«Zum Glück gibt es die Malerei.»

by Kristin Schmidt

Sonja Hugentobler malt die Weite. Ihre Gemälde bewegen sich zwischen Abstraktion und Landschaft, zwischen draussen und drinnen. Das Hauptmotiv der Bilder ist die Malerei selbst.

Fenster verbinden. Sie ermöglichen Blicke von innen nach aussen, von draussen nach drinnen. Sie zeigen die Welt in einem rechteckig gerahmten Ausschnitt. Anders die Bullaugen: Wer durch ein Bullauge blickt, sieht die Welt rund, sieht sie in ihrer Weite und erahnt vielleicht sogar die Erdkrümmung. Denn Bullaugen sind Fenster des Reisens, sie zeigen die Welt aus der Vogel- oder Schiffsperspektive. Mit diesem Blick beginnt Sonja Hugentobler ihre malerischen Erkundungen. So setzt sie in der Serie «Bullauge» oder in «Blickwinkel» in hochrechteckige Formate ein grosses Oval. Es rahmt eine lebendige Farbfläche. Sonja Hugentobler experimentiert hier mit Materialien und Tonwerten: Mal liegt eine wässrige, türkisfarbene Schicht wie ein Film über dunkler Ölfarbe und perlt ab. Mal ziehen sich helle Streifen Blitzen gleich über das Dunkel. Oder eine homogene Farbfläche liegt schwebend über hellerem Grund.
Die nahezu quadratischen Grossformate «Lookout» oder «Tapisserie» hingegen zeigen ein offenes Rund ohne eigene Umrandung. Wie ein Guckloch gibt es den Blick frei auf Andeutungen dessen, was die Seherfahrung als Landschaft klassifiziert. Diese Assoziation entsteht einerseits durch die mit locker gesetzten, ausfasernden Pinselstriche, die eine Küstenlinie formen oder bebautes Land. Andererseits wird sie hervorgerufen durch die verwendeten Farben: Hellblau, graublau, blassblau, türkis, hellgrau, azurblau – die Vielfalt der Töne erinnert an die Farben des Meeres und des Himmels. Ausserhalb der Tondi setzen sie sich in einer ungegenständlichen Fläche fort oder deuten wie in «Lookout» ein weiteres dreidimensionales Element an: Ist das ein Bullauge neben dem Bullauge? Sonja Hugentobler legt Fährten aus, reduziert sie wieder oder arbeitet sie deutlicher heraus: «Wenn etwas entsteht, entscheide ich, es entweder hervorzuheben oder im Ungefähren zu belassen.» Jedes der Bullaugen kann sowohl als gegenständliches Motiv aber auch als geometrische Bildform gelesen werden. In «Hafen für ein Geisterschiff» fehlen sie ganz. Oder ist das Auge dem Fenster so nahe gerückt, dass seine Grenzen nicht mehr zu sehen sind? Sonja Hugentobler porträtiert keine konkreten Situationen, sondern erforscht ihren Weg zum gemalten Bild.

Publikation, Bullaugen 1, Leporello, Trogen 2023