Interview
by Kristin Schmidt
Katrin Hotz, Ueli Vogt, Kurator Zeughaus Teufen, und Kristin Schmidt, Kunstkritikerin, trafen sich am 4. April 2022 im Atelier von Katrin Hotz. Sie sprachen über die aktuellen Arbeiten der Künstlerin ebenso wie über die Entwicklung ihres Werkes. Ausgangspunkt dafür war der Entwurf der vorliegenden Monographie.
Kristin Schmidt: Die beiden Teile der Installation sind sehr unterschiedlich, auf der einen Seite fünf einzelne Elemente, auf der anderen Wand die grosse zusammenhängende Geste. Welche Entscheidungen stehen hinter diesen unterschiedlichen Formkonzepten?
Katrin Hotz: Mit diesen fünf Elementen habe ich mich für das Louise Aeschlimann und Margareta Corti-Stipendium beworben, die Ausstellung fand im Centre Pasquart in Biel statt. Die fünf grünen Formen sind mit glänzender und matter Farbe ausgeführt und mit dreifarbigen Klebestreifen befestigt. Ich habe diese Elemente im Atelier vorgearbeitet, aber sie nicht wie eine klassische Malerin im Atelier vollendet, um sie dann im Museum nur noch aufzuhängen. Ich arbeite immer vor Ort performativ weiter.
Zu Beginn habe ich vertikal gearbeitet: Ich habe Papierbahnen an der Wand von oben nach unten fallend aufgehängt. Später habe ich diese fünf Einzelteile realisiert und von da ausgehend der Wand entlang die Horizontale für mich erschlossen. Dahinter stecken Entwicklungsschritte und die Lust neues auszuprobieren. Nachdem ich mehrere Male mit der klassischen rechteckigen Form gearbeitet habe, wollte ich diese aufbrechen und versuchte mein ästhetisches Vokabular zu erweitern zum Beispiel mit einzelnen Elementen, Mehrfarbigkeit…
Die horizontal in den Raum gestreckte Arbeit im Centre Pasquart verstehe ich auch zeichnerisch: Es ist ein Strich im Raum, gleich einem riesigen Pinselstrich. Er geht über die Tür hinweg, ignoriert die Architektur, verlässt das vorgegebene Format der Wand und verdeckt teilweise die Durchsicht in den anderen Raum. Von dort aus ist das Papier auch von hinten zu sehen. Von vorn strahlt die grosse, grüne Fläche in den gesamten Raum hinein.
Kristin Schmidt: Farben eröffnen immer auch Assoziationsräume, wie bist Du zu diesem Grün gekommen?
Katrin Hotz: Die ersten Papierarbeiten entstanden in Vanille, Schwefelgelb und Rosa. Danach hatte ich Lust auszuprobieren, was im Raum passiert, wenn ich so eine kräftige leuchtende Farbe nehme. Dieses Grün trifft man in Biel oft an: bei Neubauten, Bankgebäuden, in Hauseingängen, in Praxen. Hier wurden ganze Quartiere abgerissen und durch neue Gebäude ersetzt. Diese wurden, wohl um ihre billige Bauweise zu überspielen, mit diesem «grün» versehen. Auf dieses Grün beziehe ich mich. Aber ich möchte mich nicht in die Nähe der Narration begeben und bleibe ungegenständlich. Die künstlerische Verwandtschaft zu den giftgrünen Bauten besteht im Material, in der Industriefarbe.
Ueli Vogt: Es gibt viele Grüntöne. Wie hast Du Dich für diesen entschieden?
Katrin Hotz: Ich arbeite mit Farbfächern und lasse mir den richtigen Ton mischen. Teilweise braucht es dafür mehrere Farbmischungen, um diese am Ausstellungsort ausprobieren zu können. Vor Ort studiere ich die Farbigkeit des Bodens, der Wände und Decken. Wichtig ist auch, ob es ein klassischer Museumssaal ist, ein alter Industriebau oder ein modernes Gebäude. Ausgehend von diesen Parametern wähle ich die Farbe.
Ueli Vogt: Arbeitest Du für solche raumbezogenen Werke mit Modellen?
