Turnhalle als Teleskop

by Kristin Schmidt

Die Doppelturnhalle Buchwald wurde saniert. Für das Kunst am Bau-Projekt entwickelte Rolf Graf eine minimale Intervention.

Die Doppelturnhalle Buchwald ist ein unauffälliger Bau. Statt aufwendig inszenierter Effekte entwickelte der damalige Stadtbaumeister Hermann Guggenbühl Anfang der 1950er Jahre für dieses lichte, ganz in seiner Zeit stehende Gebäude viele gute Detaillösungen. Sie reichen vom Eingangsbereich bis zu den Fenstern, vom Farbkonzept bis zu den Beschriftungen.

Nun kommen all die Qualitäten der Turnhalle wieder angemessen zur Geltung, und sogar ein paar zusätzliche wurden herausgearbeitet. Beispielsweise ist es jetzt „wahrscheinlich  die am besten klingende Turnhalle in ganz St. Gallen“. Ein kleines bisschen Stolz ist da herauszuhören, wenn Peter Hubacher über die neue Beschallungsanlage für das Gebäude spricht, die es für weitere Zwecke nutzbar macht.

Mit der Sanierung ist das Büro Keller.Hubacher.Architekten aus Herisau ebenso unaufdringlich wie aufmerksam vorgegangen: Beispielsweise wurde ein dezenter, ästhetisch auf die Heizungsrohre abgestimmter Aufprallschutz erfunden. Das Treppengeländer konnte aufgrund alter Fotografien rekonstruiert werden. Aus vorgefundenen Buchstaben mit ihren kleinen Ungereimtheiten wurde ein eigener Zeichensatz für weitere Beschriftungen entwickelt. Die heute beinahe obligatorische Kletterwand wurde nur mit anthrazitfarbenen Griffen bestückt, um die Farbharmonie der perfekt auf das Ziegelrot abgestimmten grün-blau Töne nicht zu stören. Die Basketballkörbe hängen nicht vor weissen Brettern, sondern vor transparenten Rückwänden, die das Gesamtbild viel weniger stören. Und mit dem Aussengerätedepot hat die Turnhalle eine kleine, ihr in Grundzügen gleichende Schwester bekommen.

Doch wo ist die Kunst am Bau?

Rasch ist Max Oertlis Betonrelief an der östlichen Aussenwand des Gebäudes entdeckt: “Gepard und Vogel” sitzen markant vor der feinstrukturierten Ziegelwand. Dieses Werk wurde 1963 installiert. Wer hingegen die aktuelle Intervention zur Kunst am Bau sucht, wird nicht so leicht fündig oder wird das Kunstwerk zwar bemerken, aber nicht als solches erkennen.

Genau wie die Architekten bei ihrer Sanierung des Gebäudes hat sich auch Rolf Graf mit seiner Arbeit dem Bau behutsam und scharfsichtig angenähert. Eine unauffällige bauliche Finesse hat es dem aus Heiden stammenden und in Berlin lebenden Künstler angetan: Die Raumdecke im Korridor ist nicht waagrecht, sondern weist zur Turnhalle hin ein leichtes Gefälle auf. So schränkt sie das Sichtfeld ein, anstatt es zur Halle hin zu weiten. Rolf Graf öffnet den Blick wieder, aber nicht durch gross angelegte Eingriffe am Gebäude, sondern durch einen Denkanstoss.

Der Künstler hat in die Backsteinwände im Eingangsbereich der Turnhalle beidseitig insgesamt 18 Markierungen eingelassen. Es sind handelsübliche, für die Vermessungstechnik hergestellte Messingbolzen mit der geprägten Inschrift „Survey Point“. Wie goldene Münzen oder Hosenknöpfe wirken die Punkte und bezeichnen zwei fiktive, leicht von der Vertikale abweichende Linien. Nimmt der Betrachter diese Linien gedanklich als lotrechten Anhaltspunkt und richtet den Raum rechtwinklig daran aus, wird es möglich, den Raum in der Wahrnehmung nach oben zu kippen und hinauszublicken: durch den Korridor hindurch, in die Turnhalle, zu ihren Fenstern hinaus, bis zum gegenüberliegenden Freudenberg, ja, über ihn hinweg, weiter und weiter. Das Gebäude wird zum Teleskop. Die Bolzen markieren exakt jene Linie, ab der dieses Phänomen erstmals im Gesamtzusammenhang bemerkbar wird.

Den physischen Aktivitäten in der Sporthalle setzt Graf ein Gedankenspiel entgegen. Gleichzeitig aktiviert sein Werk den Betrachter körperlich, denn es will berührt werden. „Survey-2012“ fordert das abstrakte Denken, die räumliche Vorstellungskraft heraus und kann doch ganz unmittelbar ertastet und erfahren werden. Es ist ein Werk, das sich mühelos in einen übergeordneten Kontext stellt und doch die Bodenhaftung nicht verliert.