Zwei Künstlerinnen im Zusammenklang

by Kristin Schmidt

Die Werke von Kim Lim sind in wichtigen öffentlichen Sammlungen vertreten, oft ausgestellt wurden sie zu Lebzeiten der Künstlerin nicht. Jetzt sind sie im Kunstmuseum Appenzell zu sehen: Daiga Grantina hat sich der Arbeit von Kim Lim künstlerisch assoziativ angenähert.

Appenzell — Zwei Positionen aus verschiedenen Räumen, Kontexten und Zeiten in einer dialektischen Zusammenschau – wie das funktionieren kann, zeigen Daiga Grantinas ‹Notes On Kim Lim›. Die 1936 in Singapur geborene Lim lebte ab 1954 bis zu ihrem Tod 1997 in London und arbeitete dort geschult an der Moderne und sich doch abgrenzend von dieser. Grantina, 1985 in Lettland geboren, lebt in Paris und untersucht mit abstraktem Vokabular Körper und Landschaften. Obgleich Jahrzehnte zwischen beiden Oeuvres liegen, sind die Bezüge stimmig und schlüssig. Das liegt nicht nur an den Werken selbst, sondern an Grantinas sorgfältiger Annäherung. Sie hat Lims Arbeiten im Londoner Nachlass eigehend studiert, Verwandtschaften entdeckt und lustvoll inszeniert. In jedem Raum des Kunstmuseum Appenzell hat sie zunächst ein Werk platziert und davon ausgehend nach passenden Zusammenklängen gesucht. So trifft beispielsweise Lims ‹Water Piece›, 1979 auf ‹Clinging, craving›, 2022: Die lebendige Patina der Bronzebecken findet ihren Widerhall in den Farbtupfen auf dem Edelstahlgestänge. Das Wasser spiegelt den Aussenraum neben dem Fenster des Museums. Dieses Scharnier zwischen innen und aussen korrespondiert mit der Durchlässigkeit des begehbaren Rahmens aus den geknickten Metallstäben.
Kim Lim drückt Poesie und Sanftheit in harten Materialien aus, in Marmorblöcken, Portland-Stein, Metall oder Holz. Bei Daiga Grantina sind die Werke weniger fest gefügt als flüchtig, schwer zu fassen in ihrer Form. Sie arbeitet mit Folien, Fäden, Silikon, Ästen, verbindet sie zu räumlichen Gesten in fragiler Balance. Beide Positionen verstärken einander gegenseitig: Die Präzision der einen Künstlerin trägt die Freiheit der anderen. Deren Energie wiederum wirkt zurück auf die feste, klar abzulesende Form der älteren Werke. Eine Brücke schlagen auch das Haus selbst und die Präsentation. Daiga Grantina hat Sockel entworfen, die sie «Wandvorsprünge» nennt oder «Raumecho». Diese vorkragenden, jeweils auf die gesamte Wandlänge gedehnten Konsolen heben die Skulpturen und Objekte auf über Augenhöhe. Sie fangen das Oberlicht des Hauses ein, werfen es zurück an die Wand und bringen die gezeigten Werke gleichsam zum Schweben. Die Atmosphäre in der Ausstellung ist beschwingt und doch konzentriert. Dazu passen die Stimmen im geplanten Künstlerinnenbuch: Katalin Déer wird eine fotografische Spur legen und Ilma Rakusa trägt Gedichte bei.

‹Daiga Grantina. Notes on Kim Lim›, Kunstmuseum Appenzell, bis 4.5.
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