Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Alles eine Frage des Standpunktes

Thomas Stricker dreht die Welt herum. «handcherom/on the other hand» ist Austausch, soziale Plastik, Arbeits- und Mitteltransfer jenseits des üblichen Nord-Süd-Gebahrens.

Die Erde ist rund. Erinnern Sie sich noch, wie unvorstellbar Ihnen diese Tatsache als Kind erschien? Dort, wo wir uns selbst befanden, war selbstverständlich oben. Aber wie erging des den Anderen? Denen, die aus Kindersicht auf der Unterseite der Weltkugel lebten. Fielen sie nicht herunter? Oder liefen sie gar auf dem Kopf? Inzwischen wissen wir um die Grösse der Kugel und um die Erdanziehungskraft, und doch reden wir mitunter noch von «oben» und «unten», wenn wir die Welt meinen.

Thomas Stricker bringt dieses Denken in Bewegung und bewegt sich selbst: heraus aus dem Atelier, hinein in die Welt, auf andere Kontinente, in andere Lebensrealitäten. Bereits 2001 verknüpfte er seinen Arbeitsort Düsseldorf und die Gemeinde Kivaa in Kenia durch ein zweiteiliges Brunnenprojekt. Die neue Einfassung einer Quelle in Düsseldorf verband er mit einer imaginären Wasserleitung durch den Erdball zu einem eigens gebohrten Brunnen in Kenia – dort wo ein Brunnen dringend nötig war. Der Künstler hatte die Geldflüsse neu gelenkt und damit ein Mehr, ein Glücklicher und ein Gerechter erreicht.

Die Kulturlandsgemeinde 2017 bietet mit ihrem Motto «grösser, glücklicher, gerechter» den idealen Anlass für Thomas Stricker, erneut ein Werk in Europa mit einer Arbeit auf dem afrikanischen Kontinent zu verbinden: mit dem Gartenprojekt an der Primarschule Kalkfeld in Namibia. Ein Arbeitsaufenthalt hatte den Künstler 2007 in das Land geführt. 20 Kilometer entfernt von der Etaneno-Farm stiess er auf die Schule im Township Kalkfeld. Sie war vom Namibischen Schulministerium angewiesen worden, neben dem üblichen Lehrplan auch Agrikultur zu unterrichten. Doch es fehlte an Vorwissen, an Mitteln, an praktischer Gartenerfahrung, an Initiativen. Thomas Stricker nahm die Schaufel in die Hand. Gemeinsam legten Künstler, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler Beete an, gruben um, bauten Dämme, zogen Wassergräben und errichteten ein Sonnendach. Der Schulgarten war auf den Weg gebracht.

Einen Garten neu anzulegen und zu bestellen ist kein einfaches Unterfangen, erst recht nicht auf diesem dürren Flecken Erde. Doch es gelingt, wenn viele Hände mitwirken und der Welt einen neuen Dreh geben. Seither reist Thomas Stricker alle zwei bis drei Jahre nach Kalkfeld, pflanzt und motiviert, giesst und repariert und arbeitet ein Stück weiter an dieser grossen sozialen Plastik.

Für die Schülerinnen und Schüler steht die Kunst nicht im Vordergrund, ihnen bietet der Garten Arbeit, Früchte und nützliche Erfahrungen. Uns bietet er die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen auf den Kopf zu stellen, sich mit dem Nord-Süd-Gefälle und globaler Verantwortung auseinandersetzen. Thomas Stricker findet dafür prägnante Bilder. Unter dem Schriftzug am Eingang des Sportzentrum Herisau steht die Beschriftung «Primary School Kalkfeld» Kopf. Die ausgestellten Fotografien wechseln die Perspektive. Mal sind die Appenzeller Motive auf den Kopf gestellt, mal diejenigen aus dem namibischen Kalkfeld. So oder so: die Verwandtschaften sind offensichtlich. Gemeinsame Arbeit, Traditionen und ein bewusster Umgang mit den Ressourcen stärken das Miteinander. Die Gäste der Kulturlandsgemeinde können selbst Teil dieses nachhaltigen Gartenprojektes werden, wenn sie in Strickers «handcherom»-Werkstatt im Eingangsbereich des Sportzentrums unterschiedliche Pflanzen und Obstgehölze mit «handcherom-Etikett» zum Selbstkostenpreis erwerben und im eigenen Garten einpflanzen. Auch ein zusätzlicher Betrag ist willkommen, denn unter den schwierigen klimatischen und infrastrukturellen Bedingungen strauchelt der namibische Obstgarten. Vier grosse Orangenbäume sind eingegangen, neue kräftige Bäume stehen auf der Wunschliste. Hochbeete müssen neu befüllt und Schattenbäume gepflanzt werden, Zäune und Schattendach sind reparaturbedürftig. Die Kulturlandsgemeinde wird in dieser Situation zur Schwester des Schulgartens. Dank ihr bleibt «fairer, globaler, grosszügiger» nicht nur eine Forderung, sondern wird Tatsache und die ausserrhodischen Gärten werden Teil des grossen Weltgartens der sich einmal täglich um sich selber dreht.