Katrin Hotz: Ja, ich arbeite oft mit Modellen. Ich brauche einen Anfangspunkt und bereite deshalb die meisten Rauminstallationen im Atelier vor. Über die Farben und Formen stelle ich Bezüge zum Raum und zur Architektur her. Es ist wie beim Musizieren: Um Improvisieren zu können, muss man das Handwerkszeug beherrschen. Bei aller Vorbereitung im Atelier: Der Transfer an den Ausstellungsort birgt immer auch Risiken und Überraschungen. Mitunter funktioniert etwas nicht und die Elemente bleiben vereinzelt, dann wirken sie nur additiv zueinander im Raum, aber nicht als dichtes Gefüge. Auch das Werk, mit dem ich mich für das Aeschlimann-Corti-Stipendium beworben habe, ist in der Enge des Ateliers entstanden. Für mein Atelier waren die Elemente gross, sie waren wandfüllend. Im Ausstellungsraum wirkten sie kleiner und vereinzelt. Grundsätzlich war die Radikalität in der Umsetzung nicht mehr dieselbe wie im Atelier.
Ueli Vogt: Sind die Klebestreifen nur pragmatische Befestigung oder auch ein Gestaltungselement?
Katrin Hotz: Während des Aufbaus verwende ich immer Klebestreifen, weil die Installation dann noch provisorisch ist. Aber für die definitive Platzierung eines jeden Werkes entscheide ich neu, wie es an der Wand befestigt sein muss, sie kann auch an die Wand genagelt werden. Die hautfarbenen Bahnen hier im Ausstellungsraum und die gelben, wieder ablösbaren Klebestreifen bilden eine irritierende Farbkombination. In diesem Falle habe ich das Provisorische ins Fertige überführt: Ich zeige die Hängung, anstatt sie zu verstecken. Die gelben Klebstreifen werden Teil der Arbeit, werden ein zeichnerisches Element. Ich stelle das Technische aus und die Arbeit erhält durch diese Anmutung des Provisorischen mehr Leichtigkeit.
Ueli Vogt: Du willst damit keine Geschichte, sondern das Machen erzählen?
Katrin Hotz: Das Machen – die Hängung, der Farbauftrag, das Bearbeiten der Bahnen und die Wahl des Papiers – ergibt das Bild. Aber zum Machen gehört auch das Verschwinden: Der Entstehungsprozess einer Arbeit umfasst zugleich auch das Auflösen, das Zerfallen, also den Prozess, in dem eine Arbeit wieder vergeht. Dieses «Vergängliche» ist Bestandteil meiner künstlerischen Praxis und soll auch zu sehen sein.
Zu Beginn des Prozesses trage ich Farbe mit der Rolle auf die Bahnen auf. Dieses Einfärben ist eine monotone, aber schöne Tätigkeit, die mir viel Raum fürs Denken gibt. Diese Arbeit erledige ich im Atelier in mehreren Durchgängen. Durch diese vielfachen Farbschichten wirken die Papierbahnen mitunter wie plastifiziert. Teilweise trägt mehr die Farbe das Papier als das Papier die Farbe. Ich benutze verschiedene Papiere, angefangen vom grauen 60-Gramm-Zeitungspapier über Hochglanzpapier bis hin zu 200 Gramm schweren, weissen Papier. Alle Papiere sind Abfallprodukte aus den Druckereien. Wichtig ist mir, dass die Papiere keine markante Eigenfarbe besitzen.
Ueli Vogt: Ist das Papier immer nur Träger der Farbe oder entfaltet es ein Eigenleben?
Katrin Hotz: Die verschiedenen Weisstöne und Papierqualitäten sind wichtig, denn die aufgetragene Farbe bildet auf jedem Papier eine leicht andere Leuchtkraft und Haptik. Bei der Arbeit im Atelier lege ich beispielsweise die Papierbahnen mit der bemalten, noch feuchte Seite aufeinander und ziehe sie wieder auseinander. So ergeben sich auf der Oberfläche Verletzungen, welche das Papier wieder hervorholen. Oder ich fange an, aber dann geht die Farbe aus und ich lasse Leerstellen. Die ungefärbte Papieroberfläche ist für mich ein Gestaltungselement. Das gilt auch für das Material Papier als solches: Je nachdem wie ich schneide oder reisse, gibt es andere Gestaltungselemente. Diese sehe ich als Linien oder Striche, im Sinne einer Zeichnung. Wichtig ist mir, dass die Papiere in der fertigen Installation nicht wie Abfallpapiere aussehen, sondern mit ihrer Farbigkeit, den Knittern, Faltungen und Rissen eine eigenständige Ästhetik entwickeln.
