Bühnen, Baldachine, Blütenstaub
by Kristin Schmidt
In Susanne Kellers Objekten materialisiert sich ihr poetischer Blick auf die Welt. Aus unzähligen kleine Gegenständen zusammengefügt und ausgestattet mit klanglichen Fundstücken ist jede dieser Arbeiten eine Wunderkammer. Zu sehen sind vier davon jetzt in der Kunsthalle Wil.
Wil — Märchen, Legenden, historische Begebenheiten, naturwissenschaftliche Erkenntnisse, Architektur, Archäologie – Susanne Keller (*1980) nutzt vielfältige Inspirationsquellen. Die Zürcher Künstlerin beobachtet, sammelt, wählt aus und entwickelt aus ihren Anregungen und Fundstücken ein ausgesprochen vielfältiges Werk. Dazu gehören Gedichte ebenso wie Objekte, Prosatexte genauso wie Fotografien, Malereien oder Künstlerbücher. Die Kunsthalle Wil zeigt derzeit einen kleinen Ausschnitt aus Susanne Kellers aktueller Arbeit, repräsentativ ist er dennoch. Die Ausstellung enthält Objekte aus drei Werkgruppen, bei zweien gehört eine Tonspur dazu. Ausserdem sind Gedichte und Texte an die Wände gepinnt. Ein Satz daraus könnte als Motto über dem Oeuvre Kellers stehen: «Ich möchte alles auffangen, das Unendliche.» Susanne Keller versucht alles zu umfassen, vom Kleinsten bis zum Grössten, vom Einfachsten bis zum Kostbarsten. Ihre Objekte sind jedes für sich opulente Bild- und Materialwelten. In ihnen ist der Kosmos dem Sandkorn ebenbürtig und die Vogelfeder dem Vulkangestein. Einfachste Dinge wie Papier, Glitzerstaub, Kunstblumen, Plastikblätter, Schnipsel, Perlen, Pailletten, Stoff, Spitze verbinden sich unter den Händen der Künstlerin zu fragilen Gebilden, die mal einem Tempel ähneln und mal einer Theaterbühne wie beispielsweise das ‹Ferienuhrwerk› (2008). Wie in einer barocken Guckkastenbühne staffeln sich die Kulissen bis hin zum Prospekt, der hinaus in den Sternenhimmel führt. Mit Gucklöchern, Lupen und Röhren lenkt die Künstlerin die Blicke. Zu entdecken ist viel. Das gilt für alle ihre Objekte. Das jüngste der ausgestellten ist ‹Fee›, 2024, es ist das erste aus der Werkgruppe der ‹Zwischenwelten›. Susanne Keller arbeitet stets seriell. Sie setzt sich lange mit einem Thema auseinander, recherchiert, reist und verarbeitet ihre vielfältigen Eindrücke. So ist ‹Fee› inspiriert von Besuchen der Etruskerstadt Cerveteri, den dort erhaltenen Grabanlagen, der etruskischen Kultur und Religion. Im Zentrum des Objektes steht Kellers Version einer etruskischen Seepferdskulptur. Darüber breitet sich ein reich geschmückter Baldachin, umgeben ist alles von scherenschnittartigen Wellen – und dem Meeresrauschen, Stimmengewirr und Vogelzwitschern. Keller hat die Geräusche in der Umgebung von Rom eingefangen, aber auch in Zürich und Genf. Dieses Vorgehen zeichnen alle ihre dreidimensionalen Werke aus: Sie sind eine farbenfrohe Synthese von Ideen, Orten, Dingen und Geschichten.
‹Susanne Keller – Das Mädchen auf dem Seepferd aus vulkanischem Gestein›, Kunsthalle Wil, bis 23. März
kunsthallewil.ch