Pflanzen unterwegs
by Kristin Schmidt
Pflanzen liefern medizinische Wirkstoffe, Nahrung, Baumaterialien, Textilfasern, Farben – die Liste ist noch deutlich länger. Benoît Billotte nutzt die Pflanzen für seine künstlerische Arbeit und stellt sie auch inhaltlich in den Mittelpunkt. Für das Kunst(Zeug)Haus Rapperswil hat der Künstler eigens neue Werke entwickelt.
Pflanzen bereisen die Welt. Das Einjährige Berufkraut ist von Nordamerika aus in die Schweiz gekommen und hier auf die Schwarze Liste der invasiven Neophyten. Die Haargurke ebenso, allerdings hat sie noch einen Zwischenschritt in Südeuropa eingelegt. Die Chinesische Hanfpalme hat von Asien aus auf den Weg in diese Liste gemacht. Und der Lästige Schwimmfarn aus Südamerika hat es sogar unter die Top 100 der «World’s Worst Invasive Alien Species» geschafft.
Lästig oder nicht, die Pflanzen sind mobil. Der Mensch und seine Lust am Exotischen hat viel damit zu tun. Benoît Billotte untersucht diese Wechselbeziehungen: Wie nutzen wir die Pflanzen? Wie nutzen sie uns? Und was hat das Reisen damit zu tun? Der in Genf und im französischen Metz lebende Künstler ist fasziniert von alten See- und Landkarten einerseits und der Vielfalt der pflanzlichen Verwendungszwecke andererseits. Im Kunst(Zeug)Haus Rapperswil bringt er beides auf sehenswerte Weise zusammen. Die Ausstellung ist als Reise zu Wasser und zu Lande angelegt und beginnt im Wurzelbereich der Pflanzen: Über die Flügel der gläsernen Eingangstür des Kunsthauses zieht sich ein Wurzelgeflecht, gezeichnet aus Sand. Das Motiv hat Billotte dem Wurzelatlas von Lore Kutschera und Erwin Lichtenegger aus den 1960er Jahren entlehnt. Das Buch versammelt Zeichnungen von Wurzeln, zweidimensional aufgefächert bis in ihre kleinsten Verästelungen. Billotte hat den Sand mit Plakatleim auf den Scheiben befestigt. Lange halten wird er nicht, aber das gehört zum Konzept des Künstlers: «Meine Arbeit thematisiert die Zeit und die Endlichkeit. Damit entspricht sie uns Menschen. Ich will keine Werke mit Ewigkeitsanspruch kreieren.» Stattdessen setzt Billotte auf vergängliche Materialien. Baumwollstoffe färbt er mit Pflanzensäften. Als Bildgrund verwendet er Bambus-, Bananen oder Lotusblätter. Sie sind beispielsweise erhältlich in asiatischen Lebensmittelläden und werden dort als Essgefässe angeboten: «Ich schätze die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Blätter. Sie werden als Geschirr, als Kochbehältnis und zur Aufbewahrung genutzt.» Billotte bedruckt diese Blätter beispielsweise mit Bildern von Porzellantellern, die wiederum mit Pflanzenmotiven bemalt sind. Oft wurden für solche Dekorationen exotisch anmutende Pflanzen gewählt – für Billotte ein wichtiger inhaltlicher Ansatz. Er untersucht, welches Prestige sich mit diesen Pflanzen verband, welche Aussagen sie transportieren sollten und welcher Aufwand dafür betrieben wurde. Sein Wissen hat der Künstler sich unter anderem in Atelieraufenthalten angeeignet. So hat er im Botanischen Garten in Genf gearbeitet und wohnte auf einer Bananenplantage in Mexiko. Dort gab es wenig Arbeitsmaterialien, also experimentierte Billotte mit Pflanzenfarben.
Auch für dreidimensionale Kunst eignet sich pflanzliches Material gut: Geflochtene Bambusstrukturen, wie sie im ozeanischen Raum lange Zeit als Fischreusen genutzt wurden, setzt Billotte ein, um darauf aufmerksam zu machen, wie Kunststoff pflanzliche Materialien zurückdrängt und handwerkliches Wissen verloren geht. Im Hintergrund der Bambusobjekte leuchtet es hellblau: Die eine Stirnwand des Ausstellungssaales ist mit Kupferfarbe im unteren Drittel gestrichen – sie markiert den Horizont, die See, das Wasser. Gegenüber davon erstrahlt das obere Drittel hellblau – hier ist der wolkenlose Himmel nicht fern. Das Bindeglied sind zwei grosse Baumwolltücher, gefärbt mit Pflanzenfarben. Die Details der verschiedenen Schichten, die Übergänge und Verläufe, die Linien und Schattierungen gleichen kartografischen Werken. Mit gezeichneten Schiffen und Meeresungeheuern auf der einen und Hütten, Lasttieren und Pflanzen auf der anderen Karte thematisiert Billotte das Reisen zu Wasser und zu Lande. Konkrete Hinweise auf geografische Orte liefert er keine: «Karten werden genutzt, um sich zu finden. Ich verwende Karten, um mich zu verlieren.» Verloren gehen werden auch die Karten selbst: Die Farben werden ausbleichen, die Baumwolle wird brüchig werden – pflanzliche Materialien halten nicht ewig, aber wir können nicht auf sie verzichten.