Durchsehen im Durchgangsheim
by Kristin Schmidt
Zwanzig Jahre lang war der „Alpenblick“ ein Durchgangsheim für Asylbewerber. Erbaut wurde das Haus als Kurhotel, seit zwei Jahren steht es leer. Der ursprüngliche Zweck prägte das Gebäude ebenso wie die vorübergehend einquartierten Bewohner. Annina Frehner hat sich mit dieser heterogenen Vergangenheit und der Lage des „Alpenblicks“ und den Menschen darinnen auseinandergesetzt.
Für die Kulturlandsgemeinde entwickelte die 1983 in Winterthur geborene und seit einem Jahr in Leipzig wohnende Künstlerin eine vieldeutige Arbeit, die Sinne und Gedanken gleichermassen anregt. Wer sich ins zweite Stockwerk des Baues begibt, findet sich in einem Gang wieder mit je fünf Türen zu beiden Seiten. In jeder der Türen erlaubt ein rechteckiges Guckloch auf Augenhöhe nicht den erwarteten Einblick in ein Zimmer, sondern einen Ausblick in die umgebende Landschaft. Jedes der Rechtecke mündet in einen Schacht, dessen anderes Ende dem Fensterformat entspricht und in Richtung Bodensee oder in die Ausserrhodische Hügellandschaft offen ist. Wind weht herein und Geräusche dringen herauf. Betrachter und Betrachterin sehen sich unmittelbar in derselben Aussichtssituation wie die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses. Statt mit dem Guckloch die Tür für einen observierenden oder neugierigen Blick auf ein fremdes Interieur zu öffnen, konfrontiert Frehner die Betrachtenden mit Fragen, die je nach persönlicher Erfahrung und Haltung ganz unterschiedlich ausfallen können:
Haben die ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen den Ausblick genossen? Entsprach er ihren Erwartungen? Haben sie ihn überhaupt wahrgenommen? Was hat er ihnen vermittelt? Wie mag es sich anfühlen, aus diesem Haus, vor dem persönlichen Schicksal in diese vielbesuchte Landschaft zu blicken?
Annina Frehner überbrückt mit ihrem Werk „Transit“ nicht nur die räumliche Ebene, indem sie das Zimmer zwischen Tür und Fenster verschwinden lässt, sondern sie bringt uns gleichzeitig näher an die ehemaligen Hausbewohner und -bewohnerinnen heran, seien es die Kurgäste oder die Asylsuchenden. Letztere sind auch auf andere Weise Teil der Arbeit. Die Künstlerin arbeitete für den Bau der Rauminstallation mit Bewohnern des Durchgangszentrums Landegg zusammen. Seit der „Alpenblick“ geschlossen wurde, finden Asylbewerber dort ihre zeitweilige Unterkunft. Indem Frehner auf deren Arbeitskraft zurückgriff, stellt sie ihr Werk in einen weiteren Kontext. Neben dem künstlerischen, konzeptionellen Hintergrund, erhält es damit auch eine soziale Komponente. Es ermöglichte Kommunikation und Partizipation mit jenen Menschen, die inhaltlich Teil ihrer Arbeit sind, die aber am Kunsterleben sonst kaum teilhaben.
Annina Frehner sprengt mit den zehn Schächten in zehn Zimmern nicht nur die räumliche Enge des Bauwerkes und seiner Zimmer, sie öffnet Denk- und Handlungsräume für die Mitarbeitenden und die Betrachter und Betrachterinnen ihres Werkes.
Kulturlandsgemeindebeitrag