Ueli Vogt: Arbeitest du immer auf eine konkrete Ausstellung hin?
Katrin Hotz: Bei der Serie «enough» arbeite ich ausschliesslich ausstellungsbezogen. Aber ich recycle auch Werke aus früheren Ausstellungen, wie Robert Ireland das in seinem Text benennt. Mitunter werden die Stücke immer kleiner bis sie verschwinden. Ich beginne immer im Atelier und überlege dort bereits, wo ich schneide, wo ich reisse. Aber auch vor Ort erfolgen weitere Überarbeitungen. Während des Ausstellungsaufbaus arbeite ich meist einen ersten Tag lang, bis mitunter sogar zuviel Material platziert ist. Dann nehme ich Teile wieder weg. Ich teste, was möglich ist, und überprüfe die Arbeit mit zeitlichem Abstand.
Kristin Schmidt: Wie gehst Du bei den ortsunabhängigen Arbeiten, bei den «tache» vor?
Katrin Hotz: Bei diesen Werken kommt es sehr auf den richtigen Zeitpunkt und auf die Schnelligkeit an: Ich giesse dickflüssige Farbe auf dünnes Papier. Dieses saugt sich schnell voll, wird feucht, weich und droht zu reissen. Damit das nicht passiert, muss ich im richtigen Moment aufhören. Wenige Minuten vergehen zwischen dem Fliessen der Farbe und dem Anfang des Aushärtens. Aber diese kurze Zeitspanne ist für mich besonders interessant. Darin entscheidet sich vieles: Wie fliessen die Farben ineinander? Wie reagiert das Material? Welche Form bleibt? Wie erreiche ich einen weichen, unbeschädigten Faltenwurf? In einem zweiten Schritt reisse ich das Papier in Form. Dabei behalte ich entweder einen Abstand zwischen Farbe und Papierkante bei oder reisse bis in die Farbe hinein. Die Farbe selbst bildet dann den Rand der Gesamtform. Beim Reissen reagiere ich auf das, was während des Fliessens mit der Farbe passiert ist.
Kristin Schmidt: Zwischen den «tache» und den «enough» bestehen also deutliche Unterschiede nicht nur in der Dimension. Die einen sind abgegrenzt und autonom, die anderen raumbezogen und ausgreifend. In welchem Verhältnis stehen die Werkgruppen zueinander?
Katrin Hotz: Die «tache» wurden ohne Raumbezug entwickelt und sind parallel entstanden. Mit den «enoughs» habe ich begonnen. Der Werktitel entstand am Ende meiner vorherigen Arbeitsphase. Damals zeichnete ich viel und arbeitete teils mit Galerien zusammen. Ich zeigte dort meine Arbeiten, aber die Anforderungen waren für mich zermürbend. Ich sollte darauf achten, hochwertiges Papier zu verwenden, die Rahmung war wichtig, das Glas musste entspiegelt sein und so weiter. Ich hatte viele Ausgaben für Dinge, die mir für meine künstlerische Arbeit nicht wichtig waren. Auf diese Weise wollte ich nicht mehr weiterarbeiten. Ich habe mir gesagt «enough», habe mein Atelier aufgeräumt, habe Zeichnungen ausrangiert, zerrissen und angefangen mit diesen Resten zu collagieren. So sind die neuen Arbeiten entstanden: Ich habe Abfälle weiterverarbeitet, habe Schichtungen gemacht, das Papier geklebt und zusammengefaltet. Ich wollte aus dem Rahmen heraus und aus den Normen. Ich wollte grosszügig arbeiten und mich befreien vom Druck, dass etwas nicht gelingen könnte. Ich wollte das Papier verschwenden, die Farbe verschwenden, masslos sein. Die Farbe habe ich mit der Rolle aufgetragen oder die Dosen direkt aufs Papier ausgeleert. Das Ganze ist aus viel Mut heraus entstanden. «enough» steht für das «Es ist genug! Es ist gut! Es genügt!» – auch wenn ich schlechtes Papier und billige Farbe verwende. Für mich war das ein Befreiungsschlag.