Text zur Kulturlandsgemeinde 2017

säuseln, schnaufen, tropfen

Stefan Baumann bringt das Sportzentrum zum Klingen und lässt es schmelzen. Ein lebendiger, geräuschvoller Wald ist der Auftakt für akustische Reflexionen zur allgegenwärtigen Optimierung.

Säuseln, zwitschern, wispern, brausen, summen, brummen – es klingt im Sportzentrum. Geräusche umfangen die Eintretenden, sie begleiten und leiten sie, sie locken hinein zwischen sanft schwingende Holzstreifen. Ein Weg tut sich auf, führt durch die hängenden Streifen hindurch vom Eingang des Sportzentrums bis zur Cafeteria und weiter bis zum Sporthalleneingang. Jeder der Streifen trägt einen Lautsprecher. Jeder Lautsprecher ist verkabelt. 32 verschiedene Signale werden auf die Klangbäume verteilt. Hier pfeift ein Sinusvogel, dort rauscht ein rosafarbener Wind, bald prasselt ein Feuer. Was zunächst natürlich tönt, offenbart sich bei genauem Hinhören als künstlicher Geräuschwald. Der Komponist, Musiker und Instrumentenbauer überlässt es dem Zufall, was wann wo erklingt: Ein digitales Programm belebt das Dickicht der schmalen Holzstreifen. Technik trifft auf Natur, Komposition und Gestaltung treffen auf Eigendynamik, visuelle und akustische Eindrücke vereinen sich. Zudem sind die 384 unbehandelten Holzstreifen das Bindeglied zwischen Kultur und Sport: Sperrholz bildet einen Resonanzkörper und wird im Instrumentenbau wie in der Raumakustik verwendet. Es wird im Schiffbau eingesetzt, dient als stabiler, federnder Kern in Ski, Skate- und Snowboards und wird zu Turngeräten verbaut. Sperrholz ist ein vielseitiger Werkstoff mit archaischen Wurzeln, klimaneutral, nachwachsend, hochspezialisiert und hochtechnologisch genutzt.

Auch die fünf Klangkugeln in der Turnhalle hat Stefan Baumann aus Sperrholzstreifen gebildet. Sie sind über Kopfhöhe aufgehängt und erinnern in Zahl und Form an die fünf olympischen Ringe. Sportliche Höchstleistungen erfordern die Ringe jedoch nicht, sondern sie rufen die Teilnehmenden und Gäste der Kulturlandsgemeinde herbei. Sportgeräusche ertönen aus den jeweils acht Lautsprechern. Tischtennisbälle klackern, Skateboards brettern, Ski schnarren durch den Schnee, Velos sirren vorbei. Die Klänge steigern sich in einem Crescendo zu einem Schnaufen. Dann kehrt Stille ein und das Getöse weicht der konzentrierten Ruhe. Das Sportzentrum wandelt sich wieder in einen Ort des Reflektierens und Disputierens, des Nach- und Weiterdenkens zu Optimierungsprozessen und deren Folgen. Auch die Ökologie kommt dabei zur Sprache. Stefan Baumann bringt sich mit seiner Arbeit «Tropfendes Eisfeld“ in diesen Diskurs ein. Er versetzt die grosse Fensterscheibe zwischen Cafeteria und Eissporthalle mit speziellen Lautsprechern in Schwingung. Die Scheibe wird selbst zu Eis und beginnt akustisch zu tropfen, zu schmelzen. Dieses Schmelzen setzt sich bis in die Eishalle fort. Hier, wo noch im Mai Eishockeyspielerinnen und Eiskunstläufer trainieren, zieht Tauwetter ein. Immer in den Trainingspausen rinnt akustisch das Wasser. Teilnehmende und Gäste der Kulturlandsgemeinde sind eingeladen, mit Schlittschuhen aus dem Verleih des Sportzentrums ihre Runden zu ziehen. Das Eis trägt, aber es tropft unablässig für die Ohren der Eislaufenden. Die Irritation setzt sich mit der Performance in der Mitte des Eisfeldes fort. Dort spielt Baumann Stücke zum Thema Gletscherschmelze, Optimierung, Archaik, Vergänglichkeit und Zeit. So verbindet er den klimaneutralen Klangwald mit dem künstlichen Eisfeld, die künstlichen Waldgeräusche mit den Aufnahmen des echten Tropfens. Sein optimiertes sechssaitiges Cello kombiniert Baumann mit Loops und Elektronik. Willkommen in der Eisdisco im Mai!

