«Auf der Strasse» – Rein ins Museum

by Kristin Schmidt

Vaduz — Programmatisch steht eine Frage am Anfang der Ausstellung: «Weisse Wände?» hatte irgendwer irgendwann auf eine Wand gesprayt, irgendwo in einer Stadt. Ovidiu Anton hat die Umrisse des Schriftzuges auf Papier übertragen und das Blatt mit dicht gesetzten Strichen bis zum Rand hin ausgefüllt. So bildet das ursprüngliche, anonyme Graffiti eine Leerstelle und fragt inmitten der weissen Wände des Kunstmuseum Liechtenstein nach ebensolchen: Das Gebäude ist als klassischer White Cube konzipiert. Ausgerechnet hier ist nun die Strasse eingezogen mit ihrem Dreck, ihren Widersprüchen, ihrem Leben: «Auf der Strasse» widmet sich den Räumen in der Stadt – Räumen, in denen spaziert und protestiert wird, wo sich Menschen treffen – zufällig oder absichtlich, wo sie verweilen oder weiterziehen. Diese Orte sind für die Menschen gemacht oder richten sich gegen sie, indem Sitzmobiliar das Liegen verunmöglicht oder dem Autoverkehr der Vorrang gegeben wird. Diese Orte werden gepflegt oder verwahrlosen, sie sind ideologisch aufgeladen oder verbaut.
Die Kunst setzt sich seit langem mit dieser Vielfalt auseinander. Ihr Material ist jenes der Strasse, sie verwendet Abfälle, Übrigbleibsel oder das städtische Mobiliar. Sie thematisiert Zustände und Verhaltensweisen in oft fragilen oder temporären Arbeiten und mit Aktionen, die oft nur fotografisch oder filmisch dokumentiert sind. Diese heterogene Fülle in einer musealen Ausstellung schlüssig und angemessen zu präsentieren, ist ein herausforderndes Unterfangen. Das Kunstmuseum Liechtenstein reagiert darauf mit einer klaren inhaltlichen Struktur, die gleichzeitig freie Zuordnungen erlaubt und sich in einen Parcours einfügt, der zum Innehalten ebenso einlädt wie zum Flanieren. Die Ausstellung ist in vier Themenblöcke unterteilt: Sie beginnt mit dem Auflesen und Sammeln. Der nächste Raum ist dem Gehen gewidmet, der dritte dem Pflegen und Putzen und der vierte schliesslich dem Leben auf der Strasse und dem Protest. Diese Einteilung lässt Raum für unterschiedliche Lesarten – viele der über zwei Dutzend künstlerischen Positionen sind in mehreren Themenfeldern vertreten. In jedem Raum bilden klassisch gewordene Werke aus den 1950er bis -60er Jahren einen inhaltlichen und optischen Ankerpunkt, darunter Arbeiten von Agnès Varda, Adrian Piper, Stanley Brouwn oder der Situationistischen Internationale. Daneben werden Künstlergrössen wie Pope L. oder Francis Alÿs gewürdigt, und junge Positionen wie Martina Morger oder Majd Abdel Hamid erhalten einen Platz. Mit dieser gelungenen Zusammenschau wird die Kunst, die draussen, auf den Bürgersteigen, Plätzen und Strassen entstanden ist, schlüssig in den musealen Kontext überführt.


Kunstmuseum Lichtenstein, bis 31.8.
www.kunstmuseum.li