Kristin Schmidt: Robert Ireland verwendet für Deine Arbeiten den Begriff der «Dehnbarkeit». So reicht die Installation im Konstanzer Kunstverein nicht nur fast vom Boden bis unter das Sims, sondern auch fast über die gesamte Wandbreite und über die Ecke, das ist eine starke horizontale Geste.
Katrin Hotz: Die Arbeit ist gedacht wie ein grosser Strich, der um die Ecke geht. Sie wirkt wie eine Tapete für Gregory Sugnaux’ Skulpturen. Sie umrahmt sie und bindet sie in einen zusätzlichen räumlichen Kontext: Man kann meine Arbeit als Tapete oder Kulisse für andere Arbeiten sehen, sie kann im Raum mit anderer Kunst diese zweite Funktion einnehmen. Damit ist sie Hintergrund und bleibt trotzdem eigenständig. Dieses Schwankende, Unklare, Doppeldeutige gefällt mir. In Konstanz habe ich zum ersten Mal in dieser raumgreifenden horizontalen Dimension gearbeitet. Ich habe ein schwebendes Element entwickelt. Es ist ein komponiertes Bild, das aber nicht einfach wie eine klassische Leinwand aufhört. Ich habe dort festgestellt, mit meiner flexiblen Arbeitsweise die Ecke umgehen zu können.
Kristin Schmidt: Sehr deutlich sind Deine Arbeitsspuren zu sehen: Aus der Dekonstruktion, dem Reissen, Schneiden, Knittern, entsteht eine neue Konstruktion. Ist da auch ein Scheitern möglich oder gehört jede Spur zur fertigen Arbeit?
Katrin Hotz: Die Geste des Zerreissens und Zerknüllen beinhaltet das Misslingen. Dass dieses Scheitern gleichzeitig zu der Entwicklung der Arbeit gehört, gefällt mir sehr. Ich zerreisse Papierbahnen und kann dabei nicht zögerlich, sondern muss entschlossen sein: Wenn ich zögere oder zu langsam reisse, zeigt sich dies in unentschiedenen, zaghaften Linien. Da kann schon mal eine Papierbahn kaputt gehen. Beim Schneiden hingegen ist Kontrolle möglich. Auch das Knittern entsteht beabsichtigt. Ich nehme die Bahnen zusammen, zerknülle sie, glätte sie wieder, gebe eine weitere Farbschicht über alles. Dies geschieht in mehreren Phasen, bis ich zufrieden bin mit den Falten, Knittern, Rissen und Verletzungen.
Ueli Vogt: Denkst Du dabei auch an Häute oder an Erdfaltungen?
Katrin Hotz: Ich denke nicht in gegenständlichen oder metaphorischen Kategorien. Die Assoziationen ergeben sich oft aus der Farbe.
Kristin Schmidt: Wie bist Du von den monochromen zu den mehrfarbigen Wandarbeiten gekommen?
Katrin Hotz: Im Lokal-int in Biel habe ich meine erste mehrfarbige Arbeit realisiert. Vorher habe ich monochrom gearbeitet. Der Offspace bietet eine sehr gute Möglichkeit, um Neues auszuprobieren. Ich hatte eine Auswahl an Farben als Ausgangsmaterial und habe zusätzliche hinzugefügt.
Ueli Vogt: Hast Du im Lokal-Int im Sinne einer Versuchsanordnung gearbeitet?
Katrin Hotz: Wenn ich einen Anfang gefunden habe, reagiere ich darauf. Ich agiere wie eine Malerin mit der Farbe. Ich setze eine Farbe, überdenke sie wieder, lösche sie vielleicht wieder aus. Meine Arbeit mit den Farben und den Formen entsteht aus der Improvisation.
