Kunst unter Obstbäumen

by Kristin Schmidt

Die Open Air-Biennale im Weiertal widmet sich in diesem Jahr der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit. Unter dem Titel ‹Common Ground› vereinen sich 17 künstlerische Positionen mit der von Menschenhand gestalteten Natur des Landschaftsgartens.

Winterthur Wülflingen — 33 mal 33 Meter – so viel Land braucht ein Mensch, um sich pflanzenbasiert zu versorgen. Je nach Wohnort und Herkunftsstaat erscheint dies viel oder wenig Fläche. Wie gross so ein Areal tatsächlich ist, zeigt Uriel Orlow im Kulturort Weiertal. Hier, am Rande Winterthurs, auf einem idyllischen Stück Land mit hoch gewachsenen Obstbäumen, kleinen Weihern und blühenden Sträuchern, hat der Künstler ein Stück Wiese abgesteckt: Vier einfache Markierungen zeigen eindrücklich, was Bodenbesitz bedeuten kann und wie somit Land, Arbeit und Agrarkultur das Leben sichern oder verändern können. Wer aber besitzt diese Ressourcen tatsächlich und wie werden sie genutzt? Was ist der Mehrwert gemeinschaftlicher und fürsorglicher Lebensweisen? Wie funktionieren Räume jenseits konservativer Produktions- und Konsumlogiken? Diese Fragen stehen im Zentrum der 8. Biennale Weiertal, kuratiert von Sabine Rusterholz Petko. ‹Common Ground› beginnt bereits auf dem Weg vom Bahnhof Winterthur Wülflingen zum Ausstellungsort. Die Luzernerin Martina Lussi hat aus lokalen Geräuschen einen Klangraum gestaltet. Die Komposition kann auf eigenen Kopfhörern angehört werden – idealerweise vermengt mit den reichen Umgebungsgeräuschen. Letztere mischen sich auch in die Tonspur von Ishita Chakrabortys Installation mit Alltagsgeräuschen aus Westbengalen und Thesen zum Ökofeminismus inmitten eines Hags aus Saristoffen.
Im Weiertal lohnt sich das genaue Hinhören genauso wie das genaue Hinsehen. So ist etwa der Stapel aus ausgedienten Autoreifen kein achtlos deponiertes Zivilisationsrelikt, sondern ein eigens installiertes Ökosystem von Brigham Baker: Längst haben sich Wasserlachen in Altreifen als Brutplätze etabliert. Immer wieder lenken die Kunstwerke den Blick weg vom Anthropozentrismus hin zur Natur, wenn etwa Reto Pulfer einen Ziergarten für Pflanzen anlegt, die üblicherweise als Unkraut eingestuft werden, wenn Dunja Herzog Bienenvölkern Strohkörbe anbietet, statt der vor allem für die Bienenwirtschaft praktischen Holzkästen, oder wenn Thomas Julier den Biber ins Zentrum seiner Recherchen stellt. Gemeinsam ist allen Arbeiten ihr ephemerer Charakter. Sie fügen sich in den Garten ein, werden ihn aber nach dem Sommer wieder verlassen. Sie behaupten keinen Ewigkeitsanspruch und passen auch damit zum Ausstellungsthema: Ein gemeinsam genutzter Raum bleibt im Idealfall flexibel für neue Nutzungen, für offene Teilhabe und eine sich stetig wandelnde Balance zwischen Natur und Kultur.

→ ‹Common Ground›, Biennale Weiertal, bis 10.9.
www.biennaleweiertal.ch