Serra bleibt

by Kristin Schmidt

Ende März verstarb der Bildhauer Richard Serra. Die raumgreifenden Stahlplastiken des weltbekannten Künstlers wurden ebenso gefeiert wie abgelehnt. In der Stadt St.Gallen haben seine Werke einen festen Platz.

Richard Serra und St.Gallen – trotz anfänglicher Skepsis wurde diese Verbindung einzigartig: «In St.Gallen sind drei Arbeiten Serras aus drei verschiedenen Werkserien permanent zu sehen, das gibt es in keinem anderen Ort der Schweiz.» Roland Wäspe, von 1989 bis 2022 Direktor des Kunstmuseum St.Gallen gerät ins Schwärmen, wenn er von Richard Serras Werken in St.Gallen berichtet. Da ist erstens der «Trunk» aus Münster, der im Stadtpark seinen Platz gefunden hat. Dann sind da die beiden Stahlplatten, die im Obergeschoss des Kunstmuseums seit 35 Jahren zugleich stabil und fragil an der Wand lehnen. Ein ganz besonderes Werk schliesslich ist «Corner Pentagon»: Das schwarze Fünfeck im oberen Foyer des Kunstmuseums ist eines der sehr seltenen Wandbilder Serras. Bei der Installation aller drei Werke war Roland Wäspe dabei. Und er hat die Diskussionen zuvor erlebt: Würde der «Trunk» den Stadtpark verschandeln? Passt dieses Werk überhaupt nach St.Gallen? Würde es Max Oertlis «Gauklerbrunnen» die Schau stehlen? Die Fragen wurden ernst genommen: Es gab öffentliche Veranstaltungen, Serra reiste mehrmals nach St.Gallen, vor Ort wurde ein 1:1 Modell aufgestellt. Schliesslich konnten die Kritiker überzeugt und die Finanzierung gesichert werden. 1989, nur zwei Jahre nach der Wiedereröffnung des Museums, wurde der «Trunk» in St.Gallen aufgestellt – ausgerechnet in jenem Jahr, als Serras «Tilted Arc» in New York abgebrochen wurde. Jene knapp 37 Meter lange, geschwungene Stahlplatte auf der Federal Plaza hatte zu viel Anstoss erregt. Roland Wäspe begründet das mit der raumordnenden Kraft von Serras Kunst: «Sie hat etwas Unverrückbares. Das kann durchaus bedrohlich wirken, so als ob einem die Wände entgegenkommen.» In St.Gallen jedoch gab es Erfahrungen mit dem Störungspotential der Kunst: «Mit Serras Stahlplastiken ist es ähnlich wie bei Roman Signers Werken: Gegenüber dieser Kunst ist keine neutrale Position möglich, weil sie auch auf der physischen Ebene eindrücklich ist. Sie verlangt eine eindeutige Haltung.» Das liegt auch an der Präsenz dieser Werke im öffentlichen Raum. Serras Werke messen sich mit grosser Geste mit der Architektur. Aber sie sind auch im Museum am richtigen Platz: Dank des grossen Engagements des Sammlers Heiner E. Schmid sind im Kunstmuseum St.Gallen gleich zwei Werke Serras dauerhaft zu sehen. Das «Corner Pentagon» hat Serra 1988 vor Ort gemalt. Dafür schwärzte er imprägnierte Leinwand mit Wachskreide, montierte sie an der Wand und trug nochmals zwei Schichten des schwarzen Materials auf. Erwärmt wurde die Farbe im Foyer auf einem Bitumenkocher. Abenteuerlich für das Museum war auch die Installation von «Thelma, is that you?». Die zweimal 1,8 Tonnen schweren Platten wurden im Osttrakt an einem eigens installierten T-Träger ins Obergeschoss gezogen und dann zentimeterweise an den endgültigen Ort gebracht, dem einzigen der statisch überhaupt dafür in Frage kam. Zur Lastenverteilung waren auf dem Parkett Aluminiumplatten verlegt. Sie wurden später nochmals gebraucht: Für die Steinskulpturen von Peter Kamm anlässlich seine Ausstellung zum Manor-Kunstpreis. Das ist laut Roland Wäspe kein Zufall: «Auch Kamm ist ein Ur-Plastiker, der an der schieren Physis interessiert ist.» So passt es gut, dass wenige Meter von Serras «Trunk» ein Stein von Peter Kamm seinen Platz gefunden hat. Aber auch die Serra-Geschichte in St.Gallen ist weitergegangen: Mit dem Ankauf der Sammlung Ricke kamen weitere Werke ins Haus. St.Gallen wird also auch nach dem Tod des Künstlers fest mit seinem Werk verbunden bleiben.