Kooperationen auf der Insel

by Kristin Schmidt

Die 17. Ausstellung der Kunsthalle[n] Toggenburg führt in Nesslau ein sehenswertes Inseldasein: Auf Helgoland in der Thur haben knapp zwanzig Künstlerinnen und Künstler für zwei Wochen eigens entwickelte Werke installiert.

Wer nach Helgoland reist, nimmt die Fähre oder den Helikopter – oder die S2 Richtung Nesslau-Neu St. Johann. Vom Endbahnhof der S2 sind es 15 Minuten zu Fuss; am Feldrain und ein Stück der Thur entlang und schon kommt die Insel in Sicht. Nicht jene in der Nordsee freilich, aber ihre Namensschwester im Toggenburg: «Helgoland» ist im Gemeindeverzeichnis als offizieller Name des 1808 m2 grossen Eilands vermerkt. Zustande kam er während des ersten Weltkrieges, als Flüchtlingskinder aus Norddeutschland auf dem Kloster-Areal des Johanneums aufgenommen wurden. Für viele ist das Landstück aber einfach das Inseli: eine kleine, grüne Oase mit Kapelle und Grillplatz, mit Blockhütte und Baumschaukel – und nun für zwei Wochen mit Kunst.
Helgoland ist in diesem Jahr Schauplatz des 17. Ausstellungsprojektes der Kunsthalle[n] Toggenburg: «1808 m2» ist eine Ausstellung unter freiem Himmel, jederzeit zugänglich und ohne Kasse. Das inoffizielle Motto dieses Jahr sind die Kooperationen, die Arbeit an Aufgaben, die sich gemeinsam viel besser bewältigen lassen. Wie genau dies umgesetzt wird, war den Künstlerinnen und Künstlern freigestellt. So haben sich Duos gebildet oder es wird mit Mikroorganismen kooperiert oder das Wasser arbeitet mit. Auch die Menschen aus dem Johanneum haben mitgewirkt. Sie strickten gemeinsam mit Madame Tricot wollene Pilze, die über das ganze Areal verteilt aus dem Boden zu schiessen scheinen. Pilze, verbunden durch ihr Myzel, sind das perfekte Bild für erfolgreiches Netzwerken.
Auch Hanes Sturzenegger integriert Mikroorganismen in sein Projekt: «Bleibe» ist von aussen wenig mehr als ein schlichter Holzkasten unter dem First des Blockhauses. Innen jedoch reproduzieren sich lokale Mikroorganismen. Deren Enzyme dienen dann schliesslich der Verfeinerung von Speisen, hier wird experimentell eine kulinarische und künstlerische Zusammenarbeit erprobt. Wie «Bleibe» wirken einige Werke im Verborgenen, andere fallen stärker ins Auge. So beispielsweise die leuchtend pinkfarbene «Femme Fatale» von Müller Tauscher. Sie sitzt an der Feuerstelle und will all jenen, die zum Bräteln kommen, auf die Grillspiesse schauen: Steckt dort Veganes oder Fleischliches? Lasst Euch das Würstli schmecken, aber denkt mal drüber nach…
Andere gesellschaftliche Fragen thematisieren Marc Lohri und Simon Fürstenberg oder Doris Willi und Martin Benz. Das erstgenannte Duo hat «Vorzeichen der Veränderung» ausgesteckt: Die hohen Visierstangen spielen auf Bauprojekte an, die im Landschafts- und im Stadtraum der dicht besiedelten Schweiz regelmässig für Diskussionen sorgen. Auf der kleinen Insel fallen sie in ihrer Grösse – auch im Vergleich zur Kapelle – besonders ins Auge. Direkt daneben haben Benz und Willi eine Lochkamera platziert und ein Beobachtungsfeld umrissen. Wer oder was hier zu welchen Zeiten aufgenommen wird, bleibt im Dunkeln des schuhkartongrossen Kastens verborgen. Sind es die Leute im Hamsterlaufrad? Simon Kindle und Vincent Hofmann haben «Das Eirad» installiert. Es erinnert an Kleintierzubehör und lässt sich benutzen. Für das Publikum bleibt es allerdings gesperrt, denn das bewegliche Oval ist nicht ganz ungefährlich – so wie das ganze Leben mit seinen Aufs und Abs. Bei letzteren helfen manchen Menschen Lebensweisheiten oder die Nähe zur Natur. Darauf beziehen sich Rebecca Koellner und Claudia Zimmer mit «Der Fluss nimmt uns mit». Sie haben auf Baumstämme lyrische Sätze geschrieben und regen zu einer bewussteren Wahrnehmung der Natur und des Selbst an.
Einen «Perspektivwechsel» inszeniert Sonja Rüegg. Sie kooperiert mit arthur#12 und wandelt eine frühere Installation ab: Sie bringt Spiegel an der Schutzhütte auf der Insel an. Sie lassen die Hütte verschwinden, indem sie die Natur reflektieren – eine ebenso schöne wie hintersinnige Geste: Wo hört die Natur auf, wo fängt sie an? Wie bewegt sich der Mensch in ihr? Dazu passt «Meins» von Rosemarie Abderhalden und Ursula Anna Engeler. Die beiden haben zwei Quadratmeter Inselfläche abgesteckt und eine Hängematte darüber gebunden. Damit thematisieren sie sowohl den menschlichen Raumbedarf in der Natur wie auch die Bedeutung der Natur fürs Wohlbefinden.
Spätestens beim Verlassen der Insel kommen die «Lichttöggel» in den Blick: Marcel Cello Schumacher kooperiert mit der Thur. Mehrere Dutzend Schwimmkörper aus dem Angelbedarf hängen geordnet über dem Fluss. Das Wasser versetzt die neonfarbenen Töggel in Bewegung und sorgt für ein sich ständig änderndes, eindrückliches Bild. Auch Sebastian Herzog und Nico Feer nutzen die Kraft der Thur: Sie haben an der Brücke zwei Velos installiert, deren Räder sich dank des Flusses drehen und die «Thur-Velharmonie» zum Klingen bringen.
Nach dem Rundgang grüsst noch einmal die «Hüterin der Tiefe», sie hat das Publikum bereits willkommen geheissen. Andy Storchenegger hat diese Beschützerin mitten im Fluss installiert. Sie wacht über alles: die Menschen und das Wasser, die Natur und den Ort, die Kunst und die Enten, die unbeeindruckt um sie herumschwimmen.