Text zur Kulturlandsgemeinde 2017

Direktmarketing als Performance

Gordon Matta-Clark hat es vorgemacht: Mit Motorsägen durchschnitt er Gebäudefassaden, Decken und Böden, trennte Hausteile heraus, legte das Innere frei. Die Gebrüder Riklin nehmen dieses Verfahren wieder auf und interpretieren es neu. Die beiden Künstler transformieren keine Abrissobjekte, sondern verwandeln einen Büroraum in eine Ruine. Das herausgetrennte Segment senden sie samt Schreibtisch und Mensch dahinter auf den Weg, den Weg des Direktmachetings. Für diese Wortkreation stand nicht die trennende Kraft der Machete Pate, sondern das Direktmarketing – eine eher mit negativem Image behaftete Werbemassnahme. Doch Frank und Patrick Riklin lassen sich von Problemfällen nicht schrecken, im Gegenteil. Seit Jahren agieren sie mit ihrem Atelier für Sonderaufgaben an der Schnittstelle zwischen Kunst und Gesellschaft. Sie arbeiten mit unkonventionellen Methoden an ökologischen, sozialen, stadt- oder konsumspezifischen Fragestellungen. So transportiert nun ein Kran den Verkaufsleiter einer Ostschweizer Firma samt Schreibtisch vor die Bürofenster anderer Unternehmen: Die Telefonakquise erfolgt von Angesicht zu Angesicht; der Digitalisierung und Globalisierung wird mit wörtlich genommener Kundennähe begegnet. Auf dass dank Riklinscher „Artonomie“ die Verkaufszahlen steigen.

Was braucht der Mensch?

Der Holzschnitt hat eine lange Geschichte als künstlerische Ausdrucksform, aber er diente auch der Propaganda, der Bildung und Information. Andrea Büttner nutzt in ihrer Arbeit sowohl die ästhetische Stärke als auch die Vermittlungsfunktion der alten Technik.

St. Gallen – Eine Bitte. Kein Befehl, kein Wunsch, keine Forderung – nur eine Bitte; nicht ausgesprochen, sondern angedeutet mit der Geste geöffneter Hände, geöffnet in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Menschen. Andrea Büttner (*1972) vertraut auf die kommunikative Kraft der Geste und des Materials: Ihre grossformatigen Holzschnitte

mit dem Motiv bittender Hände verweigern sich dem Anspruch auf künstlerische Raffinesse und senden ihre Botschaft direkt, einfach und unaufdringlich. Dabei handelt die in London und Frankfurt am Main lebende Künstlerin nicht aus einem missionarischen Eifer oder Sendungsbewusstsein heraus. Vielmehr widmet sie sich übergeordneten humanistischen Fragen: Was macht den Menschen aus? Was das menschliche Zusammenleben? Was heisst menschlich denken und handeln? Welche religiöse und politische Dimension zeigt sich darin?

Büttner fasst die menschlichen Grundbedürfnisse mit reduzierten, aber umso prägnanteren Formen zusammen – die ins Holz geschnittenen Linien fügen sich zu einem Zelt, Bögen zu einem Iglu, rosafarbene Punkte stehen für „Potatoes“, 2017.

Die formale und inhaltliche Stärke ihrer eigenen künstlerischen Arbeit konfrontiert Büttner regelmässig mit anderen ästhetischen Praktiken. In der aktuellen Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen, ihrer ersten institutionellen Präsentation in der Schweiz, räumt die Künstlerin der Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum prominenten Platz ein und integriert zudem eine Arbeit David Raymond Conroys (*1978). Die Friedensbibliothek ist eine Initiative, die zu DDR-Zeiten unter der Obhut der evangelischen Kirche gegründet wurde und bis heute besteht. Mit grossem Improvisationsgeschick erarbeiten die Mitglieder Wanderausstellungen. Büttner hat für „Gesamtzusammenhang“ eine Schau über Simone Weil ausgewählt. Sie lässt den unbefangenen Umgang mit dem Werk der jüdischen Philosophin und mit fotografischen Klassikern unkommentiert stehen. Einzig im Dialog mit ihrer eigenen Arbeit eröffnet sich ein sachlich kritischer Blick auf diesem Umgang, ohne die Aussagekraft Weils zu mindern.

