Wahrheit statt Wirklichkeit
by Kristin Schmidt
Hans Jörg Bachmanns Landschaftsskizzen und Gemälde der südspanischen Provinz Almería
König Ludwig I. von Bayern war ein glühender Verehrer der hellenischen Kultur, ihrer Kunst und Geistesgeschichte. Dies spiegelt sich in seinem persönlichen Engagement für Griechenland ebenso wie in seinem Interesse an einer künstlerischen Dokumentation: Kurz nachdem sein Sohn Otto König von Griechenland geworden war und er selbst die Wahl für seinen Sohn annahm, sandte er den besten Landschaftsmaler seines Landes in jene ferne Gegenden mit dem Auftrag, sie zu porträtieren. Carl Rottmann hatte bereits 1833 einen Freskozyklus mit 28 Wandbildern zu Italien vollendet. Und nun also Griechenland.
Die Serie von 23 Gemälden auf grossen transportablen Mörtelplatten mutete allerdings ganz anders an, als alles, was der damalige Betrachter von Griechenland kannte oder zu sehen erwartete. Die Begeisterung für die Antike und damit für die grossen Stätten des Altertums war gerade erst auf ihrem Höhepunkt angelangt. Doch Hellas, Korinth, Marathon, Olympia oder Delos waren in Rottmanns Zyklus kaum als Orte mit berühmten Tempeln und Städten erkennbar. Statt dessen: Karges Land unter grossem Himmel. Hügel, Berge und Küstenlinien, aber kaum Vegetation und Architektur. Verwüstung und Einsamkeit. Selbst die damals immer noch übliche Ausstattung der Landschaftsgemälde mit Staffage beschränkt sich auf ein Minimum. Dennoch wurde der Griechenlandzyklus bereits zu seiner Entstehungszeit mit überaus positivem Urteil bedacht. Woran liegt das?
Ganz abgesehen von der hohen malerischen Qualität der Werke gelingt es Rottmann dem Betrachter nicht nur ein Bild der topografischen Gegebenheiten zu zeigen, sondern die Bilder berichten zudem von der Hitze unter der südlichen Sonne, von Staub, Trockenheit, von der Grösse der Landschaft, von dem gleissenden Licht über ihrer Weite, von den warmen Farben, deren Intensität mit den Tageszeiten wechselt – alles in allem ein Kontrastprogramm, zu dem, was der Adressat des Zyklus´ zu sehen gewohnt war. Ähnlich mag es dem Betrachter der Almería-Bilder Hans Jörg Bachmanns gehen. Während der Sommer die Ostschweiz mit üppigem Grün über dicht besiedelten Gegenden verwöhnt, zeigt sich in den Gemälden die spanische Provinz als weites, vegetationsloses Land, das – wenn überhaupt – nur spärlichste Spuren menschlichen Einwirkens aufzuweisen scheint. Zumindest letzterer Eindruck täuscht. Die Gegend ist stark von menschlichem Wirken geprägt, die Steinbrüche und der Erzabbau haben ihr ein völlig neues Antlitz verliehen, haben sie doch ganze Höhenzüge verformt, versetzt oder getilgt. Die Landschaft wurde verändert, verwandelt, verletzt. Dies mag auf den ersten Blick kein verlockendes Sujet für einen Künstler sein, doch gerade darin liegt der Reiz Almerías für Hans Jörg Bachmann. Der Landschaft dort fehlt alles Liebliche, all das, was Reisende suchen: Kleinteiligkeit, Abwechslung, üppige Natur.
Statt dessen: Karges Land unter grossem Himmel.
Besonders augenfällig wird dies in den grossformatigen Gemälden. Fast vollständig in Schwarzweiss gehalten, evozieren sie den Eindruck endloser Weite wie ihn Schnee- oder Wüstenlandschaften ausstrahlen. Unter gleissendem Licht präsentiert sich das Land wie ein Monument. Die grossen Gesteinsformationen schieben sich gegen den Himmel, dramatische Kontraste beherrschen die Leinwand. An markanten Stellen öffnen sich die geschlossenen Formen zum Hintergrund hin und lassen Fernblicke, Ausblicke, ja sogar die Küste und das Meer erahnen. So beinhalten die Bilder immer auch die Weite, die so typisch ist für diesen Landstrich.
