Ausstellungsraum und Handlungsraum

by Kristin Schmidt

Steckborn — Oktober 2023, irgendwo zwischen Genf und Steckborn: Mehrere Personen bugsieren riesige, bunte Objekte über den Bahnsteig. Die Dinger sind leicht, aber sperrig. Schon der Zugeinstieg gestaltet sich schwierig, noch komplizierter wird es, einen geeigneten Platz im Abteil zu finden. Helfende Hände greifen ein, Ratschläge werden erteilt, die nächste Etappe wird bewältigt. Jan Hofers Projekt ‹Service Public› besteht seit 2016. Damals hatte er aufblasbare Objekte aus einer integrativen Arbeitsmassnahme übernommen. Seither reisen sie von Kunstraum zu Kunstraum und kehren das Ausstellungsprinzip um: Am Ausstellungsort lagern sie zusammengefaltet an einem unauffälligen Platz, während des Transports entfalten sie grösstmögliche Sichtbarkeit, sowohl auf ihre physische Präsenz bezogen als auch auf das – zufällig zur gleichen Zeit reisende – Publikum. Hofers Arbeit illustriert den Spielraum zwischen ‹Ausstellungsraum und Handlungsraum› im Haus zur Glocke in Steckborn. Während er den Handlungsraum konsequent aus dem Ausstellungsbetrieb hinaus verlagert, holen ihn Géraldine Honauer und Alexandra Siegrist in den Ausstellungsraum hinein: Traditionell wird an verschiedenen Anlässen im Haus zur Glocke Suppe gekocht und gegessen. Honauer hat diesen gemeinschaftlichen Akt nicht nur gefilmt, sondern in ein NFT transformiert: Fotos der leergegessenen Suppenteller der Gäste stehen zum Download bereit und werden gegen ein Entgelt in digitaler Währung zertifiziert. Damit erfolgt der Schritt aus dem physischen Raum heraus in den virtuellen hinein. Demgegenüber betont Siegrist das Physische: Eigens für den Suppenabend im Januar hat sie Keramiklöffel produziert, jeder ist ein Unikat und leitet sich aus jener Zeit her, als der eigene Löffel ein wichtigstes Besitzstück war, bis man schliesslich «den Löffel abgab.» Die Löffel werden temporär aktiviert und Teil des Essensrituals. Damit knüpfen sie ans Jahresmotto des Hauses zur Glocke an: ‹Kunst und Ritual›. Hier setzt auch Alexandra vom Endt an. Sie beschäftigt sich mit dem Ritual des Kartenschreibens. Es lebt selbst in digitalen Zeiten fort, wenn Karten per APP gestaltet und verschickt werden können. Vom Endt bietet selbstgefertigte Karten an, die einen eigenen Handlungsraum eröffnen. Auf postalische Reise geschickt, erhalten sie eine neue Dynamik, unabhängig nicht nur von der Ausstellung, sondern auch von der Künstlerin: hinaus aus dem Kunstraum, hinein in die Welt.