Conroy thematisiert Werte dort, wo sie einmal mehr ins Schleudern geraten. «(You (People) Are All The Same)», 2016 ist das Ergebnis eines Artist in Residence-Aufenthaltes in Las Vegas. Auch das Video steht in grossem formalen Kontrast zu Büttners Werk. Doch Künstlerin und Künstler ist es gelungen, ihre Werke zu einer sinnvollen Einheit zu verschränken – sogar über zwei Ausstellungsräume hinweg.

Kunst Halle Sankt Gallen, bis 7. Mai, www.k9000.ch

Bregenz: Rachel Rose

Wie fühlt sich ein Weltraumspaziergang an? Schwerelos im All, im grossen weiten Nichts – Rachel Rose (*1986) hat sich diese Erfahrung schildern lassen und versucht sie in der Erdanziehungskraft in einen gültigen Ausdruck zu übersetzen. Auch das Erlebnis durchlässiger Architektur, der aufgehobenen Grenzen zwischen innen und aussen interessiert die US-amerikanische Künstlerin. Sie arbeitet mit Videocollagen, sie verwebt gefundene und eigens gefilmte Videos, Aufnahmen von Altmeistergemälden und Tonspuren. Im Kunsthaus Bregenz werden drei ihrer aktuellen Arbeiten – je eine pro Obergeschoss – auf eigens gebaute, freistehende Wände projiziert. Aber reichen gekonnt komponierte Bilder, ein Teppich, Sound und ein starker architektonischer Rahmen, um die Erdanziehungskraft zu vergessen und gedanklich zu schweben oder um die radikale Transparenz von Philipp Johnsons glass house zu erleben? Allein die Perfektion der Inszenierung genügt nicht, um im Zumthor-Bau zu bestehen: Roses Arbeiten bleiben in den weiten Räumen isoliert, die Verbindung zur Architektur stellt sich ebensowenig ein wie die behauptete sensuelle Wirkung.

bis 17. April

www.kunsthaus-bregenz.at

Soll und Haben

Wo ist das Geld und wo nicht? Wo sollte es hin? Das Kunstmuseum Liechtenstein blickt auf sich verändernde Geld- und Kapitalflüsse und den damit einhergehenden Wertewandel. Künstlerische Positionen von den 1960er Jahren bis heute zeigen das breite Spektrum von Kritik, Idealismus und Reflektion.

Es ist flüchtig, seine Bestandteile zirkulieren, oft ist es unsichtbar: „Money it´s a gas“ sangen Pink Floyd. Auch die Dire Straits besangen das Geld, ABBA, Grateful Dead, die Liste liesse sich endlos weiterschreiben und ist ebenso lang wie jene des Geldthemas in der Gegenwartskunst. Die Verflechtungen zwischen Kunst und Kommerz sind ein Aspekt, der Künstlerinnen und Künstler interessiert, der Blick auf die Gesellschaft, auf die Zwänge und Potentiale der Kapitalwerte ein anderer.

Kapital ist nicht zwingend Geld. Joseph Beuys´ Formel „Kunst = Kapital“ spricht nicht vom Wirtschaftswert des Kunstwerkes, sondern vom Wert der kreativen Arbeit. Der Beuys´sche Kapitalbegriff steht am inhaltlichen Ausgangspunkt von „Who Pays?“. Ein ganzer Saal des Kunstmuseum Liechtenstein ist Beuys gewidmet mit seiner auf dem Düsseldorfer Akademieatelier beruhenden Installation aus der Sammlung des Museums und einer etwas theatralisch, kulissenhaft geratenen Präsentation des Archivs für Soziale Plastik durch Christoph Salzmann. Das räumliche Gewicht dieser Position findet seine Entsprechung im diagonal gegenüberliegenden Raum mit dem Tauschkäfig von Chiarenza & Hauser alias RELAX. Hinzu gehören der Waste Room, das Glücksrad und wortreiche Instruktionen, die der Installation grosse Erklärungsbedürftigkeit unterstellen und damit ihre Präsenz einschränken.