Obgleich monochrome Flächen dominieren, wirken die Bilder überaus lebhaft. Hans Jörg Bachmann streicht die Flächen nicht einfach zu, sondern arbeitet mit differenziertem Pinselstrich. Verhaltene Gesten sitzen neben grosszügigen Schwüngen, pointiert gesetzte Striche neben Zeugnissen des Zufalls, etwa wenn flüssige Farbe über das Bild läuft oder feine Tropfen haften bleiben. Die Silhouette der geologischen Formationen wird von zarten Pinselspuren überlagert. Mitunter sind Spuren von rot oder gelb zu erkennen. Die Landschaft bildet das formale Gerüst für den malerischen Ausdruck, den Anlass, aber nicht allein den Inhalt. Hans Jörg Bachmann geht es um die Malerei. Deutlich wird dies auch in den kleinformatigen Bildern. Weniger als um Gemälde handelt es sich Skizzen, die jedoch von grosser malerischer Qualität und besonderem Ausdruck sind. Letzteres liegt nicht zuletzt in ihrem sonoren Farbklang begründet. Da trifft weisser Himmel auf rote Erde und violettfarbiges Meer oder dunkelrotes Gestein auf orangeroten Sand. Der Künstler experimentiert mit den Farben und ihren Kontrastwirkungen. Auf einigen Werken verleihen schwarze Konturen den farbigen Flächen zusätzliche Leuchtkraft. Dann wiederum beherrscht ein sorgsam komponierter Farbton die Szenerie. Auch der Farbauftrag ist von Variantenreichtum geprägt: Aquarellartig lasierend oder reliefartig durch reichlich gesetzte Farbmaterie. Mal wird bewusst die Spur stehen gelassen, dann wieder erzeugt Hans Jörg Bachmann homogene Farboberflächen. Immer jedoch sind die Bilder getragen von einer grossen Spontaneität. Der Künstler lässt sich treiben im Fluss des Malens und tilgt die Spuren nicht. Die Bilder sind gemalt, statt ausgearbeitet, in einem Pinselzug «heruntergeschrieben», deshalb versammeln sie Energie und Bewegung in sich. Gleiches gilt für die gelbe Serie. Hier geht Hans Jörg Bachmann noch einige Schritte weiter, darunter auch einen in Richtung des «Herunterschreibens», denn nun wird ein Bezug zur fernöstlichen Kalligraphie offensichtlich. Schwarze Linien ziehen sich über den monochrom gelben Bildgrund der quadratischen Formate. Die Pinselstriche fügen sich zu Hügelketten, Gesteinsvorsprüngen, Felskanten und -vorsprüngen. Doch wo aufgrund der Topografie massive Formationen und somit eine Gewichtung im Sinne von Schwere und Last zu erwarten wäre, beginnt alles zu fliessen. Die Linien im Vordergrund stürzen nach unten, sie ziehen die Landschaft mit sich, als öffnete sich vorn ein Abgrund. Hans Jörg Bachmann findet ein treffendes Bild für die vom Menschen umgestaltete, verformte und verwundete Landschaft. Indem er das Augenmerk nicht auf die von Menschenhand angelegte Infrastruktur, auf die Wege und Strassen, Installationen und Bauten legt, sondern vielmehr das veränderte Gesamtbild der Landschaft in den Mittelpunkt seines Interesses rückt, gelingt es ihm, den ihren Charakter zu erfassen. Hier stellt sich die Frage, wie es sich genau mit dem Landschaftsbezug der Gemälde verhält. Porträtieren sie die Gegend? Wäre es dem Betrachter möglich, vor Ort die Landschaftsausschnitte wiederzuentdecken?
Hans Jörg Bachmann arbeitet seit langem als Fotograf. Er porträtiert Landschaften, seien sie städtisch oder ländlich. Wie die Gemälde zeigen die Fotografien Bachmanns besonderes Gespür für die Atmosphäre, eines Ortes. Doch wo die Fotografien, einen Landschaftsausschnitt so wiedergeben, dass es dem Betrachter theoretisch möglich wäre, ihn zu suchen und wiederzuentdecken, verzichtet Bachmann in seiner Malerei bewusst auf diese Möglichkeit. Vor Ort füllt der Künstler Skizzenbücher mit Kugelschreiber-, Tusche- und Bleistiftzeichnungen. Sie wirken schnell hingeworfen, die Linien fliessen weich und lebendig über das Papier. Jeder einzelne Strich sitzt. Korrekturen sind weder möglich noch nötig. Und je weniger Linien gesetzt werden, desto spannender ist der Gesamteindruck des jeweiligen Blattes. Diese Skizzenbücher sind es, die Hans Jörg Bachmann von Almería mit nach St. Gallen bringt. Doch dieser Bilderfundus ist nicht zu verstehen als Vorlage für die gemalten Landschaften. Es ist eher so, dass sich Bachmann auf diese Weise in Spanien so mit den örtlichen Gegebenheiten auseinander setzt, dass sich das Gesehene in die Erinnerung einbrennt. Es fügt sich zu einem Gesamteindruck, aus dem dann wiederum im heimischen Atelier die Malerei entsteht. Sie fliesst direkt aus dem Erinnerten, aus dem Kopf durch die Hand mit dem Pinsel auf den Karton oder die Leinwand. Nicht zuletzt deshalb haftet ihr die beschriebene Spontaneität an. Dadurch, dass sich Hans Jörg Bachmann von der Vorlage befreit und aus der Erinnerung schöpft, ist seine Malerei offen für die vielfältigen Experimente mit Farbklang und Farbmaterie.
Johann Wolfgang Goethe urteilte über den Griechenlandzyklus Carl Rottmanns: «Die Bilder haben höchste Wahrheit, aber keine Spur von Wirklichkeit». Im positivem Sinne gilt dies genauso für die Almería-Serien Hans Jörg Bachmanns: Gerade dadurch, dass der Künstler nicht die topografisch korrekte Wirklichkeit sucht, sich nicht in Details und Lokalfarben verliert, bleibt der Typus der Landschaft erhalten, der Typus der Landschaft, der vielmehr als ein einzelner Weg oder Strauch von der Wahrheit der Landschaft, von ihrem Charakter und ihrer Geschichte spricht.