Ueli Vogt: Wie viele Farben hast Du im Repertoire?
Katrin Hotz: Ich habe derzeit ungefähr hundert Farben in der Auswahl. Das ist wie ein sich ständig erweiterndes Setzkastensystem. In einen Ausstellungsraum komme ich mit genügend Material und Farben, damit ich grosszügig denken und arbeiten kann. Ich wechsle zwischen Farbharmonien und Kombinationen, die weh tun wie Senfgelb und Beige oder Blau und Violett.
Kristin Schmidt: Im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil hast Du eine Installation neben einer Treppe realisiert. Das ist eine ungewöhnliche Ausstellungssituation. Wieviel Widerstand darf oder soll ein Raum Deiner Kunst bieten?
Katrin Hotz: Dieser Platz im Kunst(Zeug)Haus hat mich gereizt, weil diese Treppe das Parterre und das Obergeschoss verbindet. Ich habe dadurch die Wand verlassen und vom Parterre aus nach oben gearbeitet und alles aus ganz verschiedenen Perspektiven heraus konstruiert. Dank dieser besonderen räumlichen Situation konnte ich horizontal, vertikal und in die Tiefe arbeiten. Die Arbeit konnte auch von oben in der Draufsicht angeschaut werden. Sie war nie vollständig zu sehen. Ich mag die Herausforderung, die neue architektonische Gegebenheiten für mich bedeuten. Eine Auseinandersetzung mit einer räumlichen Situation bedeutet für mich die Chance, zu reagieren und offen zu sein für einen anderen Ausdruck, eine mir noch unbekannte Arbeitsweise.
Kristin Schmidt: Auf der sehr langen Wand im Kunstraum Engländerbau in Vaduz verwendest Du grossflächige Papierbahnen neben deutlich kleineren Papierfetzen. Nach welchen Prinzipien hast du gross und klein kombiniert und das richtige Mass gefunden?
Katrin Hotz: Ich habe im Atelier angefangen, mit alten Arbeiten zu collagieren, um ihren Reliefcharakter herauszuarbeiten. Damit habe ich in Vaduz eine Mischform realisiert: Die grossen Stücke ziehen sich auf der ganzen Wand von vorne bis hinten durch. Teilweise hängen sie über- oder untereinander und unter den Collagen. Zum ersten Mal habe ich in Vaduz auf die Wand gekleistert. Das Papier auf der Wand hat den collagierten Papieren weitere Ebenen hinzugefügt und genau darum ging es mir: Ich habe versucht, mehr Tiefe herauszuholen und weitere Gestaltungsebenen. Die Arbeit als Ganzes hat eine Melodie, einen Ablauf. Ich denke da in musikalischem Sinne nicht an einzelne Töne, sondern sehe das als Arrangement mit mehreren Stimmen. Sie spielen zusammen, gehen aufeinander ein oder lassen einander den Vortritt. Ich rede gerne von Rhythmen und Improvisationen oder davon, einer Farbe ein Solo zu gewähren. Ich versuche Harmonien und Disharmonien zu finden. Mal wird es kleinteiliger, nervöser, dann wieder ruhiger. Allerdings muss es keine feste Leserichtung geben. Ich vergleiche das gerne mit Adolf Wölfli. Seine radikalen, aber auch verführerischen Arbeiten faszinieren mich sehr. Bei seinen kompakten Bildentwürfen stellt sich auch mitunter das Gefühl der Überforderung ein. Auch bei meiner Arbeit in Vaduz konnte dies passieren.
Kristin Schmidt: Deine Arbeit im Zeughaus Teufen erinnert mich an die zwei Qualitäten eines Vorhanges: Sie ist selbst Objekt, nimmt aber auch eine starke räumliche Funktion des Trennens, Teilens und Verbergens ein. Ist das für Dich ein legitimer Vergleich?