Ihre Stärken entfaltet die Ausstellung anderswo, beispielsweise beim italienischen Altmeister Gianfranco Baruchello und seiner Kartografie des Kapitals, bei Felix Gonzalez-Torres, der 1990 einen seiner „paper stacks“ mit einer unscheinbaren Zeitungsmeldung über Donald Trumps weltgrösstes Spielcasino bestückte, oder bei Mark Lombardis gezeichneten Finanz- und Politiknetzwerken. Diese eindrucksvollen Visualisierungen der Vermögensseite korrespondieren mit jenen der prekären Zustände und Märkte wie David Hammons´ Schneeballverkauf oder Filipa Césars Untersuchungen zur Geschichte des Unabhängigkeitskämpfers Amílcar Cabral und den Folgen des Kolonialismus. Wie kann es von hier aus weitergehen? Wo sind Potentiale und Chancen für eine nachhaltige Gestaltung der Zukunft? Auch diese Fragen klammert die Ausstellung nicht aus. Antworten liefern beispielsweise Ovidiu Anton mit seinen Gedanken zu Materialkreisläufen oder der Wanderkiosk und das Tauschgestell im Seitenlichtsaal des Museums. Diese Mitmachwerkstatt ist der Kontrapunkt zur überwiegend musealen Inszenierung im Obergeschoss.

bis 21. Mai

www.kunstmuseum.li

Fotostiftung: Fremdvertraut. Aussensichten auf die Schweiz

Schweiz Tourismus setzt auf das Bewährte. Die nationale Marketingorganisation arbeitet seit 100 Jahren mit Bildern schneebedeckter Gipfel, mit roten Züglein in idyllischen Landschaften und mit prachtvoll gelegenen Städten. Intakte Natur und gepflegte Urbanität geben immer etwas her. Aber lassen sie sich auch anders sehen als durch die Linse der schweizerischen Vermarktungsprofis? Was passiert, wenn die Adressatinnen und Adressaten der Bilder selbst die Kamera in die Hand nehmen, um ihre Bilder jenen der Landeswerbung gegenüberzustellen, in offizieller Mission sozusagen? Schweiz Tourismus hat gemeinsam mit dem Pariser Musée de l´Elysée drei Fotografen und zwei Fotografinnen eingeladen, ihre Sicht auf die Schweiz festzuhalten.

Die Ergebnisse sind in einer Ausstellung der Fotostiftung zu sehen. Die einzelnen Positionen werden in räumlicher Abfolge präsentiert, Überschneidungen und Querblicke sind nur wenige möglich. In diesem wenig ambitionierten Parcours ist der Auftakt auch bereits die stärkste Arbeit: Shane Lavalette (*1987) aus den USA folgt den Spuren des Schweizer Fotojournalisten Theo Frey. Jener hatte für die Landesausstellung 1939 zwölf Dörfer besucht und versucht, ein dokumentarisches Gesamtbild zu liefern. Lavalette besuchte diese Dörfer nun erneut und gleicht ausgewählte Kontaktbögen Freys mit dem eigenen Reisetagebuch ab. Beides zusammen fügt sich zu ebenso persönlichen wie aufmerksamen Alltagsbeobachtungen.

Auch der Brite Simon Roberts (*1974) fotografiert noch einmal, wo bereits fotografiert wurde. Er besuchte die am häufigsten besuchten Aussichtsplattformen der Schweiz, fotografierte diejenigen, die dort fotografieren, ihre Inszenierung und die Inszenierung der Landschaft – entstanden ist eine Arbeit, die nicht so sehr die Schweiz thematisiert als vielmehr die globalen Sehenswürdigkeiten und ihr Publikum. Alinka Echeverría (*1981, Mexiko/GB) umgeht die Verlockungen der touristischen Höhepunkte. Sie fotografiert die davon unbeeindruckte Jugend, ihre Stimmungen, fragilen Beziehungen und die Suche nach Identitäten. Aber als traute sie ihrer eigenen Idee nicht ganz, faltet sie historische Landkarten zwischen die Porträts.

Zhang Xiao (*1981) aus China und die Deutsche Eva Leitolf (*1966) fotografieren in der Agglomeration, dem Rhein und den Grenzen entlang. Neue Blicke auf die Schweiz sind das nicht.

bis 7. Mai

www.fotostiftung.ch

Tine Edel – «Inside the Grain»

Tine Edel zeigt analog aufgenommene Schwarzweissfotografien auf Papier und auf Glas. Ihre Wege zum Bild sind nicht standardisiert, Experimente sind Teil der Arbeit.

