Grün. Grüner. Wald!
by Kristin Schmidt
Der Wald kommt gut ohne uns aus, wir aber nicht ohne ihn. Seiner zentralen Rolle für den Menschen widmen sich zwei Ausstellungen im Museum Appenzell und im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil.
Gäbe es keinen Wald, sähe das Museum Appenzell anders aus. Den Dachstock, die Treppen, die Einbauten, selbst den Grossratssaal und viele der Ausstellungsstücke gäbe es nicht. Denn sie sind aus Holz. Der Wald liefert den Rohstoff zum Bauen, zum Werken und für so vieles Andere. Mit Holz wird geheizt, geschnitzt, gedrechselt, auf Holz wird gemalt, gesessen und gegessen – und das seit langem schon. Aber Holz ist bei weitem nicht das einzige Gut des Waldes. Heute noch liefert er den Pilzfans einen Grund für ausgedehnte Streifzüge. Zu früheren Zeiten waren für die Einen Pilze, Beeren und Kräuter ein Grundbestandteil der Nahrung und für die Anderen war es das Wildbret. Von all dem und noch viel mehr erzählt die Ausstellung «Pöschelibock, Waldteufel und Laubsack» im Museum Appenzell. Den Laubsack beispielsweise kennen manche der heute über Achtzigjährigen noch als Schlafunterlage. Mit dem Pöschelibock wurde Restholz gebündelt – auch dieses war eine wichtige Wärmequelle. Der Waldteufel ist nicht etwa ein Fabelwesen, sondern ein Werkzeug zum Heben schwerer Stämme. Ihn und vieles mehr zeigt die von Kuratorin Birgit Langenegger sorgfältig zusammengestellte Schau als Exponat, anderes ist in historischen Aufnahmen zu sehen wie etwa die Rutsche, auf der die Stämme ins Tal donnerten. Spätestens hier wird deutlich, warum die ausgestellten Arbeitsstiefel so wehrhaft aussehen: Waldarbeit war oft Schwerstarbeit in unwegsamen Gelände.
Aber der Wald hat auch andere Seiten: Als er in weiten Teilen noch weg- und steglos war, galt er als verwunschener Ort. Unheimlich und gefährlich war er, finster und doch auch magisch. Damit bietet er idealen Märchenstoff. Erst im 19. Jahrhundert wird aus dem Wald der grosse Sehnsuchtsort der Romantik, bis er schliesslich von der Tourismus- und der Holzindustrie vereinnahmt wird. Auch diesen Kulturwandel klammert die Ausstellung nicht aus. So zieht im Bild «Ftan», 2012 von Hans Schweizer ein Sessellift eine Schneise durch den Wald. Harlis Schweizer hingegen lässt in ihrem Bild die Bäume bis ans Haus wachsen – oder hat sich das Gebäude in den Wald hineingefressen? Die zeitgenössischen künstlerischen Positionen bereichern die Ausstellung um wichtige Sichtweisen. Ueli Alder taucht den Wald in seinen Fotografien in aussergewöhnliches Licht: Detailscharf und pinkfarben präsentiert er sich und entzieht sich doch. Birgit Widmer übersetzt die Stille im Wald in formal reduzierte Bilder von Stämmen, Ästen und Zweigen. Marlies Pekarek ist zweien der prägendsten Märchengestalten auf der Spur: dem Wolf und dem Rotkäppchen. Eine ganze Wand füllt die St.Galler Künstlerin mit collagierten, verfremdeten historischen Illustrationen. Reine Idylle spricht aus zarten Zeichnungen der Illustratorin Käthi Bhend. Sie begeistern Kinder und Erwachsene seit Jahrzehnten. Auch Behnds grosses Vorbild Pia Roshardt ist in der Ausstellung vertreten, und ein Wald-ABC der Herisauerin Christine Gsell rundet die Ausstellung ab.
Wer dieser Waldvielfalt ein weiteres Kapitel hinzufügen möchte, sollte sich nach Rapperswil auf den Weg machen. Hier zeigt das Kunst(Zeug)Haus Rapperswil «Denn in den Wäldern sind Dinge…». So schrieb es Franz Kafka an seinen Freund Max Brod im Jahr 1918 auf eine Postkarte und weiter: «… über die nachzudenken man Jahre lang im Moos liegen könnte.» So kontemplativ bleibt es in der Ausstellung nicht. Lutz & Guggisberg beispielsweise lassen es in ihren grünen Gemälden krachen. Hier ist die Welt aus den Fugen und mit der Waldidylle ist es auch nicht weit her. Allerhand merkwürdige Gestalten wuseln umher, was sie im Schilde führen, bleibt besser offen. Viviana González Méndez haben es die Gerüche des Waldes angetan. Akribisch notiert sie, wie lange es wonach duftet, und stellt den Umfang von Moderduft und Moosgeruch, von Tannenaroma und Faulgasen in Form unterschiedlich grosser Stoffflächen dar. Der Umweltforscher und Künstler Marcus Maeder überträgt die Töne einer Kiefer im Wallis in den Ausstellungssaal: Sie knackt unter dem Einfluss der Sommerhitze. Der Gang durch die Ausstellung wird zu einer Exkursion durch die Vielfalt der Kunst: So reich und vielgestaltig der Wald, so unterschiedlich die Materialien und künstlerischen Herangehensweisen: Pilze leuchten, Tiere verwesen, ein Traktor hat sich in die feuchte Erde gegraben. Es grünt, es blüht, es wächst und vergeht. Möge der Wald erhalten bleiben.