Kulturerbe ist … Velos sammeln
by Kristin Schmidt
Museen stellen Kulturgüter aus. Wird ein Velo zum Kulturgut, sobald es in einem Museum ausgestellt ist? Oder wird ein Velo im Museum ausgestellt, weil es ein Kulturgut ist? Daniel Bartholdi vom Velomuseum Rehetobel muss für eine Antwort nicht lange überlegen: «Ein Velo muss entweder eine spannende Geschichte haben, die es museal macht, oder eine Seltenheit sein oder ein besonders schönes Stück. Damit decken unsere Sammlungen eine grosse Breite ab: Wir können gesellschaftliche Gegebenheiten ebenso reflektieren wie technische Entwicklungen.» Es gibt sogar Velos, die alle drei dieser Kriterien erfüllen. So steht im Obergeschoss des Velomuseums ein 130jähriges Rudge-Hochrad: «Wir haben dieses Velo aus erster Hand erhalten. Sein Besitzer gehörte zur Textilfamilie der Firma Meyer Mayor im Toggenburg. Das Velo ist in einem fantastischen Zustand. Es wurde nie restauriert, nie übermalt. Man sieht das Leben des Objektes genauso wie die Originallineatur auf Rahmen und Felgen.» Aber auch ein Velo, das weniger selten oder weniger alt ist, hat seinen Platz im Velomuseum, beispielsweise das Gefährt des Musikers und Blattstichwebers Hans Rechsteiner-Baumgartner aus Trogen. Für sein Hackbrett hatte er eigens auf dem Gepäckträger ein Brett mit Seil montiert, das Oberrohr ist blankpoliert von der Notentasche. Dieses Velo ist über 70 Jahre alt und erzählt nicht nur über die damalige Mobilität, sondern auch über Leben und Arbeit im Appenzellerland.
Wenn Daniel Bartholdi über die Stücke des Museums spricht, klingt eine grosse Portion Enthusiasmus mit. Sie trieb bereits die beiden Museumsgründer vor dreissig Jahren an: François Cauderay und Hansueli Zuberbühler zwei velobegeisterte Rehetobler haben sich damals zusammengetan und ihre Sammlungen gemeinsam der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Aber wie kann der Funke überspringen? Wie kann das Interesse auch anderer Menschen als der pedalierenden Spezialisten für alte, ausgefallene oder aufwendige Velokonstruktionen geweckt werden? Das gelingt unter anderem, weil die Stücke nicht in Vitrinen oder auf Sockeln stehen, sondern lebendig bleiben: «Unsere Velos können in einer grossen Vielfalt ausprobiert werden. Das gilt auch für rare Velos oder solche, deren Funktionsweise kaum bekannt ist und die auch teilweise schwierig zu fahren sind.» Tabu für den Gebrauch sind nur ganz wenige Stücke. Etwa die «Landquarter» von 1869 aus der ersten Schweizer Fahrradproduktion. Es ist das besterhaltene Stück seiner Art. Das Velomuseum Rehetobel ist hier in nicht nur Kulturvermittler, sondern auch -bewahrer: «Sammeln ist auch Verpflichtung und Arbeit. Wir wollen die Velos in einem möglichst originalen Zustand erhalten, denn eine Schraube ist nicht nur eine Schraube.»
Obacht, KULTURERBE, No. 47 | 2023/3