Katrin Hotz: Die aufrechtstehenden Balken gliedern das erste Obergeschoss des Zeughaus Teufen sehr stark. Zunächst hatte ich zwei der Öffnungen mit herabhängenden Bahnen verschlossen. Das habe ich aber wieder verworfen, weil es auf die gesamte Raumlänge hin einen Schlauch ergeben hätte. Ich habe dann mit schräg und horizontal platzierten Bahnen gearbeitet und die Segmente zwischen den Balken nur teilweise mit Papierbahnen verschlossen. Damit habe ich bewusst versucht, den Eindruck von Stoff oder Tüchern zu vermeiden, gerade weil auch einige Bahnen an der Decke befestigt sind. Die horizontalen und schrägen Bahnen durften auf keinen Fall durchhängen. Doch ich bin ans Limit des Materials gekommen. Es hat nicht genug Spannkraft, aber eine aufwendige Konstruktion zur Stabilisierung gehört nicht in mein künstlerisches Konzept. Also habe ich für einige Bahnen dickeres Papier verwendet und haben die Bahnen sich gegenseitig stützen lassen. Ich habe also mit der Installation den Eindruck hängender Tücher bewusst vermieden, dennoch ist der Vergleich mit Vorhängen richtig: Die Papiere trennen und teilen den Raum, sie verbergen Raumteile und lenken den Blick auf Raumöffnungen, aber mit ganz anderen materiellen Voraussetzungen als textiler Stoff sie bietet.
Ueli Vogt: Ich verstehe Deine Installation im Zeughaus Teufen als ein begehbares Bild.
Katrin Hotz: Wie im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil konnte man das Werk in Teufen nie als Ganzes erfassen. In Rapperswil arbeitete ich dreidimensional, hier im Zeughaus Teufen dreidimensional und zusätzlich mit vorne, hinten, aussen innen: Beim Wechsel von einem Gang in den anderen waren die Rück- oder Vorderseiten der Bahnen zu sehen. Zugleich zeigten sich immer nur Ausschnitte. Je nachdem durch welche der vielen Öffnungen auf die Installation geblickt wurde, veränderte sich die Ansicht. Immer wieder konnten überraschende und schöne Kompositionen ausgewählt oder Ordnungen und Logik gesucht werden, aber nie war ein Überblick möglich. Es waren gewissermassen viele Bilder statt nur ein einziges.
Ueli Vogt: Diese Arbeit ist ein Meisterwerk an Präzision und Gelassenheit. Geschnittene, gerissene Elemente sind austariert in allen Ebenen.
Katrin Hotz: Das hat viel mit Deinem Haus zu tun; und damit wie Du arbeitest. Du hast mich immer wieder zum Weiterarbeiten ermutigt. Dieser Austausch war sehr bereichernd. Die Farben sind im Inneren der Arbeit, ihr Aussenraum ist weiss. Aber mit den um die Pfosten gewickelten Bahnen kommt der Farbton auch auf der Rückseite an. Auch für das Weiss in dieser Mehrschichtigkeit ist immer eine Entscheidung notwendig. Ich bin ursprünglich Typografin, dieser Blick prägt mich bis heute. Eine Typografin arbeitet mit Weissraum, Negativraum, kontrolliert die Abstände, prüft, ob der Rhythmus aber auch die Logik im gesetzten Text stimmt und ob der Satzspiegel die Spannung hält. Genau so versuche ich meine Bilder zu setzen.
Kristin Schmidt: Im Zeughaus Teufen hast Du zum ersten Mal mit textilen Stoffen gearbeitet. Wirst Du diese Arbeit weiterverfolgen?
Katrin Hotz: Die Stoffe hängen zusammen mit meinem Wunsch, in den Aussenraum zu gehen und trotzdem vom Material her leicht, flexibel und wiederverwertbar zu bleiben. Ich bin schon länger auf der Suche, wie sich meine Arbeit in den Aussenraum übertragen lässt. Angeregt haben mich die Graffitis und gereizt die Industriebrachen. Deren vorhandene Wände würde ich gerne nutzen, auch um nicht unbedingt angewiesen zu sein auf eine Institution. Dort dürften meine Arbeiten dann auch abblättern und vergehen. Diese Vergänglichkeit aufzuzeigen, reizt mich. Aber vielleicht könnten die Stoffe eine unabhängigere Alternative sein. Der zweite Teil der Ausstellung in Teufen «vent favorable» ging dann vom Innenraum an die Wand: auf einer Wand im Innenraum arbeitete ich mit Papier, auf der anderen Seite, der Aussenwand mit Stoff. Die Stoffe wurden geformt mit Hilfe von Schnüren und Bändern, teils von einem Stockwerk zum anderen.
