Markenzeichen Farbe
by Kristin Schmidt
Die Erker-Galerie zeigt neue Arbeiten von Piero Dorazio. Seine farbenfrohen, abstrakten Streifenbilder bringen die Ausstellungsräume zum Leuchten.
Leuchtende vertikale Bänder überlagern und überschneiden sich. Sie flimmern vor blauem, gelbem oder rotem Grund, neigen sich nach links oder rechts und balancieren auf ihrem spitz zulaufenden unteren Ende. Der Italiener Piero Dorazio bringt Formen und mit ihnen die Farben zum Tanzen.
Für seine Bilder nutzt er ein einfaches Formenrepertoire, das er virtuos zum Klingen bringt. Jedem der Streifen wird eine Farbe zugewiesen, dennoch sind sie nicht monochrom. Stets scheinen die darunter liegenden Farbschichten durch, was den Bildern Transparenz und Leben verleiht.
Das eigentliche Thema der Bilder jedoch ist nicht die Farbe, sondern sind Licht und Schatten. Piero Dorazio interessierte sich früh für beide Phänomene und ihre Wirkungen. Sowohl sein theoretisches Werk wie auch seine Kunst war von Anfang an darauf ausgerichtet, dem ungleichen Paar nachzuspüren und zu ergründen, wie sie Menschen und Wahrnehmung beeinflussen. Die Erker-Galerie zeigt in ihrer aktuellen Ausstellung einen kleinen Ausschnitt dieser Suche. Zwar liegt der Schwerpunkt der Präsentation auf neuen Bildern, doch sind Gouachen aller Schaffensphasen des inzwischen über siebzigjährigen Künstlers zu sehen. Der Vergleich zeigt, dass Dorazio frühe Themen wieder aufgreift, seine späten Gemälde aber stärkere Leuchtkraft entwickeln.
Der Grund liegt nicht nur im Wechsel von schwarzen Hintergründen zu solchen in Primärfarben, sondern auch in der Konzentration auf geschlossenere Formen. Dorazios frühere Arbeiten haben durchwegs einen stark graphischen Charakter. Statt von Bändern werden sie von Linien beherrscht, statt von monochromen Flächen von nahtlosen Farbverläufen. Linien werden in unzählige Segmente unterteilt oder laufen an ihren Enden aus. Die jüngsten Arbeiten dagegen zeichnen sich durch grosse Klarheit aus. Der Künstler, der zu den Wegbereitern der Abstraktion in Italien zählt und sich auch als Kunsttheoretiker einen Namen gemacht hat, findet in seinem Spätwerk einen neuen Ausdruck für ein jahrhundertealtes künstlerisches Problem, das ihn selbst stets beschäftigte. Wer diese Entwicklung verfolgt, ahnt bereits, dass Dorazio seine Auseinandersetzung mit Tradition und Möglichkeiten der Helldunkelmalerei noch lang nicht abgeschlossen hat. Anlässlich der Ausstellung präsentiert die Erker-Galerie in St. Gallen eine Fünferserie von Lithographien sowie die jüngste Publikation zu Dorazio von Annette Papenberg-Weber (Schwabe-Verlag).