Das Künstlerkollektiv Streunender Hund weckt das Freibad Heiden für einen Tag aus dem Winterschlaf

by Kristin Schmidt

Bereits im Sommer wurde die Badi zum Kunstort, nun steht das zweite Ausstellungsdatum an: mit neuen Kunstwerken und 16 Künstlerinnen und Künstlern.

Die Camera Obscura ist Rita Kappenthulers und Nathan Federers bevorzugter Fotoapparat. Und sie bauen sie am liebsten selbst. Eine lichtdichte Kartonschachtel genügt, darin dient ein kleines Loch als Objektiv. Dann wird das Fotopapier eingelegt und schon kann es losgehen: belichten und ab in die Dunkelkammer. Dafür braucht es kein Fotostudio, sondern zum Beispiel ein Bademeisterbüro – so wie im Freibad Heiden. Dort hatte das Künstlerkollektiv Streunender Hund im vergangenen Sommer Station gemacht. 
Das Kollektiv ist ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, die seit 2018 immer wieder aussergewöhnliche Orte für ihre Kunstprojekte auswählen. Sie haben in der Stube eines Appenzellerhauses ausgestellt, in zwei Dorflokalen in Bühler oder in einem ausgedienten Bus. Für die aktuelle Schau hat sich der Streunende Hund das denkmalgeschützte Freibad in Heiden ausgesucht. Es ist eine Ausstellung in zwei Teilen: Im Sommer hat sie angefangen – an einem sonnig heissen Sonntag. Jetzt wird sie zu Ende gehen, an einem winterlichen Samstag im Februar. Dazwischen liegen fünf Monate künstlerischer Arbeit – allerdings nicht in der Badi Heiden, sondern in den Ateliers aller Beteiligten. So wie bei Rita Kappenthuler und Nathan Federer. 

Willkommene Abwechslung

Kappenthuler ist in Gais aufgewachsen und Bürgerin von Appenzell, Nathan Federer ist in Heiden zur Welt gekommen und hat lange in Berneck gelebt, ihr Atelier haben die beiden in St.Gallen, nahe dem Bahnhof Haggen. Das passt, denn beide sind viel unterwegs mit ihrer Kunst – und ihren Schachtelkameras. Von Italien bis Island reichen ihre Routen. In Sizilien experimentierten sie mit Selbstporträts, In Heiden lichteten sie die Badigäste ab, in Island nahmen sie die Polarsonne auf. Ausserdem zeichneten sie die Lavalandschaften und Erdspalten. Das war für beide eine tiefgreifende Erfahrung: «Wer bist Du, wenn sich die Erde unter Dir immer weiterbewegt? Was hält? Was ist sicher?» Die geologischen Zeichnungen führen sie in Grossformaten im Atelier weiter. Bei dieser intensiven künstlerischen Auseinandersetzung ist Abwechslung sehr willkommen: «Mit den Streunenden Hund können wir eine Zeitlang aus unserem Projekt ausreissen und etwas anderes machen.»
Für die Winterausstellung in Heiden hat das Künstlerduo die sommerlichen Camera Obscura-Aufnahmen in ein Heft gebunden, ausserdem hängen sie Sonnenzeichnungen in das Halbrund neben dem Kinderplanschbecken. Dort war im Sommer eine Wasser-Installation von Sven Bösiger aus Bühler zu sehen. Er wird jetzt beim kleinen Sprungturm einen Tropfstein aus dem Nichts wachsen lassen. Auch Fridolin Schoch ist Gast des Streunenden Hundes. Der Herisauer hatte im Sommer einen Malworkshop angeboten und Papierfächer zu einem Mobile verbunden. Im Winter wird ein übergrosser Fächer am Beckenrand bemalt: Alle neuen Kunstwerke tragen ihre Sommerversionen in sich. So auch bei Kollektivmitglied Harlis Schweizer aus Bühler: Im Sommer hat sie den Badegästen deren Lieblingsmotiv aus der Badi direkt auf den Körper gemalt. Jetzt hat sie die Bilder aus der Erinnerung wieder hervorgeholt und als Hinterglasmalerei festgehalten. Auf diese Weise sind sie nicht nur dem Vergessen entrissen, sondern zugleich wintertauglich festgehalten.

Keine Nägel, keine Löcher

Die Hinterglasbilder platziert Harlis Schweizer auf dem Fenstersims des zentralen Gebäudes und reagiert damit auf eine besondere Herausforderung in der Badi: Wie schon im Sommer dürfen an dem denkmalgeschützten Ensemble keine Löcher gebohrt, keine Nägel eingeschlagen, keine Farben aufgetragen werden. Umso erfinderischer müssen alle Beteiligten sein. Die Gaiserin Birgit Widmer beispielsweise installiert ein besticktes Leinenzelt auf der Rasenfläche des Schwimmbads. Sie erweist damit der norwegischen Malerin Anna-Eva Bermann die Referenz. Eine performative Lesung wird dieses Projekt begleiten.
Ebenfalls auf dem Rasen wird auch der Zürcher Martin Jung agieren: Mit seiner Kochperformance bereitet er dem Grünkern einen grossen Auftritt. Das Korn hat schon in früheren Zeiten viele durch den harten Winter gebracht und wird auch den Streunenden Hund und alle Gäste wärmen.