Was ist Malerei heute?

by Kristin Schmidt

Wenige Meter entfernt vom Ittinger Klostergarten entfernt gibt es eine zweite Idylle: Olga Titus hat den Gewölbekeller des Kunstmuseum Thurgau in eine paradiesische Grotte verwandelt. Licht, Farben, Motive überlagen sich und fluten den Raum. Mit ihrer Installation, den Lenticulardrucken und Paillettenbildern erneuert die Künstlerin die Malerei.

Das Paradies ist im Keller. Zuhinterst im dunklen Gewölbe. Dorthin hat es sich zurückgezogen, dort hat Olga Titus es wiedererweckt. Die Künstlerin hat im Untergeschoss des Kunstmuseums Thurgau eine neue Version des Garten Eden entworfen. Während sich Meldungen über Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Artensterben und invasive Neozoen aneinanderreihen, grünt und blüht es in Olga Titus´ Welt. Seen glitzern. Bäume, Farn und Berge fügen sich zu einer pittoresken, den ganzen Raum umspannenden Szenerie. Sie ist geschmückt mit Blüten, garniert mit Früchten, hie und da spriesst ein Pilz. Ein Bein streckt sich ins Bild oder ein anderes anthropomorphes Zeichen. Aber der Mensch ist hier nicht bedrohlich, seine Spuren fügen sich harmonisch ins Ganze. Die Natur ist im Gleichgewicht. Ein Idealzustand also – einer allerdings, der wie so Vieles heute nicht ohne Strom und Digitalisierung auskommt.
Olga Titus ist mit ihrer Arbeit auf der Höhe der Zeit. Sie arbeitet mit digitalen Medien, mit zeitgenössischen Drucktechniken und am Computer erzeugten Bildkonglomeraten. Ein wichtiges Element ihrer jüngeren Arbeiten sind zudem Lenticulardrucke. Die Technik selbst ist seit langem bekannt und verbreitet. Genutzt wird sie beispielsweise seit Jahrzehnten für Postkarten mit optischen Kippmomenten. Dafür wird ein Motiv gleichzeitig aus zwei oder mehreren Blickwinkeln heraus aufgenommen. Die Negative werden durch das Linsenraster belichtet, und winzige Linsen oder Prismen erzeugen einen dreidimensionalen Eindruck oder einen Wackeleffekt bei Bewegungen vor dem Bild. Dafür wurden früher analoge Fotografien verwendet. Olga Titus hingegen setzt vollständig auf digitales Material. Sie kombiniert eingescannte analoge Fundstücke, vorhandene digitale Bilder und eigens am Computer erzeugte Motive. Alles fügt sich nahtlos zueinander, Eines geht ins Andere über, die Farbenvielfalt ist ebenso gross wie das Formenvokabular. Dank des Lenticularverfahrens entstehen tiefe Bildräume aus mehreren, räumlich anmutenden Schichten. Zentimeterweise ändert sich je nach Blickwinkel die gesamte Ansicht. Am besten lässt sich im ersten Ausstellungssaal erkennen. Dort zeigt Olga Titus einzelne Lenticulardrucke. Bei jeder Bewegung vor den Bildern ändert sich der überbordende Detailreichtum des Linsenrasterbildes. In diese postergrossen Hochformate sind überdies Videoobjekte integriert, die ebenfalls dafür sorgen, dass kein Motivmoment dem anderen gleicht.
Olga Titus hat schlüssige Wege gefunden, die Malerei mit digitalen Mitteln zu erneuern. Sie selbst ist noch mit klassischer Malerei ins Kunststudium eingezogen. Inzwischen gehören zu ihren Bildexperimenten auch monumentale Formate aus Wendepailletten. Diese Technik wurde vor Jahrzehnten in St.Gallen erfunden und in der Haute Couture eingesetzt. Inzwischen hat sie den globalen Textilmarkt erobert – und wird von Olga Titus für die Kunst genutzt: Die Pailletten werden auf beiden Seiten mit ungegenständlichen Motiven bedruckt. Die Künstlerin kann mit jedem Handstreich das Bild verändern. Immer wieder aufs Neue. Nie wird ein Bildmoment dem anderen gleichen. Gestische Malerei ist hier auf dem nächsten Level angekommen.
Garniert ist diese Form der Malerei mit den Glitzereffekten der Pailletten. Es funkelt und schimmert, das Auge findet kaum Halt, immer locken der nächste Lichtreflex, die nächste fragile Schattenlinie. Vergleichen lassen sich diese wandfüllenden Textilarbeiten mit Tapisserien. Auch die spätmittelalterlichen Wandteppiche waren gefüllt mit Mustern und Formen, auch sie schufen Illusionsräume mit grosser Sogwirkung.
Zusätzlich zeigt Olga Titus neue Prägebilder aus Metall. Hier steht die Linie im Vordergrund, die Verwandtschaft zur Zeichnung ist gross – ein anderes wichtiges künstlerisches Medium für Titus. Im Obergeschoss des Ausstellungsraumes sind ausserdem fünf Videoarbeiten aus den vergangenen zehn Jahren zu sehen. Sie sind spielerisch in Inhalt und Machart. Die Künstlerin zitiert Gattungen wie Science Fiction, Telenovela, Werbung, arbeitet Kunststile und Religionskitsch ein. Sie verwebt Motive aus unterschiedlichen Quellen zu neuen Welten – hierarchielos, nicht wertend, sondern lustvoll und üppig. Damit ergibt die Ausstellung ein schlüssiges Ganzes in ihrer Fülle, ihrem frischen Blick und ihren neuen künstlerischen Ansätzen.