Kristin Schmidt: Einen anderen neuen Aspekt weist Deine Installation anlässlich des «Heimspiel 2021» in der Kunst Halle Sankt Gallen auf. Dort hast Du gewickelte Elemente frei in den Raum gehängt. Wie wird es damit weitergehen?
Katrin Hotz: Mit den «enough» habe ich hier einen neuen Weg eingeschlagen. Mit Stoffbahnen habe ich das Papier geformt, aber auch umgekehrt. Es ging mir darum, meine Arbeit von den Wänden zu befreien. Dieser Idee folgen auch die teilweise ausgerollten Bahnen am Boden, die zugleich Farbbahn und dreidimensionales Objekt sind. Ich kann mir vorstellen, bei einer nächsten Ausstellung stärker skulptural zu arbeiten, zugleich zieht es mich immer wieder zurück zum Bild, zur Zweidimensionalität.
Ueli Vogt: Du hast in der Kunst Halle Sankt Gallen auch auf eine neue Art aufgeklappte Rückseiten gezeigt.
Katrin Hotz: Ja, und das lässt sich auf die Ausstellung in Teufen zurückführen, wo die Rückseiten auch zum Bild wurden. So habe ich angefangen in der Kunsthalle die Papiere bewusst zu falten, um auf diese Weise mit der Rückseite, dem Papierweiss ein zusätzliches Gestaltungselement und eine weitere Ebene zu bekommen.
Kristin Schmidt: Konrad Tobler vergleicht in seinem Text Deine Wandarbeiten mit Tapisserien. Diese Papierbahn mit den dicht gesetzten runden Formen, die sogar links und rechts angeschnitten sind, hat sogar noch eine grössere Nähe zur Tapisserie.
Katrin Hotz: Dies ist ein Bild aus der letzten Serie vor dem grossen Schritt zu den installativen Wandarbeiten. Dort haben sich später benutzte Elemente bereits eingeschlichen. So reicht die Papierbahn nicht nur auf den Boden, sondern von der Wand weg noch ein Stück weiter in den Raum und somit in die Dreidimensionalität. Die fliessenden Linien der auf dem Papier herabrinnenden Farbe stehen zwischen meinen Zeichnungen und den «enough». Auf letztere verweist auch bereits das grössere Format.
Kristin Schmidt: Bei der Installation im KASKO in Basel fallen die dünnen Stäbe auf, die als dreidimensionale Linien wirken. Waren sie für Dich ein zeichnerisches Element?
Katrin Hotz: Diese Arbeit war die zweite nach meiner Aufräumaktion, die ich ausgestellt habe. Dort habe ich Eisenstäbe integriert. Sie haben einerseits die Blätter gehalten und ihnen Form gegeben, andererseits waren sie ein gestaltendes Element. Sie stehen in deutlichem formalen Kontrast zu den Papieren. Vorher gab es Holzlatten, die ich als Struktur eingesetzt habe. Auch sie können auf einfache Art Form geben und festigen. Später sind diese Stäbe und Latten weggefallen, weil ich die Arbeit weiter vereinfachen wollte. Ich habe mich entschieden, mich ganz aufs Papier zu konzentrieren. Ich suche ganz bewusst nach einer sehr ephemeren, leichten Arbeitsweise. Dazu gehören auch die genutzten Materialien. Ich möchte einfach und grosszügig Arbeiten können, und am Schluss meine Papiere wieder zusammenrollen. Ich verwende das Material wieder, bis es verbraucht ist.
Kristin Schmidt: Anlässlich Deiner Wandinstallation für das «Heimspiel 2018» im Kunstmuseum St.Gallen sind zunächst alle Bahnen nebeneinander auf dem Boden zu sehen. Wie hast Du den Kontrast von dieser horizontalen Auslegeordnung zur fertigen Wandarbeit erlebt?