Die Digitalfotografie ermöglicht technisch makellose Bilder. Bereits kleine Amateurkameras enthalten Programme um Verzerrungen, Rauschen oder Blitzlichteffekte zu eliminieren oder zu verringern. Was an Fehlern im Bild noch geblieben ist, kann mit dem Bildbearbeitungsprogramm am Rechner getilgt werden. Die makellose Fotografie ist jedoch eine Fotografie ohne Eigenschaften. So erklärt sich die Beliebtheit von Apps wie Instagram oder speziellen Filtern. Sie simulieren gealterte Bilder, analoge Bilder, unvollkommene Bilder, sie täuschen Belichtungs- und Entwicklungsfehler vor, die ein Kennzeichen optischer und chemischer Vorgänge der analogen Fotografie sind. Was aber passiert dort genau? Wie lassen sich die analogen Prozesse verändern? Wie gross ist der Spielraum zwischen gelungenem und gescheitertem Bild? Kann auch ein gescheitertes Bild ein gelungenes Bild sein?

Tine Edel experimentiert im weiten Feld analoger fotografischer Verfahren und Inszenierungen. Die Künstlerin negiert die festgeschriebenen Gesetze der tradierten Fotografie, sie arbeitet mit Mehrfachbelichtungen, lässt Fehler zu, mischt oder erhitzt Entwicklerflüssigkeit und Fixierer, gewährt Bleichmitteln eine Eigendynamik und bringt verschieden gross Abgelichtetes zusammen in ein Format: Die Wege zum Bild sind in Tine Edels Arbeit ebenso wichtig wie die Resultate. Jedes Bild der Künstlerin ist eine Reise vom Bekannten ins Unbekannte, von Alltagsdingen im Atelier hin zu mehrdeutigen Objekten im fotografischen Raum, von der Landschaftsaufnahme hin zum experimentell entstandenen Motiv. Ein Holzscheit, ein Tuch, ein Sellerie, eine Linse – alltägliche Dinge ohne inhaltliche Aufladung verwandeln sich in etwas Anderes, ohne eine bestimmte Interpretation zu behaupten. Viel wichtiger als die Deutung der Motive ist der aufmerksame Blick für Umrisse, Texturen, Kontraste, Helligkeit und Schatten: Wie ist der Bildraum gestaltet? Wodurch entsteht Tiefe? Wodurch unterscheiden sich die Grautöne voneinander? Wie verhalten sich die Objekte zum Hintergrund? Wie verhalten sie sich zueinander?

Das Nebeneinander zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufgenommener Dinge und die daraus entstehende geheimnisvolle Ausstrahlung der Bilder erinnert nicht von ungefähr an die Geisterfotografien William H. Mumlers (1832-1884). Tine Edel hat sich mit den Bildstrategien des Bostoner Autodidakten auseinandergesetzt. Er bot in seinem Atelier eine sogenannte „spirit photography“ an und versprach in seinen fotografischen Porträts die gleichzeitige Darstellung des Geistes verstorbener Angehöriger. Die Doppelbildnisse entstanden durch die Doppelbelichtung der damals verwendeten Glasplatten. Vielleicht brachte ihn ein Fehler, eine schlecht gereinigte Platte auf die einträgliche Idee.

Licht zu Papier

Ein Fehler passierte auch Tine Edel: Versehentlich hatte die Künstlerin eine bereits belichtete Papierkassette ein zweites Mal belichtet und erinnerte sich so an die simple Art, zwei Bilder überlagern zu lassen. Die doppelte oder mehrfache Belichtung erfolgt entweder mit einer weiteren Kameraaufnahme oder durch Fotogramme, also Gegenstände, die sich direkt 1:1 auf dem Papier abzeichnen. Abgesehen von dieser originalgrossen, fotogrammatischen Reproduktion lassen sich weder der Aufnahmeprozess noch das Ergebnis vollständig steuern. Tine Edel präsentiert diese Papierabzüge mal gerahmt, mal einzig im Passepartout. Auch in ihrer Grösse unterscheiden sich die Abzüge. So ergibt sich statt einer musealen Inszenierung eine lebendige Abfolge von Bildern.

Inside the Grain/Aus dem Fotostudio

Eine andere Serie basiert auf bereits existierenden Landschaftsbildern aus dem persönlichen Archiv der Künstlerin. Das Ursprungsmaterial sind Kleinbild-und Mittelformatnegative. Sie werden auf ein anderes unbelichtetes Zwischennegativ übertragen, so dass dort ein Positiv entsteht. Die Bilder durchlaufen bis zu fünffach diesen lichtchemischen Prozess, werden immer wieder Belichtung und Chemikalien ausgesetzt. Dadurch verstärken sich Fehler bis sie Teil des Bildes und somit Teil der dargestellten Landschaft werden. Eine grobe Körnung erscheint als Sternenhimmel, die Bleiche lässt Wolken aufziehen. Auch die Aufnahmen auf Glasplatten werden so behandelt, die Künstlerin experimentiert mannigfach und am Ende steht ein gültiges Bildresultat. Diese letztgenannten Arbeiten werden auf Hellraumprojektor und Leuchttisch gezeigt, somit ist auch das Licht als wichtige Komponente der Fotografie ein Teil der Ausstellung.

