Jay Chung und Q Takeki Maeda/John Miller
by Kristin Schmidt
Glarus – Pyramiden sind mathematische Körper oder bauliche Zeugen alter Kulturen. Sie sind entweder variabel aus Linien konstruiert oder stehen, fest aus Steinen gefügt, im Zentrum von Vermutungen, Untersuchungen und Spekulationen. Was gilt? Es kommt drauf an. Jay Chung und Q Takeki Maeda interessieren sich für solche Konstruktionen, Interpretationen und Aneignungen. Ihrer Ausstellung im Kunsthaus Glarus legen sie ein Werk zugrunde, das selbst als Spielfeld taugt zwischen Faktischem und Mehrdeutigkeit: ‹GNOMONS 髀› bezieht sich auf einen der ältesten chinesischen, mathematischen Texte, bekannt als ‹Die Neun Kapitel der Rechenkunst›. Die Wurzeln dieses Handbuchs reichen bis ins erste vorchristliche Jahrtausend zurück. Die darin enthaltenen 246 Texte aus den Anwendungsgebieten Bautechnik, Landwirtschaft und Handel sind nicht nur Rechenaufgaben, sondern lassen Rückschlüsse zu über das Zusammenleben im antiken China. Jay Chung und Q Takeki Maeda übersetzen ausgewählte dieser mathematischen Problemstellungen in ein komplexes System aus Zeichnungen, Objekten und Fotografien. So stehen gebündelte Aluminiumstangen für die Geschwindigkeit, die Einzelteile eines Pfeiles herzustellen. Kleine, paarig angeordnete Polyeder aus Quarzsand veranschaulichen den Wechselkurs zwischen zwei Gütern. Fotografien brachliegender Felder verweisen darauf, wie eine Fläche berechnet werden kann aus dem zu Fuss abgeschrittenen Umfang. Alle sorgfältig platzierten Elemente sind gleichwertig und passen in ihrer unaufdringlichen Präzision zur klaren, filigranen Architektur des Kunsthaus Glarus. Das ihnen zugrundeliegende Geflecht an Assoziationen erschliesst sich zwar schwerlich auf den ersten Blick, hat aber dafür das Potential umso länger nachzuwirken. Dagegen bietet die parallele Ausstellung von John Miller einen schnelleren Zugang. In seinen Bildern überblendet der Künstler urbane Motive mit ungegenständlichem Gestus und entwirft einen amerikanischen Typus heroischer Landschaftsmalerei. Im Video ‹Maybe Next Time›, 2024 fasst er heutige Dilemmata zusammen: Verlorene Mobiltelefone, kranke Haustiere, drückende Deadlines, Unwohlsein – Satz für Satz formiert sich vor grauer Stadtkulisse. Die Entschuldigungen, Ausflüchte und Malaisen spiegeln ein bekanntes, aktuelles Lebensgefühl. Damit gibt es eine Klammer zwischen den voneinander unabhängigen Ausstellungen: In beiden scheinen Realitäten des Zusammenlebens auf – mal die des antiken China, mal die Hier und Heute. KS
Jay Chung und Q Takeki Maeda, ‹GNOMONS 髀›, bis 24.11.
John Miller, ‹The Ruin of Exchange›, bis 24.11.
kunsthausglarus.ch