Facettenreiches Schwarz
by Kristin Schmidt
Winterthur — Schwarz ist eine Farbe. Schwarz ist keine Farbe, sondern die Abwesenheit des Lichts. Schwarz ist – im Gegenteil – das Licht selbst. Letzteres war das Diktum des Franzosen Pierre Soulages. Für ihn war Schwarz die aktivste Farbe überhaupt, weil sie alle anderen zum Leuchten bringt. Das kann nur Schwarz. Und es kann noch viel mehr, wie die aktuelle Ausstellung im oxyd in Winterthur zeigt. Sie ist die erste Koproduktion des unabhängigen Kunstraumes mit der Künstler:innengruppe Winterthur. Elf der fast 100 Mitglieder der Gruppe sind in der Schau ‹Facettenreiches Schwarz› vertreten. Ihnen geht es um weit mehr als um die Farbdiskussion: Inhaltlich ist Schwarz das Transportmittel für die Schwere, die Leere, die Trauer, das Vergessen. Formal ermöglicht es Strenge, Konzentration und starke Kontraste. Das thematische Spektrum reicht in der Ausstellung von Gewalt über Mystik bis zum Kosmos. Es ist so breit wie die mediale Vielfalt: Klassische Holzschnitte und Kohlezeichnungen sind zu sehen, Videos und Siebdrucke, Werke aus Seilen oder harzgetränkten Sturmmasken.
Den Einstieg in die Ausstellung macht Bruno Streich mit seiner Serie ‹Nightscape›, 2019. Anlässlich der Demenzerkrankung seiner Mutter begann er altertümliche Landschaftsgemälde mit dunkler Ölfarbe zu überdecken. Die ursprünglichen Farben und Formen sind noch vorhanden, aber kaum mehr zu erkennen. Das Schwarz schliesst sie ein, undurchdringlich, unwiderruflich. Der Künstler liefert ein treffendes Bild für den Verlust der Erinnerungen und der Fähigkeit zu kommunizieren.
Die Beschränkung auf die dunkelste aller Farben lenkt den Blick auf ihren Reichtum. Beispielsweise auf die pudrige Oberfläche der Gummibänder in Katharina Henkings Arbeit ‹Bomba›, 2017 oder auf die Lichtreflexe in Gregor Frehners ‹Armada›, 2023/2024: Ein Kahn und zwölf U-Boote aus schwarz eingefärbtem Bienenwachs stehen für den politisch brisanten Migrationsweg über das Mittelmeer.
Den gelungenen Anschluss der Ausstellung setzt Theres Liechtis Videoprojektion ‹Feuer im Dach›, 2015. Vor schwarzem Hintergrund gehen archetypische, weisse Papierhäuser in Flammen auf. Die Kirche, das Einfamilienhaus, der Wohnblock – langsam verbrennen sie und stehen dank dem Loop wieder unversehrt da. Diese Bilder sind ebenso einfach wie ausdrucksstark. Form und Inhalt bilden eine Einheit. Schwarz sind der Hintergrund und die Asche, schwarz das Drama und das Nichts – bis zum Neuanfang.