Das Potential des Einfachen
by Kristin Schmidt
Das Architekturforum Ostschweiz stellt sein diesjähriges Programm unter das Motto „einfach“. den Auftakt gestaltete der Berliner Philosoph Hannes Böhringer.
Einfach ist alles andere als einfach. Bereits mit dem Begriff beginnt es. Einfach kann heissen: einmal, schlicht, unkompliziert, bescheiden, trivial, gewöhnlich. So vielfältig aufgeladen der Begriff ist, so vielfältig sind die damit verbundenen Dinge und ihre Ästhetik, die individuellen, professionellen und gesellschaftlichen Sichtweisen. Wenn also das Architekturforum Ostschweiz sein diesjähriges Programm unter das Motto „einfach“ stellt, darf mit mehr gerechnet werden als puristischer Architektur oder geradlinigen Entwürfen. Dies zeigte sich gleich anlässlich der ersten Veranstaltung.
Der Löffel war das Thema des vergangenen Montagabends. Zunächst kamen in den Händen von Markus Maggiori die Qualitäten des Löffels als Musikinstrument zum Zuge, unterstützt von Reto Grab am Schwyzerörgeli. Als Esswerkzeug böte der Löffel einigen Raum, über reduzierte Gestaltung nachzudenken, doch anschliessend wurde ein ganz anderer, ein viel grundsätzlicherer Ansatz gewählt.
Für Hannes Böhringer ist der Löffel Anlass, über das Leben nachzudenken. In einem ununterbrochenen Gedankenstrom mäandert der Berliner Philosoph von den Lebenswegen, dem Unterwegssein, dem Fortbewegen hin zu den Wagnissen des Seins, den Gemeinschaften und schliesslich den Grundbedingungen des Lebens im Kleinen wie im Grossen. Eines fügt sich zum anderen. Die Zweideutigkeiten der Sprache sind immer wieder ein willkommener Anlass zum Weiterdenken. Der Weg dient dem Weggehen, der Mut ist dem Gemüt verwandt, der Hut der Obhut.
Klein Hänschen macht es vor. Weg will er, frei sein, und dennoch braucht er Halt. Der Hut behütet. Der Stock, lose wie Hänschen selbst, ersetzt den fehlenden Begleiter. Überhaupt der Stock: Er ist Stütze, Werkzeug, Waffe, Wurfgerät, Anfang der Technik. Und er eignet sich als Stiel für Hacke, Harke, Hammer, Besen, Axt und allen voran für die Schaufel. Der Löffel ist nichts anderes als eine Schaufel zum Essen, der Hand nachgebildet und zugleich eine kleine Puppe mit Kopf und Körper.
Böhringer verbindet philosophisches mit gestaltendem Denken. In seinen Überlegungen zu unserem Ess-, Rühr- und Verteilungsgerät steckt ebenso viel Poesie wie Erkenntnis. Der Löffel ist das Mass, das Abbild für Gerechtigkeit und Mässigung. Vom Ausschenken ist es nicht weit zum Schöpfen und schon ist Böhringer beim Ursprung angelangt. In Metaphern und Metonymien geht es fort. Der einfache Gegenstand ist Ausgangspunkt für ein komplexes Gedankengebäude. Er wird umkreist, eingehüllt, erforscht.
Bereits mit früheren Schriften begab sich Böhringer auf die „Suche nach Einfachheit“, um festzustellen „Das Einfache ist schwer, womöglich das Schwerste überhaupt. Was aber schwer ist, das ist nicht leicht. Gehört zur Einfachheit nicht auch Leichtigkeit? Das Einfache ist immer in Gefahr, zu einfach zu sein oder im Schweren und Schwierigen zu verschwinden.“ Einfach oder schwer – auf jeden Fall besonders: Böhringer arbeitet das Potential des Alltagsgegenstandes heraus. Einfaches kann bedeutungsvoll sein.