Lauf der Zeit, klug und ästhetisch
by Kristin Schmidt
Daniela Gugg und Monica Sennhauser präsentieren in der aktuellen Nextex-Ausstellung Forschungsergebnisse der anderen Art. Sie blicken in die Sterne und den Astrophysikern in den Theoriebaukasten.
Das Türrechteck ist das Scharnier zwischen zwei Zonen: Zwischen der Aussen- und der Innenwelt, der öffentlichen und der privaten Umgebung, dem natürlichen und dem künstlichen Licht, der Hitze und der Kühle. Es ist kaum eine eindrücklichere Visualisierung dieser Gegensätze vorstellbar, als sie Monica Sennhauser in ihrer Videoarbeit „High Noon“ realisiert hat.
Jenseits der Tür herrscht gleissendes Sonnenlicht, so hell, dass der Asphalt weiss erscheint; so hell, dass im Gegenlicht alles andere schwarz bleibt. Das andere ist der Innenraum, der gänzlich undefiniert bleibt. Eine Maschine arbeitet. Hin und wieder kontrastiert Stimmengemurmel mit den Geräuschen vorbeifahrender Autos. Die Menschen und Autos draussen werfen keine Schatten, es ist Mittagszeit – Mittagszeit in einem texanischen Ort: in Marfa, der Künstlerstadt.
Marfa ist ein Mythos. Genau wie Texas. Von „High Noon“ ganz zu schweigen. Monica Sennhauser verknüpft alle drei in einer bis ins kleinste Detail schlüssigen Videoinstallation. Das helle Türrechteck entspricht einer dunklen Leerstelle genau im Zentrum der Filmaufnahmen von „High Noon“ – die St. Galler Künstlerin hat mit einem massstabgetreuen Papierrechteck genau die Bildmitte des Filmes überklebt. So lenkt sie den Blick auf das, was ausserhalb des zentralen Geschehens passiert. Durch das Aussen wird aber das Innen nur umso bedeutungsvoller, in Marfa ebenso wie in „High Noon“. Sennhauser hat einen Blick für solche Zonen des Überganges. Das zeigt sich auch in ihrer Fotoarbeit „Sternenbahnen“. Hier verfolgt sie mit langzeitbelichteten Fotografien aus dem Fenster den Lauf der Sterne, der eigentlich keiner ist, sondern nur durch Weg der Erde als solcher erscheint.
Monica Sennhauser verfolgt in ihren Werken einen konzeptuellen Ansatz, der höchst ästhetisch umgesetzt wird. Nicht zuletzt das hat sie mit Daniela Gugg gemein. Die seit Jahren in Berlin lebende Schweizerin findet wunderbar anschauliche Bilder für gedankliche Konstrukte wie Wurmlöcher oder Raumzeitfalten. So faltet sie eine Oktave aus Robert Schumanns „Träumerei“ heraus, lässt den Pianisten Ueli Engeli sowohl den Rest als auch den Extrakt spielen und spielt beides separat wieder ab. Neben dem Ton präsentiert Gugg auch die beiden fein gefältelten Partiturfragmente, das Positiv und das Negativ. Welt und Gegenwelt, eines der wichtigen Themen der Romantik, sind nur einer der zahlreichen Aspekte dieser vielschichtigen Arbeit. Ein anderer ist der vollkommen neue Blick, das neue Gehör, das sie dem Rezipienten für das altbekannte Klavierstück schenkt.
Intelligent und unbefangen widmet sich Gugg auch der Wurmlochtheorie indem sie den Begriff wörtlich nimmt und mittels Frottage einen Larvenkanal ins weisse Blatt überträgt. Gänzlich unbehandelt sind die Blätter in der Arbeit „Zwischen den Einträgen“. Sie bezieht sich auf das Tagebuch des Grossvaters der Künstlerin. Eine leere Doppelseite fällt darin genau auf die Periode von 1939 bis 1945, auf jene Jahre, in welcher der Grossvater Soldat war. Stellvertretend für diese wortlose Zeit blättert nun eine mit einer Uhr verbundene Mechanik eine weisse Seite in einem Buch um und wird dafür sechs Jahre benötigen.
Gugg ist eine aufmerksame Beobachterin. Und wenn es die Nextexbesucher ebenfalls sind, werden sie an der Fassade des Hauses Pelikan zwei Atlanten beim Abnehmspiel mit rotem Faden entdecken. Die mythologischen Himmelsträger haben das Universum längst an die Astrophysiker und Wurmlochtheoretiker abgegeben und dürfen sich ganz unbeschwert dem Spiel hingeben. Hoffentlich werden sie von allzu strengen Zeitgenossen und Stadtbildhütern nicht so schnell daran gehindert.