Jutesäcke voller Geschichte und Natur

by Kristin Schmidt

Die brasilianische Künstlerin Solange Pessoa zeigt im Kunsthaus Bregenz Gemälde und raumgreifende Installationen. Für die Ausstellung hat sie die historischen Verbindungen zwischen Österreich und Brasilien recherchiert.

Österreich zählt nicht zu den Kolonialmächten. Aber dank der habsburgischen Heiratspolitik war das Land im frühen 19. Jahrhundert mit der portugiesischen Kolonie Brasilien verbunden: Die Erzherzogin Leopoldine wurde mit Kronprinz Pedro I. aus dem portugiesischen Königshaus Braganza vermählt. Damit hatte Österreich einen Grund, zu einer Expedition in den fernen Kontinent aufzubrechen und dort nach Bodenschätzen zu suchen. Die Erkundungen wurden selbstverständlich in Wort und Bild dokumentiert. Kopien davon sind nun im Kunsthaus Bregenz zu sehen. Allerdings nicht in Vitrinen oder Bilderrahmen, sondern in einer üppigen Installation von Solange Pessoa. Die Künstlerin thematisiert damit die historische Verflechtung zwischen Österreich und Brasilien. In dem südamerikanischen Land wurde sie 1961 geboren und ist von dort aus inzwischen international tätig.

Symbiose von Natur und Kultur

Pessoa hat einen der Welt zugewandten Blick. Sie interessiert sich für die Beziehungen zwischen den Menschen und der Natur, für die Energie von Materialien und deren Aussagekraft. Oft arbeitet sie mit Fundstücken, mit einfachen und organischen Dingen. So fallen im Kunsthaus Bregenz im sonst blitzsauberen Treppenhaus kleine Erdbrocken auf und Fragmente getrockneter Blüten. Diese Details gehören nicht zur Ausstellung und sind doch Zeugnisse davon. Die Besucherinnen und Besucher haben sie an ihren Schuhsohlen hierher getragen: Der Boden des Ausstellungssaals im ersten Obergeschoss ist vollständig von hellbrauner und rötlicher Erde bedeckt. Staub liegt in der Luft, unter den Absätzen knirscht es. An machen Stellen bildet Kohlestaub schwarze Inseln, an anderen liegen Jutesäcke, gefüllt mit Samen, Blättern oder Blüten. Teilweise ist der Inhalt der Säcke auf die Erde ausgestreut. Andere Säcke sind zu grossen Flächen zusammengenäht und im Ausstellungsraum aufgehängt. Aus ihnen ragen getrocknete Pflanzen hervor, manche mit zarten gelben Blüten, andere mit Dornen. Es sind Gräser dabei, riesige Schoten und Stengel von Baumwolle. Dazwischen immer wieder Papier: Pessoa hat in ihre Installation einerseits die historischen Texte der österreichischen Brasilien-Expedition integriert und andererseits Dokumente der späteren österreichischen Auswanderbewegung – auch Vorarlberger Familien suchten in Brasilien ihr Glück. Pessoa erzwingt kein Urteil über diese Bestrebungen. Ihre Arbeitsweise ist offen und beobachtend. Sie zeigt, ohne zu werten. Ihre Werke sind Angebote nicht nur an das Hirn, sondern an alle Sinne.

Federn, Fell und Bronze

Pessoa erspürt das Wesen der Dinge und der Räume, in denen sie ihre Werke ausstellt. Deshalb funktioniert die Ausstellung sehr gut in Peter Zumthors eigenständigem Bau. Jedes Stockwerk ist eine räumliche Einheit und wird von Solange Pessoa auch so genutzt. Im zweiten Obergeschoss zeigt sie Bronzeplastiken: Gestauchte, bauchige Formen mit Auswüchsen aus Feder und Fell, Blättern und Gras hängen an den Betonwänden oder stehen auf dem Terrazzoboden. Die natürlichen Materialien entwickeln sich aus den Bronzeformen heraus und führen sie auf selbstverständliche Weise in den Raum hinein weiter. Es ist ein Spiel mit den Kontrasten: Leicht trifft auf schwer, hart auf weich, glatt auf rau und glänzend auf matt. In der obersten Etage setzen sich diese Gegenüberstellungen fort. Schwarzweisse Gemälde mit archaisch anmutenden Tier-Mensch-Gestalten hängen an den Wänden. In der Mitte des hellen Raumes, unter der Lichtdecke, platziert die Künstlerin ein grosses, dunkles Federkleid. Beschirmend und schwebend gleicht es weniger einem Vogel als einem Baldachin – und zeigt einmal mehr die Verbindung von Natur und Kultur im Werk der Künstlerin.