Australier eröffnen den Bregenzer Frühling
by Kristin Schmidt
Der 25. Bregenzer Frühling wartet auch in diesem Jahr wieder mit aufsehenerregenden Produktionen auf. Auf dem Programm des Internationalen Tanzfestivals stehen märchenhafte und visonäre künstlerische Projekte.
Cyborgs und Androide bevölkern Metropolis, Mars oder marschieren durch die Matrix. Sie heissen Maria oder Terminator, Opa Rodenwald oder Lieutenant Commander Data. Dass in der Filmgeschichte fast von Beginn an künstliches Leben und vernunftbegabte Roboter in anthropomorpher Gestalt beherrschende Themen sind, liegt an weit mehr, als am Spannungspotential der Konfrontation von Mensch und Technik. Es liegt an der Frage nach dem Ich.
Was ist menschlich? Was macht ein bewusstes, fühlendes Wesen aus? Wodurch entsteht Identität oder Identitätsbewusstein? Erst angesichts des Fremden, Anderen kristallisiert sich das Ich heraus. Dies funktioniert auf der Leinwand genauso wie auf der Bühne wie die jüngste Choreographie des Australiers Garry Stewart zeigt. Vor elf Jahren übernahm er das Australian Dance Theatre von der ehemaligen Pina Bausch-Tänzerin Meryl Tankard und besticht immer wieder durch ebenso durchgestaltete wie unverwechselbare Produktionen.
Im Rahmen des Bregenzer Frühlings präsentiert er mit dem Ensemble nun „Be Your Self“. Das Stück trägt die Suche nach Selbsterkenntnis bereits im Titel und ist doch viel mehr als das. Es versucht die Balance zwischen Biozentrismus und Künstlichkeit, zwischen Körper und Technik, zwischen Ästhetik und Widerstreben. Garry Stewart setzt dabei ganz auf die Präsenz seiner Tänzer. Inmitten des spektakulären Bühnensettings vom renommierten Architekturbüro Diller, Scofidio + Renfro und der ausgeklügelten Lichtregie behaupten sich die neun Akteure durch ihre virtuose Körperarbeit, ihre technische Perfektion. Die Tänzer werden durch das Bühnenbild fragmentiert und im Gegenzug durch die reduzierten Kostüme von Gaelle Mellis multipliziert. Alle neun Tanzenden tragen zu Beginn weisse Röcke, die sie erst später durch Aufdrucke teilweise als Männer oder Frauen charakterisiert – ein Seitenverweis darauf, dass Identität immer auch eine sexuelle und eine Genderkomponente hat.
Für Stewart ist der Körper die klarste und offensichtlichste Existenz des Subjekts in der Welt. Und auch in „Be Your Self“ muss er sich am Anderen messen. Er verschwindet im Dunkel oder unter den weissen Stoffbahnen des Bühnenbildes. Sekundengenaue, synchrone Bewegungen erfolgen vor ausgeklügelter Klangkulisse. Der Körper wird durch Filmsequenzen ersetzt, um dann wieder energiegeladen und kraftvoll das Feld zurückzuerobern. Mal scheint er mechanisch bewegt, mal fremden Kräften unterworfen, dann wieder zeigt er sich in seiner ganzen Natürlichkeit und Vitalität.
Dieser Kontrast wird auf ganz andere Weise, deutlich radikaler und ebenso schlüssig auch in der Performance „bODY rEMIX“ der Choreographin Marie Chouinard umgesetzt. Das Bewegungsvokabular des klassischen Balletts muss sich hier am „Prothesengott“ beweisen, wie Freud das „Mangelwesen Mensch“ betitelte. Krücken, Stangen oder an Turnhallenelemente erinnernde Utensilien sind den Tänzerinnen und Tänzern Stütze und Hindernis. Der Körper arbeitet sich am Requisit ab und am menschlichen Gegenüber: Zwei Tänzerinnen sind mitunter mit je einem Bein aneinander bandagiert. Zwischen all dieser Schwere, dem Geknechtet- und Gebundensein gibt es wundervoll leichte Momente, die auch hier wieder jenes Andere umso stärker hervorheben. Schönheit und Deformation vermögen es kaum, sich die Waage zu halten, und fügen sich doch zu einem untrennbaren Gesamtbild zusammen.
Ganz anders bei der Produktion „Blanche Neige/Schneewittchen“ von Angelin Preljocaj. Hier ist selbst der (versuchte) Mord noch ein Fest für die Augen. Kein Wunder. Bei dieser Interpretation des Märchens ging es weniger darum, neue Wege zu beschreiten, als vielmehr Schönheit als solche zu zelebrieren – ein zentrales Thema des gewählten Stoffes. Dazu passt auch, dass man für die Kostümgestaltung keinen Geringerem als Jean-Paul Gaultier verpflichtete. Opulentes Dekor, dramatische Effekte – wie schon mit „Be Your Self“ und „bODY rEMIX“ wartet hier der Bregenzer Frühling ein drittes Mal mit einem Gesamtkunstwerk auf.
Einen bekannten Stoff setzt auch „Babel (Words)“ um, das die Sprachvielfalt als Metapher für die Kulturvielfalt nimmt. Der eigentliche Turmbau wird dabei (das Bühnenbild gestaltete der in Vorarlberg bestens bekannte britische Künstler Antony Gormley) ebenso eindrucksvoll wie spielerisch umgesetzt und der kulturelle Reichtum von 13 Tanzenden aus 13 Ländern findet in mächtigen synchron getanzten Gruppensequenzen Ausdruck.
Der Blick zurück in biblische Erzählungen findet seine Entsprechung in der Zukunftsphantasie des aktionstheaters ensemble – die Uraufführung beim diesjährigen Bregenzer Frühling. Kontraste auch hier: Angstszenarien und die Träume einer besseren schönen neuen Welt treffen schonungslos aufeinander. Die „Zukunftsmaschine“ wird in Gang gesetzt und wir dürfen uns fragen, welches unsere Visionen sind.