Katrin Hotz: Der ganze Boden des Oberlichtsaals war gefüllt mit den Papierbahnen. Dann habe ich die Menge auf eine Fläche an der Wand verdichtet. So arbeitete ich nicht nur hier im Kunstmuseum: Ich rolle die Bahnen im Atelier auf und breite sie im Ausstellungsraum wieder aus. Besonders wenn die Bahnen farbig sind, ergeben sich horizontal liegende Kompositionen, die nur auf diese Weise entstehen können. Eigentlich könnten diese Arbeiten dann bereits als Bodenarbeit eine Gültigkeit entfalten. Aber ich habe das bisher nicht als ausschliessliches Vorgehen probiert, noch nicht.
Kristin Schmidt: Du hast einmal erwähnt, dass Du bei der Installation eines Werkes Kontrolle abgibst und Zufälle zulässt. Wieviel Arbeit auf Probe ist dabei möglich oder nötig? Und wie läuft dieser Prozess ab?
Katrin Hotz: Die Kontrolle sind alle bereits zuvor realisierten Arbeiten. Dieses Eingehen auf verschiedene Ausstellungssituationen gibt mir eine gewisse Erfahrung. Trotzdem muss ich an jedem neuen Ort ausprobieren – an die Grenzen des Möglichen in dieser Raumsituation gehen. Das bedeutet auch aushalten. Wenn eine Anordnung nicht gut ist, muss ich ausharren, bis ich weiss, was zu ändern ist. Die Papiere sind empfindlich und darum muss ich aufpassen, sie so wenig wie möglich zu manipulieren. Der Zufall kommt auch ins Spiel, wenn sich etwa eine Bahn löst und zerreisst. Daraus können sich schöne Situationen ergeben, welche ich nicht bewusst arrangiert hätte.
Ueli Vogt: Demnach ist der Ausstellungsaufbau ein Risiko, aber ein kontrollierbares Risiko?
Katrin Hotz: Ich weiss beispielsweise, dass es Weissraum braucht, dass die Elemente miteinander kommunizieren, dass sie sich zu einem grossen Ganzen fügen müssen. Bei der Arbeit im Atelier bin ich immer räumlich am Limit. Da kann ich zwar Ideen entwickeln und teilweise ausprobieren, aber danach muss ich vor Ort entscheiden und reagieren. Da ich am Ausstellungsort selbst arbeite, bin ich zeitlich limitiert, so entstehen meine Installationen unter einem gewissen Druck. Es gibt 100 mögliche Varianten. Dadurch kann es auch sein, wenn ich auf die Ausstellung zurückblicke, dass ich in der Rückschau andere Entscheidungen treffen würde.
Ueli Vogt: Wie bist Du hier bei Deiner Farbentscheidung vorgegangen?
Katrin Hotz: In Muttenz habe ich «aus der Reserve» gearbeitet. Ich hatte eigentlich Neonorange vorgesehen, dies gab es jedoch nicht als Lackfarbe. Nur die letztere hat die Elastizität, welche ich für meine Papierbahnen brauche. Also habe ich auf das bestehende helle Gelb zurückgegriffen, dies auch budgetbedingt.
Kristin Schmidt: In der Aufnahme Deines Aufbaus in der Kunst Halle Sankt Gallen sind die gewickelten im Raum hängenden Elemente noch nicht zu sehen. Wann und wie kamen sie ins Spiel?
Katrin Hotz: Zunächst habe ich meine Arbeit für eine Wand konzipiert. Aber dann wurde mir die ganze Raumecke zugewiesen. Das bedingte eine deutlichere Dreidimensionalität. Zusätzlich zur Arbeit über die Ecke hinweg habe ich die beiden Wände mit den frei in den Raum gehängten Elementen verbunden. Sie sind eigenständig von den Deckenträgern herab platziert, verbinden sich jedoch durch Farbe und Materialität von jedem Blickwinkel aus mit den Papierbahnen an den Wänden dahinter und stehen zugleich in einem Dialog mit der auf dem Boden teilweise ausgerollten Papierbahn. Letztere und die hängenden Elemente folgen einem stärker skulpturalen Weg.
Katrin Hotz, enough, Vexer Verlag, St. Gallen und Berlin 2023, S. 67–114