Vaduz
by Kristin Schmidt
Seile, Maschendraht, Stahltonnen oder Winkelprofile – die Materialien sind einfach, industriell gefertigt und verfügbar. Bill Bollinger entwickelte aus ihnen ebenso minimalistische wie vielgestaltige Werke. Das Kunstmuseum Liechtenstein widmet dem 1988 verstorbenen Amerikaner seine erste Retrospektive.
Bill Bollinger? Noch vor zehn Jahren, vor dem ersten grossen Auftritt seines Galeristen Rolf Ricke als Sammler, war der Name des Amerikaners den wenigsten Kunstinteressierten ein Begriff. Dennoch ist Bollinger keine Neu-, sondern eine Wiederentdeckung. In den späten 1960ern wurde er in einem Atemzug mit Bruce Nauman, Eva Hesse und Richard Serra genannt. 1969 war er in Harald Szeemanns „Live in Your Head. When Attitudes Become Form“ in Bern vertreten. In diese Jahre fällt die wichtigste Werkphase des Bildhauers, es ist jene Zeit, die in der Ausstellung in Vaduz im Mittelpunkt steht.
Die Retrospektive war von Beginn an von Schwierigkeiten gesäumt, sie reichten von zunächst nur spärlich vorhandenen Informationen bis hin zur grossen Frage, wie mit wichtigen, aber verlorengegangenen Werken umzugehen sei. Der Ausstellung sind diese Hindernisse nicht anzusehen. Dort, wo Werke rekonstruiert wurden, wurde mit Bedacht vorgegangen. Es sind ausschliesslich Arbeiten nachgebildet, zu denen ausführliche Angaben, das nötige Originalmaterial und die Kenntnis von Zeitzeugen verfügbar waren. Eines dieser Werke bildet den Auftakt der Präsentation: „Cyclone Fence“ besteht aus einem 15 Meter langen, 180° um seine Längsachse gedrehten Maschendraht. Wie eine energiegeladene Woge durchschneidet er den Ausstellungsraum, aufsteigend, wieder abfallend – eine ebenso imposante wie elegante Geste. Auch der über eine gesamte Saalbreite am Boden ausgelegte Maschendraht, ebenfalls eine Rekonstruktion, wirkt dynamisch, fliessend, bewegt. Seine visuell durchlässige Struktur mit verdichteten, optisch vibrierenden Zonen erinnert eher an Darstellungen von Wasser als an Wasser selbst. Letzteres faszinierte den Künstler besonders. Er fotografierte es, füllte es in Schläuche oder Tonnen und spürte der immer wieder dominierenden Horizontlinie nach.
Beinahe beiläufig sprach Bollinger malerische und zeichnerische Themen an und grenzte auch physikalische Beobachtungen nicht aus. Er spannte ein Hanfseil als kräftige Linie über den Boden oder richtete einen Baumstamm auf, um ihn wieder umzustossen. Er liess einen Stamm im Fluss treiben oder verteilte Grafitpigment grossflächig auf dem Boden. Die Arbeiten berühren Zonen der Prozesskunst genauso wie der Minimal Art. Die längst fällige Retrospektive seines Werkes umfasst nur vier Jahre – diese kurze Zeitspanne genügte Bollinger, um ein durch und durch puristisches und radikales Oeuvre zu formen, dem die Ausstellung auf sorgfältige Weise gerecht wird.