Einführungstext, Städtische Ausstellung im Architektur Forum St.Gallen, 3. März bis 26. März 2017

Geliebt, gezähmt, gehuldigt

Die Sammlung Würth bietet reichlich Material für eine Tierschau. Aber der «Menagerie» im Forum Fürth in Rorschach fehlt der Biss.

Die Schafe auf der Weide, der Hund im Bett, der Hase nachdenklich auf dem Computer – die Tiere sind domestiziert, geliebt und manchmal putzig. Sie helfen, sie erheitern oder sie stillen Sehnsüchte. Wild sind sie selten, nicht einmal dann, wenn sie zu den grössten Beutejägern der Erde gehören: Der Tiger bleibt brav. Gross prangt er auf den Plakaten zur aktuellen Ausstellung im Forum Würth Rorschach. Er blickt von jedem Faltblatt mit seinem wohlproportionierten Haupt und seiner markanten Fellzeichnung. Damit gibt er das Programm der Schau vor: Die Tiere sind schön. Sie sind fremd oder vertraut, aber kaum einmal bedrohlich. Schön sind Norbert Tadeusz´ drei Pferde auf Rosa, mit denen die Ausstellung noch im Foyer ihren Auftakt erhält. Schön sind die Käfer, die im Treppenhaus hinaufkrabbeln. Auf kleinformatigen Gemälden hat Sigrid Nienstedt sie festgehalten. Jedes der kleinen, gepanzerten Insekten ist schräg von oben zu sehen und wirft einen Schatten auf der monochrom bemalten Leinwand. Damit bleiben die Sechsbeiner lebendig, jeder für sich ein gepanzerter Eigenbrötler, aber unter steter Beobachtung des Menschen.

Schön ist auch der Hund im Zentrum der fotografischen Stillleben von Nadin Maria Rüfenacht. Majestätisch ruht er auf samtenem Tuch. Wenn sein Kopf auf der dritten Fotografie zu Boden gesunken ist, so mutet er eher schlafend an als tot und weit entfernt von der Dramatik barocker Jagdstillleben. Dennoch illustriert die dreiteilige Arbeit der Schweizerin das erste der in mehrere Kapitel gegliederten Ausstellung: „Jagd und Stillleben“. Viel ist allerdings in dieser Kategorie nicht zu sehen, ein Blick in den Katalog zeigt das Dilemma: Die Ausstellung, konzipiert für die Kunsthalle Würth vor vier Jahren, wurde für Rorschach deutlich abgespeckt. Weniger Platz heisst weniger Werke und weniger Inhalt. Nicht nur ganze Kapitel fehlen, sondern auch Werke die den zeitlichen und thematischen Horizont weiter aufspannen. So gehen der Ausstellung Zwischentöne verloren.

Die Unterteilung in Kapitel birgt zudem das Problem der versuchten Abgrenzung. So finden sich Chimären in der surrealistischen Abteilung ebenso wie im mythologischen Bereich. Max Ernst beispielsweise faszinierten Sphingen, aber er kreierte auch viele eigene Mischwesen. Damals freilich noch ohne das Wissen um die Möglichkeiten des Klonens, des Gen Editings und transgener Organismen. Solche Fragestellungen bleiben in der Ausstellung aussen vor und passten doch so gut ins Kapitel „Das entfremdete Tier“. Hier gibt es eine der wenigen Überraschungen in der Ausstellung. Von Fernando Botero sind zwei Aquarellzeichnungen von Tierschädeln zu sehen. Ausgerechnet der Meister des Üppigen näherte sich in den 1970ern dem geschlachteten Hammel und dem enthaupteten Schwein bis unter die abgezogene Haut. Hier ist für einmal alle Niedlichkeit dahin. Anklage, Qual und Resignation blickt aus den Augen dieser geschundenen, getöteten Kreaturen.

Doch nur eine Ecke weiter wird ein ganz anderes Kapitel aufgeschlagen. Hier schwimmt Dieter Roths Federvieh im Schokoladensee, umzingelt von Miniaturrittern. Hier mahnt Tatjana Doll, den zeichenhaften Schnauzer anzuleinen. Hier stromert Markus Redls „Sauhund“ durchs Gelände: mehr Fell als alles andere und unbeirrt auf seinem Weg. Kategorisierungen laufen spätestens hier völlig ins Leere. Diese ironischen, humorvollen Werke sprengen den Rahmen jeder Tierschau.

