weniger stark übermalt oder zum Teil ganz mit Farbe und Pinsel auf weisses Papier übertragen. Nach dem Bearbeitungsprozess werden die Einzelbilder wieder zu einer Sequenz zusammengeführt. Nun mischen sich Filmstills, übermalte Standbilder und pure Malerei.

Alexandra Maurer gelingt die Synthese zweier Medien. Das immer wieder postulierte Niederreissen der Gattungsgrenzen – hier wird es Realität. Das gilt nicht nur für «Jump», wo das Video Anfangs- und Endstufe der Arbeit darstellt, die Malerei ein Zwischenschritt ist, sondern auch für «Escape».

In der Galerie Paul Hafner überziehen die Blätter dieses Werkes zwei ganze Wände. Auch hier war der Anfangspunkt die Arbeit mit einer Schauspielerin. Sie war angehalten, charakteristische Bewegungen des Fliehens auf dem Boden zu zeigen. Sie kroch, als müsste sie jemandem oder etwas heimlich und schnell entkommen, und Maurer filmte sie dabei. Wieder wurde das Video anschliessend in Einzelbilder zerteilt. Diese Stills sind nun aber vollständig in Malerei übersetzt.

Nahtlos hängt Bild an Bild in fünf Reihen übereinander. Dabei entstehen einzelne Handlungsabläufe. Zu Beginn jeder Reihe ist der Körper in starker Verkürzung nahezu vollständig zu sehen, das letzte Bild zeigt jeweils den Kopf in Grossaufnahme. Ein wichtiger Aspekt der Arbeiten ist, dass Maurer nicht etwa auf fotorealistische Art die Vorlagen kopiert, sondern sich alle Freiheiten lässt. Zuerst fällt der Komplementärkontrast ins Auge – von rotem Kleid zu grünem Haar. Die Farbe wurde sehr nass aufgetragen, sie zerfliesst, läuft in roten Tropfen über das Blatt, nicht selten an Blutspuren erinnernd.

Überhaupt haben die Bilder etwas Beklemmendes. Die direkten Blicke, die Nähe, die expressiven Bewegungen strahlen hohe emotionale Intensität aus. Auch die Menge der Bilder, der zwar variierende, aber ständig sich wiederholende Ablauf von der anfänglichen Gesamtaufnahme, wo die Figur vom Weiss des Blattes umgeben ist, bis hin zu dem Kopfdetail, wenn die Farbflächen dominanter sind als die gegenständliche Darstellung, wirkt eindringlich.

Alexandra Mauer gibt keiner der beiden verwendeten Techniken den Vorzug, ganz gleich, ob die Malerei dabei direkt in einen Film zurückübersetzt wird oder sich die bemalten Blätter allein durch die Anordnung zu einem filmischen Ablauf fügen. Malerei und Film stehen gleichberechtigt nebeneinander, sind ineinander verwoben, und der Betrachter kann selbst erspüren, welches Medium ihn unmittelbarer anspricht.

Kunst trifft Mode

Die Bekleidungsgestalter und -gestalterinnen der GBSSt. Gallen zeigen im Textilmuseum ihre Arbeiten. Sie entstanden mit Blick auf die Kunst von Didier Rittener.

Vor knapp zwei Jahren präsentierte Gianni Jetzer in der Kunsthalle St. Gallen eine Einzelausstellung mit Werken Didier Ritteners. Der Lausanner Künstler geht in seinen Installationen, Zeichnungen und Skulpturen von Bildern aus Modezeitschriften, Werbeprospekten, Filmen, Musterbüchern oder Tageszeitungen aus. Er zitiert, kombiniert, verfremdet, er überarbeitet. Genau dies haben wiederum die Lehrlinge des Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrums (GBS) St. Gallen nun mit Ritteners Werken getan.

Die Idee dazu entstand vor zwei Jahren gemeinsam mit Jetzer, und die Ergebnisse sind derzeit unter dem Titel «Fashion, Art and Ornament» im Textilmuseum zu sehen. Zum ersten Mal in der Tradition der St. Galler Lehrlingsmodenschau stellen die Bekleidungsgestalter und -gestalterinnen ihre Arbeiten unter ein gemeinsames Motto. Doch dies heisst nicht, dass den Betrachter der sorgfältig inszenierten Ausstellung Uniformität erwartet. Im Gegenteil.

Die Lehrlinge haben ihren individuellen Assoziationen zu Rittener freien Lauf gelassen. Der damalige Titel der Ausstellung in der Kunsthalle «Trust Your Instinct» könnte also auch über der jetzigen Präsentation im Textilmuseum stehen. Bereits bei der Auswahl der Vorlagen zeigt sich ein breites Spektrum. Ritteners Arbeiten auf Papier werden ebenso gern herangezogen wie seine dreidimensionalen Werke.

Doch zunächst lohnt es sich, den Blick ganz ungeachtet der Motivquelle auf die ausgestellten Modelle zu richten. Die Lehrlinge verarbeiten ungewohnte Materialien und finden eine reizvolle neue Formensprache. Ins Auge fällt etwa eine Jacke, auf deren Front das Röntgenbild eines Brustkorbes appliziert ist. Oder ein Korsett aus einem dem weiblichen Körper abgeformten Gipsvorderteil, welches hinten verschnürt ist. Dazu ein ausgestellter Rock mit Bahnen ausgestanzter Kreise. Ein Blickfang ist auch der Rock mit goldenem Ziegelstein-Muster, in dessen Falten sich eine Aufnahme des menschlichen Körpers verbirgt. Es lässt sich kaum erkennen, welcher Teil des Körpers da fragmentarisch Einblicke freigibt, aber gerade darin liegt der Reiz.

