Was braucht der Mensch?

by Kristin Schmidt

Der Holzschnitt hat eine lange Geschichte als künstlerische Ausdrucksform, aber er diente auch der Propaganda, der Bildung und Information. Andrea Büttner nutzt in ihrer Arbeit sowohl die ästhetische Stärke als auch die Vermittlungsfunktion der alten Technik.

St. Gallen – Eine Bitte. Kein Befehl, kein Wunsch, keine Forderung – nur eine Bitte; nicht ausgesprochen, sondern angedeutet mit der Geste geöffneter Hände, geöffnet in der Hoffnung auf die Barmherzigkeit der Menschen. Andrea Büttner (*1972) vertraut auf die kommunikative Kraft der Geste und des Materials: Ihre grossformatigen Holzschnitte

mit dem Motiv bittender Hände verweigern sich dem Anspruch auf künstlerische Raffinesse und senden ihre Botschaft direkt, einfach und unaufdringlich. Dabei handelt die in London und Frankfurt am Main lebende Künstlerin nicht aus einem missionarischen Eifer oder Sendungsbewusstsein heraus. Vielmehr widmet sie sich übergeordneten humanistischen Fragen: Was macht den Menschen aus? Was das menschliche Zusammenleben? Was heisst menschlich denken und handeln? Welche religiöse und politische Dimension zeigt sich darin?

Büttner fasst die menschlichen Grundbedürfnisse mit reduzierten, aber umso prägnanteren Formen zusammen – die ins Holz geschnittenen Linien fügen sich zu einem Zelt, Bögen zu einem Iglu, rosafarbene Punkte stehen für „Potatoes“, 2017.

Die formale und inhaltliche Stärke ihrer eigenen künstlerischen Arbeit konfrontiert Büttner regelmässig mit anderen ästhetischen Praktiken. In der aktuellen Ausstellung in der Kunst Halle Sankt Gallen, ihrer ersten institutionellen Präsentation in der Schweiz, räumt die Künstlerin der Friedensbibliothek/Antikriegsmuseum prominenten Platz ein und integriert zudem eine Arbeit David Raymond Conroys (*1978). Die Friedensbibliothek ist eine Initiative, die zu DDR-Zeiten unter der Obhut der evangelischen Kirche gegründet wurde und bis heute besteht. Mit grossem Improvisationsgeschick erarbeiten die Mitglieder Wanderausstellungen. Büttner hat für „Gesamtzusammenhang“ eine Schau über Simone Weil ausgewählt. Sie lässt den unbefangenen Umgang mit dem Werk der jüdischen Philosophin und mit fotografischen Klassikern unkommentiert stehen. Einzig im Dialog mit ihrer eigenen Arbeit eröffnet sich ein sachlich kritischer Blick auf diesem Umgang, ohne die Aussagekraft Weils zu mindern.

Conroy thematisiert Werte dort, wo sie einmal mehr ins Schleudern geraten. «(You (People) Are All The Same)», 2016 ist das Ergebnis eines Artist in Residence-Aufenthaltes in Las Vegas. Auch das Video steht in grossem formalen Kontrast zu Büttners Werk. Doch Künstlerin und Künstler ist es gelungen, ihre Werke zu einer sinnvollen Einheit zu verschränken – sogar über zwei Ausstellungsräume hinweg.

Kunst Halle Sankt Gallen, bis 7. Mai, www.k9000.ch