Spannender wäre es ohnehin, die Grenzen aufzuheben, so wie dies Mark Dion im Kunstmuseum St.Gallen tut, wenn er etwa Conrad Gessner wörtlich nimmt und Fabeltiere ganz selbstverständlich in die naturwissenschaftliche abgesicherten Klassifizierungssysteme mischt. Genau dieses Andere, das Unergründliche, das nicht Abgesicherte interessiert und beflügelt die Künstler und Künstlerinnen: Was ist das Andere im Tier? Wie lässt es sich fassen, wenn wir doch immer nur aus unserer Perspektive urteilen können? Wie spiegelt unsere Wahrnehmung der Tiere und unser Umgang mit ihnen unser eigenes Sein, unser Weltverständnis? Da sind Roths „Fernsehhammels“ mehr als eine Schafherde auf dem Bildschirm und Redls „Sauhund“ etwas anderes als ein Vierbeiner für die Wildschweinjagd. Eine auf das blose Abbild der Tiere reduzierte „Menagerie“ greift da zu kurz.

Mark Dion – The Wondrous Museum of Nature

Wo hört die Natur auf? Wo fängt die Kunst an? Im Werk von Mark Dion sind die Grenzen aufgelöst. Mit Humor und philosophischer Schärfe erzählt der US-amerikanische Künstler die Geschichte der frühneuzeitlichen Wunderkammern und späteren naturkundlichen Sammlungen und schreibt sie in die Gegenwart fort.

Kaum ist das Naturmuseum ausgezogen, wird das Kunstmuseum zum Naturmuseum: In St.Gallen hat das Naturmuseum einen Neubau bezogen. Das Kunstmuseum nutzt den klassizistischen Kunklerbau nun alleine. Bis zum vergangenen November waren im Untergeschoss des Hauses ausgestopfte Tiere zu sehen, geologische Schautafeln und weiteres lehrreiches Material. Und jetzt? Wieder ausgestopfte Tiere, Schautafeln und weiteres lehrreiches Material. Alles gleich? Alles anders. Die ausgestopften Tiere sind nicht mehr naturwissenschaftliche Anschauungsobjekte, sie sind Plastiken. Sie stehen auf fahrbaren Untersätzen, sind unter einer Folie verborgen oder mit Teer übergossen. Die Schautafeln stehen nicht mehr im Kontext der wissenschaftlichen Belehrung, sondern der freien Assoziation. In Vitrinen hocken noch immer präparierte Vögel oder Amphibien, aber manche Bezeichnungen führen ins Leere und andere verweisen auf seltsame Fundstücke. Mark Dion (*1961) folgt mit «The Wondrous Museum of Nature» dem bisherigen Ausstellungsparcours. Doch dort wo ein Naturmuseum um Objektivität bemüht und der Wissenschaft verpflichtet ist, wo Taxonomien und Systematisierungen gelten, fängt im Werk des Künstlers das Spiel mit den Kategorisierungen und Präsentationsformen an. Er seziert die Ansprüche und Methoden der alten naturhistorischen Abteilungen und stellt präzise Fragen auf der Höhe der Zeit: Ökologische Probleme blendet Dion ebensowenig aus wie den grundlegenden Widerspruch der naturkundlichen Sammlungen, lebendige Natur mit toter, ja eigens getöteter Natur auszustellen.

Dion agiert als Sammler, als Forschungsreisender, als Chronist des Wandels und allem voran als Künstler, der sich einen kritischen, ironischen, aber auch humorvollen Umgang mit dem Thema erlauben darf. Er stellt Grössenverhältnisse auf den Kopf und gewährt auch Fabelwesen Einzug. Er lässt es glimmen und leuchten, platziert eine komplette viktorianische Expeditionsausrüstung auf einer Düne und lässt auch hochgradig Künstliches zu. Exponate, die vom neuen Naturmuseum St.Gallen nicht mehr benötigt wurden, sind mit bereits bestehenden und neuen Arbeiten Dions eng verwoben. Entstanden ist eine sinnliche Ausstellung, die nicht nur jene beglückt, die das frühere Naturmuseum St.Gallen gut kannten und sich nun auf Spurensuche begeben können, sondern auch jene, die sich an lustvoll präsentierten kulturgeschichtlichen Fragestellungen erfreuen.

Bis 17. September 2017

www.kunstmuseumsg.ch