Schön und schräg: Keramik in der Kunst
by Kristin Schmidt
Das Kunstmuseum Appenzell präsentiert als erstes Museum der Schweiz eine internationale Schau zu Keramik in der zeitgenössischen Kunst. Die ausgestellten Werke von 13 Künstlerinnen und Künstlern zeigen die grosse Vielfalt der Materialien Ton und Porzellan.
Keramik kann Vieles. Sie kann Gefäss sein oder Zahnersatz. Sie kann im Baugewerbe eingesetzt werden oder in der Autoindustrie. Keramik ist ein Gebrauchsmaterial, seit Jahrtausenden. Aber Keramik kann mehr als einem Zweck dienen. Tier- und Menschenfiguren aus Ton gehören zu den frühesten Kunstwerken der Menschen. Und das Material fasziniert Künstlerinnen und Künstler noch immer, wie die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Appenzell zeigt. Sie versammelt 13 aktuelle Positionen. Die Auswahl haben die Kuratorinnen der Ausstellung gemeinsam getroffen: Stefanie Gschwend, Direktorin des Museums, und Felicity Lynn, Fachbereichsleiterin Gestaltung und Kunst an der Hochschule der Künste in Bern. Die beiden kennen sich von ihrer gemeinsamen Arbeit am Kunsthaus Centre d’art Pasquart in Biel. Für «Klang der Erde» haben sie sich aus der langen Liste möglicher Positionen auf jene konzentriert, die experimentell an die Keramik herangehen. Immer wieder werden dabei auch die Grenzen zum Handwerk ausgelotet.
Skurrile Lampen und rauchende Frösche
Die elf Räume des Kunstmuseums sind unterschiedlichen Themen zugeordnet. Sie reichen von «Architektur und Symbolik», über «Zerbrechliche Monumente» oder «Natur und Lyrik» bis zu «Humor und Abgrund». Dies erfährt, wer mit dem Begleitbüchlein durch die Ausstellung geht. Wer sich hingegen ganz aufs Schauen verlässt, wird diese Einordnungen nicht vermissen. Denn die Themen sind keine zwingenden Übertitel. Ohnehin taucht vieles mehrmals auf, so etwa die Architektur als Motto, aber die künstlerischen Positionen: Alle Künstlerinnen und Künstler sind mit mehreren Werken vertreten. Die skurrilen Lampen von Carmen D´Apollonio sind beispielsweise in drei Räumen zu sehen. Die in Zürich geborene Künstlerin verbindet das Künstlerische mit dem Funktionalen: Die Objekte leuchten nicht nur. Auf ihnen wuchern Pilze, oder ein überdimensionaler Wurm zwängt sich durch ein Lock im Lampensockel. Schräg und humorvoll sind auch die Keramiken von Lindsey Mendick aus England. Aus einer Tasche lässt sie verdorbene Lebensmittel quellen oder platziert auf Bierdosen blaue Frösche mit Zigarettenstummeln im Maul. Die Künstlerin untergräbt lustvoll die Vorstellungen davon, was nützlich und was dekorativ ist. Die Glasuren für ihre Arbeit stellt sie selbst her und verwendet sie in üppiger Fülle.
Individualisten statt Massenproduktion
Den denkbar grössten Gegensatz zu dieser Pracht der Formen und Farben bilden die Werke von Edmund de Waal. Der Engländer lotet das poetische Potential von Alltagsobjekten aus. Für seine von Japanischer Keramik inspirierte Kunst wurde er ebenso mit Preisen bedacht wie für seine Bücher. Er zeigt in Appenzell Gefässe in schlichten Formen und ausschliesslich in schwarz oder weiss. Sie stehen mannshoch im Raum oder sind dünnwandig in schmalen Vitrinen angeordnet zusammen mit Folien aus Gold oder Silber. Jedes der Gefässe ist Teil eines grösseren Ganzen und doch ein Individualist. Das gilt auch für die «Hochhäuser» der Berliner Künstlerin Isa Melsheimer. Wie Kakteen ragen sie grün und schmal in die Höhe. Zu fünft bilden sie eine kleine Siedlung und stehen trotzdem für sich mit ihren Nuancen in Grösse, Gestalt und Glasur. Melsheimer schätzt diese Vielfalt des Materials, die sich ohnehin nur bedingt beeinflussen lässt. Davon berichtet auch Claire Goodwin, die aus Birmingham stammt und in Zürich lebt: «Das Resultat lässt sich nie vorhersehen. Selbst beim gleichen Ton und derselben Temperatur im Brennofen, kann etwas völlig Unterschiedliches herauskommen.» Goodwin arbeitet mit selbsthergestellten Kacheln, die sie zu einem keramischen Bild zusammenfügt oder mit Möbelelementen kombiniert. Damit verweisen sie sowohl auf die Plättli in der Küche und die Geschichten, die dort ausgetauscht werden, wie auch auf die ungegenständliche Malerei der Künstlerin. Keramik kann eben alles: nützlich sein oder frei, schön sein oder schräg, Kunst sein oder Küchendeko.