Die Modelle sind präsentiert vor grossen Papierbahnen, die tapetengleich von der Decke bis zum Boden reichen und mit Motiven Ritteners schwarz-weiss bedruckt sind. Auf dem zweiten Treppenabsatz des Museums sind dies zu Dreiergruppen geordnete Ovale, die durch Farbintensität, Überschneidungen und Drehungen den Eindruck räumlicher Tiefe vermitteln. Dies hat einen Lehrling inspiriert zu einem kleinen Schwarzen mit ovalen Metallplatten, das gewiss der Hingucker bei jedem festlichen Anlass ist.

Ein Stockwerk weiter oben dominieren die Kleidungsstücke mit Street Credibility. Vor Papierbahnen mit dichter tachistischer Struktur reihen sie sich in knalligen Farben und mit besonderen Details wie etwa doppelten, aussermittig gesetzten Frontreissverschlüssen oder grossen Aufdrucken und Aufnähern. Nochmals ein Stockwerk höher ist das beherrschende Motiv Ritteners eine an Lyonel Feininger gemahnende kristalline Struktur; hier finden sich erneut Kreationen für die ausgefallene Abendgarderobe.

Danach sollten Besucher unbedingt noch ein halbes Stockwerk höher steigen, denn dort ist vollständig zu sehen, was zuvor nur in Ausschnitten gezeigt werden konnte. Ein Video zeigt – mit Zwischenblenden auf Didier Ritteners Werke – die Lehrlingsmodenschau sämtlicher, auch nicht ausgestellter Modelle und damit deren gesamte gestalterische Fülle.

Die Ausstellung schliesst den Kreis von Ornament und Mode zu Rittener und wieder zurück zu Ornament und Mode. Es wäre schön, wenn diese angewandte Auseinandersetzung der Lehrlinge mit zeitgenössischer Kunst keine Ausnahme bliebe.

Alpleben im Stadtpark

Am Samstagmittag ist es ruhig im Stadtpark. Nieselregen. Sanft wehen bebilderte Laken im Wind. Ein reichliches Dutzend kunterbunter Campingstühle steht verwaist vor dem Frauenpavillon. Dazu verführen Klänge von Akkordeon und Geige zu melancholischen Tagträumereien. Musik und Requisiten sind die Vorboten von «ALPtrachten», der aktuellen Tanzaktion von Gisa Frank. Bald belebt sich die Szenerie im Park, und selbst der Regen hört auf, als sich Frank und weitere 14 Tänzerinnen und ein Knabe auf den Campingstühlen versammeln. Doch das Sitzen währt nur kurz, bald werden die Stühle zusammengeklappt und die Tanzperformance weitet sich aus hinaus auf den Rasen. Allein schon das Spiel der bunten Kleidung der Beteiligten vor dem sattgrünen Gras ist eine Freude für die Zuschauer, und noch mehr sind es die Aktionen. Mal sind sie sparsam gesetzt, mal greifen sie in den Raum hinaus. So werden etwa die Hände zum Fernglas geformt und gewunken und sofort entstehen nicht nur spannende Sichtachsen, sondern der Stadtpark scheint sich zum Aussichtsberg zu verwandeln. Die Choreographin und Tanzpädagogin Frank hat sich mit ihrer tänzerischen Arbeit bereits seit einiger Zeit von der Enge und den Beschränkungen des umbauten Bühnenraumes befreit. Landschaft und Natur sind ihr nicht einfach Kulisse. Sie verändern die gesamte Arbeit und beeinflussen obendrein die Zuschauersituation. Die Betrachter sind nicht mehr das passive Gegenüber. Sie können sich bewegen, die Perspektive nach Belieben wechseln, in «ALPtrachten» werden sie sogar eigens dazu aufgefordert. Eine Akteurin ist mit einem Schiedsrichterhochstuhl ausgestattet und übernimmt es, das noch zögernde Publikum zur Ortsveränderung zu ermutigen. Gleichzeitig stösst sie mit sparsam gesetzten Worten die Gedanken an, so zum «Trachten» oder der «Alp». Ob nun Städter bei letzterer tatsächlich zuerst an Unwirtlichkeit und ewigen Schnee auf den Gipfeln denken, mag dahingestellt bleiben, aber «ALPtrachten» gelingt es vielfältige Bilder zu evozieren. Eine wichtige Rolle dabei spielt auch die Musik. Christian Fitze (Hackbrett), Werner Meyer (Violine), Flurin Rade (Akkordeon), Jürg Surber (Kontrabass) und Martin Benz (Bassklarinette) bewegen sich spielend zwischen Appenzeller Klängen und Caféhausmusik. Tanz und Ton reagieren aufeinander, das Ergebnis ist eine an Rhythmuswechseln reiche und die Zuschauer im wörtlichen Sinne bewegende Vorstellung.